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Werther

Drame lyrique in vier Akten und fünf Bildern
Libretto von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmaann nach dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers
von Johann Wolfgang von Goethe
Musik von Jules Massenet

In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Zürich am 2. April 2017

Besuchte Aufführung: 30. April 2017


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Opernhaus Zürich
(Homepage)
Die Sehnsucht nach der ganz großen Liebe

Von Thomas Tillmann / Fotos von Herwig Prammer


Tief berührt verlässt man die Zürcher Oper nach diesem Werther: Tatjana Gürbaca gelingt es in bestechender Weise, mit ein paar Gesten oder Requisiten eine Idee, die Gefühlslage einer Figur oder eine Konstellation zwischen den handelnden Personen für den Zuschauer plausibel zu machen. Sie zeigt und weckt starke Gefühle mit ihrer klaren, klugen, spannenden, berührenden, aber nie sentimentalen und durchaus auch einige komische Momente einbindenden Erzählweise, der eine gründliche Beschäftigung mit der Vorlage vorausgegangen sein muss und die große Wertschätzung für dieselbe erkennen lässt, auch wenn die Deutsche über deren Bebilderung mit eigenen Einfällen und Verdichtungen mitunter hinausgeht, ohne sich dabei aber in platten Aktualisierungen oder nervigem Aktionismus zu verzetteln - eine im besten Sinne moderne, ganz hervorragende Regiearbeit in meinen Augen, die Kopf wie Herz gleichermaßen berührt.


Vergrößerung Werther (Juan Diego Flórez) tritt in die enge Welt, die Le Bailli (Chayne Davidson, hinten) und seine verwaisten Kinder (Statistenverein am Opernhaus Zürich) repräsentieren.

Wie die Gesellschaft in Wetzlar wirkt Klaus Grünbergs Bühnenraum mit seinen Holzwänden, Regalen und Kassettendecken sehr hermetisch und strukturiert und birgt „eine extreme Tiefenperspektive“ in sich: „Der Fluchtpunkt aller Raumlinien liegt draußen, weit weg, aber diese Tiefenperspektive existiert nur als Möglichkeitsraum. Ganz real ist der Platz, auf dem sich das ganze Stück abspielt, nur zwei Meter tief und sehr beengt“, erläutert der Künstler seine Kreation präziser als der Rezensent es könnte. Abenteuer gibt es in dieser farblos-monotonen Welt für Kinder und Jugendliche nur in Büchern zu erleben, Abwechslung hin und wieder auf einem Kostümball (pünktlich auf das Stichwort rêve regnet ein wenig Glimmer vom Bühnenhimmel). In diesen abgeriegelten Raum der festgelegten Konventionen dringt Werther ein, genauer gesagt hilft ihm eines der Kinder ins Bild, ein Fremdkörper er („ausgeschlossen aus dem Bild“, nennt es Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“), ein Geschöpf aus einer anderen Welt, ein Gott vielleicht, der Charlotte in ihrem Prinzessinnenoutfit sofort ausmacht als ein Wesen, das seine Idee einer großen Liebe vielleicht zu teilen vermag und die doch in die Ehe mit Albert hineinschlittert – im zweiten Akt trägt sie ein repräsentativ-konservatives Mantelkleid (das Rosa der Prinzessin ist einem unspektakulären Englischrot gewichen) und eine elegante Hochsteckfrisur, wie es sich für eine verheiratete Frau der besseren Gesellschaft schickt, aus den Kindern des ersten Aktes sind Greise und Greisinnen geworden (Silke Willretts Kostüme tragen enorm zur Charakterisierung der Figuren bei, das sieht man so vollendet auch nicht alle Tage).

Vergrößerung

Ein Weihnachten ohne Ehemann und vor allem ohne den geliebten Werther ist unerträglich für Charlotte (Anne Stéphany).

Nur eine Kugel hat es im dritten Aufzug in Charlottes winzigen Christbaum geschafft, die anderen Kugeln zertritt sie noch in der Verpackung, widersteht im letzten Moment der Versuchung, sich eine Zigarette anzuzünden, allein gelassen von ihrem Mann, überwältigt von ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten. Werther und Charlotte spinnen sich in Lametta ein - ein großartiger, tiefsinniger szenischer Einfall, der Sehnsucht und Zerbrechlichkeit dieser Liebe gleichermaßen sinnfällig illustriert. Diesem Paar ist es nicht vergönnt, gemeinsam alt zu werden wie demjenigen, das Gürbaca als Verdopplung von Werther und Charlotte im letzten Akt auf die Bühne bringt, und doch wird man Zeuge einer ganz großen Liebe, die jede Enge, Zeit und Raum überwindet („Ich habe große Hoffnung, dass aus ihr nach dem Ende der Oper noch etwas wird“, formuliert es die Regisseurin im Interview mit dem Produktionsdramaturgen).


Vergrößerung Werther (Juan Diego Flórez) verbrennt die Briefe, die er Charlotte geschrieben hat.

Juan Diego Flórez hat die Partie bereits in Bologna verkörpert (und in Paris konzertant gesungen), er weiß in jedem Moment, was er tut, er fühlt sich spürbar wohl im französischen Fach, das ihm in den nächsten Jahren Rollen wie Des Grieux (Manon) und die Titelfigur in Offenbachs Hoffmann bieten wird. Es ist erstaunlich, wie er sich auf Tatjana Gürbacas "modernes" Konzept einlässt, ja, sich mit Haut und Haaren in diese Inszenierung wirft und viel mehr beisteuert als makellos-empfindsamen, sinnlichen Schöngesang auf allerhöchstem Niveau, nämlich ein wirklich unter die Haut gehendes Portrait eines sensiblen unglücklich Liebenden, der einer Welt der Enge und Engstirnigkeit abhanden gekommen ist. Nichtsdestotrotz bewundert man die Raffinesse einer vollendeten voix mixte, zarteste Piani, dann wieder strahlende, nie forcierte Forteacuti.

Vergrößerung

Sie sind zu stark, die Gefühle, die Werther (Juan Diego Flórez) und Charlotte (Anne Stéphany) für einander haben.

Anne Stéphany ist darstellerisch ebenso involviert und bewegend wie ihr Kollege, gewinnt im Verlauf des dritten Aktes auch mehr und mehr vokales Profil, riskiert mehr. Ihr nicht außergewöhnlich timbrierter, zunächst etwas kühl wirkender Mezzosopran hat einiges Gewicht in der Tiefe, im späteren Verlauf auch einige erregend klingelnde Spitzentöne, und auch wenn der Stimme das letzte bisschen Glanz in der Höhe fehlen mag, ist Stéphany schon in der Rollendebütserie eine bemerkenswerte Charlotte.

Viel mehr Farben als die gewöhnliche Soubrette hat Mélissa Petit als Sophie, Audun Iversen ist mit markant-kraftvollem Bariton ein attraktiv-viriler Albert, der stilistisch allerdings nicht ganz das Niveau der anderen Protagonisten erreicht, weil dem Singen des Dänen die letzte Finesse eines Muttersprachlers fehlt. Martin Zysset (Schmidt) und Yuriy Tsiple (Jakob) ergänzen eloquent und spielfreudig das Ensemble, zu dem auch der erfahrene Chayne Davidson als Le Bailli gehört.


Vergrößerung Der Kopfschmuck der beiden Alten (Statistenverein am Opernhaus Zürich) erinnert an den, den Werther und Charlotte getragen haben. Gemeinsam alt zu werden ist ihnen nicht vergönnt. Ihre Liebe ist anders, aber auch groß.

Cornelius Meister, designierter GMD der Staatsoper Stuttgart, ist am Pult der großartigen Philharmonia Zürich stets um großen Farbenreichtum bemüht, um ein sensibles Nachzeichnen der Stimmungen, aber manches gerät dann doch eine Spur wuchtig, lässt noch ein wenig das berühmte, schwer zu fassende französische Fluidum und diese besondere légèreté vermissen.


FAZIT

Was für ein packender französischer Opernnachmittag an der Limmat, nicht nur, aber auch wegen des einmal mehr exzellenten Juan Diego Flórez in der Titelpartie.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Cornelius Meister

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühnenbild und
Lichtgestaltung
Klaus Grünberg

Bühnenbildmitarbeit
Anne Kuhn

Kostüme
Silke Willrett

Kostümmitarbeit
Carl-Christian Andresen

Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger

Dramaturgie
Claus Spahn



Statistenverein am Opernhaus Zürich

SoprAlti und Kinderchor der Oper Zürich

Philharmonia Zürich


Solisten

Werther
Juan Diego Flórez

Charlotte
Anne Stéphany

Sophie
Mélissa Petit

Albert
Audun Iversen

Le Bailli
Chayne Davidson

Schmidt
Martin Zysset

Johann
Yuriy Tsiple

Brühlmann
Stanislav Vorobyov

Käthchen
Soyoung Lee





Weitere
Informationen

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Opernhaus Zürich
(Homepage)



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