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Das Wunder der Heliane

Oper in drei Akten
Libretto von Hans Müller-Einigen nach Die Heilige von Hans Kaltneker
Musik von Erich Wolfgang Korngold

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 20 Minuten (eine Pause)

Premiere am 18. März 2018 in der Deutschen Oper Berlin


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Deutsche Oper Berlin
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Wer immer liebend sich bemüht...

Von Bernd Stopka / Fotos: Monika Rittershaus

Wie einfach wäre es, wenn es im Leben nur schwarz oder weiß gäbe, nur gut oder schlecht, nur Engel oder Teufel… wie einfach – und wie öde, langweilig und leer.
Erich Wolfgang Korngold und der Librettist Hans Müller-Einigen zeigen mit der Oper Das Wunder der Heliane nicht nur die Vielfalt und Vielschichtigkeit, die vielen möglichen Wahrheiten von Worten, Taten und Gefühlen, sie führen die menschliche Seele, ihre Abgründe und ihre überirdische Göttlichkeit in eine sphärische Verklärung und transzendente Entrücktheit, die nichts mehr eindeutig sein lässt. Die Liebe in all ihren Facetten erstrahlt als das höchste Element menschlichen Lebens, das schließlich im gemeinsamen Totsein in die Erlösung durch, mit und für die Liebe führt. Ein multidimensionaler Text, den die Musik um weitere Dimensionen erweitert. Bitte hinsetzen, anschnallen und sich hineinbegeben in ein Werk, das mit seinen philosophischen, religiösen, metaphysischen, transzendenten… Elementen geeignet ist, den Zuhörer auf den Flügeln eines spätromantischen Klangrausches abheben zu lassen. Tristan, Parsifal und Faust II lassen grüßen, erscheinen dagegen aber fast wie Zwerge.

Bei ihrer Uraufführung 1927 wurde die Oper von vielen als stilistisch antiquiert und nicht zeitgemäß erlebt. Die Ächtung Korngolds durch die Nationalsozialisten gab der Heliane den Rest und schickte sie in die Versenkung, aus der sie seitdem nur sehr selten hervorgehoben wurde. Die Berliner Produktion ist geeignet, aus der Versenkung einen Dornröschenschlaf zu machen und das Werk dem Opernleben nachhaltig zurückzugeben.

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Der Fremde (Brian Jagde), Heliane (Sara Jakubiak)

Die Handlung im Wesentlichen:
Der Herrscher eines Landes ist unglücklich verheiratet und verbietet seinem Volk Glück und Freude. Als ein fremder Mann ins Land kommt und unter den Menschen Freude verbreitet, lässt ihn der Herrscher einsperren und zum Tode verurteilen. Den Tag der Hinrichtung, den folgenden Morgen, teilt er ihm persönlich mit. Im Gespräch mit dem Pförtner erklärt der Fremde seine Lebenshaltung. Die Frau des Herrschers, Heliane, besucht den Fremden. Voller Mitgefühl möchte sie ihm seine letzten Stunden verschönen und erfüllt seine Wünsche soweit, dass sie ihm erlaubt, sie nackt zu betrachten. Den Wunsch, sich ihm hinzugeben, verweigert sie und zieht sich zum Beten in die Kapelle nebenan zurück. Der Herrscher erscheint ein zweites Mal und versucht, die Freude bringende Fähigkeit des Fremden für sich zu nutzen. Er bietet ihm die Begnadigung an, wenn er ihm die Leidenschaft seiner Frau verschafft, die er nie besaß und die er noch nicht einmal nackt sehen durfte. Die zurückkommende Heliane verbittet sich dieses Gespräch und wird sich dann erst ihrer Nacktheit bewusst. Für den Herrscher ist die Situation eindeutig. Er klagt seine Frau des Ehebruchs an.
Eine Botin hetzt Herrscher und Volk gegen Heliane auf. Vor dem einberufenen Gericht erklärt Heliane dem blinden Richter, dass sie aus reiner Nächstenliebe gehandelt habe und es nicht zum körperlichen Ehebruch gekommen sei. Sie habe sich dem Fremden nur in Gedanken hingegeben. Als Zeuge geladen erbittet sich der Fremde ein paar Minuten mit Heliane allein und bietet ihr seinen Tod für ihre Ehrenrettung an, ersticht sich und kann dem hinzueilenden Herrscher keine Antwort mehr auf die Frage geben, ob passiert ist, was dieser befürchtet. Das Volk ist entsetzt darüber, dass ihr Glücks- und Freudebringer hingerichtet werden soll und verlangt nach ihm. Der Herrscher nutzt die Gelegenheit, das Volk zu besänftigen, indem er von Heliane ein Gottesurteil verlangt: Wenn sie unschuldig sei, könne sie den Fremden zum Leben erwecken. Heliane lässt sich darauf ein, das Volk ist begeistert, aber auch voller Zweifel, ob es sich bei Heliane um eine Heilige oder eine Ehebrecherin handelt. Am nächsten Morgen kommen Heliane die Worte „Steh auf und wandle“ nicht über die Lippen, sie verweigert sich dieser Gotteslästerung, distanziert sich von ihren vorherigen Einlassungen und erklärt, dass sie den Fremden geliebt habe, ganz natürlich und ehrlich.
Das Volk will sie daraufhin lynchen, doch der Herrscher versucht, die Situation auszunutzen und bietet Heliane Freiheit gegen Liebe an. Sie lehnt ab, doch bevor das Volk sie töten kann, geschieht das Wunder und der Fremde steht von den Toten auf. Das Volk wendet seine Loyalität nun ihm zu, der den Herrscher verbannt und das Volk befreit, das Heliane nun als Heilige verehrt. Der Herrscher ersticht Heliane in rasender Eifersucht. Doch auch sie steht von den Toten auf und steigt zusammen mit dem Fremden in den Himmel empor.

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Der Fremde (Brian Jagde), Heliane (Sara Jakubiak)

Christof Loys Inszenierung für die Deutsche Oper Berlin lässt Das Wunder der Heliane in einem realistischen, sachlichen Raum spielen, der einem holzgetäfelten, unbestuhlten Gerichtssaal gleicht; mit Uhr und Kreuz, einem einzelnen Tisch und Stuhl (Bühnenbild: Johannes Leiacker). Von der Decke scheint blendendes Neonlicht in den ansonsten überwiegend düster, aber atmosphärisch eindrucksvoll ausgeleuchteten Raum. Das ist nicht nur ein Bild, denn hier wird in jeder Hinsicht zu Gericht gesessen, sondern auch eine sachliche Dimension, die Text und Musik zwar nicht konterkariert, ihr aber eine geradezu befreiende Bodenhaftung verleiht. Die schwarz/weißen Kostüme von Barbara Drosihn zeigen die Personen in Geschäfts- bzw. Abendkleidung, symbolisieren die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und unterstreichen in ihrer Gegensätzlichkeit zur Handlung indirekt deren Uneindeutigkeit. Umso stärker erscheint dann die Nacktheit der Heliane als einzig echt und wahr.

Der Regisseur gibt Libretto und Musik in diesem Bühnenbild viel Raum sich zu entfalten und zeigt die Handlung so, wie sie geschrieben steht. Kein Überaktionismus, keine provokativen Gegenaktionen, keine oberflächliche Aktualisierung oder Politisierung. Die Personenführung wirkt sparsam, ist aber auf den Punkt genau überlegt und psychologisiert die Charaktere sehr differenziert. Geschickt platziert er Chor und Solisten immer wieder zu ausdrucksstarken Bildern, ohne dabei pathetisch zu werden.

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Der Fremde (Brian Jagde), Heliane (Sara Jakubiak) und der Herrscher (Josef Wagner)

Der Herrscher ist ein Despot, aber nicht um der Macht willen, sondern aus seiner verletzten Seele heraus, ein Liebender, der nicht wiedergeliebt wird, der mit der Botin (mit klangvollem und warm timbriertem Mezzo: Okka von der Damerau) die körperliche Liebe erlebt hat, weshalb sie voller Eifersucht Gift gegen Heliane versprüht. Ihre Sehnsucht gilt der Leidenschaft des Herrschers, der sich diese aber nur von Heliane wünscht und doch nicht bekommt. Insofern ist sein Liebes- und Freude-Verbot für sein Volk aus dem eigenen Mangel geboren: Wenn ich nicht glücklich bin, dürfen es andere auch nicht sein. Ein vielschichtiger Charakter zwischen Wut und Sehnsucht, Verletztheit und Eifersucht getrieben und immer in Bewegung. So zeichnet ihn der Regisseur und so gestaltet ihn Josef Wagner szenisch wie gesanglich mit seinem beweglichen und klangvollen Bassbariton höchst intensiv.

Der Freude und Glück verbreitende Fremde erscheint wie ein ganz natürlicher junger Mann, mit dem Drang, die Menschen glücklich zu machen und da auch er ein Mensch ist, gilt das auch für ihn: lebt, liebt und genießt. Wobei für ihn die körperliche Liebe erklärtermaßen eine hohe Form der Zuneigung ist und keine animalische Triebbefriedigung – auch, wenn das momentweise so aussieht... Die Schlussapotheose scheint ihm dann fast ein bisschen unheimlich. Brian Jagde vermag dies überzeugend darzustellen und bewältigt die ungemein anspruchsvolle Partie mit Bravour und Durchschlagskraft. Dabei zeigt sein heldisch strahlender, kraftvoller Tenor keinerlei Ermüdungserscheinungen, so sehr er die Leidenschaften auch toben lässt.

Heliane ist die einzige Figur, die einen Namen hat, alle anderen Figuren tragen nur Bezeichnungen. Nur sie ist ein Individuum und handelt individuell. Sehr individuell. Ist sie schuldig? Ist sie unschuldig? Kann man das, was geschehen ist, überhaupt in diese Kategorien einteilen? Über einer Tür des Gerichtssaals hängt ein Kreuz. Religiös-christlich gesehen kann man ja in Gedanken, Worten und Taten sündigen… und „Wer eine Frau [oder einen Mann] ansieht und begehrt, hat in seinem Herzen schon Ehebruch begangen“. Dabei spielt die Versündigung aus Sicht des Herrschers nicht wirklich eine Rolle – aber seine Verletzung ist durchaus nachvollziehbar, wenn Heliane sagt, sie habe sich dem Fremden in Gedanken hingegeben, nur in Gedanken, aber immerhin in Gedanken. Dass sie sich in Gedanken einem anderen hingegeben hat, bedeutet einen emotionalen und damit viel tiefer gehenden Ehebruch als einen körperlichen. Doch so einfach ist Helianes Handeln gar nicht. Ist es nicht auch hochchristlich, in mitleidsvoller Liebe einem Gefangenen die letzten Stunden zu mildern?  „Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht.“. Heliane hat zunächst aus Menschenliebe und Mitleid gehandelt – aber auch aus Sehnsucht nach einem Menschen, der Freude bringen und sie vielleicht auch aus dem Elend des unglücklichen Lebens befreien kann. Ganz uneigennützig ist das nicht und sie spielt durchaus mit dem Feuer… Es gibt eine Vielfalt von Beweggründen und ihre unterschiedlichen Aussagen machen das deutlich. Sara Jakubiak ist eine wundervolle, ausdrucksstarke Heliane, die alle diese Facetten zeigt. Mühelos schwingt sich ihr gleichmäßig durchgeformter, charakteristisch timbrierter Sopran in vielfarbig leuchtende Höhen, bewirkt tief bewegende Momente und ratloses Mitgefühl mit dieser Figur.

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Heliane (Sara Jakubiak) und der Herrscher (Josef Wagner)

Das erlösende Finale (inwieweit der Tod zur gemeinsamen Liebe eine vervollkommnende Erlösung ist, müsste man Tristan und Isolde mal nach ihren Erfahrungswerten befragen), besingt ein ewiges Lied der Liebe: „Selig sind die Liebenden. Die der Liebe sind, sind nicht des Todes. Und auferstehen werden, die dahingesunken sind um Liebe.“ Das erinnert ein bisschen an den Faust II-Schluss, der einerseits den ewigen Fortschritt belohnt: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ und andererseits die Liebe als die stärkste positive Kraft apostrophiert: „Das Unbeschreibliche, hier ist's getan; Das Ewig-Weibliche, zieht uns hinan“. Christoph Loy stellt das Finale mit entwaffnender Sachlichkeit dar, keine Apotheose mit Donner und Sternenfunkeln. Die beiden Auferstandenen sehen so natürlich aus, als ob man Seelenfrieden und zwischenmenschlichen Frieden durch Liebe auch im Diesseits erreichen könne.

Während sich Die tote Stadt einen festen Platz im Repertoire erobert hat, fristet Das Wunder der Heliane ein Schattendasein. Dabei ist sie das wichtigere, gewichtigere – und kompliziertere Werk Korngolds mit Klanggewalten, die nicht nur abheben lassen, sondern auch erschlagen können. Dies zu verhindern, gelingt Marc Albrecht am Pult außerordentlich gut, denn er vermag es, der Partitur einerseits ihr schwelgerisches Recht, ihre in polyphonen Strukturen gewaltigen Klänge zu geben, sie aber nicht überborden zu lassen. Das macht das Schwelgen nicht nur schön, sondern auch hochspannend.  Das Orchester geht mit Engagement und Leidenschaft mit, ebenso bewältigt der Chor seine umfangreiche und anspruchsvolle Aufgabe.
Unter den kleineren Partien hinterlässt Derek Welton als Pförtner mit hochkultiviertem, stimmvollem Bariton einen ungemein starken Eindruck. Burkhard Ulrich gestaltet den blinden Richter mit ausdrucksvollem Charaktertenor und Gideon Poppe macht als Junger Mann kurz aber prägnant auf sich aufmerksam.

FAZIT

Eine spannende Inszenierung, die in schlichten, aber eindrucksvollen Bildern den Fokus auf die Charakterisierung der Figuren richtet, die szenisch und sängerisch ganz exzellent dargestellt und gesungen werden. Das Orchester schwelgt und tobt in ebenso üppiger wie differenzierter Leidenschaft.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Albrecht

Inszenierung
Christof Loy

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Barbara Drosihn

Licht
Olaf Winter

Chor
Jeremy Bines

Dramaturgie
Dorothea Hartmann
Thomas Jonigk


Chor der
Deutschen Oper Berlin

Orchester der
Deutschen Oper Berlin


Solisten

Heliane
Sara Jakubiak

Der Herrscher, ihr Gemahl
Josef Wagner

Der Fremde
Brian Jagde

Die Botin
Okka von der Damerau

Der Pförtner
Derek Welton

Der blinde Schwertrichter
Burkhard Ulrich

Der junge Mann
Gideon Poppe

6 Richter
Andrew Dickinson
Dean Murphy
Thomas Florio
Clemens Bieber
Philipp Jekal
Stephen Bronk

2 Seraphische Stimmen
Sandra Hamaoui
Meechot Marrero


Weitere
Informationen

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