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Die Nase

Oper in drei Akten
Libretto von Dmitri Schostakowitsch, Jewgeni I. Samjatin, Georgi D. Ionin und Aleksandr G. Preis
nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai W. Gogol
Deutsche Textfassung von Ulrich Lenz
Musik von Dmitri Schostakowitsch

in deutscher Sprache mit verschiedensprachigen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere an der Komischen Oper Berlin am 16. Juni 2018


Homepage

Komische Oper Berlin
(Homepage)
Hochnäsig auf Wanderschaft

Von Roberto Becker / Fotos von Iko Freese - drama-berlin.de

Wenn schon Dmitri Schostakowitschs Jugendwurf Die Nase, dann gleich richtig. Offenbar hat sich Barrie Koksy das gesagt. In diesem Falle heißt das: Eine Inszenierung zu koproduzieren und weltweit zu vermarkten. 2016 als eigenes Regiedebüt in London am Royal Opera House Covent Garden. Dann in seiner australischen Heimat Sidney. Auch das ebenfalls koproduzierende Teatro Real in Madrid ist noch dran. Und jetzt eben an seiner Komischen Oper in Berlin. Schon rein logistisch keine schlechte Leistung für den rührigen (und erfolgreichsten) Berliner Intendanten und den europa-, ja weltweit gefragten Regisseur. Der aus Überzeugung beides zugleich ist. Was für die Komische Oper und ihre Tradition haargenau passt. Und in München - wo Kosky auch für die Nachfolge von Nikolaus Bachler als Intendant der Bayerischen Staatsoper im Gespräch war, wohl nicht gepasst hätte.

Vergrößerung Nasen-Stepptanz an der Rampe

Für Berlin hat Kosky, wie es früher an seinem Haus nicht nur üblich, sondern ein Dogma war, eine Fassung in deutscher Sprache (von Ulrich Lenz) und mit einer größtenteils neuen Besetzung einstudiert. Außerdem war es für den künftigen GMD Ainārs Rubiķis die Gelegenheit für einen vorgezogenen Einstand mit dem Orchester.

Schostakowitsch schrieb seine Oper nach der Erzählung von Nikolai Gogol aus dem Jahre 1836 mit Anfang Zwanzig. Dass sie 1930 uraufgeführt, zwar angegriffen, aber nicht verboten oder zurückgezogen wurde, zeigt, dass der Kulturdogmatismus Stalins da offensichtlich noch nicht flächendeckend wirkte. Mit der Nase jedenfalls war die Oper in der Sowjetunion noch nicht von der europäischen Moderne abgeschottet. Das Verbot von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk ein paar Jahre später war dann schon lebensgefährlich für den Komponisten. Wobei auch in der Nase einiges Deftige, mitten ins volle Leben Greifende und keine Rücksicht auf Empfindlichkeiten des Publikums Nehmende aus diesem Meisterwerk aufscheint. Gerade wenn es um die Überzeichnung der Behörden geht. Oder die Übersetzung von Lebensgeräuschen in Musik, von denen Rülpsen noch das Harmlosere ist. Schostakowitsch entfesselt das Orchester geradezu und zeigt, was alles so möglich ist, an organisiertem Lärm und überdrehter Groteske.

Vergrößerung

Ohne eine Nase ist man ein Clown

Die Inszenierung ist ein typischer Kosky geworden. Frisch und passgenau auf sein Haus (und dessen spielfreudigen Chor) zugeschnitten. Mit ein paar selbstreferenziellen Gags. Wie den Zuschauern, die vermeintlich eigentlich in die Lindenoper wollten und gleich am Anfang unter Protest den Zuschauerraum wieder verlassen. Oder der Auftritt einer vermeintlichen Reporterin von heute am Ende. Ansonsten ist es ein mit Energie aufgeladener Parforceritt durch Absurdistan. Das Personal hat Buki Shiff in Kostüme gesteckt, die so verrückt wie opulent sind. Im Gesicht hat jeder einen Riesenzinken, so dass der eitle Kollegienassesor Platon Kusmitsch Kowaljow, dessen Nase wirklich ins Riesenhafte aufgebläht, selbstständig durch Petersburg spaziert, mit seiner roten Normalnase auffällt. Dass die ganze Stadt in Hysterie verfällt und die Nase einen Tsunami von fake news produziert - ist auch in der historischen Maskierung geradezu beängstigend aktuell. Und dass die Nase sich als Staatsrat ausgibt und ihren rechtmäßigen Besitzer abblitzten lässt, verleiht dem Wort hochnäsig hier einen wortwörtlichen Beigeschmack. Günter Papendell läuft seiner Nase hinterher und als Sängerdarsteller zur Hochform auf.


Vergrößerung Wenn die Nase läuft (oder über allen schwebt) ist die Hölle los

Klar, dass irgendwann bei Kosky auch der Vergleich von Nase und Penis zum Bild wird. Und es ein Nasenballett mit 9 XL Riechorangen und nackten Männerbeinen, inklusive eines gesteppten Solos, gibt. Überhaupt spielt das Ballett wieder kräftig mit und Choreograph Otto Pichler macht ihm Beine. Auch das ziemlich wortwörtlich. Die chorus line der an der Rampe Beine werfenden und dann fabelhaft steppenden Nasen ist jedenfalls eine Klasse für sich. Inklusive von Lion Sturm unter der einen Nase.

In dem abstrakten Bühnenraum von Klaus Grünberg und Anne Kuhn, ist das Geschehen ansonsten meist auf einen riesigen runden Tisch (oder Präsentierteller) fokussiert. Bricht aber auch immer wieder ins Reich der Phantasie aus. Mit Tischen, die wie Rikschas durch die Gegend fahren. Mit einem Männerballett mit langen Bärten und bunten Röckchen. Und dem - wie gesagt - vorhersehbaren "Irrtum", die fehlende Nase durch einen Penis zu ersetzten. So viel unübersehbare Küchenpsychologie über Verlustängste in der surrealen Groteske muss dann doch sein.

Vergrößerung

Wahnsinn mit Methode, doch hinter der Groteske lauert der Horror ...

Kosky entfesselt in der Nase einen gewaltigen Niesanfall mit tiefem Durchatmen. Handwerklich ist das vor allem hochprofessionell. Auch wenn der Horror der Geschichte hinter diesem Kesseltreiben nur selten so hervorlugt wie am Ende, wenn am Ende die Nase partout nicht wieder an ihrem Platz in Kowaljows Gesicht halten will.

Der Personalaufwand für diesen Abend ist gewaltig - die Komische Oper vermerkt 78 Partien. Rosie Aldridge (Raskowja Ossipowna/Verkäuferin), Alexander Kravets (Polizeioberhauptemeister u.a.) sowie Alexander Lewis (Wütender Mann in der Kathedrale/ Jaryschkin u.a.) waren schon in London dabei. Bewährte Protagonisten der Komischen Oper wie Jens Larsen (Ivan Jakowlewitsch, Leiter der Annoncenredaktion/ Arzt), Mirka Wagner (Trauernde Frau in der Kathedrale/ Podtotschinas Tochter), Ivan Turšic (Iwan, Diener Kowaljows/Polizeiobermeister) und Ursula Hesse von den Steinen (Pelagea Grigorjewna Podtotschina) kamen neu hinzu.


FAZIT

Kann sein, dass die Nase von Kowaljow vom Wege abkommt. Die Nase von Schostakowitsch ist in der Komischen Oper bei Barrie Koksky jedenfalls an einem Ort, wo sie hingehört.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ainārs Rubiķis

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühne und Licht
Klaus Grünberg

Kostüme
Buki Shiff

Co-Bühnenbild
Sarah Derendinger

Chor
David Cavelius

Dramaturgie
Ulrich Lenz



Chorsolisten der Komischen Oper Berlin

Orchester der Komischen Oper


Solisten

Platon Kusmitsch Kowaljow
Günter Papendell

Seine Nase
Lion Sturm

Ivan Jakowlewitsch / Arzt
Jens Larsen

Raskowja Ossipowna/ Verkäuferin/
Fernsehmoderatorin
Rosie Aldridge

Polizeioberhauptemeister u.a.
Alexander Kravets

Wütender Mann in der Kathedrale/
Jaryschkin u.a.
Alexander Lewis

Iwan, Diener Kowaljows/
Polizeiobermeister u.a.
Ivan Turšič

Pelagea Grigorjewna Podtotschina
Ursula Hesse von den Steinen

Trauernde Frau in der Kathedrale/
Podtotschinas Tochter
Mirka Wagner

Angestellter/ 4. Polizist/
Spekulant u.a.
Carsten Sabrowski

5. Angestellter/ 10. Polizist u.a.
Samuli Taskinen

5. Polizist// 2. Herr/ 1. Dandy u.a.
Johannes Dunz

7. Polizist/ 3. Herr/ 2. Student
Emil Ławecki

8. Polizist / 7. Herrr / 5. Student
Adrian Strooper

Die alte Gräfin
Caren van Oijen

Pjotr Fjodorowitsch/ Oberst/
7. Student
Christoph Späth

Diener der alten Gräfin /
Iwan Iwanowitsch/ 8. Student
Tom Erik Lie



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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