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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 5h 45' (zwei Pausen)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 11. Februar 2018


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Staatsoper Berlin
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Auf der Suche nach der verlorenen Kindheit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus

Es gibt Stücke, da entscheiden die ersten Takte vielleicht nicht alles, aber doch vieles. Tristan und Isolde mit dem berüchtigten "Tristan-Akkord" ist so ein Stück, bei dem sich sofort zeigt, ob Orchester und Dirigent eine Idee haben (und umsetzen können). Bei Daniel Barenboim, unbeobachtet in den Orchestergraben gelangt (wie auch vor den beiden folgenden Akten) und ohne vorherigen Applaus aus dem Nichts beginnend, haben die Streicher vom ersten Moment an auch im Piano Kontur, der besagte Akkord setzt weich, aber nicht verschwommen ein. Sofort ist ein Zeitgefühl spürbar (den wenigsten Dirigenten gelingt das). Die musikalische Linie wächst sich zur unendlichen Melodie aus, sanft fließend, nicht durch Pausen abgewürgt, und fortan ist die famose Staatskapelle der bestimmende Akteur. Barenboim zaubert mit den Klangfarben, hebt immer wieder einzelne Instrumente aus der vermeintlichen Begleitung heraus. Im frisch sanierten Saal der Staatsoper klingt die Musik einschmeichelnd, die Soli stechen auch im Forte nicht unangenehm heraus, die Mischung aus Brillanz und Wärme scheint ausgewogen, und auch im Tutti bleibt der Klang transparent - jedenfalls von meinem Platz im ersten Rang aus (den Pausengesprächen nach scheint der Klangeindruck nicht überall so zu sein). (Dass die Blickrichtung zum gegenüberliegenden Rang statt zur Bühne geht und man nach mehreren Stunden Wagner unwillkürlich im Programmheft nach Werbeanzeigen von Orthopäden schaut, gehört leider auch zum prächtig herausgeputzten Bau.)

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Seefahrt in der Luxcusklasse: Isolde (rechts) und Brangäne

Barenboim dirigiert einen romantisch sehnsuchtsvollen, großformatig angelegten Tristan, der immer im Fluss bleibt, sich aber auch - bei aller Kontrolle, die Barenboim mit Sinn für Klangschönheit nicht aus der Hand gibt - dramatisch aufbäumen kann, dass es ganz schön kracht. In der Schuhkastenbühne von Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov kann man die Sänger trotzdem recht gut hören, meistens jedenfalls - besonders viel Rücksicht auf die Stimmen nimmt Barenboim nämlich nicht. Im Falle des Tristan ist das auch nicht erforderlich, denn Andreas Schager scheint mit seinem strahlenden und leicht metallischen Heldentenor schier unerschöpfliche Kräfte zu haben, mit dem er sich über alle Orchestergewalten hinweg setzt. Er ist kein schwerer, auch kein allzu dunkel grundierter Tristan, kann dafür geschmeidig phrasieren und jederzeit zur vokalen Attacke übergehen. Das ist bei Anja Kampe, der Isolde, schon anders; einen wirklich hochdramatischen Sopran hat sie nicht, da wünschte man sich hier und da noch ein paar Reserven. Dafür ist die Partie mit hoher Intensität gesungen, vor allem im ersten Aufzug mit vielen Zwischentönen bravourös ausgestaltet, und auch im heiklen Liebestod behält die Stimme Fassung und Kontur.

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Gepflegter Exkurs statt Ekstase: So sieht bei Tristan und Isolde die "Nacht der Liebe" aus.

Auch die Nebenrollen können sich hören lassen, allen voran der energische, großformatige Kurwenal von Boaz Daniel, kraftvoll und agil in jeder Note. Ekaterina Guberova ist eine flammende, eher mezzohell als altdunkel timbrierte Brangäne (allein von der Klangdisposition her ist sie, wenn man denn unbedingt etwas einwenden wollte, der Isolde recht ähnlich). Stephen Milling, der Sänger des Marke, ließ sich vor dem dritten Aufzug als indisponiert entschuldigen (und sang die wenigen noch ausstehenden Töne dann auch klangschön, aber sehr auf Sicherheit bedacht). Vielleicht lag es daran, dass zuvor die etwas blassen Spitzentöne aus der ansonsten bravourös und durchaus gesanglich gehaltenen Interpretation herausfielen. Stephan Rügamer ist ein solider, eher unscheinbarer Melot, Linard Vrielink ein angenehmer junger Seemann und Hirt. Unter den Solisten genannt werden muss noch Florian Hanspach-Torkildsen, der das Englischhorn-Solo im dritten Aufzug von der Bühne spielt, am traurigen Anlass gemessen fast ein wenig keck, aber ungemein klangschön.

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Rückkehr ins bürgerliche Elternhaus: Tristan (rechts) und Kurwenal

Musikalisch also präsentiert sich die Staatsoper bei der ersten Wagner-Premiere im neuen alten Haus auf Weltklasseniveau. Und szenisch? Da erweist sich der Tristan einmal mehr als nahezu uninszenierbar, wobei die unterkühlt-moderne Regie von Dmitri Tcherniakov noch zu den besseren Lösungsversuchen gehört, weil sie sich letztendlich weitgehend am Textbuch orientiert. Das Schiff im ersten Aufzug ist offenbar eine hochmoderne Yacht der Deluxe-Klasse. Man trinkt Champagner und gibt sich aufreizend lässig-elegant. Isolde und Brangäne sind wohl eher Schwestern als Herrin und Dienerin. Das Stelldichein des zweiten Aufzugs mit Anzugträger Tristan findet nicht im Garten, sondern im Salon statt (immerhin zeigt die Vertäfelung Pflanzenmotive), das Licht wird ein wenig herabgedimmt, bleibt aber unromantisch hell. Dass es kaum zu einer Berührung der angeblich Liebenden kommt, haben andere Regisseure schon vorgemacht. Die genaue Personenregie deutet an, dass es beiden wohl auch gar nicht um ein Liebesverhältnis der verbotenen erotischen Art geht, sondern um eine revolutionäre Idee von Liebe, die sich im Geiste abspielt - ein paar plötzliche Videoeinblendungen könnte man so verstehen. Unverständlich bleibt, was an der gepflegten Konversation der beiden eigentlich so anstößig ist, dass es zum Skandal kommt.

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Auch wenn die Wunden mehr psychischer Natur sind, ist Tristan schließlich doch tot - und Isolde kommt zu spät, um zu helfen.

Die stärksten Eingriffe gibt es im dritten Aufzug, wenn Tcherniakov Tristans Eltern als Vision erscheinen lässt - die werden ja im Fieberwahn auch ausgiebig besungen, wenn auch nicht in der sehr bürgerlichen Variante, die der Regisseur hier andeutet. Passend dazu ist der Raum, in den Tristan sich zurück zieht, ein Zimmer aus dem frühen 20. Jahrhundert, also erkennbar der Vergangenheit. Natürlich unterschlägt die Regie damit alle romantisch-atmosphärischen Bilder, was wohl der Hauptgrund für den durchaus heftigen, die Zustimmung knapp überwiegenden Protest am Ende der Premiere gewesen sein mag. Die Musik nicht szenisch zu doppeln, sondern ihr einen sachlichen Rahmen zu geben, in dem das nicht Aussprechbare sich musikalisch entladen kann - das ist ein durchaus akzeptabler Ansatz, zumal sich der Regisseur hütet, alles erklären zu wollen. Tristans Zurückwollen in die Kindheit, das von Isolde beinahe so etwas wie verspätete Mutterliebe ersehnt, das hält mehr in einer spannenden Schwebe als etwa Katharina Wagners ziemlich banale Thriller-Version in Bayreuth, auch wenn Tcherniakov in den langen Monologen und Dialogen mitunter die Puste ausgeht. Da bleibt es dann an Dirigent Daniel Barenboim, den Spannungsfaden aufrecht zu erhalten.

FAZIT

Musikalisch großartig. Mit Tcherniakovs kühl intellektueller Regie kann man leben.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Barenboim

Inszenierung, Bühne
Dmitri Tcherniakov

Kostüme
Elena Zaytseva

Licht
Gleb Filshtinsky

Video
Tieni Burkhalter

Chor
Raymond Hughes

Dramaturgie
Tatiana Vereshchagina
Detlef Giese


Chor der Staatsoper Berlin

Staatskapelle Berlin


Sänger

Tristan
Andreas Schager

Isolde
Anja Kampe

König Marke
Stephen Milling

Kurwenal
Boaz Daniel

Melot
Stephan Rügamer

Brangäne
Ekaterina Gubanova

Steuermann
Adam Kutny

Junger Seemann / Hirte
Linard Vrielink



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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