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Liebe ist eben auch eine Frage der MachtverhältnisseVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Ziemlich heruntergekommen, dieser Adel. Jedenfalls baulich. Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter stellen eine eher kleine Villa auf die Drehbühne, die dringend renovierungsbedürftig ist. Die Räume sind aufgeschnitten bis auf die Balkenkonstruktion in den Decken, als werde dieses Hausgefüge gerade seziert. Die Kostüme sind zeitlich unscharf irgendwo in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehalten. Haartrockner und Beleuchtung sind elektrisch, Telefone schnurgebunden. Der Graf: Ein Hausherr vom alten Schlag, der sich wohl gerade so eben noch Hauspersonal leisten kann. Der Gattin wirft er einen frisch geschossenen Hasen aufs Bett - kein wirklich einfühlsamer Liebesbeweis. Die Gräfin: Kettenraucherin, Schuhfetischistin und dem Champagner verfallen (notfalls findet sich auch in den riesigen Schuhschränken noch ein Fläschchen). Im immerhin noch schönsten Zimmer des Hauses scheint sie wie eingeschlossen. Das alles hat eine historische - oder vielleicht besser: altmodische - Distanz, die die Abhängigkeitsverhältnisse verdeutlicht, Mozarts und da Pontes Figurenkonstellation immer noch ziemlich genau abbildet, aber gleichzeitig die Zeitlosigkeit der Konflikte unterstreicht. Im Zimmer von Susanna (und Figaro) besteht dringender Sanierungsbedarf - trotzdem empfängt sie ungewollten Besuch von Basilio und dem Grafen (in der Kiste). Wie in allen Bildern ist hier die Premierenbesetzung abgebildet.
Vom leer stehenden Dachgeschoss aus hört Basilio die Gespräche zwischen Figaro und Susanna mit Stasi-Methoden ab. Das ist die größte Eigenmächtigkeit der Regie, wäre im Grunde auch unnötig, wertet aber Basilios Rolle als Super-Intrigant und Denunziant auf (David Fischer singt und spielt die Partie m Übrigen grandios), zudem bleibt die Inszenierung nicht nur hier immer nahe dem Grad, der die Komödie von der allzeit denkbar erscheinenden Tragödie. Regisseur Aron Stiehl tariert das Geschehen mit einer angemessenen Portion an Klamauk genau aus und zeichnet die Figuren ungeheuer genau, dabei mit einiger Ambivalenz. Vor den Reizen des von Giorgios Kanaris körperlich wie stimmlich ausgesprochen vital präsentierten Grafen ist auch Susanna nicht gänzlich gefeit; andererseits ist die an der eigenen Dekadenz krankende Gräfin nicht durchweg die Sympathieträgerin (Johanni van Oostrum gibt ihr, von einigen kraftlosen Spitzentönen abgesehen, ein recht jugendliches, dabei betörend schönes Timbre und ist zudem eine sehr attraktive Darstellerin). Etwas besser sieht's schon im Gemach der Gräfin aus, zumal Cherubino (hinten), begleitet von Susanna, der Dame des Hauses ein Ständchen bringt.
In der hier besprochenen Vorstellung singt die junge Marie Heeschen an Stelle von Primadonna Sumi Hwang (die in fast allen anderen Vorstellungen auf der Bühne steht) die Susanna; die Stimme ist nicht allzu groß und an der einen oder anderen Stelle verselbstständigt sich das Tempo, aber in der Summe ist das sehr schön ausgesungen, keineswegs zu soubrettenhaft, zudem ist sie eine ausgezeichnete Darstellerin. In der aktuellen #metoo-Debatte glaubt man sofort, dass dieses hübsche Dienstmädchen den sexuellen Avancen ihres Arbeitgebers einigermaßen schutzlos ausgeliefert ist, ohne dass die Regie das eigens unterstreichen müsste (und gleichzeitig, siehe oben, ist der Hausherr keineswegs unattraktiv, was die Sache noch komplizierter macht). Wilfried Zelinka singt einen souveränen Butler Figaro, sehr elegant, nicht ganz so intelligent, zudem in seiner Eifersucht auf Cherubino durchaus unangenehm - die Arie Non piú andrai, farfallone amoroso ist szenisch keineswegs als liebevolle Karikatur auf das Soldatenleben gezeichnet, sondern mehr als eine Art Hinrichtung. Anfang des dritten Aktes macht sich der Graf fdann nochmal Hoffnung auf Susanna, die einem Abenteuer nicht gänzlich abgeneigt scheint. Ein ausgestopfter Strauss schaut zu.
Dabei gibt Katrin Leidig einen großartigen Cherubino, im Offiziersdress wohl ohnehin ein Militär im Wartestand. Die Regie ist so boshaft, ihm am Ende eine Barbarina zur Frau zu geben, die in Gestalt vonClaudia Rodriguez sehr schön singt, aber ähnlich tumb ist wie ihr Onkel Antonio, der Gärtner, den Boris Beletskiy in konventionellem, dabei gut durchgearbeitetem Komödiantenjargon gibt. Die Stimme von Susanne Blattert ist brüchig geworden, aber die liebevoll ausgestaltete Marcellina ist ein kleines Kunstwerk, wie auch der Bartolo des durchaus stimmgewaltigen Martin Tzonev. Da hat die Oper Bonn ein nicht nur ausgesprochen spielfreudiges, sondern auch vokal prächtig harmonierendes Ensemble zusammen. Finale im nächtlichen Garten
Am Pult des sehr ordentlichen Beethoven Orchesters steht an diesem Abend Daniel Johannes Mayr, zweiter Kapellmeister des Hauses, der die Musiker umsichtig und nach etwas vorsichtigem Beginn zunehmend mitreißend durch den immerhin dreieinhalb Stunden langen Abend führt. In den Rezitativen nimmt sich die Regie viel Zeit (und öffnet einige der üblichen Streichungen), bis es zum Finale in surrealer Gartenlandschaft kommt: Das Haus ist ein paar Meter hochgefahren, zurück auf dem Boden bleiben einige Türen im wallenden Nebel, bis schließlich das Licht der Aufklärung aufflammt. Einhelliger Jubel.
Tolle Regie, tolle Musik - die Bonner Oper zeigt einen witzigen und detailverliebten, dennoch nicht harmlosen Figaro auf hohem musikalischen Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam* Besetzung der rezensierten Aufführung
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Graf Almaviva
Gräfin Almaviva
Susanna
Figaro
Cherubino
Marcellina
Basilio
Bartolo
Don Curzio
Antonio
Barbarina
Blumenmädchen
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