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Oberst Chabert

Musiktragödie in drei Aufzügen
frei nach Honoré de Balzacs Comtesse à deux maris
Musik und Text von Hermann Wolfgang von Waltershausen

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 17. Juni 2018


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Theater Bonn
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Tot unter Lebenden

Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu

Nachdem die Oper Bonn die Spielzeit mit Othmar Schoecks Oper Penthesilea einem vergessenen Werk der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts gewidmet hat (siehe auch unsere Rezension), steht auch am Ende der Saison ein Komponist auf dem Spielplan, dessen musikalisches Schaffen ebenfalls in das erste Viertel des letzten Jahrhunderts fällt und der bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten große Erfolge in Deutschland feiern konnte. Die Rede ist von Hermann Wolfgang von Waltershausen, dem es trotz Amputation seines rechten Armes und Beines im Alter von neun Jahren gelang, als Komponist, Dirigent und Musikpädagoge Karriere zu machen. Seine am 18. Januar 1912 in Frankfurt am Main uraufgeführte Musiktragödie Oberst Chabert entwickelte sich zu einem äußerst erfolgreichen Werk, das sich mehrere Jahre lang auf wichtigen Bühnen in Europa halten konnte. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde es in Deutschland zunächst etwas still um diese Oper, die die "Marseillaise" als Leitmotiv enthält und deshalb als Verherrlichung Napoleons und der Franzosen empfunden wurde. Nach Kriegsende war das Schicksal des verschollenen Oberst, der für tot erklärt wird und dann wieder nach Hause zurückkehrt, thematisch wiederum hochaktuell. Doch von Waltershausen offene Kritik an Adolf Hitler und den Nationalsozialisten führte dazu, dass er vorzeitig in den Ruhestand geschickt wurde und seine Werke komplett von den Spielplänen verschwanden. Seine letzte 1932 bis 1936 entstandene Oper Die Jüdin von Tolosa ist bis heute szenisch nicht zur Aufführung gelangt. Betrachtet man den an Richard Strauss erinnernden spätromantischen Stil verwundert es beinahe, dass diesem Komponisten bis jetzt noch nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Nachdem die Deutsche Oper Berlin Waltershausens Oberst Chabert 2010 erstmals wieder auf den Spielplan gestellt hat, setzt sich nun auch die Oper Bonn mit diesem Werk auseinander.

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Nach langer Abwesenheit kehrt Oberst Chabert (Mark Morouse) in den Heimat zurück.

Ganz im Sinne Richard Wagners hat Waltershausen den Text zu seiner Oper selbst verfasst. Dabei orientiert er sich an Honoré de Balzacs Erzählung, die erstmals 1832 in der Zeitschrift "L'Artiste" und drei Jahre später unter dem Titel La Comtesse à deux maris im Rahmen des Romanzyklus La comédie humaine als Band V der Szenen aus dem Pariser Leben veröffentlicht wurde. Erzählt wird die Geschichte des französischen Oberst Chabert, der in der Schlacht bei Preußisch-Eylau im Jahr 1807 das französische Heer zwar zum Sieg führte, dabei jedoch scheinbar ums Leben kam, so dass seine junge Frau Rosine, die er ein halbes Jahr zuvor geheiratet hatte, als Witwe galt und den Grafen Ferraud heiratete. Erst viele Jahre später kehrt er nach Frankreich zurück, da er als Hochstapler und Geisteskranker lange Zeit in einem Irrenhaus festgehalten wurde. Erst als er sich selbst als Bettler Hyazinth bezeichnete, wurde er als geheilt entlassen. Seine Frau Rosine erkennt ihn zwar wieder, bittet ihn aber, auf seine Identität zu verzichten, um ihre Ehe mit Ferraud und das Glück ihrer beiden Kinder, die sie mittlerweile mit ihrem neuen Ehemann hat, nicht zu gefährden. Als Chabert erkennt, dass er die Liebe seiner Frau, für die er sich unter anderem ins Leben zurückgekämpft hat, verloren hat, und diese Gefahr läuft, von Ferraud verstoßen zu werden und ihre Kinder zu verlieren, legt er ein schriftliches Geständnis ab, ein Betrüger zu sein, und nimmt sich als Bettler Hyazinth das Leben. Rosine ist von seinem Entschluss und ihrem schlechten Gewissen überwältigt und folgt ihm in den Tod.

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Oberst Chabert (Mark Morouse, Mitte) will seine Identität und seine Frau Rosine (Yannick-Muriel Noah) zurück (im Hintergrund: Derville (Giorgos Kanaris)).

Das Regie-Team um Roland Schwab legt das Stück relativ zeitlos an einem surrealen Kriegsschauplatz an, der überall sein könnte. David Hohmann hat einen Raum entworfen, der wie durch einen Bombenangriff zerstört zu sein scheint. In der Mitte prangt ein riesiges Loch, das Einblick in einen Raum gewährt. Die Bühne ist mit riesigen Steinbrocken ausgelegt. Aus manchen ruinenhaft emporstehenden Felsbrocken ragen Kabel heraus, die in den Wänden verlegte Stromleitungen andeuten. Der Hintergrund in der Mitte der Bühne wird durch Videoprojektionen gefüllt. In der Kanzlei im ersten Aufzug besteht diese Projektion aus sich auftürmenden Aktenordnern, wobei diese Regale um die beiden Schreiber in der Kanzlei des Advokaten Derville, Godeschal und Boucard, am Anfang zu kreisen beginnen. Man scheint, in diesem Nachkriegschaos die Übersicht verloren zu haben. Deswegen ist auch nachvollziehbar, dass Boucard dem fremden Oberst, der wie ein Bettler daherkommt, zunächst keinen Glauben schenkt. Nur Godeschal erkennt den früheren Oberst wieder, da er selbst als Korporal in der Napoleonischen Armee gedient hat. In seinen Erinnerungen wechseln die Projektionen zu alten Straßen, bevor sie vom Krieg zerstört worden sind.

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Oberst Chabert (Mark Morouse, vorne) beobachtet die Auseinandersetzung zwischen Rosine (Yannick-Muriel Noah) und ihrem Mann Ferraud (Peter Tantsits).

Im weiteren Verlauf fangen die wechselnden Projektionen die Stimmungen der Figuren sehr überzeugend ein. Wie ein schwarzer Schatten tritt Oberst Chabert zunächst durch die dunkle Öffnung auf, in die sein Schatten nach seinem Freitod auch wieder verschwindet. Man hat also das Gefühl, dass er einmal von den Toten wieder aufersteht, um zum Schluss jedoch wieder zu den Toten zurückzukehren, da er erkennen muss, dass für ihn auf der Erde kein Platz mehr ist. Mark Morouse wird zwar zu Beginn des Abends als leicht indisponiert angesagt, lässt in der sehr anspruchsvollen Titelpartie aber keinerlei Wünsche offen. Mit dunkel gefärbtem Bariton interpretiert er den Kriegsheimkehrer sehr eindringlich und begeistert durch eine sehr deutliche Diktion. Dabei muss er nahezu die ganze Zeit auf der Bühne verweilen, so dass ihm keine Pause gegönnt wird. Beeindruckend gestaltet er den Kampf um seine verlorene Identität und bekommt zunächst lediglich von Godeschal (überzeugend: Martin Tzonev) Unterstützung. Der Advokat Derville scheint eher an einer guten Einnahmequelle als am Kampf um das Recht interessiert zu sein. Giorgos Kanaris legt den Anwalt ein wenig selbstverliebt an und überzeugt stimmlich durch sauber geführten Bariton.

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Rückkehr zu den Toten: Oberst Chabert (Mark Morouse, Mitte vorne auf dem Boden), Rosine (Yannick-Muriel Noah), links: Ferraud (Peter Tantsits), hinten rechts: Derville (Giorgos Kanaris), rechts vorne: Godeschal (Martin Tzonev)

Wenig Sympathie empfindet man für den Grafen Ferraud, der von Peter Tantsits mit in den Höhen leicht schneidendem Tenor sehr kalkulierend angelegt wird. Für ihn bedeutet Chaberts Rückkehr ins Leben lediglich die Gefährdung seines guten Rufs, so dass er sofort bereit ist, sich von seiner Frau Rosine zu trennen. Yannick-Muriel Noah begeistert als Rosine durch dramatische Höhen und stellt die innere Zerrissenheit der Ehefrau und Mutter glaubhaft dar. Einerseits empfindet sie nichts für Chabert, hat ihn auch eigentlich nie geliebt, weil sie bei der Hochzeit noch zu jung war und sich nur von der Aussicht auf Ruhm und Reichtum hat blenden lassen. Andererseits ist sie erschrocken über die Kälte, mit der ihr Mann Ferraud bereit ist, sie von ihren Kindern zu trennen. Von daher ist ihr Ansinnen, dass Chabert auf seine Identität verzichten soll, durchaus nachvollziehbar. Doch als er ihrem Wunsch dann wirklich nachgibt und den Freitod wählt, folgt sie ihm, ohne lange zu zögern, in den Tod. Musikalisch ist diese Szene von Waltershausen großartig angelegt. Das Beethoven Orchester Bonn lotet unter der musikalischen Leitung von Jacques Lacombe die emotionsgeladene spätromantische Musik beeindruckend aus, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Es ist erstaunlich, dass Waltershausens Opernschaffen noch nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Oper Bonn leistet mit dieser Produktion einen wichtigen Beitrag dazu, diesen Komponisten dem Vergessen zu entreißen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jacques Lacombe

Regie
Roland Schwab

Bühne
David Hohmann

Kostüme
Renée Listerdal

Video
Janica Aufmwasser
Niclas Siebert
David Sridharan

Licht
Boris Kahnert

Dramaturgie
Andreas K. W. Meyer

 

Beethoven Orchester Bonn

Statisterie des Theater Bonn


Solisten

*Premierenbesetzung

Graf Chabert
Mark Morouse

Graf Ferraud
Peter Tantsits

Rosine, seine Gemahlin
Yannick-Muriel Noah

Derville, Advokat
Giorgos Kanaris

Godeschal
*Martin Tzonev /
Stefan Bronk

Boucard, Schreiber
David Fischer

Ferrauds Kinder
Sijana Astrin
Rea Simon

Das Kindermädchen
Gyda Löcher

 


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