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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Kampf der GeschlechterVon Thomas Molke / Fotos von Thilo BeuIn den vergangenen Spielzeiten hat die Oper Bonn sich immer wieder mit Komponisten der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts beschäftigt, deren Werke im Repertoire der Theater eher selten zu finden sind. Erinnert sei an dieser Stelle unter anderem an Emil Nikolaus von Rezniceks Oper Holofernes, Franz Schrekers Irrelohe oder Eugen d'Alberts Der Golem. Nun stellt sich der neue Generalmusikdirektor Dirk Kaftan mit einem Komponisten dieser Zeit vor, der zwar 1956 für seine musikalische Leistung mit dem "Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland" ausgezeichnet worden ist, sich aber ebenfalls nicht im Opernrepertoire etablieren konnte, obwohl (oder weil?) er musikalisch keiner Richtung eindeutig zugeordnet werden kann. So ist er weder Richard-Strauss-Schüler noch Zwölftonmusiker, sondern steht in der Musikgeschichte mit der Verankerung in der Tradition des 19. Jahrhunderts einerseits und dem gleichzeitigen Aufbrechen der Tonalität und dem Experimentieren im Bereich der Instrumentierung andererseits bei gleichzeitiger Verweigerung der Tendenzen, die die Entwicklung der Musik ab den 1920er Jahren mit sich brachte, ziemlich allein da. Die Rede ist von dem Schweizer Komponisten Othmar Schoeck, der mit Gedicht-Vertonungen von Hermann Hesse ein bedeutendes Liederrepertoire schuf. Zur Eröffnung der Spielzeit hat man in Bonn nun Schoecks Operneinakter Penthesilea ausgewählt, der in den letzten zehn Jahren auch in Basel, Dresden, Lübeck und Frankfurt inszeniert wurde. Im Zwiespalt der Gefühle: Penthesilea (Dshamilja Kaiser, vorne) mit Prothoe (Aile Asszonyi, hinten) (am Piano: Meri Tschabaschwili) Schoeck greift in seiner Vertonung auf das Trauerspiel von Heinrich von Kleist zurück und verkürzt die Geschichte auf einen Aufzug ohne Pause. Mit dem mythologischen Personal wird dabei sehr frei umgegangen. Im Trojanischen Krieg kommt die Amazonenkönigin den Trojanern mit ihren Kriegerinnen zu Hilfe, nachdem Achilles Hektor, den Sohn des Königs von Troja, im Zweikampf getötet hat, und bringt das griechische Heer stark in Bedrängnis. Doch Achilles kann die Amazonen in die Flucht schlagen und tötet Penthesilea, die sich während des Kampfes in den griechischen Helden verliebt haben und dadurch in ihrem Kampfeswillen geschwächt worden sein soll. Als Achilles der sterbenden Penthesilea den Helm vom Haupt löst, verliebt er sich in sie und bedauert seine Tat. Kleist dreht in seinem Trauerspiel die Geschichte um. Hier wird Penthesilea im Kampf gegen Achilles nur bewusstlos und kann von ihrer Freundin Prothoe gerettet werden. Achilles verliebt sich in die ohnmächtige Frau und will sie mit in seine Heimat nehmen. Zunächst lässt er sich aber darauf ein, Penthesilea einzureden, dass sie ihn besiegt habe, da es ihr ansonsten nach den strengen Gesetzen der Amazonen nicht erlaubt ist, mit ihm die Nacht zu verbringen. Als die Lüge auffliegt, ist Penthesilea außer sich vor Wut. Von der Oberpriesterin der Diana wird sie wegen ihrer verbotenen Liebe zu Achilles verurteilt und von den übrigen Amazonen verdammt. Achilles will sich nun einem Zweikampf stellen, in dem Penthesilea ihn besiegen kann. Dazu begibt er sich waffenlos zu ihr. Doch Penthesilea fühlt sich verraten und zerfleischt den völlig überraschten Achilles mit ihren Hunden. Anschließend nimmt sie sich selbst das Leben. Kurzer Augenblick des Glücks: Penthesilea (Dshamilja Kaiser) und Achilles (Christian Miedl) Peter Konwitschny wählt einen zeitlosen Ansatz und siedelt die Figuren in einer Art Gedankenexperiment an. Um das Publikum einzubeziehen, befindet sich die Bühne auf dem überbauten Orchestergraben und wird von den Zuschauern, die auf allen Seiten der Bühne sitzen, eingeschlossen. Das Orchester ist hinter den Zuschauern auf der Hinterbühne platziert. Auf der Bühne stehen zwei Flügel, die mal für die Berge Ida und Ossa stehen, dann wieder von den Protagonisten auf der Bühne in verschiedene Richtungen geschoben werden. Die beiden Bühnen-Pianisten Lucas Huber Sierra und Meri Tschabaschwili verkörpern dabei den Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau. Die Solisten treten aus dem Publikum auf und sind damit Teil der Zuschauer. Optisch unterscheiden sich die Darsteller kaum von den Theaterbesuchern. Auf weitere Bühnenelemente und Requisiten wird größtenteils verzichtet. Kampf der Geschlechter: auf den Flügeln: Achilles (Christian Miedl) und Penthesilea (Dshamilja Kaiser) Dirk Kaftan arbeitet mit dem Beethoven Orchester Bonn, das mit 10 Klarinetten und zahlreichen Bratschen, Celli und Kontrabässen äußerst dunkel besetzt ist, die eruptive Kraft der Musik spannend heraus. Direkt zu Beginn macht das ständige Peitschen des Schlagwerks die kriegerische Atmosphäre deutlich und reißt den Zuhörer fast aus den Sitzen. Lange Zeit kehrt keine Ruhe ein, und alles ist gewaltbereit, bis zum Liebesduett zwischen Penthesilea und Achilles. Hier wechselt der musikalische Tonfall in ein romantisches Klangbild, das den beiden Liebenden und den Zuhörern einen kurzen Moment der Glückseligkeit gönnt. Rote Rosen werden dazu im Publikum an die Damen verteilt, die jedoch im Anschluss mit purer Gewalt auf die Bühne geschleudert werden. Das Liebesglück ist nur eine Illusion und bleibt musikalisch ein absoluter Fremdkörper. Die kriegerischen Rhythmen übernehmen wieder die Oberhand, bis es zur Katastrophe kommt. Wenn dann die Amazonen der Oberpriesterin in einer Mauerschau in grausigen Details berichten, wie Achilles' Leichnam von Penthesilea und ihren Hunden zerfleischt wird, inszeniert Konwitschny diesen Moment als eine Art Kriegsberichterstattung. Hier wird nicht klar, ob die Amazonen wirklich vom Geschehen erschüttert sind oder nur mit reißerischer Darstellung wie gewisse Boulevardblätter die Auflagenzahlen nach oben treiben wollen. Verstörendes Ende: Penthesilea (Dshamilja Kaiser) am Notenpult, Achilles (Christian Miedl) im Hintergrund, Meri Tschabaschwili am Flügel Nachdem Penthesilea Achilles auf der Bühne erschossen und sich selbst die Pistole an die Schläfe gesetzt hat, wählt Konwitschny für das Ende einen recht verfremdenden Ansatz. Penthesilea tritt in schwarzem Samtkleid mit einem Notenpult auf und trägt den Schluss der Oper wie ein Lied-Konzert vor. Die zarten Töne, in denen der Gleichklang von "Küssen" und "Bissen" besungen wird, stehen im krassen Widerspruch zu den Geschehnissen und zeigen, dass Penthesilea an dieser Stelle bereits völlig dem Wahnsinn verfallen ist. Für die Amazonen und die Oberpriesterin der Diana ist das zu viel. Sie verlassen angewidert und Türen knallend den Raum, bevor das Licht im Raum abrupt verlischt. Dshamilja Kaiser begeistert in der Titelpartie mit voluminösem Mezzosopran und starkem Ausdruck. Die Gefühlswallungen der liebenden Amazonenkönigin spielt sie genauso bewegend aus wie den Wahnsinn am Ende der Oper. Christian Miedl legt den Achilles als selbstverliebten Helden mit kräftigem Bariton an, der dem Zauber der schönen Amazone erliegt, alle Vorsicht über Bord wirft und schließlich in sein Verderben rennt. Ceri Williams gibt die Oberpriesterin der Diana mit großer Autorität und scharf angesetzten Tönen, die deutlich machen, dass sie das Sagen hat. Der Chor und Extrachor des Theater Bonn unter der Leitung von Marco Medved begeistern auch in kleineren Solopartien mit intensivem Spiel. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten.
Dirk Kaftans Einstand als neuer Generalmusikdire Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Ausstattung
Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Chor und Extrachor des Theater Bonn Beethoven Orchester Bonn SolistenPenthesilea Prothoe Meroe
Die Oberpriesterin der Diana Erste Priesterin Achilles Diomedes Ein Hauptmann Zweite Priesterin Amazonen Bühnen-Pianisten
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