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Lucio Silla
Dramma per musica in drei Akten (KV 135)
Libretto von Giovanni di Gamerra
Musik von Wolfgang A. Mozart


In italienischer Sprache mit flämischen und französischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (zwei Pausen)

Koproduktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe und dem Theater St. Gallen
Premiere am 29. Oktober 2017, Théâtre de la Monnaie


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La Monnaie
(Homepage)
Im Wald auf der Lauer liegen

Von Roberto Becker / Fotos Bernd Uhlig / La Monnaie

Das Stammhaus der La-Monnaie-Oper in Brüssel ist wieder einsatzbereit. Sechs Monate waren für die Sanierung geplant, zwei Jahre hat es gedauert. Die Verzögerung führte auch zu der Verschiebung, die Tobias Kratzer in die Bredouille brachte, seine Karlsruher Götterdämmerung und diesen Brüssler Lucio Silla zeitweise parallel zu erarbeiten. Das szenische Resultat, mit dem Intendant Peter de Caluwe das Haus jetzt wiedereröffnete, umwehte gleichwohl nicht die Aura eines 16jährigen Junggenies. Dass dieses Werk sich aber streckenweise so anhört, dafür sorgt vor allem Antonello Manacorda am Pult des Opernorchesters. Er lässt sich vom Geist der Entstehungszeit inspirieren, das Orchester lodern und macht dem Stück großartig Beine. Mit dieser Zeit oder gar mit der der Handlung im alten Rom hatte die Szene freilich nichts zu tun. Und doch sah das Ganze nach großer Oper aus, mit der der Regisseur Tobias Kratzer bislang vor allem Furore gemacht hat. In Brüssel ist das Format allein schon dadurch gesichert, dass die Vorstellung inklusive von zwei Pausen dreieinhalb Stunden dauert.


Foto kommt später Verraten oder noch abwarten? Unten überlegt Cinna - oben ahnt Silla nichts

Aber auch optisch geht es opulent zur Sache. Wenn auch vor allem atmosphärisch. Es beginnt mit den Videos, die Manuel Braun beisteuert. Als gut gemachte Collage verweisen die Bilder auf die Mächtigen von heute, Kennedy am Pool, Putin beim Angeln, Kim Jong Un, auch Trump taucht auf. So eingestimmt ist dann klar, dass der Luxus-Bungalow, den Rainer Sellmaier auf die Drehbühne mitten in einen Wald gebaut hat, für die Privatresidenzen der heutigen Autokraten steht. Die Panoramafenster sind mit Jalousien versehen. Die Vorrichtungen, die Sicherheit gewährleisten sollen, sind sichtbar installiert und üppig. Innen drin ist alles modern gestylt. Verstecken können sie sich hier nicht. Weder vor dem Scharfsinn des Regisseurs noch vor der Neugier des Publikums.

In dieses Milieu projiziert Kratzer die Handlung um den Diktator Lucio Silla. Der begehrt Giunia, die Tochter seines aus dem Weg geräumten Feindes Gaius Marius. Giunia freilich ist mit dem verbannten, aber heimlich nach Rom zurückgekehrten Cecilio verlobt. Die Verknüpfung von persönlicher und politischer Konkurrenz setzt den Tyrannenmord am Herrscher auf die Tagesordnung. Dem Komplott schließt sich auch Sillas Vertrauter Lucio Cinna an.

Foto kommt später

Ob Giunia (oben) etwas von der Totalüberwachung durch Silla (unten) ahnt?

Man sieht, wie Silla Giunia zu einem Abendessen mit Austern und passendem Wein einlädt, sie ihm den Wein ins Gesicht schüttet und er ausrastet. Wenn die sich dabei (oder später beim Rasieren der Beine) verletzt, wird auch seine Vorliebe für frisches Blut offenkundig. Der Autokrat als Blutsauger. Silla als Dracula. Das ist der Subtext der Obsessionen, mit dem Kratzer den Verlauf der Intrige grundiert. Dazu passt, dass immer mal ein (leibhaftiger) Schäferhund quer durchs Bild läuft. Und dass der am Ende noch einmal gerade dann quer durchs Bild läuft, wenn Sillas Vertrauter Cinna verschwunden ist. Das lässt auf Abgründe schließen, die über das Politische hinausgehen.

Normalerweise kommt Silla - laut Libretto - auf wundersame Weise zur Besinnung, verzeiht allen Verschwörern und dankt ab. Diesmal gelingt Cinna zwar nicht der Tyrannenmord, aber der Putsch. Er erledigt den Machthaber über die persönliche Schiene, in dem er offenbar die geheime Obsession öffentlich macht. Silla leidet offensichtlich selbst daran. Man sieht ihn, wie er sich immer wieder die Videomitschnitte jenes gescheiterten Abendessens ansieht und auch, wie er offensiv in die Überwachungskamera schaut, als er Giunia vergewaltigt.

Foto kommt später

Blut ist ein besonderer Saft... hier am Kleid von Giunia

Das ist zwar nicht die Geschichte, wie sie im Buche steht, aber spannend ist sie allemal. Und ein Rest von Geheimnis bleibt auch. Genau aus den Büschen, in die sich Cinna am Ende geschlagen hat, kommt ein paar Sekunden später der Hund, von dem keiner weiß, wer oder was sich dahinter verbirgt. Tenor Jeremy Ovenden spielt diesen innerlich zerrissenen Silla überzeugender als er ihn singt - er muss deutlich an seine Grenzen gehen. Simona Šaturová in der Hosenrolle des Lucio Cinna punktet dagegen von Anfang an mit Koloratur und Präzision und nimmt im Laufe des Abends auch an Kraft deutlich zu. Sicher und mit Leidenschaft wirft sich Lenneke Ruiten in die Sopranpartie der Giunia. Während Mezzosopran Anna Bonitatibus nicht nur geschmeidige Beweglichkeit, sondern auch technische Perfektion aufbieten muss, um durch alle Klippen der Partie des Cecilio zu kommen. Ilse Eerens als Sillas Schwester Celia und Carlo Allemano als Palastdiener Aufidio komplettieren das spielfreudige Ensemble.

Foto kommt später

Am Ende: Polizeieinsatz

Peter de Caluwe hatte vor der Vorstellung verraten, dass mit diesem Dirigenten in Brüssel auch die drei da Ponte-Opern Mozarts geplant sind. Darauf darf man sich nach diesem Auftakt mit einem Jugendwerk jetzt schon freuen. Aber es gab nicht nur diesen Ausblick, sondern auch einen Rückblick. Im Gedenken an seinen Vorvorgänger Gerard Mortier enthüllte Caluwe gemeinsam mit Alexander Polzin die von diesem geschaffene Skulptur eines tanzenden Paars im Großen Foyer.

FAZIT

Kratzer und Antonello Manacorda nehmen Mozarts Jugendwerk todernst und machen daraus einen Opernthriller über die finsteren privaten Abgründe von Mächtigen. Die Vorstellung wird auch nach Karlsruhe gehen. Und das auch für den Bayreuther Tannhäuser 2019 gebuchte Produktionsteam hat sich erneut auf beste bewährt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Antonello Manacorda

Inszenierung
Tobias Kratzer

Bühne und Kostüme
Rainer Sellmaier

Video
Manuel Braun

Licht
Reinhard Traub

Chor
Martino Faggiani

Dramaturgie
Krystian Lada



Chor und Symphonieorchester
der Oper La Monnaie, Brüssel


Solisten

Lucio Silla
Jeremy Ovenden

Giunia
Lenneke Ruiten

Cecilio
Anna Bonitatibus

Lucio Cinna
Simona Šaturová

Celia
Ilse Eerens

Aufidio
Carlo Allemano


Weitere
Informationen

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La Monnaie
(Homepage)



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