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Elektra

Tragödie in einem Akt
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca.1 Stunde 55 Minuten (keine Pause)

Premiere am 16. März 2018 im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig




Staatstheater Braunschweig
(Homepage)



Variationen von Hysterie und eine zweifelhafte Heilung

Von Bernd Stopka / Fotos von Bettina Stoess

Sie sind schon verrückt diese Atriden. Agamemnon war bereit seine Tochter Iphigenie zu opfern, um den Göttern günstige Winde für die Überfahrt nach Troja zu entlocken. Die darob tief verletzte und wütende Ehefrau und Mutter Klytämnestra nahm sich einen Geliebten, Aegisth, mit dem sie den nach 10 Kriegsjahren zurückkehrenden Ehemann im Bade mit einem Beil geradezu abschlachtete. Den gemeinsamen kleinen Sohn Orest gab man weit weg, die Töchter Chrysothemis und Elektra leben traumatisiert weiter am Hof, mehr oder weniger geduldet. Dass man bei dieser Familiengeschichte schon mal wahnsinnig werden kann, verwundert nicht. Die Variationen, Ursachen, Wirkungen – und Heilungsaussichten betrachtet Regisseurin Adriana Altaras in ihrer Inszenierung der Elektra von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss in Braunschweig sehr genau und untersucht das, was umgangssprachlich als Wahnsinn oder Verrücktsein bezeichnet wird, mit den Mitteln der Psychoanalyse nach Freud und Jung.

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Elektra (Maida Hundeling)

Das Ganze spielt in einem von hohen Mauern umgrenzten Raum (Bühnenbild und Kostüme: Christoph Schubiger), den ein riesiger Berg aus Kleidern dominiert, was sofort und unmittelbar an Ausschwitz erinnert, wozu die Wachmänner und die Aufseherin der geschundenen Mägde im militanten Kostüm mit Peitsche das ihrige beitragen. Die dreigeteilte Drehbühne zeigt auch das Schlafzimmer von Chrysothemis, dass, allzeit bereit, mit diversen Brautkleidern behangen ist und Klytämnestras Schlafzimmer (das Innere des Kleiderbergs), in dem sie sich zu Beginn in Albträumen auf der seidenen Bettwäsche wälzt und das am Ende einer blutigen Schlachtbank gleicht. Schwester und Mutter kommen nicht aktiv zu Elektra, sondern werden zu ihr gedreht, was nicht ganz unwichtig zu sein scheint. Zwischendurch fallen Kleider herab, es sterben weitere Menschen. Orest (mit kernigem Timbre und kraftvoller Stimme: Ernesto Morillo) erscheint als kamerabehängter Journalist mit schusssicherer Weste, was einen sehr heutigen Bezug herstellt. Das sind Aktualisierungen, die dem Ansatz des modernen Regietheaters geschuldet sind, nicht weiter stören, aber auch kein besonderes Aha-Erlebnis bewirken. Das schafft die fein durchdachte Personenregie mit ihren vielen spannenden Details ganz allein.

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Elektra (Maida Hundeling), Chrysothemis (Johanni van Oostrum)

Klytämnestra ist hier keine alte Frau, die sich auf einen Stock stützen muss, sondern eine Frau erst kurz nach ihren besten Jahren. Sie wird von ihrem schlechten Gewissen geplagt, das sie mit allen Mitteln, aber erfolglos zu verdrängen versucht. Die Steine, die sie trägt und auf deren Zauber sie hofft, sind keine Klunker, sondern dezent in Halsketten eingefasst. Die Figur ist nicht überzogen gezeichnet, sondern als eine um ihre Haltung bedachte, tief verletzte Frau, die mit ihrer Rachetat einfach nicht fertig wird. Edna Prochnik stellt das überzeugend dar und gibt der Figur stimmliche Größe, einen Hauch von Sinnlichkeit und herzbewegende Töne, die hinter ihrer, vom schlechten Gewissen dominierten Hysterie die verletzte Seele und die liebessehnsüchtige Frau hervorscheinen lässt. Die Vertraute (Carolin Löffler) und die Schleppträgerin (Jelena Banković) wirken wie intrigante, von Aegisth instruierte Beraterinnen. Der ist ein gealterter Lebemann in seidenem Morgenrock, der ständig seinen Autoschlüssel in der Hand hält, an dem ein zum glänzenden Revers farblich passend eingefärbter Fuchsschwanz hängt.  Jeff Martin gestaltet die Figur charaktertenoral angemessen widerlich.

Chrysothemis verdrängt das ganze Drama, träumt und wünscht sich in ein normales Familienleben mit Mann und Kindern, sie will vergessen und neu anfangen und das zeigt sie mit ihrem hellen, figurbetonten Kostüm und mit der Auswahl von Brautkleidern in ihrem Zimmer. Ihre Hysterie gleicht einem zwanghaften Heiratswillen und der irrigen Annahme, dass mit ihrer Hochzeit alles wieder gut wäre. Wenn Elektra sie verflucht, kriecht sie in ihr Bett und versteckt sich unter der Bettdecke. Johanni van Oostrum stellt die Zerrissenheit zwischen Wunschdenken und verdrängter Verzweiflung überzeugend dar und singt die Kantilenen, die Strauss dazu geschrieben hat, mit wunderbar blühendem Sopran, der auch über ein klangvolle Tiefe verfügt.

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Dritte Magd (Jelena Kordić), Aufseherin (Ivi Karnezi), Erste Magd (Nana Dzidziguri), Vertraute (Carolin Löffler), Klytämnestra (Edna Prochnik), Schleppträgerin (Ekaterina Kudryavtseva), Elektra (Maida Hundeling)

Elektra schließlich steigert sich fanatisch in den Rachegedanken und richtet alle Blicke und Gedanken auf die Ermordung ihrer Mutter und des verhassten Stiefvaters. Der Rache-Urtrieb lässt sie zuweilen animalisch erscheinen und sich wie ein Tier bewegen – zuweilen in immer den gleichen Bewegungen, wie man es häufig bei Psychotikern erlebt. Da kein Mann im Haus ist, übernimmt sie die Rolle, verweigert ihre Weiblichkeit, kleidet sich männlich und gibt sich kerlig. Wut, Hass und vor allem Rache in der Verbindung mit einer dahinter versteckten empfindsamen Seele sind die Nährstoffe ihrer Hysterie. Auch Elektra ist keine eindimensionale Figur: Verletztheit und Verletzlichkeit, unterdrückte Liebe und Liebessehnsucht, durchaus vorhandener Sanftmut und Sehnsucht nach Erlösung aus diesem Dilemma stecken in dieser Figur, textlich und gesanglich – und in der Stimme von Maida Hundeling, die der Elektra alles das und noch viel mehr gibt. Selten hört man diese Partie vom ersten bis zum letzten Ton wirklich gesungen, nicht deklamiert, nicht gekeift, sondern tatsächlich mit höchster Gesangskultur in vielfältigen Nuancen mit substanzreichem Sopran gesungen. Natürlich sind da die großen Ausbrüche, die gewaltigen, umwerfenden Töne - ihre „Orest“-Rufe klingen geradezu weltallumfassend zum Steinerweichen – aber eben auch die unglaublich sanften liebevollen, zart-zärtlichen Passagen, z. B: in der Szene, nachdem sie Orest erkannt hat. Zwischen den Extremen hat sie tausend Ausdrucksvarianten und Stimmfarben, die anrühren, den Atem stocken lassen und restlos begeistern. Die Kombination dieser stimmlichen Möglichkeiten gibt es nicht oft und das macht Maida Hundeling zu einer Elektra der Extraklasse.

Die mit exzellenter Personenregie dargestellten Charaktere würden für einen großartigen Opernabend schon ausreichen. Doch Adriana Altaras genügt das nicht, sie sucht nach einer Lösung und legt Elektra auf die Couch. Ihr Therapieansatz für die Patientin bezieht sich auf die These, dass ein Trauma geheilt werden kann, wenn es noch einmal im Gespräch, im Gedächtnis, in der Vorstellung durchlebt wird. Die Parallelen, dass die Schlafzimmer von Mutter und Schwester gezeigt werden und sich Elektra auf die jeweiligen Betten setzt, hat nicht nur sexuelle Bezüge, sondern zeigt auch, dass Elektra in die persönlichsten Bereiche der beiden dringt, um ihre Absichten durchzusetzen. Im psychoanalytischen Zusammenhang erschließt sich auch die Verzweiflung Elektras, wenn sie Orest nicht das Beil zum Rachemord geben konnte, denn das Beil, das den Vater getötet hat, muss auch die Mutter töten, um die Tat aus Elektras Sicht zu rächen. „Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug.“ – heißt es im Parsifal. Doch der Rachemord sühnt nur oberflächlich und wirft das Haus der Atriden ins Chaos. Die schreckliche despotische Ordnung hinterlässt nach ihrem Untergang ein wirres Schlussbild.  Man ist wie paralysiert, sitzt, trinkt, isst, knutscht, raucht, kämmt sich usw. während sich Elektra und Chrysothemis die Seele aus dem Leib singen.

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Elektra (Maida Hundeling), Orest (Ernesto Morillo)

Dann begibt sich Elektra wieder zur Couch, legt ihre männliche Kleidung ab und trägt darunter ein blaues Kleid, sie öffnet ihr langes Haar und erscheint als eine wunderschöne, sinnliche Frau. Elektra ist geheilt – aber auf Kosten ihrer Umgebung. Denn sie hat ihr Trauma (den Mord am Vater) nicht noch einmal durchlebt und ist dadurch geheilt, sondern sie hat sich den Auswirkungen ihrer Psychose hingegeben, nicht verarbeitet, was geschehen ist, sondern sich mit einer neuen Untat befreit. Da ist in der Therapie wohl etwas aus dem Ruder gelaufen... (Nicht umsonst wird der Ansatz des Wiederdurchlebens eines Traumas aus den Anfängen der Psychoanalyse und -therapie heute als überholt betrachtet). Die Mutter ist tot, der Bruder ein von seiner eigenen Rachetat gebrochener Mann. So wie die Ermordung des Ehemannes Klytämnestra quält, quält die Ermordung der Mutter Orest. Da wiederholt sich etwas. Aber die Couch ist ja gerade frei geworden. Herr Orest, bitte legen sie sich hin. Vielleicht kann ja mit diesem Patienten der Atridenfluch durchbrochen werden.

Braunschweigs GMD Srba Dinić wirft sich mit aller Leidenschaft in die Musik, arbeitet sowohl die a-, bi- und multitonalen Klänge, wie auch die leidenschaftlich schwelgerischen Passagen in ein berauschendes Gesamtkonzept ein und hält die Spannung (bis auf eine kurze Passage in der Klytämnestra-Szene) bis zum Schluss. Das Orchester, in der von Strauss selbst gefertigten Fassung mit reduzierter Besetzung für kleinere Häuser, bewältigt die Herausforderung der Partitur bravourös. Wie satt das Orchester tatsächlich klingt und wie groß die Stimmen in natura sind, lässt sich aufgrund der in Braunschweig installierten „Akustikverbesserungsanlage“ allerdings nicht wirklich beurteilen. Für diesen großartigen Abend verzeiht aber auch der Purist dem Haus diese elektronische Begünstigung.

FAZIT

Eine musikalisch berauschende Produktion mit tollen Sängerdarstellern. Maida Hundeling ist eine Elektra der Extraklasse. Die detailreiche und -genaue Personenregie fasziniert, während der szenische Rahmen nicht wirklich überzeugt, aber auch nicht weiter stört.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Srba Dinić

Inszenierung
Adriana Altaras

Bühne und Kostüme
Christoph Schubiger

Chor
Georg Menskes

Dramaturgie
Valeska Stern

 

Staatsorchester Braunschweig

Chor des
Staatstheaters Braunschweig

 

Solisten

Klytämnestra
Edna Prochnik

Elektra
Maida Hundeling

Chrysothemis
Johanni van Oostrum

Aegisth
Jeff Martin

Orest
Ernesto Morillo

Der Pfleger des Orest
Ross Coughanour

Die Vertraute
Carolin Löffler

Die Schleppträgerin
Ekaterina Kudryavtseva

Ein junger Diener
Matthias Stier

Ein alter Diener
Maximilian Krummen

Die Aufseherin
Ivi Karnezi

Die erste Magd
Nana Dzidziguri

Die zweite Magd
Carolin Löffler

Die dritte Magd
Jelena Kordić

Die vierte Magd
Ekaterina Kudryavtseva

Die fünfte Magd
Jelena Banković

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Staatstheater Braunschweig
 (Homepage)





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