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Walhall hinter der Mauer Von Christoph Wurzel / Fotos: © Kirsten Nijhof
Anmutig und in natürlicher Unschuld schweben die Rheintöchter in den Wellen des Rheins: Guibee Yang und Sylvia Rena Ziegler Im Anfang ist die pure Anmut. „Auf dem Grunde des Rheins“ schweben frei und lustvoll seine drei Töchter nach der wundervoll wogenden, sich zu magischen Klangwellen steigernden Einleitungsmusik zum Rheingold-Vorspiel, dem Vorabend von Wagners Tetralogie, an deren Ende eine ganze Welt zusammengebrochen sein wird. Der weite Bogen eines sich unweigerlich fortsetzenden Wegs in die Katastrophe beginnt in dieser Inszenierung sinnfällig mit der Zerstörung der Reinheit, Natürlichkeit und Freiheit der Rheintöchter durch die Gier nach Besitzenwollen und Macht. Alberich, der Nibelung, ist es, der die Harmonie des Anfangs zerstört - nackt, hässlich behaart, mit übergroßem Phallus kriecht er lüstern den schwebenden Schwestern entgegen, die arg- und schutzlos von seinen Zudringlichkeiten überrumpelt werden. Unschuldig naiv enthüllen sie das Geheimnis des Golds, das Alberich ihnen schließlich in einem Akt grober Gewalt aus den blonden Haaren reißt. Die brutale Schändung von Frauen ist an der Chemnitzer Oper das Fanal des sich immer weiter fortzeugenden Unheils in Wagners Ring des Nibelungen. Zyniker der Macht: Wotan (sitzend: Krisztián Cser) und Loge (Benjamin Bruns) Vier Regisseurinnen werden dieses niemals abschließend interpretierte Weltendrama in Chemnitz bis zum Ende dieses Jahres aus explizit weiblicher Perspektive erzählen. Damit knüpft man dort an die seinerzeit (1999) als revolutionär geltende Stuttgarter Lösung an, den Ring aus vier verschiedenen Regiesichten zu präsentieren und weist zugleich darüber hinaus. Konsequent werden nämlich auch die vier Ausstatterteams von Frauen gestellt, nur die musikalische Leitung liegt in männlichen Händen, denen des neuen Chemnitzer GMDs Guillermo García Calvo bzw. des 1. Kapellmeisters Felix Binder. Der Regisseurin Verena Stoiber ist mit Rheingold ein fulminanter Start des Ring-Projekts gelungen. Klar ist es ein weiblicher Blick auf diese Betrugsgeschichte, engagiert, differenziert und psychologisch tief ausgeleuchtet. Die Männer kommen dabei äußerst schlecht weg. Wotan hier mehr verklemmt als selbstsicher, ist Spielball des listigen Loge, bei passender Gelegenheit auch zu Übergriffen geneigt und skrupellos im Verfolgen seiner Ziele - mehr Machomaske als starkes Ich, kompensiert durch die ständig gepaffte dicke Zigarre. Dem gefangenen Alberich schneidet er mit einem Messer brutal den begehrten Ring vom Finger. Krisztián Cser spielt diesen bereits hier entzauberten Göttervater mit großer darstellerischer Präsenz und singt eindrücklich kraftvoll und schön. Der Nibelungenschatz: Ausbeutung von Frauen und Kindern (Jukka Rasilainen als Alberich mit Statisterie) Die beiden anderen Götter Donner und Froh sind als unbedarfte Sportsfreunde charakterisiert mit Golfschläger und Baseballkappe. Von all dem bösen Treiben scheinen sie nicht viel zu begreifen. Loge dagegen zeigt sich hier als Schlüsselfigur. Als zynischer Strippenzieher fädelt er all die Betrügereien ein. Schon ganz am Beginn reicht er, wie zufällig Zeuge des Geschehens, Alberich das Messer, mit dem dieser den Rheintöchtern das Gold entreißt. Doch je mehr er sich bei all dem die Finger schmutzig macht, umso heftiger schlägt sein neurotischer Waschzwang durch. Benjamin Bruns gibt die Rolle bis hin zum Slapstick als brillante Charakterstudie und singt sie mit überaus flexibler Stimme ausnehmend lyrisch. In der dritten Szene (Nibelheim) sehen wir dann, welcher Art der goldene Boden ist, auf dem der Nibelung seine Macht errichtet hat. In einem Käfig mit zwei Etagen bieten oben junge Prostituierte Flatrate-Sex an (von Wotan mit nicht geringem Interesse betrachtet) und unten eingepfercht produzieren verängstigt Frauen und Kinder all jene Wohlstandsfetische, mit denen später Freia von den Riesen zurückgekauft wird - Stereoanlagen, Kaffeemaschinen, Großbildschirme. Jukka Rasilainen spielt den Boss über Prostitution und Zwangsarbeit als passend schmierigen Ausbeuter. In der Tarnkappenszene verzichtet die Regisseurin geschickt auf irgendwelche Zaubertricks, sondern zieht das Spiel von Identität und Verstellung mittels eines Spiegels ins Psychologische. Ein kurzer Blick dort hinein lässt Wotan für Augenblicke vor seinem eigenen Bild erschrecken. Doch bis zur Selbsterkenntnis reicht dieser Moment nicht und auch nicht später, wenn er bei Erdas Mahnung „alles was ist endet“ mit seinem greisenhaften Alter Ego konfrontiert wird. Noch weitere derartig aufschlussreiche Details geben der Inszenierung eine berührende Tiefe. Freias Auslösung: das Nibelungengold ist nur Konsumplunder (Ensemble) Auch die beiden Göttinnnen Freia und Fricka werden von der Regie differenziert gezeichnet. Freia als nervtötend naive Shopping Queen mit Tüllkleidchen und Klammeräffchen. Daneben die resolute Fricka, die gegenüber den bürokratisch steifen Riesen herrisch auftrumpft. Monika Bohinec gibt Wotans Gattin bestechend Kontur. Typengerecht verdeutlichen auch die Kostümentwürfe von Sophia Schneider jeweils die Charakteristik der Figuren. Eindrucksvoll schließlich der Auftritt Erdas, die bereits die gesamte Szene vom Rande aus beobachtet hat und Wotan vom Besitz des Rings abzuhalten versucht. Mit gewaltiger Stimme greift Monica Bohinec in dieser Rolle mit dramatischem Nachdruck in das Geschehen ein. Und dann der Einzug der Götter nach Walhall, das sich allerdings schon in der zweiten Szene hinter einer grauen Betonmauer nach Berliner Bauart verbirgt und bis zum Schluss nicht sichtbar wird. Keine Regenbogenbrücke, nichts Erhabenes öffnet sich am Schluss für die Götter. Stattdessen treten sie durch eine Lücke in der Mauer ins Dunkel dahinter, wo es kein Glück geben wird. Vorn tauchen die geschändeten Rheintöchter auf, den abgebrochenen Schriftzug der Bordell-Leuchtreklame „Love“ in Händen, Symbol dessen, was „dort oben falsch und feig sich freut“, aber der Tiefe des Rheins so brutal entrissen wurde: der Liebe. Auch eine Form des Frauenhandels: Gezänk um Freia (Magnus Piontek (Fasolt), James Moellenhoff (Fasolt), Maraike Schröter (Freia), Krisztián Cser (Wotan) (v.l.)) Eine in jedem Moment spannende Inszenierung mit Elementen vom Boulevard bis zur Tragödie, wahres Musiktheater, hat Verena Stoiber auf die Chemnitzer Opernbühne gestellt, unterstützt von der eindrücklichen Ausstattung aus Bühnenbild und Kostümen von Sophia Schneider. Und mit der musikalischen Gestaltung trägt auch das Orchester zur eminenten Qualität dieser Produktion bei. Guillermo García Calvo entlockt der im Ganzen glänzend spielenden Robert-Schumann- Philharmonie einen satten Wagnersound mit besonderer Vorliebe für die dunklen Töne und plastisch klangmalerischen Qualitäten besonders im Vorspiel zur Nibelheim-Szene. Der Orchesterklang bleibt dabei stets transparent, dramatisch höchst animiert und durchgängig bleiben die Sängerinnen und Sänger gut hörbar. Dass sie erfreulich textverständlich singen, ist beileibe nicht an allen Opernhäusern so selbstverständlich, wie es in dieser Aufführung der Fall war. FAZIT Dieser Beginn des Chemnitzer Ring-Projekts mit einem überzeugenden Ansatz, der facettenreichen Personenregie, durchweg beeindruckenden Sängerdarstellern und einer packenden Orchesterleistung macht große Lust auf die kommenden Teile. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Statisterie der Oper Chemnitz Solisten*Premierenbesetzung
Wotan
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