Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Wozzeck

Oper in drei Akten
Libretto von Alban Berg nach dem Dramenfragment Woyzeck (1836) von Georg Büchner
Musik von Alban Berg


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (eine Pause)

Premiere am 20. Oktober 2017 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Rheinoper
(Homepage)
Man müsst' die Welt anhalten können in einem Augenblick

Von Stefan Schmöe / Fotos von Karl Forster


Gibt es eine Möglichkeit, das Grauen in der Welt zu stoppen? Eine Hoffnung, dass die Kunst ein großes pathetisches "so nicht!" hinausschreit, auf dass so etwas wie Besinnung einträte? Dass wir die Unmenschlichkeit erkennen und ihr Einhalt gebieten? Das ist der alte Traum des Theaters mindestens seit Friedrich Schiller. In Fatalismus von Büchners ein paar Jahre danach hastig niedergeschriebenen Dramen scheint das fern, auch wenn der Schriftsteller mit der Parole "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" gegen die Obrigkeit zog. Hoffnung hat dieser Woyzeck (aus dem aufgrund eines Lesefehlers der strenger klingende "Wozzeck" wurde) nicht: "Ich glaub', wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen!". Aber Alban Berg hat dieses utopische Moment einkomponiert, indem er den strengen Aufbau von dreimal fünf Szenen unterbricht und vor der allerletzten Szene ein spätromantisches Orchesterzwischenspiel einfügt, das er selbst als "Appell an die Menschheit" bezeichnete, das unmittelbar das Gefühl anspricht.

Szenenfoto

Präzision der staatlichen Macht: Wozzecks Hinrichtung beginnt um genau 19:00 Uhr.

Georg Büchners Woyzeck (und damit auch Alban Bergs entlang dem Originaltext vertonte Oper) greifen bekanntlich einen historischen Kriminalfall auf: Am 27. August 1824 wurde in Leipzig der wegen Mordes zum Tode verurteilte Johann Christian Woyzeck öffentlich enthauptet, nachdem in einem komplizierten Prozess die Strafmündigkeit des offenbar geistig verwirrten Täters festgestellt wurde. Das Motiv der Todesstrafe fehlt zwar in Schauspiel wie Oper, aber das Regie-Team um Stefan Herheim macht eben dieses zum Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung. Noch vor dem ersten Ton wird ziemlich realistisch eine Hinrichtung mit der Giftspritze in einem amerikanischen Gefängnis gezeigt (Ausstattung: Christof Hetzer), und in quälender Echtzeit führt Herheim die absurde Perfektion dieses Vorgangs dar. Was dann folgt, dass sind die letzten Gedanken und Visionen des Sterbenden, für den der Wachtmann und der Gefängnisarzt zum Hauptmann (etwas unsicher in der Höhe, aber mit bizarrer Komik und großer Präsenz: Matthias Klink) und Doktor (szenisch wie stimmlich großartig mit absurd überzeichneter Würde: Sami Luttinen) der Wozzeck-Handlung und die Hinrichtungskammer zum Erinnerungsraum werden.

Szenenfoto

Wozzeck zwischen Doktor und Hauptmann

Dramaturg Alexander Meier-Störzenbach hat seinen Aufsatz im Programmheft (der lesenswert ist, den man zum Verständnis aber nicht unbedingt braucht, denn das Bühnengeschehen spricht für sich) mit "Todesrevue im Sterbemoment" betitelt, und das spiegelt den Charakter der Inszenierung ziemlich gut wieder. Tatsächlich entfaltet Herheim eine Revue mit zunehmendem Tempo, die spiralförmig ihrem Ende entgegen taumelt und immer absurdere Züge annimmt. Das kann durchaus komödiantische Züge annehmen - geradezu surreal, wenn Doktor und Hauptmann in der vorletzten Szene wie Raffael-Englein mit weißen Flügelchen im Himmel über der Bühne schweben und die Geräusche am Teich ("Das stöhnt, als stürbe ein Mensch"). Parallel dazu zeigt Herheim sehr direkt die psychische wie physische Brutalität des Stückes. Es gibt regelrecht ordinäre Sex-Szenen zwischen Marie und dem Tambourmajor (Corby Welch gibt ihn draufgängerisch mit sicherem Tenor als Typ "Yankee mit Cowboy-Hut") - und dann ist Marie wieder eine von Verzweiflung über ihre Schuld gegenüber Wozzeck zerrissene Figur, die sich an ihn wirft und ihn leidenschaftlich küsst. Wie Camilla Nylund diese Marie singt und spielt, das ist sensationell. Sie legt die Partie lyrisch und ausgesprochen klangschön an und gestaltet sie sehr genau aus, auch in den Abstufungen zwischen Sprechgesang und Arioso. So abstoßend und anziehend gleichzeitig hat man das wohl kaum einmal erlebt.

Szenenfoto

"Immer zu! Immer zu!" - Der Tambourmajor und Marie beim keineswegs privaten Liebesakt, den auch Wozzeck sehr direkt miterlebt.

Was wahr ist und was Einbildung, das bleibt unklar. Soldatenkumpel Andres (ein wenig unscheinbar, obwohl souverän gesungen: Cornel Frey) und auch Marie tragen die gleiche rote Gefängniskleidung wie Wozzeck. Der Narr (hinreißend komisch: Florian Simson) ist hier ein Priester. Die Wirtshaus-Chöre werden vom Gefängnispersonal dargestellt, und auch die Zuschauer der Hinrichtung werden mehr und mehr Teil der Handlung. Was keine Rolle spielt, dass ist das "Wir arme Leut!" - die Geldarmut ist nicht das Problem dieser Menschen. Vielmehr ist es die Macht über den anderen und die latente und offene Gewalt, die das Geschehen antreibt. Axel Kobers Dirigat verstärkt das Disparate der Oper, unterstreicht die auseinander strebenden Momente, damit auch das Revuehafte. So ist dieser Wozzeck auch eine schrille Collage, was der Büchner'schen Ansammlung von Einzelszenen (die ja im Dramenfragment keine eindeutige Anordnung erkennen lassen) virtuos entspricht. Irgendwann beschleicht einen dabei das Gefühl, dass Herheims gedanklicher Konstrukt eben auch dazu führt, dass die Regie sich allerlei Freiheiten nehmen darf - die letzten Gedanken eines Sterbenden müssen vielleicht nicht streng der Logik unterworfen sein. Hauptsache, alles läuft letztendlich wieder auf das Anfangsbild in der Hinrichtungskammer zu. Aber es ist eine falsche Fährte, die der Regisseur hier auslegt.

Szenenfoto

Wozzeck und Marie

Herheim lässt tatsächlich die Welt anhalten. Zwar stellt er tatsächlich das Anfangsbild wieder her (nicht einmal eine Minute ist gemäß der großen Uhr, die sich zwischenzeitlich auch in einen Mond verwandeln kann, seit dem Beginn der Hinrichtung vergangen). Aber dieser Wozzeck bäumt sich auf, erhebt sich, reißt sich die Fesseln ab und sprengt diese unmenschliche Welt. Wer anders, fragt man sich, könnte das darstellen als der hünenhafte, durchtrainierte Bo Skovhus (der zuvor in vielen Facetten den geschundenen Wozzeck grandios gesungen und gespielt hat), von dem in der Titelpartie eine schier unfassbare Energie ausgeht, die das Bühnenbild auseinanderfahren lässt und den Blick freigibt auf die Beleuchtungseinrichtungen und den Bühnenapparat. Und da stehen sie, alle Darsteller, und schauen ins Publikum, quasi ein Aufschrei: "Alles nur Theater. Jetzt ist es an Euch".


FAZIT

Mit einem überragenden Ensemble seziert Stefan Herheim messerscharf den Wozzeck als schräge, gleichwohl psychologisch genaue Revue. Musikalisch wie szenisch eine Großtat.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Regie
Stefan Herheim

Bühne und Kostüme
Christof Hetzer

Licht
Andreas Hofer

Video
fettFilm
(Torge Möller, Momme Hinrichs)

Chor
Gerhard Michalski

Kinderchor
Justine Wanat

Dramaturgie
Alexander Meier-Dörzenbach



Kinderchor der
Akademie für Chor und Musiktheater

Statisterie und Chor
der Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Wozzeck
Bo Skovhus

Tambourmajor
Corby Welch

Andres
Cornel Frey

Hauptmann
Matthias Klink

Doktor
Sami Luttinen

1. Handwerksbursch
Torsten Grümbel

2. Handwerksbursch
Dmitri Vargin

Der Narr
Florian Simson

Marie
Camilla Nylund

Margret
Katarzyna Kuncio

Maries Knabe
Mark Vargin



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -