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Musiktheater
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Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Akten
Libretto vom Komponisten und Konstantin Schilowski nach Alexander Puschkin
Musik von
Peter Tschaikowsky

in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 2. Dezember 2017
(rezensierte Aufführung: 07.12.2017)




Theater Dortmund
(Homepage)
Verpasste Lebenschancen in trefflichen Bildern

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas Jauk (Stage Picture)

Man könnte meinen, das Musiktheater in Dortmund habe in den letzten beiden Monaten des Jahres 2017 einen Schwerpunkt auf Peter Tschaikowsky gelegt. Während sich der Ballettdirektor Xin Peng Wang in dem Ballettabend Rachmaninow / Tschaikowsky mit Tschaikowskys sagenumwobener Symphonie Nr. 6 h-moll, op. 74, genannt Pathetique, auseinandersetzt und der Weihnachts-Ballettklassiker Der Nussknacker in einer Choreographie von Benjamin Millepied wieder aufgenommen wird, steht auch in der Oper Tschaikowsky auf dem Spielplan, und zwar eine Neuinszenierung von Eugen Onegin. Dass sich ausgerechnet dieses Stück, das Tschaikowsky selbst nur als "lyrische Szenen" bezeichnete, zu seinem größten Opernerfolg entwickeln sollte, mag überraschen, da viele seiner Zeitgenossen begründete Zweifel daran hegten, dass die im Text enthaltene Schönheit von Puschkins gleichnamigem Versroman sich in Musik umsetzen lasse. So plante Tschaikowsky die Oper zunächst auch nicht für eine der großen russischen Bühnen ein, sondern brachte sie in einer geschlossenen Vorstellung am 17. März 1879 im Moskauer Maly-Theater mit Studenten des Konservatoriums zur Uraufführung. Aber gerade diese jungen Protagonisten, die der Gefühlswelt der Figuren in der Oper sehr nahe kamen, ließen die Begeisterung für das Werk auf das Publikum überschwappen und brachten die hochemotionale Musik authentisch zum Ausdruck, so dass sich das Stück schnell über ganz Europa verbreitete und einen festen Platz im Repertoire erhielt.

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Tatjana (Emily Newton) in ihrer großen Briefszene

Da in jedem Akt das Unglück einer anderen Figur im Mittelpunkt steht, stellen diese "lyrischen Szenen" keine Tragödie im eigentlichen Sinne dar, sondern beschreiben vielmehr verpasste Lebenschancen. Jens Kilian hat für die Inszenierung einen riesigen Kubus entworfen, der in jedem Akt den Fokus auf die jeweilige Figur richtet. Im ersten Akt ist es Tatjana. Wenn sich der Vorhang öffnet, sieht man sie allein in diesem riesigen Kubus auf einem Bücherstapel. Der Kubus ist mit Holz vertäfelt und deutet in seiner Leere Tatjanas Isolation an. Sie lebt mit ihren Büchern in einer Traumwelt fernab jeder Realität. So passiert es auch, dass ihr Onegin, der mit Olgas Verlobtem Lenski auftaucht, wie ein edler Ritter erscheint, in den sie sich sofort unsterblich verliebt. Durch Einsatz der Drehbühne kann der leere Kubus schnell in ein Feld mit zahlreichen Ähren verwandelt werden, in dem die Bauern die reichhaltige Ernte feiern. Die Kostüme von Johanna Hlawica sind recht naturalistisch gehalten und erinnern mit Blick auf Tatjana und Olga an einen Jane-Austen-Roman. Tatjanas Mutter Larina hingegen wirkt in ihrem schwarzen Hosenanzug etwas zu modern, auch wenn sie natürlich als Herrin über das Gut "die Hosen anhat" und sich weder den Schwärmereien noch der Unbekümmertheit ihrer beiden Töchter hingeben kann. Philipp Armbruster arbeitet bereits in der Ouvertüre mit den Dortmunder Philharmonikern die in dem Stück herrschende Melancholie musikalisch sehr pointiert heraus. Das Quartett zu Beginn des ersten Aktes wird von den vier Solistinnen Emily Newton (Tatjana), Ileana Mateescu (Olga), Almerija Delic (Larina) und Judith Christ (Filipjewna) eindrucksvoll präsentiert und macht die auf dem Land herrschende Langeweile deutlich.

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Auf den Feierlichkeiten zu Tatjanas (Emily Newton, Mitte) Namenstag kommt es zum Eklat zwischen Olga (Ileana Mateescu, links neben Newton) und Lenski (Thomas Paul, vorne).

Für die große Briefszene Tatjanas ist eine Leine in mehreren Bahnen durch den Kubus gespannt, an der schon, bevor sie mit dem Schreiben des Briefes beginnt, ihre zahlreichen Entwürfe hängen. Die Idee ist grundsätzlich nicht schlecht, da die eigentliche Briefszene trotz ihrer Länge kaum zu zeigen ermöglicht, wie viele Ansätze Tatjana in der Nacht für diesen Brief verworfen hat. Auf diese Weise kann Newton jeweils einen Zettel von der Leine nehmen, wenn sie wieder einen neuen Versuch startet. Wieso die Amme allerdings vorher nicht auf die Zettel reagiert, wenn sie Tatjana zu Bett bringt, ist ein wenig problematisch. Vielleicht ist sie aber auch so in ihren eigenen Erinnerungen gefangen, dass sie Tatjanas offensichtliche Unruhe gar nicht bemerkt. Christ begeistert als Filipjewna mit sattem Mezzosopran. Newton begeistert in der großen Briefarie durch sauber angesetzte Spitzentöne und voluminöse Dramatik. Dabei durchlebt sie glaubhaft die Gefühlswallungen des jungen Mädchens und punktet darstellerisch durch intensives Spiel. Simon Mechlinski legt die Titelpartie als leichtfertigen Dandy an, so dass die Härte, mit der er Tatjanas Brief zurückweist, durchaus erschüttert. Dabei überzeugt er stimmlich mit markantem Bariton und kräftigen Spitzentönen. Wenn der Vorhang sich schließt, bleibt Newton als gebrochenes Mädchen einsam auf der Bühne zurück.

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Eugen Onegin (Simon Mechlinski) irrt umher.

Der zweite Akt stellt dann Lenskis Unglück in den Mittelpunkt. Tina Lanik zeichnet ihn in ihrer Inszenierung als körperlich versehrten Mann - vielleicht eine Kriegsverletzung? -, so dass es für ihn schwer ist, mit Olgas Lebenslust mitzuhalten. Auch ihm gibt Lanik, wie Tatjana im ersten Akt, einen großen einsamen Moment in dem leeren Kubus. Dabei lässt sie Schnee als Vorboten des bevorstehenden Todes durch ein riesiges Loch in der Decke auf ihn herabrieseln. Im Kontrast dazu steht die Lebensfreude der Gäste auf Tatjanas Namenstagsfeier. Newton spielt auch im zweiten Akt bewegend aus, welche psychischen Verletzungen Tatjana nach Onegins Zurückweisung noch immer mit sich herumträgt, und versucht verzweifelt, dem ihr gewidmeten Couplet des Franzosen Triquet zu entkommen. Fritz Steinbacher bringt als selbstverliebter Franzose ein bisschen Komik in die ansonsten sehr traurige Geschichte und überzeugt bei seinem Couplet mit manieriertem Stil. Umso gravierender wirkt dann der Bruch, wenn Lenski, von Onegin provoziert, seinen Freund zum Duell fordert. Mateescu spielt als Olga mit unbefangenem Spiel aus, wie sie Lenskis Schwermut zu entkommen versucht und in Onegins Lebenslust eine willkommene Abwechslung sieht. Dass sie damit eine Katastrophe heraufbeschwört, wird ihr erst zu spät bewusst. In einem auf die Rückwand projizierten Schattenspiel sieht Lenski bereits voraus, dass er das Duell nicht überleben wird, und nimmt in seiner berühmten Arie Abschied von der Welt. Thomas Paul begeistert als Lenski mit sauber geführtem Tenor und lyrischen Höhen, die die große Melancholie Lenskis spürbar machen. Ein kleiner Moment der Hoffnung keimt im folgenden Duett mit Onegin auf, dass die beiden Männer doch noch zur Vernunft kommen könnten. Doch es ist zu spät. Onegin tötet den Freund im Duell. Auch dieser Moment wird von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Armbruster musikalisch ergreifend präsentiert.

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Fürst Gremin (Luke Stoker, Mitte) stellt Onegin (Simon Mechlinski, rechts) seine Ehefrau Tatjana (Emily Newton) vor. (Foto: © Björn Hickmann)

Für Onegins "Tragödie" im dritten Akt wählt Lanik dann in der Personenregie einen etwas anderen Ansatz. Zeigte sie in den ersten beiden Akten Tatjana und Lenski isoliert in dem holzvertäfelten Kubus, steht Onegin nun außerhalb dieses Kubus, der jetzt aus spiegelnden Fenstern besteht. Lenski sieht die Gesellschaft drinnen, zu der er nicht gehört und zu der er keinen Zugang mehr findet. Dabei hat sich auch die Gesellschaft verändert. Sie ist nicht nur optisch wesentlich älter geworden und wirkt in ihren steifen Posen im Gegensatz zu den lebenslustigen Bauern im ersten Akt beinahe tot. Auch der Luxus von St. Petersburg steht in großem Kontrast zu dem einfachen Leben auf dem Land und beschreibt mit der Luxus-Karosse, auf der Fürst Gremin zu Beginn des Aktes wie ein Patriarch thront, Onegins Sehnsucht. Tatjana hat einen enormen Wandel vollzogen und sich vom verhuschten Mädchen in eine mondäne First-Lady im roten Abendkleid verwandelt. Ob sie den Fürsten jedoch wirklich liebt oder nur seine Großzügigkeit genießt, wenn er sie vor Onegins Augen mit einer wertvollen Halskette beschenkt, lässt Lanik in ihrer Personenregie offen. Luke Stoker überzeugt in der großen Arie des Fürsten mit dunklem Bass. Newton begeistert mit dramatischen Höhen, wenn sie sich als Tatjana verzweifelt gegen Onegins heftiges Werben zur Wehr setzt. Mechlinski punktet als Onegin ebenfalls mit großartiger Stimmführung und macht sehr deutlich, dass er zu spät erkannt hat, was ihm mit Tatjana entgangen ist. So bleibt er dann am Ende genauso einsam zurück, wie Tatjana und Lenski in "ihren" Akten begonnen haben. Der von Manuel Pujol einstudierte Chor weiß stimmlich und darstellerisch ebenso zu überzeugen wie das Orchester, so dass es am Ende für alle Beteiligten großen Applaus gibt. Schade ist nur, dass bei dieser zweiten Aufführung viele Plätze im Opernhaus frei geblieben sind. Ob es an der Vorweihnachtszeit oder am Wetter lag, lässt sich nicht beurteilen. Die Aufführung hätte jedenfalls mehr Publikum verdient.

FAZIT

Tina Lanik arbeitet in ihrer Inszenierung die drei unterschiedlichen Dramen mit feiner Personenführung heraus. Musikalisch überzeugt die Aufführung auf ganzer Linie.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz /
*Philipp Armbruster

Regie
Tina Lanik

Bühne
Jens Kilian

Kostüme
Johanna Hlawica

Chor
Manuel Pujol

Licht
Stefan Schmidt

Dramaturgie
Georg Holzer

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor des Theaters Dortmund

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Larina, Gutsbesitzerin
Almerija Delic

Tatjana, ihre Tochter
Emily Newton

Olga, ihre Tochter
Ileana Mateescu

Filipjewna, Amme
Judith Christ

Eugen Onegin
*Simon Mechlinski /
Sangmin Lee

Lenski
Thomas Paul

Fürst Gremin
Luke Stoker

Triquet, ein Franzose
Fritz Steinbacher

Ein Hauptmann
Hiroyuki Inoue /
*Gerontiy Chernyshev

Saretzki
Thomas Günzler

Guillot
Min Lee

 


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Da capo al Fine

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