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Rachmaninow / Tschaikowsky

Ballett von Xin Peng Wang
Musik von
Sergej Rachmaninow und Peter Tschaikowsky

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 11. Oktober 2017
(rezensierte Aufführung: 24.11.2017)



Theater Dortmund
(Homepage)

Tanz der Gefühle

Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß (Stage Pictures)

Seit Xin Peng Wang 2003 als Direktor die Ballettsparte in Dortmund übernommen hat, hat er für das Publikum in jeder Spielzeit ein neues Handlungsballett kreiert. Der besondere Reiz, der dem Ballett Dortmund in dieser Zeit auch überregional große Aufmerksamkeit beschert hat, liegt darin, dass es sich hierbei nicht nur um die gängigen Ballettklassiker wie Schwanensee und Romeo und Julia gehandelt hat, sondern dass Wang mit seinem Chefdramaturgen Dr. Christian Baier Klassiker der Weltliteratur für den Tanz völlig neu erschlossen hat. Zu erwähnen sind hier Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden, der auf dem chinesischen Nationalroman basierende Traum der roten Kammer, Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald, Thomas Manns Zauberberg und in den letzten beiden Jahren Goethes Faust in zwei Teilen. In dieser Spielzeit verlässt Wang diesen Weg und präsentiert zwei eher abstrakte Kreationen, die sich auf die eigentliche Aufgabe des Tanzes zum Ausdruck von Gefühlen rückbesinnen. Die Inspiration zu diesem Abend soll ihm bei einem Philharmonischen Konzert der Dortmunder Philharmoniker im Konzerthaus gekommen sein, als Musik der beiden großen russischen Publikumslieblinge Sergej Rachmaninow und Peter Tschaikowsky auf dem Programm stand. Wang soll so bewegt gewesen sein, dass sofort der Wunsch entstanden sei, aus diesen beiden Stücken einen Doppelabend für ein Ballett zu choreographieren.

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Rachmaninow: Denise Chiarioni und Giacomo Altovino

Der Abend beginnt mit dem Klavierkonzert Nr. 3 d-moll, op. 30 von Sergej Rachmaninow. Rachmaninow komponierte dieses Stück für seine erste Amerika-Tournee und brachte es dort 1909 zur Uraufführung. Der Part für das Klavier ist sehr umfangreich und erfordert stellenweise so weite Griffe, dass scherzeshalber gesagt wurde, man benötige eigentlich sieben Finger an jeder Hand, um das Konzert zu spielen. Rachmaninow selbst soll auf der Überfahrt nach Amerika mehrere Stunden pro Tag geübt haben, um seinen eigenen spieltechnischen Anforderungen gerecht zu werden. Während das Publikum Rachmaninows emotionale Wucht und Rückbesinnung auf die Romantik mit großer Begeisterung feierte, betrachteten ihn die Musikkritiker und die Vorkämpfer der neuen Kunst als "Repräsentanten der alten Musik" und ließen kaum ein gutes Haar an seinen Kompositionen. Neue Popularität erlangte das Werk vor allem durch den Film Shine aus dem Jahr 1996, in dem Geoffrey Rush den australischen Pianisten David Helfgott spielt, der nach einer Aufführung des 3. Klavierkonzertes einen Nervenzusammenbruch erleidet und nur ganz langsam wieder den Weg zurück in sein normales Leben findet, wo ihm schließlich sogar noch ein Comeback gelingt. Mit dieser Geschichte hat Wangs Choreographie jedoch nichts zu tun, sondern konzentriert sich in den Bildern ganz auf die von der Musik verschlüsselten Gefühle.

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Rachmaninow: von links: Andrei Morariu, Dustin True und Sae Tamura

Frank Fellmann hat einen golden glänzenden Ausschnitt einer Halfpipe entworfen, die die Tänzerinnen und Tänzer in ihre Bewegungen mit einbeziehen. So rutschen sie bisweilen die Halfpipe hinunter und springen am Ende des dritten Satzes, dem "Finale (Alla breve)", dahinter. Mit Ausnahme der Hände sind die Tänzerinnen und Tänzer komplett blau gehalten. Dabei tragen sie einen eng anliegenden blauen Suit, der zwischen Männern und Frauen kaum unterscheiden lässt. Bevor die Musik beginnt, schleichen sie nacheinander in abstrakten Bewegungen auf die Bühne und verharren in einer Position, aus der sie von dem ersten Satz, dem "Allegro ma non tanto", erlöst werden. In Ensembles und kleinen Gruppen setzen sie in abstrakten Bewegungen, die genau auf die Rhythmik der Musik abgestimmt sind, Rachmaninows Musik um und wirken dabei fast wie Tasten des Klaviers, die sich durch den Raum bewegen. Als Solisten sind Denise Chiarioni und Giacomo Altovino zu erleben, die durch großartige Präzision überzeugen. William Youn gelingt es am Klavier, den hohen Anforderungen des Werkes mit leidenschaftlichem und expressivem Spiel gerecht zu werden. Gleiches gilt für die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. Mit feinem Gespür kitzelt Feltz die ganze emotionale Bandbreite, die in der Musik steckt, heraus, und lässt das Publikum in eine romantische Klangwelt eintauchen, die mit dem Tanz auf der Bühne eine ästhetisch perfekte Symbiose eingeht. Neben der Compagnie sind auch Tänzerinnen und Tänzer des von Wang gegründeten NRW Juniorballetts zu sehen, die sich ohne Abstufung in die Ensembles einfügen.

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Tschaikowsky: Die Frau (Lucia Lacarra) und der Mann (Marlon Dino)

Nach der Pause folgt Tschaikowskys sagenumwobene Symphonie Nr. 6 h-moll, op. 74, genannt Pathetique, die er kurz vor seinem Lebensende 1893 in St. Petersburg zur Uraufführung brachte. Viel ist von der Nachwelt in dieses Werk hineininterpretiert worden. Während Tschaikowsky selbst sein letztes Werk einfach als eine "Programmsymphonie" bezeichnete, war es vor allem sein Bruder Modest, der das Werk als "Lebensbeichte seines Bruders" verstanden wissen wollte. So kam es dazu, dass das Werk inhaltlich in Zusammenhang zu Tschaikowskys geheim gehaltener Homosexualität und den mysteriösen Umständen seines Todes gestellt wurde. Doch diese ganzen Assoziationen interessieren Wang für seine Choreographie nicht. Stattdessen erzählt er in bewegenden Bildern eine einfache Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einer Frau, die sich nach einer kurzen leidenschaftlichen Beziehungen trennen und eigene Wege gehen. Kurz vor dem Ende begegnen sie sich noch einmal, finden aber trotz bestehender Gefühle füreinander nicht noch einmal zusammen. Am Ende stirbt die Frau, und dem Mann wird nun erst bewusst, was er verloren hat. Das Bühnenbild ist recht karg gehalten. Aus dem Schnürboden werden zwei abstrakte silbrige Formen herabgelassen, die an eine Art Korallen erinnern. Die wechselnden Kostüme deuten einen Zeitensprung an. Bemerkenswert ist auch eine Videoprojektion von Frank Fellmann im Bühnenhintergrund. Eine farblos gehaltene Landschaft, die an einen verzauberten Märchenwald erinnert, verändert sich langsam durch die Fortschreitung der Industrialisierung zu einer von Maschinen zerstörten Natur.

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Tschaikowsky: Der Mann (Marlon Dino, Mitte) hat die Frau (Lucia Lacarra) verloren (an den Seiten: Ensemble).

Als Solisten sind Lucia Lacarra und Marlon Dino zu erleben, die seit letzter Spielzeit als gefeiertes Traumpaar fest zur Dortmunder Compagnie gehören. Mit welcher Eleganz sie während des ersten Satzes die innige Liebe zwischen dem Paar darstellen, ist ganz große Kunst. Absolut geräuschlos gleitet Dino über die Bühne, und Lacarra schwebt auf Spitze von Dino geführt durch den Raum. Die Beziehung wird von acht weiteren Paaren im Hintergrund mit gleichem Bewegungsablauf vervielfacht. Die beiden aus dem Schnürboden herabhängenden silbrigen Elemente scheinen für das Paar zu stehen und verschwinden im weiteren Verlauf der Trennung wieder im Schnürboden. Erst wenn die beiden wieder aufeinandertreffen, tauchen auch die silbrigen Elemente wieder auf. Aufwühlend geraten der zweite und dritte Satz, der das Paar auf getrennten Wegen zeigt. Feltz gelingt es, mit den Dortmunder Philharmonikern die Bildhaftigkeit der Musik plastisch herauszuarbeiten. Die Ballettcompagnie präsentiert sich dabei von ihrer besten Seite und erntet bereits am Ende des dritten Aktes beim kraftvollen Schlusspunkt großen Jubel aus dem Publikum. Es folgt der wesentlich ruhigere vierte Satz, in dem der Mann schließlich mit dem Tod der Frau konfrontiert wird. Mit einem schwarzen Tuch betritt Lacarra die Bühne, und Dino macht mit leidendem Ausdruck deutlich, welchen Verlust er nun verarbeiten muss. So ist er am Ende auf der Bühne genauso allein, wie die Musik gewissermaßen im Nichts verendet. Das Publikum spendet nach einem kurzen Moment des Innehaltens frenetischen Beifall.

FAZIT

Bereits für die zweite Aufführung waren im Dortmunder Opernhaus nur noch Restkarten erhältlich. Das dürfte sich bei dieser großartigen Produktion in der Folgezeit kaum ändern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Inszenierung und Choreographie
Xin Peng Wang

Kostüme
Bernd Skodzig

Bühnenbild und Video
Frank Fellmann

Lichtinstallation
Bonnie Beecher

Konzept und Dramaturgie
Christian Baier

 

Dortmunder Philharmoniker

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Rachmaninow

Solisten
*Denise Chiarioni
*Giacomo Altovino /
Ida Anneli Kallanvaara
Erik Jesús Sosa Sánchez

Gruppe Damen
Madeline Andrews
Denis Chiarioni
*Sophie Czolij
*Manon Kolanowski
*Loïs Martens
*Jana Nenadovi
ć
Stephanine Ricciardi
*Manuela Souza
*Sae Tamura
*Amanda Vieira
*Sayaka Wakita

Gruppe Herren
*Javier Cacheiro Alemán
Giacomo Altovino
*Michael Samuel Bla
ško
*William Dugan
Harold Quintero López
*Andrei Morariu
*Francesco Nigro
Giuseppe Ragona
*Erik Jesús Sosa Sánchez
*Dustin True
*Nikita Zdravkovic

Klavier
Nikolai Tokarev /
*William Youn

Tschaikowsky

Solisten
*Lucia Lacarra
*Marlon Dino /
Natalie Kusch
Dmitry Semionov /
Amanda Vieira
Javier Cacheiro Alemán

Gruppe Damen
Madeline Andrews
*Denis Chiarioni
*Sophie Czolij
*Ester Ferrini
*Victoria Graßmugg
*Manon Kolanowski
*Jana Nenadović
*Yume Okano
Stephanine Ricciardi
*Beatrice Rosi
*Sae Tamura
*Amanda Vieira
*Sayaka Wakita

Gruppe Herren
*Javier Cacheiro Alemán
*Giacomo Altovino
*Mihail Belilov
*Michael Samuel Blaško
*Simon Dalè
*William Dugan
*Daniel Leger
*Andrei Morariu
*Francesco Nigro
*Diogo di Oliveira
*Erik Jesús Sosa Sánchez
*Dustin True
*Matheus Vaz

 


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Theater Dortmund
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