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Ein Traum auf Spitze Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß Im Juni feiert der Essener Ballettdirektor Ben Van Cauwenbergh sein zehnjähriges Jubiläum am Aalto Ballett und lässt in der Ballett-Gala Ten By Ben noch einmal die Höhepunkte dieser Zeit Revue passieren. Da darf natürlich auch das "Ballett aller Ballette" nicht fehlen, und so hat er für diese Spielzeit Tschaikowskis Schwanensee auf den Spielplan gestellt. Dieser Klassiker, der mit perfektioniertem Spitzentanz auch heute noch eine große Fangemeinde hat, stellt die zahlreichen Ballettcompagnien in Nordrhein-Westfalen häufig vor große Schwierigkeiten. Entweder sind die Ensembles zu klein und verfügen nicht über die finanziellen Mittel, einen Schwanensee in seiner ganzen Pracht auf die Bühne zu bringen, oder die Compagnien haben stilistisch eine ganz andere Ausprägung. Nur das Aalto Ballett hat unter Van Cauwenbergh in den letzten Jahren eine Vielzahl klassischer Handlungsballette in traditionellen Choreographien auf den Spielplan gestellt und kann es so mit den tourenden Ballett-Ensembles aus dem osteuropäischen Raum aufnehmen, die ansonsten häufig die einzige Möglichkeit bieten, diese Klassiker in einer traditionellen Form zu erleben. Und dabei hat das Essener Ballett noch einen weiteren, keineswegs unbedeutenden Vorteil. Die Musik kommt nicht vom Band, sondern wird live gespielt, was das Gesamterlebnis perfektioniert. Rotbart (Moisés León Noriega) So schwelgt man an diesem Abend in prachtvollen Bühnenbildern und Kostümen von Dorin Gal, den emotional aufspielenden Essener Philharmonikern unter der Leitung von Johannes Witt und grazilem Spitzentanz der Essener Ballettcompagnie mit insgesamt 18 zauberhaften Schwänen im Corps de ballet. Schon zur Ouvertüre ziert eine eindrucksvolle Projektion den Vorhang, die im Art-déco-Stil auf blau flimmerndem Hintergrund zwei Schwäne in einem Kreis zeigt, deren Köpfe andeuten, dass es sich hierbei um verwandelte Frauen handelt. Der schwarze Schwan stellt das Spiegelbild des weißen Schwans dar, der in der oberen Hälfte des Kreises über das Wasser gleitet, und markiert damit die verkehrte Welt, die gewissermaßen auf dem Kopf steht. Des Weiteren deutet es den Zusammenhang zwischen Odette und Odile und die Täuschung an, der Prinz Siegfried im dritten Akt erliegt. Für den ersten Akt hat Gal einen großen Park entworfen, in dem Siegfrieds 21. Geburtstag mit viel Raum für den Tanz gefeiert werden kann. Im Hintergrund ist auf einem Prospekt ein See angedeutet. An den Seiten befinden sich hochragende grüne Ranken, die bereits den Übergang zum Wald im zweiten Akt markieren. Van Cauwenbergh deutet die ganze Geschichte als eine Art Traum Siegfrieds. So erscheinen bereits bei der Hochzeitsfeier Odette als schüchternes Mädchen in einem langen weißen Kleid und Rotbart kurz darauf mit seiner Tochter Odile. Während sich Siegfried sofort von Odette angezogen fühlt, die nach einer kurzen Begegnung verschwindet, ist es anschließend Odile, die versucht, Siegfried zu umgarnen. Allerdings erliegt Siegfried an dieser Stelle noch nicht ihrem Charme. Dafür ist der Auftritt Rotbarts mit seiner Tochter zu kurz. Ein Traum in Weiß: Odette (Mika Yoneyama, vorne Mitte) mit den Schwänen (Corps de ballet) auf dem See Liam Blair überzeugt als Siegfried mit jugendlichem Spiel und macht mit Davit Jeyranyan als seinem Freund Benno deutlich, dass er sich den Aufgaben des Erwachsenseins, an die ihn Annette El-Leisy als strenge Königin stets erinnert, eigentlich noch nicht gewachsen fühlt. Zwar flirtet er intensiv mit der schönen Unbekannten in Weiß (Mika Yoneyama). Ans Heiraten denkt er dabei sicherlich noch nicht. Das Ensemble überzeugt beim berühmten Walzer des ersten Aktes mit sauberem Spitzentanz und präzise aufeinander abgestimmten Sprüngen. Jeyranyan begeistert beim Pas de trois mit Yanelis Rodriguez und Yurie Matsuura mit perfekten Bewegungen und kraftvollen Sprüngen. Am Ende des ersten Aktes schläft Siegfried im Garten ein, was nahelegt, dass die restliche Handlung lediglich ein Traum ist. In einer beeindruckenden Videoprojektion von Valeria Lampadova sieht man zwischen dem ersten und zweiten Akt Mika Yoneyama, wie sie sich von dem schüchternen Mädchen in einen weißen Schwan verwandelt. Der Zauberer Rotbart erscheint dabei in Gestalt eines schwarzen Vogels, der von Odette Besitz ergreift und sie in sein Reich zieht. Wenn sich der Vorhang hebt, ist man in diesem Reich angekommen. Nebelschwaden auf dem Bühnenboden erwecken den Eindruck eines Sees. Und hier erscheinen nun die Schwäne. Das Corps de ballet begeistert dabei mit grazilem Spitzentanz und eleganten Bewegungen. In ihrer Mitte schwebt Mika Yoneyama als Odette regelrecht über die Bühne. Die vier Schwäne (von links: Yurie Matsuura, Yulia Tikka, Yusleimy Herrera León und Yuki Kishimoto) Blair und Yoneyama finden anschließend in einem betörend schönen Pas de deux zueinander und gestehen einander ihre Liebe. Doch dieser Moment des Glücks wird von Rotbart gestört. Mit diabolischem Ausdruck gibt Moisés León Noriega den bösen Zauberer und begeistert mit kraftvollen Sprüngen. Mit expressiven Bewegungen bringt er Odette wieder in seinen Bann und entzieht sie Siegfrieds Blicken, der daraufhin weiter den See nach der Geliebten absucht, was Gelegenheit für den Auftritt der kleinen Schwäne gibt. Diese berühmte Nummer wird von Yusleimy Herrera León, Yuki Kishimoto, Yurie Matsuura und Yulia Tikka absolut synchron mit großer Variation präsentiert. Erneut trifft Siegfried im Rahmen der Schwäne auf Odette und schwört ihr ewige Liebe. Nur so kann der böse Zauber gebrochen werden. Doch Rotbart will den Prinzen erst noch auf die Probe stellen und entführt Odette erneut. Wieder schwebt Yoneyama wie hypnotisiert von der Bühne. Siegfried muss zunächst ins Schloss zurückkehren. Dort erwartet ihn ein groß angelegter Ball, auf dem er nach Wunsch seiner Mutter eine zukünftige Frau auswählen muss. Gal hat auch für den Schlosssaal ein wunderbares Bühnenbild mit hohen Toren entworfen. Hier stellen sich nun die einzelnen Kandidatinnen vor. Doch Siegfried lässt sich verständlicher Weise von keiner begeistern. Es folgen die diversen Nationaltänze, die Van Cauwenbergh mit viel Lokalkolorit und Liebe zum Detail umsetzt. Hervorzuheben ist der spanische Tanz mit der ausdrucksstarken Adeline Pastor und Aidos Zakan. Beim polnischen Tanz begeistern die drei Tänzerinnen und zwei Tänzer durch große Akrobatik, wenn ein Tänzer eine Tänzerin über seinen Kopf nach hinten wirft und der dahinter stehende Tänzer sie in perfekter Pose auffängt. Beim abschließenden russischen Tanz glänzen Armen Hakobyan durch kraftvolle Sprünge und Yanelis Rodriguez durch grazile Drehungen. Prinz Siegfried (Liam Blair) mit Odile (Mika Yoneyama) Dann zeigt Yoneyama ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit, wenn sie als dunkle Odile auftritt und den Prinzen verführt. Yoneyama findet hier bei aller Eleganz dennoch einen ganz anderen Ausdruck, der Odile deutlich von der "weißen" Odette unterscheidet. So hat das Pas de deux mit Blair hier eine ganz andere Ausprägung. Dennoch erliegt der Prinz dem Schwindel. Eingehüllt im Bühnennebel sieht man im Hintergrund eine verzweifelte Odette, die Siegfried an seinen Treueschwur zu erinnern scheint. Aber es ist zu spät. Siegfried entscheidet sich für Odile. Rotbart triumphiert und verlässt mit seiner Tochter höhnisch lachend den Saal. Siegfried eilt hinterher. Wieder wird der Übergang zwischen den beiden Akten mit beeindruckenden Videoprojektionen überbrückt, die eine verzweifelte Odette zeigen, deren Schicksal als Schwan nun besiegelt ist. Vom Tanz der Schwäne auf der Projektion geht das Bild mit Heben des Vorhangs in den realen Tanz über. Blair und Yoneyama haben erneut ein eindringliches Pas de deux, bevor Rotbart erneut Odette wegführt und Siegfried zu Boden wirft. Mit einem riesigen blauen Tuch, das Rotbart über die Bühne zieht, lässt er Siegfried in den Fluten versinken. Immer wieder taucht Siegfried aus dem wallenden Tuch auf und versucht, sich so aus den Fluten zu retten. Aber sein Kampf scheint vergeblich. Doch Van Cauwenbergh entscheidet sich für ein glückliches Ende. Wenn das Tuch in den Orchestergraben hinabgezogen wird, liegt Siegfried auf der Bühne und schläft. Schließlich war ja alles nur ein Traum. Das Mädchen im weißen Kleid tritt auf und kann nun doch seine Braut werden, während im Hintergrund die Schwäne auf der Bühne nach oben gefahren werden und der Blick auf den Schlosspark wieder freigegeben wird. Das Publikum überschüttet das Ensemble zu Recht mit frenetischem Applaus, in den sich auch Johannes Witt für die Essener Philharmoniker, der hervorragende Sologeiger Florian Geldsetzer und das komplette Regie-Team einreihen. FAZIT Das Aalto Ballett bietet mal wieder klassisches Handlungsballett mit Spitzentanz in Perfektion. Dieser Schwanensee hat Suchtpotential und dürfte für ständig ausverkaufte Vorstellungen sorgen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie
Bühnenbild und Kostüme
Videoprojektion
Licht
Dramaturgie
Essener Philharmoniker
Solovioline
*Premierenbesetzung
Odette / Odile
Siegfried
Benno
Rotbart
Königin
Diener / Hofmeister
Pas de trois
Walzer
Damen
Große Schwäne
Kleine Schwäne
Schwäne
Ungarischer Tanz
Spanischer Tanz
Italienischer Tanz
Polnischer Tanz
Russischer Tanz
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