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Kunst,
Politik, Liebe und ein tiefhängender Mond
Von Bernd Stopka / Fotos: Monika Rittershaus
Für die Oper Frankfurt hat Brigitte Fassbaender Capriccio inszeniert und ausdrücklich erklärt, dass es ihr nicht möglich sei, es ohne den historischen Kontext zu betrachten. Daher hat sie die Handlung in die Entstehungszeit, die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts verlegt, belässt es aber in Frankreich, stellt es in den Zusammenhang mit der deutschen Besatzung und der Frage, wie sich Künstler und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, in politisch problematischen Situationen verhalten: Kollaboration, Résistance, Libération? Das ist nicht neu und es stellt sich dabei auch immer wieder die Frage, wie weit man ein Werk für sich stehen lässt und wie wichtig einem die szenische Einbeziehung der Entstehungszeit und Rezeptionsgeschichte ist. Wenn man sie mitinszeniert, ist das eine Herausforderung, geradezu ein Spagat, der nicht immer gelingt – von Brigitte Fassbaender und ihrem Team in Frankfurt aber beeindruckend gemeistert wird. AJ Glueckert (Flamand), Daniel Schmutzhard (Olivier) und Camilla Nylund (Gräfin Madeleine) Die Szene spielt in einem Gewächshaus, vielleicht einer ehemaligen Orangerie, mit halbblinden Glasscheiben. Im Hintergrund eine Bühnenöffnung mit einem reich verzierten gemalten Samtvorhang, der in gleicher Form auch den großen Vorhang darstellt. Links ein Cembalo, in der Mitte helle, für die Zeit typische Korbsessel und rechts Koffer und Instrumentenkästen zur Abreise oder Flucht bereitgestellt. Während des mitinszenierten Streichsextetts, das, als kammermusikalischer Anteil des Werks, anstelle eines Vorspiels steht (auf das Strauss ja eh gern verzichtet hat), sitzt Flamand komponierend am Cembalo, Olivier dichtet am Tisch und ein kleiner Junge (laut Besetzungszettel der Sohn des Haushofmeisters) spielt mit einem Spielzeugpanzer, hebt den Arm zum deutschen Gruß und ruft auch mal „hui hui“ in die Musik. Die Kostüme verweisen uns in die beschriebene Zeit (Bühnenbild und Kostüme: Johannes Leiacker). Die Personenregie ist fein gearbeitet, Blicke, Berührungen und viele kleine Details lassen die Handlung ganz natürlich erscheinen, wie Oliviers allergische Reaktion auf die Blumen, die seine verflossene und nun verfeindete, aber doch immer noch geliebte Clairon mitgebracht hat (mit der er allerdings unschönerweise auch immer wieder die Musik verniest). Köstlich, wenn auch nicht librettogemäß, stottert sich der Graf durch Oliviers Dichtung, wofür ihn Flamand erst heimlich, dann ausbrechend auslacht. Und wenn Clairon sich darüber beklagt, dass in der Oper der Text immer schlechter ist als die Musik, entführt sie Olivier, der das als Dichter nicht hören mag, zum Tanz und bringt sie so zum Schweigen. Wenn er dann selbst der Gräfin sein Sonett mit Leidenschaft vorträgt, dreht er dem Konkurrenten Flamand den verlängerten Rücken ins Gesicht. In Verwirrung zwischen den sie liebenden Künstlern stehend, macht die Gräfin erst einmal zumindest äußerliche Ordnung und stellt die Stühle zurecht. Die hungrige italienische Sängerin packt die Kuchenreste in Zeitungspapier ein, die Tänzerin schwärmt für La Roche und zeigt dies auch mit Elementen modernen Ausdruckstanzes, die sie in ihren ansonsten klassischen Auftritt einfließen lässt. Diese und noch viele weitere köstliche Details machen den Abend zu einem Genuss, insbesondere für den, der den Text gut kennt – oder die Fähigkeit besitzt, schnell genug zwischen Übertexten und Bühnengeschehen hin und her zu schauen. Gordon Bintner (Der Graf), Tanja Ariane Baumgartner (Clairon), Alfred Reiter (La Roche), Camilla Nylund (Gräfin Madeleine), AJ Glueckert (Flamand) und Daniel Schmutzhard (Olivier) Ernster und bedrückender sind die Anteile, die sich auf die Entstehungszeit des Werks beziehen. Waffen, die in den Instrumentenkästen auf dem Gepäck versteckt sind, sind das Eine, die große La Roche-Szene ein Anderes. Während der altehrwürdige, selbstgefällige Theaterdirektor und Regisseur den Verfall des Niveaus in der Kunst besingt, sich darüber beklagt, dass dem Falschen, Verführerischen nachgelaufen wird, zeigt er eine Dia-Serie mit Monumentalbauten und Massenveranstaltungen der Nazi-Zeit und so bezieht sich seine Klage nicht nur auf die Kunst, sondern auch auf die Politik und stellt beides in einen bedrückenden Zusammenhang. Unwillkürlich fühlt man sich an Sachsens Schlussansprache in den Meistersingern erinnert. Brigitte Fassbaender geht hier aber noch weiter und zeigt die Auswirkungen und Folgen mit Kriegs- und Elendsbildern, die wie eine überrollende Welle über die ganze Bühne projiziert werden. Das ist erschreckend und schrecklich, aber regiehandwerklich gut gemacht. Selbst wenn einzelne Momente wie der Hitlergruß, den der kleine Junge und später auch einmal Olivier zeigt, den Zuschauer zusammenzucken lassen, gelingt es Brigitte Fassbaender doch ausgesprochen geschickt, die ihr wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen ohne Holzhammer zu stellen und zumindest für die Gräfin mit einem unglaublich starken Schlussbild eine Lösung zu finden. Zur Mondscheinmusik schließt sich der Vorhang und danach sieht man die in die Tiefe der Bühne erweiterte perspektivisch geradezu atemberaubend lange Orangerie mit der kleinen Theaterbühne weit im Hintergrund. Von außen werden Libération-Plakate gegen die Scheiben gehalten. Plakate, die der Gräfin vorher schon einmal gezeigt worden sind und die sie abgesegnet hat. Madeleine trägt ein Rokokokostüm, dass sie zum Ende ihrer großen Szene ablegt und dann verletzlich im Unterrock dasteht. Es scheint, als ob sie sich von den erörterten Fragen über die Kunst und die Liebe schmerzlich verabschiedet und sich einer anderen Aufgabe zuwendet. „Gibt es einen Schluss, der nicht trivial ist“ fragt sich die Gräfin, Strauss und Krauss antworten augenzwinkernd trivial mit „Das Souper ist serviert“, Brigitte Fassbaender interpretiert den Satz als Codewort: Der Haushofmeister reicht Madeleine einen Herrenmantel und eine Kappe, sie verabschiedet sich herzlich von ihren Dienern, die mit dem Gepäck bereitstehen und verlässt die Bühne im Marlene Dietrich-Look, der alles sagt. Sie hat ihren Weg gefunden. Camilla Nylund (Gräfin Madeleine) und Gurgen Baveyan (Der Haushofmeister) Musikalisch gibt es zu Beginn einige Probleme mit der Balance zwischen Graben und Bühne, die erst nach einer gewissen Zeit harmonisch zusammenfinden. Das Streichsextett nimmt Frankfurts GMD Sebastian Weigle recht rasch, kann sich aber auch damit nicht gegen die Ablenkung durch das Bühnengeschehen während des mitinszenierten Vorspiels behaupten. Doch im Laufe des Abends fügt sich zusammen, was zusammengehört, im Parlando ebenso wie in den vertrackten Ensembles und gipfelt im schwelgerischen Finale, nachdem Frau Luna in der Mondscheinmusik doch recht tief über der Erde hing. Das hat man schon überirdischer, geheimnisvoller, üppiger gehört. Der sachlichere Ansatz ist hier aber durchaus regieadäquat zu verstehen. Mit Camilla Nylund ist die Gräfin Madeleine luxuriös besetzt, ihr vielfarbig blühender, auch im Parlando klangvoller Sopran bewegt sich auf dem sicheren Boden einer ausgereiften Technik und der Kunst, die Kräfte für diese umfangreiche Partie klug einzuteilen. In ihrem großen Finale gibt sie dann aber alles und begeistert restlos. Als ihr Bruder vermag Gordon Bintner den stürmischen Verliebtheitsüberschwang des Grafen (in Clairon und in sich selbst) auch stimmlich mit Leidenschaft umzusetzen, bleibt dabei aber immer kultiviert, ebenso wie Daniel Schmutzhard als Olivier mit volltönendem und doch flexiblem Bariton. AJ Glueckert hat für den Flamand einen etwas zu schweren Tenor, kann sich im Laufe des Abends aber freier singen und mit exponierten Tönen auftrumpfen. Für den La Roche wünscht man sich einen satten Bass mit hoher Stimmkultur, der die Komik, sich selbst zu ernst und wichtig zu nehmen und die gemütliche Weisheit, an richtiger Stelle kluge Dinge zu singen, mit Wohlklang und Wortverständlichkeit gestalten kann. Für Alfred Reiters flackerhaft und nicht sehr groß klingenden Bass lassen sich sicher passendere Partien finden. Tanja Ariane Baumgartner ist eine gewitzte und berechnende Clairon mit verführerischer Stimmschönheit. Gurgen Baveyan lässt mit seinen kurzen, aber prägnanten und stimmstarken Einwürfen als Haushofmeister aufhorchen, Sydney Mancasola beeindruckt als italienische Sängerin neben Mario Chang, der die Partie des italienischen Sängers karikierend stemmt. Der entzückende Auftritt Katharina Wiederhofers als regielich aufgewertete Tänzerin ist ebenso ein Schmankerl wie die Szene des Diener-Oktetts, die bestens aufeinander abgestimmt ihre Sicht der Dinge harmonisch und vollklingend zum Besten geben. Mit einem Kabinettstückchen der besonderen Art wartet Graham Clark als Monsieur Taupe auf. Die unglaubliche Bühnenpräsenz dieses Musterbeispiels und Altmeisters eines Charaktertenors ist ungebrochen, ebenso wie seine Stimmkraft, mit der er an Mimes Jammern erinnernd den vergessenen Souffleur wundervoll charakterisiert. FAZIT Eine überzeugende szenische Umsetzung dieses großartigen, viel zu selten gespielten Werkes, die nachvollziehbar, aber nicht zu aufdringlich und auch nicht auf Kosten des großen Gesamtkunstwerkes Fragen und Konflikte von Kunst und Politik anspricht. Musikalisch bleibt noch etwas Luft nach oben, was sich im Laufe der Folgeaufführungen aber beheben lässt. Camilla Nylund als Gräfin und Graham Clark als Monsieur Taupe ragen aus dem Sängerensemble hervor, das ansonsten überwiegend gut bis adäquat besetzt ist.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme Licht Dramaturgie
Kinderstatisterie der Oper Frankfurt Frankfurter Opern- und SolistenDie Gräfin Der Graf Flamand Olivier La Roche Clairon Monsieur Taupe Eine italienische
Sängerin Ein italienischer Sänger
Der Haushofmeister Diener Tänzerin Kind des Haushofmeisters
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