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Musiktheater
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Der Vetter aus Dingsda

Operette in drei Akten
Libretto von Hermann Haller und Rideamus nach einem Lustspiel von Max Kempner-Hochstädt
Musik von Eduard Künneke

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus im MiR am 9. Februar 2018

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Musiktheater im Revier
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Gähnende Langeweile im Altenheim

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann

Operetten zählen, wenn sie gut gemacht sind, wie Musicals zu den Produktionen, die in den Stadttheatern häufig für ausverkaufte Vorstellungen sorgen und eine preisgünstige Alternative zu den wesentlich teureren kommerziellen Musicalveranstaltungen bieten. Umso überraschender war man vielleicht, dass sich das Musiktheater im Revier entschieden hat, Eduard Künnekes mit zahlreichen Ohrwürmern gespickte Operette Der Vetter aus Dingsda im Kleinen Haus zu spielen, da das Stück trotz aller Trivialität der Handlung durch die eingängigen Melodien das Zeug zu einem Publikumsmagneten hat. Erinnert man sich jedoch an Carsten Kirchmeiers recht freien Umgang mit der Fledermaus vor zwei Jahren, die ebenfalls mit einem Salonorchester im Kleinen Haus gespielt wurde (siehe auch unsere Rezension), hätte man vielleicht bei dieser Entscheidung stutzig werden sollen. Doch was Rahel Thiel, die die Fledermaus-Inszenierung als Regieassistentin begleitete, jetzt aus Künnekes Vetter macht, übertrifft die schlimmsten Befürchtungen und wirft die Frage auf, wieso man das Stück überhaupt spielt.

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Julia (Anke Sieloff, links) und Hannchen (Christa Platzer, rechts) warten im Altenheim auf ihren Traumprinzen.

Frau Thiel spitzt in ihrem Regie-Ansatz den Zustand des Wartens zu, indem sie aus den sieben Jahren, die Julias Vetter Roderich in Batavia verweilt, kurzerhand 70 Jahre macht. Nach diesem Zeitraum befinden sich die Protagonisten des Stückes allesamt in einem Altenheim. Man fragt sich zwar, wieso Onkel Josef und Tante Wimpel nicht wesentlich älter sind als ihr Mündel Julia, aber solch beckmesserische Fragen darf man bei modernem Regietheater ja nicht stellen. In dieser Ausgangssituation hätte man vielleicht die Geschichte noch erzählen können, aber auch das lehnt Frau Thiel ab. Stattdessen streicht sie sämtliche Zwischendialoge, die eigentlich mit den musikalischen Nummern eine untrennbare Einheit bilden, so dass jemand, der das Stück überhaupt nicht kennt, keine Chance hat zu verstehen, worum es hier eigentlich geht. Dafür wartet der Zuschauer beim Ticken einer Uhr eine gefühlte Ewigkeit, bis das Stück endlich beginnt, während Hannchen (Christa Platzer) ständig kleine blaue Kissen auf dem Sofa neu drapiert und Egon von Wildenhagen (Urban Malmberg) mit einem Blindenstock mehrmals die kreisrunde und leicht angeschrägte Bühne bis zum Rand abschreitet und einen auf der linken Seite positionierten Fernseher wahlweise an- und dann wieder abschaltet. Es folgen völlig sinnfreie Wortbeiträge der einzelnen Protagonisten, in denen sie wie in einem Kreativ-Workshop ein positives und ein negatives Attribut nennen, das mit dem gleichen Buchstaben beginnt wie der Name des Liebsten.

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Tante Wimpel (Gudrun Schade) und Onkel Josef (Joachim Gabriel Maaß, vorne rechts) nehmen den Fremden (Cornel Frey, vorne Mitte), hinter dem sich eigentlich ihr Neffe August Kuhbrot verbirgt, in die Mangel (im Hintergrund rechts beim Boxkampf: Karl (Sebastian Schiller) und Hans (Ingo Schiller)).

Die schmissigen Lieder werden wie in einer Nummernrevue zusammenhanglos aneinandergereiht. Zwar gelingt es Thomas Rimes mit dem fünfköpfigen Salonorchester musikalisch die Spritzigkeit der einzelnen Ohrwürmer herauszuarbeiten. Ein Teil des Publikums fängt sogar beim "armen Wandergesell" selbstvergessen an mitzusingen. Aber zwischen den Liedern wird man immer wieder aus dem Fluss der Geschichte gerissen und schleppt sich gelangweilt zur nächsten Musiknummer. Wenn sie dann auch noch wie bei Julias "strahlendem Mond" immer wieder im Ansatz gestoppt wird, indem Julia ihre Hand von dem überdimensionalen grauen Ball auf der Bühne, der den Mond symbolisieren soll, wegzieht, schlägt die Langeweile bereits in Ärger um. Die beiden Dienstboten Hans (Ingo Schiller) und Karl (Sebastian Schiller) fungieren als Pfleger oder Ärzte in dem Altenheim, deren Hauptaufgabe darin besteht, den anderen Figuren Tabletten und Alkohol einzuflößen, da der Blödsinn auf der Bühne sonst kaum zu ertragen wäre. Auch dass sich die beiden bei einer Musiknummer attackieren, dann von der Bühne robben und später wie siamesische Zwillinge in einem weißen Kittel wieder auftauchen, gehört zu den zahlreichen sinnfreien Einfällen des Abends.

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Gymnastikübungen im Altenheim zu "70 Jahre lebt' ich in Batavia": von links: Tante Wimpel (Gudrun Schade),  Fremder (Cornel Frey) und Julia (Anke Sieloff)

Der erste Fremde (Cornel Frey), hinter dem sich eigentlich Josefs Neffe August Kuhbrot verbirgt und der sich aus Liebe zu Julia als ihr lang ersehnter Roderich ausgibt, wird von den beiden Pflegern als neuer Insasse ins Altenheim hereingeführt und scheint offensichtlich unter anderem an Parkinson zu leiden. Wieso er jedoch wie ein Disco-König der 70er Jahre in weißem Anzug mit durchsichtigem Hemd und gold glitzernden Haaren auftritt, bleibt völlig unverständlich. Statt eines Gesprächs mit Julia (Anke Sieloff) wiederholen die beiden lediglich gefühlt 100 Mal ihre Namen mit wechselnder Intonation. Wenn es dann mit "70 Jahre lebt' ich in Batavia" in die Pause geht, fragt man sich als Zuschauer, was wohl im zweiten Teil noch kommen kann. Beim Auftritt des zweiten Fremden (Tobias Glagau) weiß man nun gar nicht mehr, wohin Frau Thiel mit ihrer Inszenierung eigentlich hinsteuert. Der wahre Roderich erscheint in einem bunten Kostüm als junger Mann, der von einem Blütenmeer überschüttet wird, und passt überhaupt nicht in diese Altengesellschaft. Der die Bühne einrahmende Vorhang fällt mit Roderichs Auftritt. Völlig unglaubwürdig ist das zarte Band, das sich nun zwischen Hannchen und Roderich entspannen soll, da sich der junge Mann wohl kaum zu einer alten, leicht verwirrten Dame hingezogen fühlt, die seine Schuhe mit Blütenblättern füllt und über die Bühne trägt.

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Auftritt des "richtigen" Roderich (Tobias Glagau) (links daneben auf dem Sessel: Hans (Ingo Schiller) und Karl (Sebastian Schiller))

Das glückliche Ende für die beiden liebenden Paare fehlt natürlich auch, da durch das Streichen der Dialoge jegliche Handlung sowieso zum Erliegen gekommen ist. Hätte man nur die Lieder, die von den Solisten allesamt überzeugend vorgetragen werden, in direkter Abfolge gebracht, wäre der Abend höchstens halb so lang gewesen. Den Zustand des Wartens hätte man auch auf die Spitze treiben können, ohne das Stück sinnfrei auszudehnen. Auf diese Weise entsteht nur gähnende Langeweile über einen völlig uninspirierten Regie-Ansatz, was sich in vereinzelten Unmutsbekundungen für das Regie-Team und dem recht kurzen und höflichen Applaus nach der Vorstellung äußert. Viele Besucher dürften sehr enttäuscht das Theater verlassen haben, weil ihre Erwartungen und Hoffnungen auf einen kurzweiligen Theaterabend nicht erfüllt worden sind.

FAZIT

Wenn man der Unterhaltungswert einer Operette nicht traut und auch keine Idee hat, sich damit kritisch auseinanderzusetzen, sollte man besser die Finger davon lassen, als das Publikum mit einem uninspirierten Ansatz zu langweilen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Rimes

Inszenierung
Rahel Thiel

Bühne und Kostüme
Elisabeth Vogetseder

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Gabriele Wiesmüller

 

Salonorchester
Violine
Ralf Perlowski

Cello
Katrin Geelvink

Klarinette
Tim Kieselhofer

Kontrabass
Atsuhiko Iwabuchi

Orchesterschlagzeug
Karl Övermann

 

Solisten

Julia de Weert
Anke Sieloff

Hannchen, ihre Freundin
Christa Platzer

Josef Kuhbrot, ihr Onkel
Joachim Gabriel Maaß

Wilhelmine, genannt Wimpel, seine Frau
Gudrun Schade

Egon von Wildenhagen
Urban Malmberg

Ein Fremder
Cornel Frey

Ein zweiter Fremder
Tobias Glagau

Hans
Ingo Schiller

Karl
Sebastian Schiller

 

 


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