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Du sollst Dir ein Bild machen
Von Stefan Schmöe
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Fotos: Pedro Malinowski
Ein biblisches Sujet zum Weihnachtsfest - da ist Jesus Christ Superstar ja gerade richtig. Oder auch nicht, könnte man denken, denn dieses als von seinen Schöpfern als "Rockoper" bezeichnete Werk behandelt ja nicht die Geburt, sondern die Kreuzigung und die Tage davor - ein Passionsstück also. Im Lauf des Kirchenjahres geirrt hat sich Intendant Michael Schulz, der selbst Regie führt, aber keineswegs, ganz im Gegenteil (wobei freilich auch nur die Premiere vor Weihnachten liegt). Schulz stellt in seiner Inszenierung die ganz großen Fragen: Was bedeutet uns die Passion Christi heute? Wie gehen wir modernen Menschen damit um?
Weihnachten als das Hohefest des Kaufrauschs - da bekommt Jesus einen formidablen Wutanfall.
Zwei junge Männer liegen entspannt auf der Bühne, das werden Jesus und Judas sein, und blättern in einer Bibel. Was folgt, kann man als Gedankenspiel auffassen: Was wäre, wenn Jesus heute leben würde? Die beiden spielen das durch, und so sieht man die Passionsgeschehen im Blickwinkel der Generation Handy (und der Dauerblick auf selbiges wird später in einer Szene umgedeutet zur modernen Variante des Erblindens). Schulz erzählt keine durchgehende Geschichte, sondern legt vor allem den ersten Akt als eine lose Folge von Bildern an. Da sieht man etwa die Radikalisierung der Anhänger Jesu bis hin zur Bewaffnung mit Maschinengewehren, während die Szene im Tempel eine schrille Weihnachtsrevue mit weiblich-sexy Nikoläusinnen und einem totalen Konsumrausch ist - beides als falsche Vereinnahmungen des Christentums angeprangert. Michael Schulz' donnerndes Wort zum Weihnachtssonntag sozusagen.
Das letzte Abendmahl: Die Darstellung von Leonardo da Vinci schwingt als Schattenriss mit; wenn sich aber heute 13 junge Männer verabreden, gibt's Bier statt Wein.
Eine der zentralen Fragen lautet: Welches Bild machen wir uns von Jesus? Das Bühnenportal wird gerahmt von zwei Informationstafeln zum Turiner Grabtuch, wie man sie ein einer wissenschaftlichen Ausstellung finden könnte (Ausstattung: Kathrin-Susann Brose). Das darf man wohl deuten als Chiffre für das Spannungsfeld zwischen Glauben und wissenschaftlichem Nachweis und ebenso als Aufforderung zur Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit, wie es auch die Künstler aller Zeiten getan haben. In einer Szene werden verschiedene Christusdarstellungen aus unterschiedlichen Epochen der bildenden Kunst gezeigt (und das schlägt eine interessante Brücke zu Michael Schulz' Inszenierung von Hindemiths Mathis der Maler, wo die Regie bemerkenswerterweise auf gegenständliche Malerei und insbesondere den Isenheimer Altar, um den es dort letztendlich ging, verzichtete, und deshalb ist das mehr als eine Pointe am Rande). Und das Bild unserer Gegenwart? Eine Variante ist die schrille Verklärung zum "Superstar" in bester Partylaune, wie man sie hierzulande in manchen Freikirchen erleben kann, und dafür wird das Musiktheater im Revier kurzzeitig zur Diskothek. Zum letzten Abendmahl gibt's Bier aus der Flasche. Am Ende steht aber das geradezu klassische stille Bild des Gekreuzigten (dafür wird ein Statist an ein riesiges Kreuz gebunden), aber auch das bleibt Klischee.
Jesus vor Pilatus
Vor diesem Hintergrund der Deutungsmuster arbeitet Schulz das individuelle Leiden Jesu umso schärfer heraus, und die Folterszenen gehen unter die Haut. Parallel dazu wird durch die Figur des Judas die Frage nach individueller Schuld gestellt: Judas erkennt, dass die Heilsgeschichte nur durch die Kreuzigung ihren Sinn erhält, und einer muss daher der Verräter sein - jemand wie der naive Petrus ist dazu ungeeignet, und also muss Judas handeln. Gleichzeitig betont Jesus immer wieder, dass alles vorbestimmt ist, was Judas' freien Willen gleich wieder infrage stellt. Mit Henrik Wager als Jesus und Serkan Kaya als Judas stehen zwei charismatische und stimmgewaltige Darsteller auf der Bühne, beide auf ihre Art Sympathieträger, und die beiden tragen die Regie (die sich mitunter am Rand zur Überfrachtung bewegt).
Jesus und Judas schlagen nach: Wie steht'Äs noch gleich in der Bibel?
Recht blass bleibt die Figur der Maria Magdalena, obgleich von Theresa Weber mit ausdrucksstarker Stimme schön gesungen. Die Regie stellt sie nicht als Prostituierte dar, sondern als nette junge Frau, aber dadurch ist sie im Grunde überflüssig. Der kleinwüchsige Rüdiger Frank legt eine grandios schräge Revuenummer als Herodes hin, Edward Lee gibt einen sehr präsenten und aggressiven Pilatus, der im Übrigen seine blutigen Hände nicht wäscht. Die Gegenspieler Jesu sind allesamt Anzugträger und zeichnen sich durch hohe Gewaltbereitschaft aus. Joachim Gabriel Maaß als Kaiphas und Ingo Schiller als Annas machen ihre Sache in diesem Sinne sehr ordentlich. Die Choreographie von Paul Kribbe arbeitet geschickt mit einem kleinen Ensemble aus Tänzerinnen, dem guten Chor und der Statisterie des Hauses. Aus dem Orchestergraben erklingt eine reduzierte Fassung für eine (um Horn und Trompete erweiterte) Rockband, wobei die synthetischen Streicher aus dem Lautsprecher ziemlich dünn klingen und das Klangbild überhaupt ein wenig flach wirkt. Heribert Feckler dirigiert umsichtig, könnte manche Nummer dabei pointierter und weniger glatt interpretieren.
Glaubenssachen: Michael Schulz inszeniert Jesus Christ Superstar als gewaltige (und mitreißende) Predigt, getragen von den grandiosen Darstellern Henrik Wager und Serkan Haya.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreographie
Licht
Ton
Chor
Dramaturgie
Solisten
Jesus
Judas
Maria Magdalena
Pilatus
Kaiphas
Petrus
Simon
Herodes
Annas
Priester
Soulgirls
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