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Musiktheater
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Nabucco

Oper in vier Akten
Libretto vom Temistocle Solera
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheater im Revier am 16. Juni 2018


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Musiktheater im Revier
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Und wer bitte sind hier die Guten?

Von Stefan Schmöe / Fotos kommen später

Nabucco wird mehr vom Publikum geliebt als von den Intendanten. Jedenfalls gibt es gefühlt ständig irgendwo eine Open-Air-Produktion des Werkes, an den Stadttheatern aber fristet die Oper eher ein Schattendasein, verglichen mit der viel gespielten Traviata. Schwierige (und folglich schwer zu besetzende) Gesangspartien und ein recht holzschnittartiger Aufbau, auch die bei allen Qualitäten eben doch recht konventionelle Musik mögen da entscheidende Gründe sein. Jetzt aber spielen gleich drei Bühnen in der Rhein-Ruhr-Region eben diese Oper. Begonnen hat das Theater Dortmund mit einer höchst umstrittenen Inszenierung von Jens-Daniel Herzog (unsere Rezension), jetzt zieht das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier nach; das Theater Krefeld-Mönchengladbach wird eine Woche später folgen. Ist an Nabucco doch etwas dran, was uns ganz aktuell jenseits der Wunschkonzert-Momente interessieren könnte?

Szenenfoto kommt später

So war's früher: Nabucco mit Lieblingstochter Fenena

Regisseurin Sonja Trebes verlegt, wie ihr Kollege in Dortmund, das Geschehen in eine (hier nicht näher spezifizierte) Gegenwart. Ein paar Stufen führen bildmächtig durch ein mit bei Bedarf gleißenden Leuchtstäben umrandetes Bühnenportal zur meist leeren und nur mit den notwendigsten Requisiten ausgestatteten Spielfläche (Bühne: Dirk Becker). Das ist ein abstrakter Raum weit weg vom Historiendrama mit viel Freiheit für die unterschiedlichsten Assoziationen. Zu genau will die Regisseurin sich auch nicht festlegen und erzählt gleich mehrere Geschichten. Die erste handelt von einem Vater (Nabucco) mit zwei sehr unterschiedlichen Töchtern, der sanften Fenena und der burschikosen Abigaille, die als Mischung zwischen Soldatin und Amazone dem Vater viel ähnlicher als die Schwester, aber weniger geliebt wird. Man sieht zur Ouvertüre die beiden Mädchen als Kinder, und die kleine Abigaille geistert fortan durch das Stück hindurch. In dieser Lesart ist die Oper ein Familiendrama, das von den verzweifelten Versuchen Abigailles erzählt, die Liebe des Vaters zu gewinnen - oder sich gewaltsam von der Familie zu emanzipieren. Einmal sieht es so aus, als töte sie das vaterliebende Kind in ihr, aber auch das vergeblich. Das Ende bleibt offen. Das Gift, das sie trinkt, ist ein Zitat, ein Symbol für die Zerrissenheit. Keine Leiche auf der Bühne: Abigaille, nach der diese Geschichte benannt sein müsste, geht nach hinten ab.

Szenenfoto kommt später

Zaccharia und die Hebräer

Den Lear hat Verdi bekanntlich nicht vertont, auch wenn er sich intensiv mit solchen Plänen beschäftigt hat. Nabucco, das ist die Kehrseite der Abigaille-Geschichte, ist ein Verwandter des irren Königs. Die Regisseurin lässt ihn seinen Königsmantel hinschmeißen wie Shakespeares Lear die Macht den Töchtern hinwirft, sie lässt den Rationalisten unheilbar irre werden (auch wenn das Libretto das anders vorsieht). Wenn er nach einem Schwert verlangt, reicht man ihm einen Besen. Nur ist von Lears Cordelia nicht viel geblieben, denn es ist ausgerechnet Fenena, die von hinten auf ihn schießt, nicht tödlich, er wird schließlich noch zwei Akte benötigt. Den Blitz vom Himmel, der Nabucco laut Libretto in den Wahnsinn treibt, deutet die Regie in einen versuchten Vatermord um. Nabucco-Lear bleibt am Ende traurig auf der Treppe sitzen, einsam und irre, einelost person.

Szenenfoto kommt später

Geplatzter Traum: Abigaille findet den Beweis, dass sie Tochter einer Sklavin ist und keinen Anspruch auf den Thron hat

Und dann ist da natürlich die politische Lesart: Ein (Religions-)Konflikt zwischen Babyloniern und Hebräern. Einmal deutet die Regie im Halbdunkel die Ruinen von Ground Zero an, hält sich ansonsten aber, was die oft kritisierte blutige Seite des Librettos betrifft, auffallend zurück. Am Anfang des Stückes schneidet Nabucco einem jungen Mann die Kehle durch, ansonsten wird auf die Darstellung von Gewaltakten verzichtet. Wut und Raserei des Eroberers bleiben Behauptung; tatsächlich ist die Figur recht unterkühlt gezeichnet - und bleibt eine Leerstelle in der Regie. Die politischen Akteure sind andere, bei den Hebräern der dämonisch-virile Hohepriester Zaccaria, bei den Babyloniern der mephistofelische Oberpriester des Baal. Konkrete religiöse Ausdeutungen vermeidet Sonja Trebes; verschiebt die Akzente dagegen vorsichtig in Richtung der 1920er-Jahre. Die Babylonier sind eine wilde Spaßgesellschaft, die ganz vorsichtig an die Berliner Nachtklubs der "goldenen Zwanziger" denken lassen; die sektiererischen Hebräer singen ihr berühmtes "Va pensiero" ("Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln") zwar noch als Chor der arbeitenden Bevölkerung in Alltagskleidung, im Finale wähnt man sich dann aber beim "Bund deutscher Mädel" in akkuraten weißen Blusen mit Fenena als sehr blonder Vorzeigefrau. Ein happy end nur nach dem Geschmack der ewig Gestrigen. Dass es in dieser Inszenierung ganz aktuell um unser Land geht, macht der Krönungsmantel deutlich: Schwarze Trensen auf rotem Stoff, goldenes Futter. Die raffinierten Kostüme (Britta Leonhardt) haben es in sich. (Ein bitterer Nebengeschmack bleibt freilich, wenn die gedankliche Linie ausgerechnet von den Hebräern zu Hitlers Jugendorganisation führt.)

Szenenfoto kommt später

Kein göttlicher Blitz, sondern eine Beziehungstat: Fenena schießt auf Nabucco

Zu den Vorzügen der Regie gehört, diese Assoziationsvielfalt anzubieten, ohne allzu reißerisch aufzutreten. Dafür nimmt sie manches statische Tableau in Kauf: In den Arien und Ensembles herrscht oft Stillstand, was den Sängerdarstellern sicher entgegen kommt. Bastiaan Everink gibt einen jugendlichen, recht hell timbrierten Nabucco mit großer Durchschlagskraft. Sehr akzeptabel schlägt sich Yamina Maamar in der höchst anspruchsvollen Partie der Abigaille, ohne die ganz große dramatische Attitüde zwar, aber expressiv gesungen. Anke Sieloff ist eine lyrische, stimmlich ein wenig unscheinbare, aber solide Fenena, Martin Homrich singt ihren Liebhaber Ismaele mit geschmeidigem, mitunter etwas unbestimmten Tenor. Großartig Luciano Batanic als Zaccaria mit düsterem Bass in der tiefen Lage und schön ausgesungenen (und dadurch nicht so düsteren) Spitzentönen. Ganz ausgezeichnet singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Alexander Eberle), sehr nuanciert und bei aller Wucht nicht massig. Giuliano Betta am Pult der klangschönen und aufmerksamen Neuen Philharmonie Westfalen dirigiert einen feinfühligen Verdi der Zwischentöne und umschifft die allzu reißerischen Momente ebenso sicher wie das "Um-ta-ta" in der Orchesterbegleitung - ein starkes Plädoyer für den "frühen" Verdi.


FAZIT

Nicht alle Probleme des arg schematischen Librettos kann die Regie lösen, bietet aber bildmächtig eine Reihe spannende Assoziationen - das ist allemal sehens- und auch hörenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Betta

Inszenierung
Dirk Becker

Bühne
Sonja Trebes

Kostüme
Britta Leonhardt

Licht
Patrick Fuchs

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna Grundmeier



Statisterie
des Musiktheater im Revier

Opernchor und Extrachor
des Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Nabucco
Bastiaan Everink

Ismaele
Martin Homrich

Zaccaria
Luciano Batinic

Abigaille
Yamina Maamar

Fenena
* Anke Sieloff /
Lina Hoffmann

Oberprister
* Dong-Won Seo /
Michael Heine

Abdallo
Tobias Glagau

Rahel
Shixuan Wei



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