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Flöte ohne Zauber oder
Kinder an die Macht Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg Keine andere Oper wird im deutschsprachigen Raum so häufig gespielt wie Die Zauberflöte, die für viele Menschen den Einstieg in die Welt des Musiktheaters bildet. Das mag daran liegen, dass diese von Mozart und Schikaneder „gemeinsam fleißig durchdachte Oper“ (Schikaneder) so leicht und liebenswert erscheint und doch so viel Tiefsinn unter der Oberfläche bereithält. Die Zauberflöte ist eine Oper, die man erleben und genießen kann, die verzaubern und beglücken kann, ohne dass man viel über ihre Geschichte, ihre Hintergründe und ihre Symbolik weiß. Aber wer etwas tiefer einsteigen möchte, erkennt, dass Mozart und Schikaneder mit der Zauberflöte Tiefsinn und Volkstümlichkeit kombiniert und mit Liebenswürdigkeit, ohne erhobenen Zeigefinger, Ideale unter das Volk gebracht haben, die ihren Ursprung zum großen Teil im freimaurerischen Gedankengut haben. Dabei handelt es sich nicht um das Verraten von Geheimnissen dieses Männerbundes, sondern um das Weitertragen seiner Ideale in die Welt. Simon Bode (Tamino, l.), Matthias Winckhler (Papageno) Wenn
eine Oper so oft inszeniert wird, ist die
Herausforderung an das moderne Regietheater
groß. Der Drang, etwas anders zu gestalten,
als es das Libretto vorgibt, ist ungebrochen.
Zuweilen werden ursprüngliche Gedanken
hervorgehoben und verdeutlicht, wenn man sie
ins Gegenteil verkehrt – ein Klassiker des
modernen Regietheaters, der immer wieder
bemüht wird, aber nur selten gelingt. Frank
Hilbrich versucht in seiner Neuinszenierung
für die Staatsoper Hannover die spielerische
Leichtigkeit zu behalten, während er die
Geschichte mit umgekehrten Vorzeichen erzählt,
ihr bedeutsame Dimensionen und Symbole
hinzufügt und für die von ihm beleuchtete
Problematik auch eine Lösung vorstellt. Eine
große Idee, die manch schönes Details
hervorbringt, im Großen und Ganzen aber nicht
funktioniert. Athanasia Zöhrer (Pamina) Die Königin der Nacht ist ein armes Opfer. Ihre erste Arie beginnt sie am Boden liegend, unter einem riesigen Spiegel, der sie optisch in die Horizontale bringt und zeigt, dass sie auf zerbrochenen Spiegelteilen liegt, eines davon wird sie Pamina später wütend als Waffe gegen Sarastro anbieten, doch jetzt ist sie eine traurige Mutter, die Tamino geschickt umgarnt. Ein Scheinwerfer blendet das Publikum und deutet an, dass die Sonne in die Nachtwelt nur gespiegelt werden kann und nicht original scheint. Im zweiten Akt ist sie von tiefen Schnittwunden übersäht, ein Schatten ihrer selbst und wie ein gequältes Tier rasend vor Wut. Sarastro ist nicht so gut, dass einem schlecht wird, sondern so widerlich, selbstgefällig, sektiererisch und cholerisch, dass man sich übergeben möchte. Auch er trägt tiefe Narben und einen Amfortas-Wunden-Verband unter seinem Mantel. Die Ordnung wird als Zwang dargestellt, die Sonnenwelt ist schwarz und düster, unter der schwarzen Kleidung, die je nach Erleuchtungsgrad etwas heller grau ist, schauen weiße Kragen hervor – das Potential zum Licht ist also noch da (Kostüme: Julia Müer). Die Strahlen der Sonne, die hochbesungen die Nacht vertreiben, sind grelle Scheinwerfer, die das Publikum blenden und nichts Positives verbreiten. Dem Chor sind die Hände auf dem Rücken gefesselt, doch er wird im Finale von der wuseligen bunten Kinderschar befreit. Kinder an die Macht. Macht alles anders. Ein oberflächlich schöner Gedanke, aber ist das nicht viel zu kurz und einfach gedacht? Die drei Damen der Königin sind kunterbunt gekleidet, sind der Halbwelt entsprungen und scheinen eine Affinität zu Schlangen zu haben, denn die Stoffe ihrer Kleider sind schlangenhautgemustert. Sie kriechen unter Taminos Bett hervor (wo sich in Kinderzimmern doch eigentlich immer die Monster befinden) und befreien den im Bett liegenden, albträumenden Tamino von einer Plüschschlange. Der ist ein kleiner Feigling, der im Laufe des Abends zu einem jungen Mann heranreift. Glücklicher wird er indes nicht, wenn er den Mantel der Geweihten über sein T-Shirt mit Schlangenaufdruck zieht. Papageno wird im Laufe des Abends seines Federkleides beraubt und so immer mehr zum Menschen, sein T-Shirt trägt den irreführenden Aufdruck „REBEL BIRD". Im „Mann und Weib“-Duett zieht ihm Pamina die Federärmel aus, woraus sich ein hocherotischer Moment entwickelt, der auf dem Bett endet unter dessen Bettdecke Papageno das Mädchen vor Monostatos‘ Zudringlichkeiten gerettet hat. Der sieht aus wie ein schwarzer Reptil-Mensch, der auch einem Fantasy-Comic entsprungen sein könnte. Nachdem die Königin der Nacht Pamina zum Mord an Sarastro aufgefordert hat, versucht er, Pamina wie die Schlange im Paradies mit einem Apfel zu verführen, was erfolglos bleibt und in einem Vergewaltigungsversuch endet. Es gibt einige eindeutig sexuelle Anspielungen in dieser Inszenierung, die nicht nötig sind und dem Niveau schaden. Athanasia Zöhrer (Pamina, l.), Dorothea Maria Marx (Königin der Nacht) Die Inszenierung ist im Detail handwerklich gut gearbeitet, Aktionen und Reaktionen stehen in logischen Zusammenhängen. Die Personenregie wartet einerseits mit aktionsreichem Spieltempo auf und andererseits mit langen Generalpausen, die den Fluss hemmen. Die Dialoge haben Schauspielniveau, selten hat man sie so glaubwürdig (und verständlich!) gesprochen gehört. Beim zweiten Auftritt der drei Damen wirken die stilistischen Elemente aus dem Sprechtheater allerdings etwas überzogen bedeutungsheischend, wenn sie erst chaotisch durcheinanderreden, eh sie eine Ordnung zum Sprechen finden. Die Texte sind leicht modernisiert und werden auch immer mal wieder jemand anderem in den Mund gelegt, als es das Libretto vorgibt. So fragt zum Beispiel nicht der Sprecher, sondern Papageno Sarastro, ob Tamino den Prüfungen wohl standhalten wird und Tamino weist den sich um einen Eingeweihtenstatus verplappert habenden Papageno mit einem schroffen „ZURÜCK!“ ab. Eine Umstellung der Musiknummern ist ebenso wenig neu wie nötig. Das Publikum nicht mit dem Finale des ersten Aktes in die Pause zu schicken, sondern noch weitere Dialoge und das Terzett „Soll ich dich, Theurer! nicht mehr seh'n?“ dranzuhängen, überzeugt nicht. Die Zauberflöte steckt voller abwertender
Bemerkungen über Frauen. Möglicherweise
möchte der Regisseur das auffangen, indem er
auch Pamina, gleichberechtigt, durch eine
Prüfungszeit schickt. Mit ebenso verhülltem
Kopf wie Tamino und Papageno wird sie den
Priestern vorgeführt. Eine durchaus
reizvolle Idee. Für die Feuer- und
Wasser-Prüfungen übertreibt es die Regie
dann aber endgültig mit dem bedeutsam sein
wollen: Die Geharnischten – in Personalunion
auch die beiden Priester – ziehen zwei
Leichensäcke herein, die zunächst wie
Miniaturausgaben der Prüfungsberge
erscheinen, aber die verkohlten Leichen von
Pamina und Tamino enthalten. Mit feuchten
Tüchern reiben die Lebenden dem jeweils
anderen Toten das Gesicht wie in einer
rituellen Waschung ab. Die Zauberflöte
(übrigens eine einfache, kindlich wirkende
Blockflöte) steht in der Mitte vor einem
Zinkwassereimer. Vor welchen Gefahren
schützt da jetzt das Zauberinstrument, das
doch als Titelgeber nicht ganz unwichtig
ist? Matthias Winckhler (Papageno, Mitte), Kinderstatisterie sowie Sophie Jarosch von Schweder und Anna Schote (Mitglieder des Mädchenchors Hannover) Der junge finnische Dirigent Valtteri Rauhalammi lässt die Partitur herrlich leicht und luftig klingen, flotte bis aberwitzige Tempi und das Vermeiden jeglichen Pathos‘ bestimmen seine Interpretation, in der er ein besonderes Augenmerk auf die Nebenstimmen legt und keine üppigen, sondern filigrane Klänge bevorzugt. Selten hat man den Priestermarsch so unprätentiös gehört, selten aber auch so ausgefranste, wie weggebrochen wirkende Schlusstöne, was dem Versuch, stilistisch so original wie möglich zu klingen, geschuldet sein mag. Das Orchester klingt wundervoll und folgt den Intentionen des Dirigenten engagiert und detailgenau.
Bei fast jedem Schlussapplaus bekommt der
Sänger des Papageno die größten Ovationen –
aber selten so verdient, wie an diesem
Abend. Matthias Winckhler ist nicht nur
schauspielerisch ein Sympathieträger,
sondern singt den Vogelfänger mit so hoher
Stimmkultur und exzellenter Technik, dass
selbst jedes einzelne „pa“ im Plapperduett
mit Papagena zu einem Klangerlebnis wird.
Sein ausgesprochen schön timbrierter Bariton
hat eine satte Grundlage, auf der jeder Ton
ebenso schlank wie rund klingt. Athanasia
Zöhrer bewegt mit mädchenhaften, beseelten
Tönen, die das „Mann und Weib“-Duett mit
Matthias Winckhler zu einem musikalischen
Höhepunkt werden lassen. Sie hat eine feine
Pianokultur ebenso wie stahlharte
Sopranklänge, zwischen denen sie im Laufe
ihrer Karriere sicher noch fließendere
Übergänge finden wird. Simon
Bode hat leichtes, schlankes wohlklingendes
Stimmmaterial aber noch deutlich hörbare
technische Schwächen. Der Tamino kommt für
den jungen Tenor einfach zu früh. Dorothea
Maria Marx ist eine großartige Königin der
Nacht, der es überzeugend gelingt, sowohl
die verletzte, Tamino umgarnende Mutter, wie
die unsagbar wütende Furie mit blitzsauberen
Koloraturen im schwindelerregendem Tempo
gesanglich zu gestalten. Tobias
Schabel wurde als indisponiert angekündigt
und spielte den Sarastro in der oben
beschriebenen Charakterisierung überzeugend.
Uwe Gottswinter ist ein stimmschöner
Monostatos, Ilva Stenberg eine quirlige
junge Papagena und eine eine nicht
überzogene alte, die ihren Geburtstag mit
einer „Happy Birthday to me“- Einlage feiert
(„18 Jahr und 2 Minuten“). Daniel Eggert und
Martin Rainer Leipoldt sind grandios-gewaltig
klingende Priester und Geharnischte, die
optisch ein bisschen an in die Jahre
gekommene "Lüftchen" aus Peter Shaffers Amadeus
erinnern. Rebecca Davis, Monika Walerowicz
und Julie-Marie Sundal klingen als die drei
Damen individuell und doch aufeinander
abgestimmt, was die drei Knaben, die von
Mitgliedern des Mädchenchors Hannover
gesungen werden noch übertreffen. Die
Mädchenstimmen von Anna Schote, Sophie
Jarosch von Schweder und Dawia Sadoune tönen einfach
wunderbar klangvoll.
FAZIT |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Chor der Niedersächsisches
Solisten Sarastro Tamino Sprecher Königin der Nacht Pamina Erste Dame Zweite Dame Dritte Dame Papageno Papagena Monostatos Erster Geharnischter Zweiter Geharnischter Erster Priester Zweiter Priester Drei Knaben Weitere
Informationen
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http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
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