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Musiktheater
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Die Zauberflöte

Oper in zwei Aufzügen
Libretto von Emanuel Schikaneder
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 20 Minuten  (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 13. Januar  2018

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Flöte ohne Zauber oder Kinder an die Macht

Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Keine andere Oper wird im deutschsprachigen Raum so häufig gespielt wie Die Zauberflöte, die für viele Menschen den Einstieg in die Welt des Musiktheaters bildet. Das mag daran liegen, dass diese von Mozart und Schikaneder „gemeinsam fleißig durchdachte Oper“ (Schikaneder) so leicht und liebenswert erscheint und doch so viel Tiefsinn unter der Oberfläche bereithält. Die Zauberflöte ist eine Oper, die man erleben und genießen kann, die verzaubern und beglücken kann, ohne dass man viel über ihre Geschichte, ihre Hintergründe und ihre Symbolik weiß. Aber wer etwas tiefer einsteigen möchte, erkennt, dass Mozart und Schikaneder mit der Zauberflöte Tiefsinn und Volkstümlichkeit kombiniert und mit Liebenswürdigkeit, ohne erhobenen Zeigefinger, Ideale unter das Volk gebracht haben, die ihren Ursprung zum großen Teil im freimaurerischen Gedankengut haben. Dabei handelt es sich nicht um das Verraten von Geheimnissen dieses Männerbundes, sondern um das Weitertragen seiner Ideale in die Welt.

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Simon Bode (Tamino, l.), Matthias Winckhler (Papageno)

Wenn eine Oper so oft inszeniert wird, ist die Herausforderung an das moderne Regietheater groß. Der Drang, etwas anders zu gestalten, als es das Libretto vorgibt, ist ungebrochen. Zuweilen werden ursprüngliche Gedanken hervorgehoben und verdeutlicht, wenn man sie ins Gegenteil verkehrt – ein Klassiker des modernen Regietheaters, der immer wieder bemüht wird, aber nur selten gelingt. Frank Hilbrich versucht in seiner Neuinszenierung für die Staatsoper Hannover die spielerische Leichtigkeit zu behalten, während er die Geschichte mit umgekehrten Vorzeichen erzählt, ihr bedeutsame Dimensionen und Symbole hinzufügt und für die von ihm beleuchtete Problematik auch eine Lösung vorstellt. Eine große Idee, die manch schönes Details hervorbringt, im Großen und Ganzen aber nicht funktioniert.
Als Rahmen und Grundgedanken erkennt man, dass das Bunte, Vielfältige, Unbedarfte, Spontane, das kindliches Denken oft ausmacht, als Ideal und Lösung der Konflikte der Erwachsenenwelt vorgestellt wird. Ein knallbuntes Kinderorchester imitiert die Ouvertüre, tritt auch jeweils zusammen mit den drei glitzerbunten Knaben auf, begleitet Tamino zu Sarastro und wird dort seiner Instrumente beraubt, die in der Ordnung der Erwachsenenwelt nur stören. Eine Ordnung, die sich im Laufe des Abends immer weiter verbreitet. Das Chaos aus Instrumenten, Plüschtieren, zwei Schulstühlen (Symbol des Lernens und Erwachsenwerdens?) und dergleichen, das zu Beginn auf dem Bühnenboden herrscht, verschwindet immer mehr und macht einem sauberen, glatten, aber auch steril wirkenden Bühnenraum Platz, der von einer nach hinten konvex gebogenen Wand in Waffeloptik mit Treppen und Toren begrenzt ist. Im zweiten Akt beherrscht eine ebenso gemusterte Säule davor die Szene, die immer wieder nach oben fährt und so Auftrittsmöglichkeiten bietet und Bildsymbole zeigt (Bühnenbild: Stefan Heyne).

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Athanasia Zöhrer (Pamina)

Die Königin der Nacht ist ein armes Opfer. Ihre erste Arie beginnt sie am Boden liegend, unter einem riesigen Spiegel, der sie optisch in die Horizontale bringt und zeigt, dass sie auf zerbrochenen Spiegelteilen liegt, eines davon wird sie Pamina später wütend als Waffe gegen Sarastro anbieten, doch jetzt ist sie eine traurige Mutter, die Tamino geschickt umgarnt. Ein Scheinwerfer blendet das Publikum und deutet an, dass die Sonne in die Nachtwelt nur gespiegelt werden kann und nicht original scheint. Im zweiten Akt ist sie von tiefen Schnittwunden übersäht, ein Schatten ihrer selbst und wie ein gequältes Tier rasend vor Wut.

Sarastro ist nicht so gut, dass einem schlecht wird, sondern so widerlich, selbstgefällig, sektiererisch und cholerisch, dass man sich übergeben möchte. Auch er trägt tiefe Narben und einen Amfortas-Wunden-Verband unter seinem Mantel. Die Ordnung wird als Zwang dargestellt, die Sonnenwelt ist schwarz und düster, unter der schwarzen Kleidung, die je nach Erleuchtungsgrad etwas heller grau ist, schauen weiße Kragen hervor – das Potential zum Licht  ist also noch da (Kostüme: Julia Müer). Die Strahlen der Sonne, die hochbesungen die Nacht vertreiben, sind grelle Scheinwerfer, die das Publikum blenden und nichts Positives verbreiten. Dem Chor sind die Hände auf dem Rücken gefesselt, doch er wird im Finale von der wuseligen bunten Kinderschar befreit. Kinder an die Macht. Macht alles anders. Ein oberflächlich schöner Gedanke, aber ist das nicht viel zu kurz und einfach gedacht?

Die drei Damen der Königin sind kunterbunt gekleidet, sind der Halbwelt entsprungen und scheinen eine Affinität zu Schlangen zu haben, denn die Stoffe ihrer Kleider sind schlangenhautgemustert. Sie kriechen unter Taminos Bett hervor (wo sich in Kinderzimmern doch eigentlich immer die Monster befinden) und befreien den im Bett liegenden, albträumenden Tamino von einer Plüschschlange. Der ist ein kleiner Feigling, der im Laufe des Abends zu einem jungen Mann heranreift. Glücklicher wird er indes nicht, wenn er den Mantel der Geweihten über sein T-Shirt mit Schlangenaufdruck zieht. Papageno wird im Laufe des Abends seines Federkleides beraubt und so immer mehr zum Menschen, sein T-Shirt trägt den irreführenden Aufdruck „REBEL BIRD". Im „Mann und Weib“-Duett zieht ihm Pamina die Federärmel aus, woraus sich ein hocherotischer Moment entwickelt, der auf dem Bett endet unter dessen Bettdecke Papageno das Mädchen vor Monostatos‘ Zudringlichkeiten gerettet hat. Der sieht aus wie ein schwarzer Reptil-Mensch, der auch einem Fantasy-Comic entsprungen sein könnte. Nachdem die Königin der Nacht Pamina zum Mord an Sarastro aufgefordert hat, versucht er, Pamina wie die Schlange im Paradies mit einem Apfel zu verführen, was erfolglos bleibt und in einem Vergewaltigungsversuch endet. Es gibt einige eindeutig sexuelle Anspielungen in dieser Inszenierung, die nicht nötig sind und dem Niveau schaden.

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Athanasia Zöhrer (Pamina, l.), Dorothea Maria Marx (Königin der Nacht)

Die Inszenierung ist im Detail handwerklich gut gearbeitet, Aktionen und Reaktionen stehen in logischen Zusammenhängen. Die Personenregie wartet einerseits mit aktionsreichem Spieltempo auf und andererseits mit langen Generalpausen, die den Fluss hemmen. Die Dialoge haben Schauspielniveau, selten hat man sie so glaubwürdig (und verständlich!) gesprochen gehört. Beim zweiten Auftritt der drei Damen wirken die stilistischen Elemente aus dem Sprechtheater allerdings etwas überzogen bedeutungsheischend, wenn sie erst chaotisch durcheinanderreden, eh sie eine Ordnung zum Sprechen finden. Die Texte sind leicht modernisiert und werden auch immer mal wieder jemand anderem in den Mund gelegt, als es das Libretto vorgibt. So fragt zum Beispiel nicht der Sprecher, sondern Papageno Sarastro, ob Tamino den Prüfungen wohl standhalten wird und Tamino weist den sich um einen Eingeweihtenstatus verplappert habenden Papageno mit einem schroffen „ZURÜCK!“ ab. Eine Umstellung der Musiknummern ist ebenso wenig neu wie nötig. Das Publikum nicht mit dem Finale des ersten Aktes in die Pause zu schicken, sondern noch weitere Dialoge und das Terzett „Soll ich dich, Theurer! nicht mehr seh'n?“ dranzuhängen, überzeugt nicht.

Die Zauberflöte steckt voller abwertender Bemerkungen über Frauen. Möglicherweise möchte der Regisseur das auffangen, indem er auch Pamina, gleichberechtigt, durch eine Prüfungszeit schickt. Mit ebenso verhülltem Kopf wie Tamino und Papageno wird sie den Priestern vorgeführt. Eine durchaus reizvolle Idee. Für die Feuer- und Wasser-Prüfungen übertreibt es die Regie dann aber endgültig mit dem bedeutsam sein wollen: Die Geharnischten – in Personalunion auch die beiden Priester – ziehen zwei Leichensäcke herein, die zunächst wie Miniaturausgaben der Prüfungsberge erscheinen, aber die verkohlten Leichen von Pamina und Tamino enthalten. Mit feuchten Tüchern reiben die Lebenden dem jeweils anderen Toten das Gesicht wie in einer rituellen Waschung ab. Die Zauberflöte (übrigens eine einfache, kindlich wirkende Blockflöte) steht in der Mitte vor einem Zinkwassereimer. Vor welchen Gefahren schützt da jetzt das Zauberinstrument, das doch als Titelgeber nicht ganz unwichtig ist?
„Die Zauberflöte wird dich schützen,
Im größten Unglück unterstützen.
Hiemit kannst du allmächtig handeln,
Der Menschen Leidenschaft verwandeln.
Der Traurige wird freudig seyn,
Den Hagestolz nimmt Liebe ein.
O so eine Flöte ist mehr als Gold und Kronen werth,
Denn durch sie wird Menschenglück und Zufriedenheit vermehrt.“
Dieses Zitat aus dem ersten Akt beschreibt, was diese Oper kann und warum die Zauberflöte Die Zauberflöte heißt und nicht Tamino und Pamina oder irgendeinen anderen Namen trägt. Die Kraft der Zauberflöte, die Tamino durch Gefahren und Prüfungen begleitet und schützt, offenbart sich auch dem Publikum. Sie kann entführen und entzücken, fröhlich und nachdenklich machen, Sorgen vergessen lassen und die Welt ein bisschen besser machen. Der neuen Inszenierung der Zauberflöte in Hannover gelingt das nur momentweise. Das Finale lässt einen eher verstört zurück, vielleicht auch verärgert, aber eben nicht verzaubert.

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Matthias Winckhler (Papageno, Mitte), Kinderstatisterie sowie Sophie Jarosch von Schweder und Anna Schote (Mitglieder des Mädchenchors Hannover)

Der junge finnische Dirigent Valtteri Rauhalammi lässt die Partitur herrlich leicht und luftig klingen, flotte bis aberwitzige Tempi und das Vermeiden jeglichen Pathos‘ bestimmen seine Interpretation, in der er ein besonderes Augenmerk auf die Nebenstimmen legt und keine üppigen, sondern filigrane Klänge bevorzugt. Selten hat man den Priestermarsch so unprätentiös gehört, selten aber auch so ausgefranste, wie weggebrochen wirkende Schlusstöne, was dem Versuch, stilistisch so original wie möglich zu klingen, geschuldet sein mag. Das Orchester klingt wundervoll und folgt den Intentionen des Dirigenten engagiert und detailgenau.

Bei fast jedem Schlussapplaus bekommt der Sänger des Papageno die größten Ovationen – aber selten so verdient, wie an diesem Abend. Matthias Winckhler ist nicht nur schauspielerisch ein Sympathieträger, sondern singt den Vogelfänger mit so hoher Stimmkultur und exzellenter Technik, dass selbst jedes einzelne „pa“ im Plapperduett mit Papagena zu einem Klangerlebnis wird. Sein ausgesprochen schön timbrierter Bariton hat eine satte Grundlage, auf der jeder Ton ebenso schlank wie rund klingt. Athanasia Zöhrer bewegt mit mädchenhaften, beseelten Tönen, die das „Mann und Weib“-Duett mit Matthias Winckhler zu einem musikalischen Höhepunkt werden lassen. Sie hat eine feine Pianokultur ebenso wie stahlharte Sopranklänge, zwischen denen sie im Laufe ihrer Karriere sicher noch fließendere Übergänge finden wird. Simon Bode hat leichtes, schlankes wohlklingendes Stimmmaterial aber noch deutlich hörbare technische Schwächen. Der Tamino kommt für den jungen Tenor einfach zu früh. Dorothea Maria Marx ist eine großartige Königin der Nacht, der es überzeugend gelingt, sowohl die verletzte, Tamino umgarnende Mutter, wie die unsagbar wütende Furie mit blitzsauberen Koloraturen im schwindelerregendem Tempo gesanglich zu gestalten. Tobias Schabel wurde als indisponiert angekündigt und spielte den Sarastro in der oben beschriebenen Charakterisierung überzeugend. Uwe Gottswinter ist ein stimmschöner Monostatos, Ilva Stenberg eine quirlige junge Papagena und eine eine nicht überzogene alte, die ihren Geburtstag mit einer „Happy Birthday to me“- Einlage feiert („18 Jahr und 2 Minuten“). Daniel Eggert und Martin Rainer Leipoldt sind grandios-gewaltig klingende Priester und Geharnischte, die optisch ein bisschen an in die Jahre gekommene "Lüftchen" aus Peter Shaffers Amadeus erinnern. Rebecca Davis, Monika Walerowicz und Julie-Marie Sundal klingen als die drei Damen individuell und doch aufeinander abgestimmt, was die drei Knaben, die von Mitgliedern des Mädchenchors Hannover gesungen werden noch übertreffen. Die Mädchenstimmen von Anna Schote, Sophie Jarosch von Schweder und Dawia Sadoune tönen einfach wunderbar klangvoll.
 

FAZIT

Eine Inszenierung, die ebenso leicht wie bedeutsam sein will und die Geschichte mit vertauschten Vorzeichen erzählt. Details überzeugen – das Große und Ganze nicht. Ein herrlich leichtes und lebendiges Dirigat und einige tolle Sängerleistungen machen den Abend dennoch lohnenswert.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Inszenierung
Frank Hilbrich

Bühne
Stefan Heyne

Kostüme
Julia Müer

Licht
Susanne Reinhardt

Choreinstudierung
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Christopher Baumann

 

Chor der
Staatsoper Hannover

Kinderstatisterie der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover


Solisten

Sarastro
Tobias Schabel

Tamino
Simon Bode

Sprecher
Stefan Adam

Königin der Nacht
Dorothea Maria Marx

Pamina
Athanasia Zöhrer

Erste Dame
Rebecca Davis

Zweite Dame
Monika Walerowicz

Dritte Dame
Julie-Marie Sundal

Papageno
Matthias Winckhler

Papagena
Ylva Stenberg

Monostatos
Uwe Gottswinter

Erster Geharnischter
Martin Rainer Leipoldt

Zweiter Geharnischter
Daniel Eggert

Erster Priester
Daniel Eggert

Zweiter Priester
Martin Rainer Leipoldt

Drei Knaben
Anna Schote
Sophie Jarosch von Schweder
Dawia Sadoune
(Mitglieder des
Mädchenchors Hannover)



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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