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In den Heights von New York

Musical in zwei Akten
Buch von Quiara Alegría Hudes, deutsche Textfassung von Laura Friedrich
Musik und Songtexte von Lin-Manuel Miranda

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 16. September 2017
(rezensierte Aufführung: 27.09.2017)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Pralles Leben in den Heights

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

In Hagen stehen die Zeichen auf Neuanfang. Zum Ende der letzten Spielzeit haben sich nicht nur Intendant Norbert Hilchenbach und Generalmusikdirektor Florian Ludwig verabschiedet, sondern auch Ballettdirektor Ricardo Fernando und der Gründer des Kinder- und Jugendtheaters Werner Hahn haben dem Theater den Rücken gekehrt. Während für die Ballettsparte, das Kinder- und Jugendtheater und das Philharmonische Orchester eine Neubesetzung rechtzeitig gefunden werden konnte, um die kommende Spielzeit aktiv mitzugestalten, gestaltete sich die Suche nach einem neuen Intendanten problematischer, so dass das Programm für die neue Spielzeit von einer Kommission zusammengestellt wurde. Hilchenbachs Nachfolger Francis Hüsers, der erst nach der Verkündung des Programms bekanntgegeben wurde, konnte der neuen Spielzeit folglich noch keinen persönlichen Stempel aufdrücken, und es bleibt abzuwarten, in welche Richtung er die Geschicke des finanziell arg gebeutelten Hauses lenken wird. Bis jetzt verspricht er, an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen zu wollen, dabei jedoch auch neue Formate zu finden. Die erste Premiere entspricht diesen Ansatz ganz gut. So eröffnet man wie vor zwei Jahren mit einem modernen Musical des 21. Jahrhunderts, das darauf abzielt, auch neue Publikumsschichten für das Musiktheater zu erschließen. Während Avenue Q allerdings vor zwei Jahren mit den Puppen stark an die Sesamstraße oder Muppet Show erinnerte (siehe auch unsere Rezension), gibt es nun einen Ausflug in den von Latein- und Afroamerikanern geprägten Stadtteil im Norden von New York City: die Washington Heights, wo der Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten an der rauen Realität wie eine Seifenblase zerplatzt.

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Usnavi (Felix Freund) stellt die Heights von New York und ihre Bewohner (links: Daniela (Annina Hempel) und Arlin (Diana Guss) mit dem Ensemble) vor.

Lin-Manuel Miranda hat diesem Einwanderer-Viertel ein musikalisches Denkmal gesetzt, das die Latino-Rhythmen von Salsa über Merengue und Bachata bis hin zu Hip-Hop authentisch einfängt. Die erste Idee kam Miranda 1999 in seinem zweiten Studienjahr an der Wesleyan Universität, als er sich darum bewarb, eine neue Show am '92 Theater auf die Bühne zu bringen. Mit dem Mix aus Freestyle-Rap und Salsa-Nummern verzeichnete er einen Besucher-Rekord. Drei Jahre später kam dann der Regisseur Tommy Kail auf Miranda zu und unterbreitete ihm ein Angebot, das Stück zu inszenieren. Dafür schrieb Miranda den Text komplett um. Gemeinsam mit der Autorin Quiara Alegría Hudes erarbeitete er eine Fassung, die 2005 am Eugene O'Neill Theater in Connecticut herauskam. Von dort gelang der Sprung an den Broadway, wo das Stück im März 2008 uraufgeführt wurde und gleich vier Tony Awards erhielt. Bis 2011 gab es dort über 1.100 Aufführungen. Miranda schlüpfte dabei selbst in die Rolle des Erzählers Usnavi de la Vega. Nach Tourneen durch Nord- und Südamerika ging es schließlich nach Großbritannien, wo das Stück 2016 erneut in drei Kategorien ausgezeichnet wurde.

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Nina (Kara Kemeny, Mitte) gesteht ihren Eltern Camila (Carolina Walker, links) und Kevin (Jonathan Agar), dass sie ihr Studium abgebrochen hat.

Erzählt wird von den großen und kleinen Sorgen der Bewohner in den Heights. Da ist zunächst Usnavi, der einen kleinen Laden besitzt, den er gemeinsam mit Sonny führt. Usnavi ist in Vanessa verliebt, die in Danielas Frisiersalon arbeitet und auf der Suche nach einer neuen Wohnung in einem besseren Viertel ist. Da Usnavi seine Gefühle verbirgt, merkt Vanessa lange Zeit nichts von seiner Liebe. Erst als Usnavi in die Dominikanische Republik zurückkehren möchte, wird sie sich ihrer Gefühle für ihn bewusst und bittet ihn zu bleiben. Kevin und Camila Rosario leiten ein kleines Taxiunternehmen und sind sehr stolz darauf, dass ihre Tochter Nina den Sprung aus den Heights geschafft und ein Stipendium an der Stanford Universität erhalten hat. Doch Nina musste das Studium abbrechen, da sie aufgrund der benötigten Jobs zur Finanzierung des Studiums die Leistungen nicht mehr erbringen konnte. Aber dies bleibt nicht die einzige Enttäuschung für ihre Eltern. Sie liebt den Afro-Amerikaner Benny, der im Geschäft ihres Vaters arbeitet, und den Kevin für seine Tochter als Freund nicht akzeptieren will. Nach einem heftigen Streit entscheidet sich Nina, das Geld ihrer Eltern anzunehmen, das sie ihr durch den Verkauf ihres Taxiunternehmens zur Verfügung stellen wollen, um ihr Studium fortzusetzen. Die Seele des Viertels ist die alte Abuela Claudia, die für alle ein offenes Ohr hat und mit Rat und Tat bei allen Problemen zur Seite steht. Als sie eines Tages den Hauptgewinn in einer Lotterie erzielt, beschließt sie, das Geld mit Usnavi zu teilen. Allerdings stirbt sie am 4. Juli völlig unerwartet. Ihr Tod schweißt mit den Erinnerungen, die sie in zahlreichen Fotoalben gesammelt hat, die Bewohner des Viertels noch mehr zusammen und sorgt schließlich dafür, dass Usnavi die Heights als seine neue Heimat akzeptiert.

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Usnavi (Felix Freund) und Abuela Claudia (KS Marliyn Bennett)

So verschieden wie die unterschiedlichen Geschichten ist auch die Musik, die zwischen den diversen Latino-Rhythmen hin- und herspringt, dabei jedoch eine klare Linie vermissen lässt. So bereitet es bis zur Pause große Schwierigkeiten, einen Zugang zu den einzelnen Charakteren zu finden, da sie durch den ständigen Wechsel der Erzählstränge und der Musikstile kaum Profil entwickeln können. Hinzu kommt, dass die deutsche Übersetzung der Liedtexte bisweilen etwas bemüht klingt und manchmal nicht ganz auf den Rhythmus passt. Besonders auffällig ist dies bei Usnavis Hip-Hop-Songs. Vielleicht hätte man die Texte lieber im Original belassen und mit Übertiteln arbeiten sollen, um das Flair des Stückes besser einzufangen, zumal auch einige Solisten bei den deutschen Songtexten schlecht zu verstehen sind. Bis zur Pause hat man das Gefühl einer permanenten musikalischen Überfrachtung, ohne dass die Geschichten merklich vorangetrieben werden. Einziger ruhender Pol ist Abuela Claudia, der sehr innige Momente mit ihrem Ziehsohn Usnavi zugestanden werden. Ihr plötzlicher Tod hingegen kommt nach der Pause relativ abrupt, und die Lösung der erzählten Probleme erfolgt dramaturgisch relativ emotionslos. Vielleicht ist es allerdings auch für einen europäischen Zuschauer schwer, in die Mentalität der erzählten Geschichten und Musik einzutauchen.

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Daniela (Annina Hempel, Mitte) lädt die Bewohner der Heights (links: Carla (Marlene Jubelius), rechts: Arlin (Diana Guss), dahinter Ensemble) zum "Carnaval del Barrio" ein.

Das Regie-Team um Sascha Wienhausen, der gemeinsam mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Ulrike Reinhard bereits vor zwei Spielzeiten Avenue Q mit großem Erfolg in Szene gesetzt hat, erzählt die Geschichte temporeich. Reinhard hat ein flexibles Bühnenbild entworfen, das auf der rechten Seite Usnavis Laden und auf der linken Seite das Taxiunternehmen der Rosarios zeigt. Im Hintergrund sieht man die Skyline von New York, die mit traumhaften Lichteffekten mal fröhlich glitzert und dann kalt und grau wirkt, wenn das Viertel in der Nacht zum 4. Juli einen Stromausfall hat. Ein Großteil des Orchestergrabens ist überbaut, so dass das Ensemble viel Raum hat, zu den heißen Latino-Klängen das Tanzbein zu schwingen. Bei den Choreographien von Sêan Stephens begeistert nicht nur das Ballett Hagen, sondern auch das Ensemble, das größtenteils aus Studenten und Absolventen der Hochschule Osnabrück besteht, überzeugt durch überbordende Spielfreude und vermittelt pure Lebenslust, die sich aus der Musik ergibt. Wenn man eigentlich darüber klagen will, dass man am 4. Juli nach mehr als 12 Stunden immer noch keinen Strom hat, ruft Daniela lieber den "Carnaval del Barrio" aus, der in ausgelassenem Tanz die Probleme und Sorgen vergessen lässt.

Die Partie der Abuela Claudia ist mit dem langjährigen Ensemble-Mitglied Marilyn Bennett besetzt, die mittlerweile in Hagen zur Kammersängerin ernannt worden ist. Mit großer Wärme gibt sie die alte Dame, deren Herz für die Bewohner der Heights schlägt, so dass mancher Besucher die ein oder andere Träne verdrücken mag, wenn Graffiti Pete ihr am Ende ein großartiges Denkmal auf der Rückwand von Usnavis Laden gesetzt hat, was letztendlich der Auslöser für Usnavi ist, in den Heights zu bleiben. Felix Freund präsentiert sich in der Partie des Usnavi als Meister des Hip-Hop und begeistert mit präziser Rhythmik und gekonnten Bewegungen. Celena Pieper legt die von ihm angehimmelte Vanessa ein wenig zickig an und lässt erst ganz am Schluss erkennen, dass sie selbst auch etwas für den jungen Mann empfindet. Kara Kemeny überzeugt als Nina Rosario mit großer Stimme und intensivem Spiel. Ein musikalischer Höhepunkt ist die Liebesszene mit David B. Whitley als Benny nach dem Stromausfall in der Nacht auf den 4. Juli. Schade ist nur, dass sich danach die Wege der beiden Figuren doch wieder zu trennen scheinen. Von dem restlichen Ensemble setzen vor allem Aniello Saggiomo als leicht naiver Sonny und Annina Hempel als Daniela komische Akzente. Das Philharmonische Orchester Hagen zaubert unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel einen heißen Latino-Sound aus dem Graben, so dass es am Ende großen Applaus vor allem von den zahlreichen jüngeren Besuchern im Publikum gibt.

FAZIT

Mirandas Stück ist ein passendes Spiegelbild des New Yorker Einwanderer-Viertels mit authentischer Musik. Der Funke will aber trotzdem nicht so richtig überspringen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Steffen Müller-Gabriel

Inszenierung
Sascha Wienhausen

Choreographie
Sêan Stephens

Bühne und Kostüme
Ulrike Reinhard

Licht
Hans-Joachim Köster

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Corinna Jarosch

 

Chor des Theater Hagen

Ballett Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen
und Gäste


Solisten

Usnavi de la Vega
Felix Freund

Nina Rosario
Kara Kemeny

Kevin Rosario
Jonathan Agar

Camila Rosario
Carolina Walker

Benny
David B. Whitley

Vanessa
Celena Pieper

Sonny
Aniello Saggiomo

Abuela Claudia
KS Marilyn Bennett

Daniela
Annina Hempel

Carla
Marlene Jubelius

Graffiti Pete
Lennart Christan

Piragüero
Johan de Bruin

José
Sandro Brosi

Arlin
Diana Guss

Lewis
Tobias Georg Biermann

Jeremy
Torben Rose


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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