Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
Vorwärts und nicht vergessen ...Von Roberto Becker / Fotos: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Falk Wenzel
Ihre Feuertaufe als Regisseurin im Opernhaus hatte Henriette Hörnigk schon mit Elfriede Jelinecks Wut. Es war ein Wurf in der Raumbühne "Heterotopia". Jetzt ist die Chefdramaturgin des Schauspiels in Halle wieder dort zu Gast. Mit der Dreigroschenoper auf der "normalen" Bühne. Was dort vor sich hin rotiert, sieht ein wenig nach "Alexandar Denic baut für Frank Castorf" aus. Orte, Fassaden, Räume in denen man herumklettern kann. Leuchtschrift. Irgendwann fährt man eine Riesentrommel, eine Art Wassertank, herein, die man auch erklimmen kann. Und wenn Bettlerboss Jonathan Peachum Polizeichef Tiger-Brown das Fürchten, wegen der Krönungsfeierlichkeiten, lehren und den ungeliebten Schwiegersohn Mackie Messer hängen sehen will, dann baumelt eine ganze Armee aus Bettlerdummies drohend vom Schnürboden. Zwischen denen genau zur rechten Zeit der reitende Bote des Königs (Pardon: der fliegende Engel des Happy Ends) herumflattert und verkündet, dass Mackie doch nicht gehängt wird. Polly Peachum - blond und raffiniert
Ausstatterin Claudia Charlotte Burchard hat für eine Opulenz gesorgt, die alles zusammenhält und aus der Nummernrevue ein Stück macht. Eins, bei dem die Bekanntheit der Songs Fluch und Segen sein können. Eher Fluch, wenn man etwa den großen aufklärenden Verfremder Brecht heute noch einmal verfremden wollte, weil man den 90 Jahre alten Zuspitzungen nicht traut. Wenn die pure Armut und die Grundtypen des Elends zur Sprache kommen, die Moral und das Fressen und die "Verhältnisse", die nicht so sind, ganz prinzipiell ins Visier geraten. Und wenn wir ein London auf der Bühne nachvollziehen sollen, bei dem Gangsterboss und Polizeichef eine GroKo bilden, dann kann die Jacke des "armen bb" auch schnell mal so aussehen, als hätte man sie aus der Altkleidersammlung gefischt. Dabei gehört sie in die Gruppe jener abgewetzten, ein bisschen aus der Mode gekommenen, aber immer noch wie angegossen sitzenden Kleidungsstücke, die man einfach nicht wegschmeißen will. Mackie und sein Freund Tiger von den übrigen Gaunern einreahmt.
Und da wären wir beim Segen, den Songs: Also beim Haifisch und seinen Zähnen. Oder der Seeräuber Jenny, aus deren Ballade Lars von Trier schon mal ein ganzes Dogville gemacht hat. Und bei den Plänen, die beide nicht gehen. Und bei der Bank, deren Gründung angeblich schlimmer ist, als sie auzurauben. Das Fazit nach der in Halle bejubelten Premiere: man darf Weill und Brecht und ihrem nachhaltigsten Hit getrost trauen. Der Komponist steht hier dabei bewusst an erster Stelle, denn das Ganze muss vor allem musikalisch stimmen. Wie in Halle mit Michael Wendeberg und den Musikern der Staatskapelle, die Mackies Kumpane zu Beginn in den hochgefahrenen Graben scheuchen. Siehst du den Mond über Soho: Polly und Mackie
Die aber dann sehr fein auf die Bühne abgestimmt und mit Verve loslegen. Und wenn Hörnigk schon mal ihren Chef Matthias Brenner für den Peachum im Team hat, dann darf der natürlich die Popularität des Stückes testen: Nach der Pause dirigiert er den Saal zu einem gemeinsamen "Und der Haifisch…" - Verfremdung als anheimelnde Behaglichkeit des Grauens. Warum nicht. Hörnigk findet alsbald zu einem Tempo, das zieht. Als Dramaturgin hat sie aber auch kleine Schmankerl in den Text geschmuggelt. Wie Mackies Direktive "Vorwärts immer, rückwärts nimmer". Und dann einen Tonfall zu einem "Vorwärts", dass es fast so klingt wie das bewusste Kampflied… Matthias Brenner als ein Peachum, der den Saal mitsingen lässt.
Vor allem kitzelt Hörnigk aus allen die Vollblutschauspieler heraus. Mit besonderem Erfolg bei Martin Reik als einem Mackie, der einfach begnadigt werden muss. Ein Freund der Frauen - zwei hat er aktuell geheiratet, seinen Donnerstagstermin im Bordell lässt er aber auch nicht ausfallen, wenn die Leute seines alten Kumpels Tiger Brown hinter ihm her sind. Grandios ist Elke Richter als Frau Peachum. Punktgenau gesungen, schlangenlinienförmig geslapstickt! Annemarie Brüntjen als Polly läuft zur Hochform auf, wenn sie mit ihrer Konkurrentin Lucy (Ines Lex) aneinander gerät. Beide treffen aufeinander, wenn sie Mackie in der Zelle besuchen. Die eine auf halber Strecke von der Schauspielerin zur Sängerin, die andere von der (echten) Opernsängerin zur Schauspielerin. Herrlich, wie da die Fetzen (und die Beine) fliegen! Alle sind so im Brecht-Weill-Modus, dass es eine Freude ist!
In Halle kommt die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill als Gemeinschaftsproduktion von Schauspiel und Oper auf die Bühne und überzeugt restlos. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographische Mitarbeit
Dramaturgie
Solisten
Mackie Messer
Jonathan Jeremiah Peachum
Celia Peachum
Polly Peachum
Tiger-Brown
Lucy Brown
Spelunken-Jenny
Pastor Kimball / Konstabler Smith / Hure
Filch / Hure
Moritatensänger / Hure
Münzmatthias
Hakenfingerjakob
Sägerobert / Hure
|
- Fine -