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Die Götter machen Party und die Menschen plagen sichVon Christoph Wurzel / Fotos: © Monika RittershausEine runde Scheibe, nach vorn zum Publikum abgeschrägt - viel mehr Bühnenbild ist nicht notwendig für Willy Deckers Inszenierung der Heimkehr des Odysseus. Sie wird in Hamburg als eine Parabel der conditio humana aus dem Stoff der Antike im Geist des frühen Barock mit dem Blick auf das Heutige erzählt. Verlassen, einsam, an unbekanntem Ort: Ulisse (Kurt Streit) In denkbar minimalistischster Ausstattung - außer dem drehbaren Bühnenrund gibt es nur noch die Festtafel der Götter, die zu einigen Szenen im Hintergrund hochgefahren wird - gelingt diese packende Aufführung von Monteverdis Ulisse gerade wegen ihrer Konzentration auf die menschlichen Befindlichkeiten. Und das Einheitsschwarz der edlen modernen Kleider lenkt zusätzlich den Blick auf die psychologischen Innenwelten der Handelnden. Mit seinen szenischen Mitteln spannt Willy Decker dabei den Bogen von der antiken Tragödie über die comedia dell'arte bis hin zum heutigen Boulevardtheater. Wie der Chor im antiken Theater formieren sich immer wieder die Solistinnen und Solisten als Kollektiv und reflektieren das Geschehen oder wirken darauf ein. Wie im Prolog, wo sie dem Sänger der L'umana fragilità, der Allegorie des Mängelwesens Mensch (der Countertenor Christophe Dumaux singt dies mit agil ausgestalteten Verzierungen), die Kleider vom Leib reißen und ihn in all seiner Unbeschütztheit der verzehrenden Zeit, dem unbeherrschbaren Schicksal und der aufwühlenden Macht Amors überlassen. Opfer der nagenden Zeit, des unerbittlichen Schicksals und Marionette Amors: der determinierte Mensch (Christophe Dumaux als L'umana fragilità und Ensemble) Tragisches Format gewinnt die Figur der Penelope, die seit 20 Jahren Odysseus' Rückkehr herbeisehnt und zahllose Freier abzuwehren hat - bedingungslos treu, aber auch unendlich frustriert. Sara Mingardo singt sie mit ihrer warmen Altstimme, bezwingend im Ausdruck mit allen Facetten zwischen Zorn und Verbitterung, Flehen und Hoffnung. Dreimal wiederholt sie in ihrem langen Eingangslamento des ersten Akts gleichsam im Singen weinend das „torna, deh torna Ulisse“! Der Regisseur musste dabei nicht viel erfinden, sondern nur der Dramaturgie des Stückes genau nachspüren; denn, wie Willy Decker es selbst betont, Monteverdi hat ein „großes, bunt gemaltes, grandios naives Welttheater“ geschaffen. Dazu gehören eben auch als Kontrapunkt zu den hohen Gefühlen Penelopes die ganz ungezwungen und vital ausgespielten amourösen Gelüste ihrer Dienerin Melanto, der die Sopranistin Marion Tassou mit quirliger Spielfreude Ausdruck gibt, begleitet von ihrem nicht minder lebensfrohen Geliebten Eurimaco (Oleksiy Palchykov). Den komischen Höhepunkt tragen die Szenen der drei Freier bei, die mit albernen Balzgesten bei Penelope Eindruck zu schinden versuchen, sich mit Geschenken an die Abweisende heranpirschen, sie dann im tänzerischen Gestus der Musik vereint in den Armen schaukeln, bei der Bogenprobe aber schließlich jämmerlich versagen. Dem Ersten bleibt Odysseus' Bogen wie angeschmiedet am Boden liegen, dem Zweiten wird er plötzlich unsichtbar und dem Dritten erstarren bei dessen Anblick plötzlich die Glieder. Die freudlose Penelope (vorn: Sara Mingaro) und die lebenslustige Melanto mit ihrem Eurimaco (hinten: Marion Tassou und Oleksiy Palchykov) mit Ensemble Zur Aberwitzigkeit wächst sich die Szene des Schmarotzers Iro aus, der sich als Günstling der drei Freier an Penelopes Hof dick und fett gefressen hat. Nachdem dessen Gönner von Ulisse verjagt und getötet wurden, beklagt er in einer langen Arie seine Not nun verhungern zu müssen und beschließt, sich am nächsten Baum zu erhängen. Mit gehörigem Wanst ausstaffiert legt der Schweizer Tenor Peter Galliard damit darstellerisch eine Glanznummer hin und singt die von Monteverdi bewusst auskomponierten falschen Lamentotöne entlarvend plastisch mit hörbarem Vergnügen. Phantastisch welch reiche Facetten Kurt Streit der Figur des Ulisse abgewinnt. Der ist einmal ein verzweifelt um Rettung Flehender, der von den Phäaken an einen unwirtlichen Strand geworfen wurde, dann der Listenreiche, der sich als alter Bettler verkleidet unter die Freier um Penelopes Gunst mischt. Aber zugleich auch der bei der Wiederbegegnung mit seinem Sohn Telemachos im Tiefsten Berührte und schließlich am Schluss der Geläuterte, wenn Penelope ihn endlich erkannt hat und beide wieder zusammenfinden. Ein leises, bewegendes Finale ist das in dieser Inszenierung, das erst nach einer Pause längeren Zögerns (auch in der Musik) zum glücklichen Ende führt. Und die Götter, die letztlich das Schicksal der Menschen zu lenken scheinen? Sie sind hier nichts weiter als Operettengestalten, blasiert und feixend, leichtsinnig und launenhaft spielen sich an ihrer Champagnertafel als Spielmacher auf und nehmen ihre Rolle sehr sportlich. Sie ziehen sich schließlich zurück, wenn Ulisse und Penelope im Finale ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und nach so langer Trennung, so vielen Verletzungen und Verwerfungen ein neues Zusammenleben erfinden. Oben machen die Götter Party: Gabriele Rossmanith (Giunone), Alexander Kravets (Giove), Dorottya Láng (Minerva), Luigi De Donato (Nettuno) - unten plagen sich die Menschen (Ensemble) Sängerisch hält die Aufführung auch in den übrigen Rollen höchstes Niveau, dazu gehören besonders die Sopranistin Katja Piewek als um Penelopes Wohl besorgte Ericlea und der Tenor Rainer Trost als Hirte Eumete, der ähnlich wie Diogenes in der Tonne in einem faltbaren Pappkarton haust. Die Faszinationskraft der Aufführung ist aber nicht zuletzt dem Orchester Collegium 1704 und seinem Dirigenten Václav Luks zu verdanken. Das etwa zwanzigköpfige Spezialensemble für Alte Musik aus Prag erweist sich als überaus sensibel für Monteverdis Musik und stellt für die ja bekanntermaßen nicht genau überlieferte Partitur neben den Streichern ein farbenreiches Instrumentarium zur Verfügung, darunter Dulzian, Zinken, Trombonen und mehrere barocke Zupfinstrumente. Luks setzt diese wahlweise für berückende Klangwirkungen ein. Daneben sorgen auch Windmaschine und ausgiebiges Schlagwerk für die in der barocken Oper nötigen Klangeffekte. So ist der Sound einmal kräftig und voll, aber Luks nimmt den Orchesterklang bisweilen fast bis ins Intimste zurück. FAZIT Langer, einhelliger Beifall belohnte diese rundum gelungene Produktion, die gleichermaßen unterhielt wie berührte. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Mitarbeit Regie
Collegium 1704
Solisten
L'umana fragilità /
Pisandro
Tempo / Antinoo
Fortuna / Giunone
Amore
Ulisse
Penelope
Ericlea
Melanto
Giove
Nettuno
Minerva
Eumete
Eurimaco
Telemaco
Anfinomo
Iro
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- Fine -