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Quicklebendiges Museum Von Bernd Stopka / Fotos: Falk von Traubenberg Barockopern standen bisher eher selten auf dem Spielplan des TfN. Ein Grund mehr für den neuen Opern- und Generalmusikdirektor Florian Ziemen, sich der Wurzeln des Musiktheaters anzunehmen. Dabei greift er nicht auf die häufiger gespielten und bekannten Werke zurück, sondern hat Orpheus oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe von Georg Philipp Telemann gewählt, der als Komponist und Librettist eine spezielle Version des altbekannten Stoffes geschaffen hat. Nicht nur von der Handlung her, auch musikalisch, indem er verschiedene Stile nebeneinanderstellt und die entsprechenden Nummern auch in der entsprechenden Sprache singen lässt. So erklingen in der ansonsten in deutscher Sprache geschriebenen Oper auch französische und italienische Arien.
Inhaltlich bewegt sich seine Orpheus-Fassung auf einer sehr menschlichen
Ebene und stellt der unendlich großen Liebe die Kräfte der Eifersucht gegenüber.
Die Königin Orasia ist verliebt in Orpheus und lässt
dessen jungvermählte Gattin Eurydike mit Hilfe von
Furien durch einen Schlangenbiss töten, ehe Orpheus
mit Eurydike vor den Nachstellungen Orasias nach
Griechenland fliehen kann. Orpheus‘ Freund Eurimedes
rät dem Unglücklichen, Eurydike aus der Unterwelt
zurückzuholen. Dort wird er schon von Pluto erwartet
und als er seinen Verlust stein-, unterweltgetier- und
unterweltgotterweichend besingt, wird ihm seine Bitte
gewährt – unter der allseits bekannten, hier von
Plutos Diener Ascalax verkündeten Bedingung, sich auf
dem Rückweg nicht zu Eurydike umdrehen zu dürfen.
Nachdem Orpheus dann aber doch schwach wird, bekommt
er keine zweite Chance und hat Eurydike endgültig
verloren.
Mit Regisseurin und Choreografin Sigrid
T’Hooft konnte eine Spezialistin für die
historisch informierte Aufführungspraxis
barocker Opern gewonnen werden, die nicht
aktualisiert und modernisiert, sondern den
weitaus schwierigeren Weg geht, die barocke
Opernwelt wie in einem lebendigen Museum
(im besten Sinne!) zu rekonstruieren. Das
fasziniert und beeindruckt, auch wenn den
heutigen Zuschauern die Sprache von Zeichen,
Formen und Bewegungen nicht mehr bekannt ist
und damit auch nicht wirklich verständlich.
Aber aus dem Programmheft kann man erfahren,
dass jede Bewegung eine Bedeutung hat, jede
Körperhaltung einen Sinn hat und auch, wenn
man die Sprache der Gestik nicht im einzeln
kennt, spürt man doch die Ordnung, die
dahintersteht. In der Barockoper tritt nie
jemand einfach so auf die Bühne, es wird
immer im Halbkreis geschritten, was hier
auch konsequent umgesetzt wird. Dabei wirken
die eigentlich unnatürlichen Gesten in
diesem Rahmen nicht fremd, sondern
harmonischer, selbstverständlicher, ja
natürlicher, als es eine modernisierende
Personenregie einer Oper des frühen 18.
Jahrhunderts erreichen könnte.
Besonders beeindruckend erscheinen die schlangenartigen Armebewegungen der Furien, die am Schluss sich fließend bewegende Nattern in den Händen halten, von denen Orasia in Hals und Brust gebissen wird. Eurydike geht zum Sterben von Nymphen geführt ab. Sie sinkt weder leblos auf einen der drei Steine noch auf den Boden – letzteres wäre ein Unding in einer Barockoper. In der Unterwelt lebt an Schaben, Ratten und dergleichen erinnerndes, köstlich gestaltetes Getier. Orpheus‘ Gesang, der zunächst ein durch Schlagen seiner Laute hervorgerufenes Flötenspiel ist, bringt alle dazu, sich friedlich miteinander niederzulassen (man fühlt sich an die wilden Tiere und das Spiel der Zauberflöte in Mozarts gleichnamiger Oper erinnert). Verstorbene und in der Unterwelt umherwandelnde Menschen werden mit schwarzen Schleiern charakterisiert. Die verdammten Geister tragen zusätzlich Ketten. Pluto ist ein prachtvoll ausgestatteter Gott, der mit langem grauen Haar und Bart ein bisschen an Gottvater erinnert. Herrlich wirr agieren die „wilden Weiber“, die Orasia zum Mord an Orpheus aufgehetzt hat. Höchst eindrucksvoll das Ensemble die barocke Körpersprache um und zeigen auch gesanglich beachtliche Leistungen in diesem nicht alltäglichen Stil. Natürlich sind die Solisten keine ausgewiesenen Barockspezialisten, das erwartet man auch nicht – und entdeckt doch einige Überraschungen. Konstantinos Klironomos singt den Eurimedes mit gleichmäßig durchgeformtem, klangschönem, schlankem Tenor und empfiehlt sich auch gänzlich überzeugend mit Gestik, Mimik und Spiel für weitere Partien in Barockopern. Levente György gibt den Pluto mit vollem, satten und doch beweglichen Bass und verleiht der Figur zusätzlich einen Hauch von Humor. Meike Hartmann ist eine wundervolle Eurydike mit warmem Timbre und bewegenden, legato geführten Koloraturen. Siri Karoline Thornhill ist eine koloratursichere Orasia mit substanzreichem Sopran, der aber nicht in allen Lagen gleichmäßig durchgeformt klingt. Peter Kubik bewältigt die umfangreiche und anspruchsvolle Partie des Orpheus mit größtem Engagement und bewegt insbesondere mit den todessehnsüchtigen Arien. Aber ideal ist die Partie für seine Stimme nicht, die hier immer wieder leicht angestrengt klingt. Die kleineren Partien sind fast alle mit einer Arie bedacht, die ausnahmslos wunderbar gesunden wird: Neele Kramer als Ascalax, Antonia Radneva als Ismene und Steffi Fischer als Cephise. Stephan Freiberger (Echo), Daniel Käsmann (Geist), Karin Schibli (Priesterin) und die Tänzerinnen Annika Dickel und Sabrina Hauser komplettieren das Ensemble adäquat. Ein Sonderlob gebührt dem Chor – nicht nur für den kultivierten, homogenen, leichten Klang, sondern auch für die überzeugende Umsetzung der barocken szenischen Ausdrucksweisen und Tänze. Letzteres gilt ebenso für die Statisterie.
Der Orchestergraben ist typischerweise halb hochgefahren, so dass Dirigent und Orchester ihn von der ersten Reihe aus betreten. Für die Streicher wurden speziell für diese Produktion Barockbögen angeschafft und auch ein neues Cembalo erklingt aus dem Orchestergraben. Die Musiker des klein besetzten Orchesters wurden intensiv mit barocker Spielweise vertraut gemacht. Gemeinsam mit zusätzlich engagierten Barockinstrumentalisten beeindrucken sie mit hochengagiertem, stilsicherem Spiel unter Ihrem neuen GMD und Operndirektor Florian Ziemen, der die quicklebendige Aufführung mit sprudelnder Energie, sängerfreundlicher Umsicht und Exaktheit leitet. Ziemen hat mit dieser Barockoper in Hildesheim neue Wege beschritten – sehr erfolgreich, wie der begeisterte Applaus mit Standing Ovation des Premierenpublikums zeigte. Damit wird auch die viel bemühte These des modernen Regietheaters „So kann man das dem Publikum heute nicht mehr präsentieren“ widerlegt. Man kann das sehr wohl – wenn man kann – und bereichert damit die Opernlandschaft in ihrer Vielfalt ganz ungemein, auch im Repertoirebetrieb, nicht nur im Rahmen von Festspielen. FAZITEin wundervoller Opernabend, der die Qualitäten und den Genussfaktor einer barocken Oper mit ihren ureigensten weitgehend historischen szenischen Mitteln zeigt und auch musikalisch mit beeindruckenden Qualitäten überzeugt Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung und Choreografie Bühne und Kostüme Chor Dramaturgie
Opernchor des TfN Statisterie des TfN Orchester des TfN
Solisten*Premierenbesetzung Orasia Orpheus Eurydike Eurimedes Ismene Cephise Pluto
Ascalax Priesterin Ein Geist Echo Tänzerinnen
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