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Musiktheater
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ORPHEUS
oder
DIE WUNDERBARE BESTÄNDIGKEIT DER LIEBE


Oper in drei Akten
nach einer Vorlage von Michel du Boulay
Musik und Libretto von Georg Philipp Telemann

In deutscher Sprache, teilweise in italienischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (1 Pause)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 2. Dezember 2017



Theater für Niedersachsen
(Homepage)

Quicklebendiges Museum

Von Bernd Stopka / Fotos: Falk von Traubenberg

Barockopern standen bisher eher selten auf dem Spielplan des TfN. Ein Grund mehr für den neuen Opern- und Generalmusikdirektor Florian Ziemen, sich der Wurzeln des Musiktheaters anzunehmen. Dabei greift er nicht auf die häufiger gespielten und bekannten Werke zurück, sondern hat Orpheus oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe von Georg Philipp Telemann gewählt, der als Komponist und Librettist eine spezielle Version des altbekannten Stoffes geschaffen hat. Nicht nur von der Handlung her, auch musikalisch, indem er verschiedene Stile nebeneinanderstellt und die entsprechenden Nummern auch in der entsprechenden Sprache singen lässt. So erklingen in der ansonsten in deutscher Sprache geschriebenen Oper auch französische und italienische Arien.

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Peter Kubik (Orpheus) Meike Hartmann (Eurydike)

Inhaltlich bewegt sich seine Orpheus-Fassung auf einer sehr menschlichen Ebene und stellt der unendlich großen Liebe die Kräfte der Eifersucht gegenüber. Die Königin Orasia ist verliebt in Orpheus und lässt dessen jungvermählte Gattin Eurydike mit Hilfe von Furien durch einen Schlangenbiss töten, ehe Orpheus mit Eurydike vor den Nachstellungen Orasias nach Griechenland fliehen kann. Orpheus‘ Freund Eurimedes rät dem Unglücklichen, Eurydike aus der Unterwelt zurückzuholen. Dort wird er schon von Pluto erwartet und als er seinen Verlust stein-, unterweltgetier- und unterweltgotterweichend besingt, wird ihm seine Bitte gewährt – unter der allseits bekannten, hier von Plutos Diener Ascalax verkündeten Bedingung, sich auf dem Rückweg nicht zu Eurydike umdrehen zu dürfen. Nachdem Orpheus dann aber doch schwach wird, bekommt er keine zweite Chance und hat Eurydike endgültig verloren.
Orasias Hoffnung, nun würde sich Orpheus ihr zuwenden, zerstört dieser, indem er sie erneut zurückweist und ihr ihre mörderischen Machenschaften vorhält, über die er in der Unterwelt aufgeklärt wurde. Einsam unter wilden Tieren wird ihm klar, dass er nun auch nicht mehr leben möchte und so kommen ihm die von Orasia zum Morden geschickten „wilden Weiber“ nicht ganz ungelegen. Nachdem Orasia nun auch Orpheus töten ließ, erkennt sie ihr Unglück und ihre Einsamkeit und scheidet ihrerseits aus dem Leben. Aber nicht aus Reue, sondern um im Jenseits weiterzumachen: „Verzweiflung stürzt mich in die Gruft, die Hass und Liebe mir bereitet hat! Ich sterb', um meine Qual dadurch zu enden und Orpheus Liebe noch dort in der Höllen-Kluft von Eurydice abzuwenden.“ Ihr Gefolge lobt und preist sie – offensichtlich in Verkennung ihrer Absichten – vielleicht aber auch, weil sie wissen, dass ihr Tod, die einzige Lösung ihres Dilemmas ist. Außerdem ist ein finaler Chor immer wieder ein schöner Schlusseffekt.
Aber nicht nur zum Finale, auch im Laufe der Oper bereichern selige und verdammte Geister, Gespielinnen, Gefolge und Bediente als Chöre Handlung und Musik dieses wundervollen Barockspektakels, das im Titel die wunderbare Beständigkeit der Liebe nennt, inhaltlich aber die Unverwüstlichkeit der Eifersucht noch deutlicher werden lässt.

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Peter Kubik (Orpheus) Konstantinos Klironomos (Eurimedes), Damenchor

Mit Regisseurin und Choreografin Sigrid T’Hooft konnte eine Spezialistin für die historisch informierte Aufführungspraxis barocker Opern gewonnen werden, die nicht aktualisiert und modernisiert, sondern den weitaus schwierigeren Weg geht, die barocke Opernwelt wie in einem lebendigen Museum (im besten Sinne!) zu rekonstruieren. Das fasziniert und beeindruckt, auch wenn den heutigen Zuschauern die Sprache von Zeichen, Formen und Bewegungen nicht mehr bekannt ist und damit auch nicht wirklich verständlich. Aber aus dem Programmheft kann man erfahren, dass jede Bewegung eine Bedeutung hat, jede Körperhaltung einen Sinn hat und auch, wenn man die Sprache der Gestik nicht im einzeln kennt, spürt man doch die Ordnung, die dahintersteht. In der Barockoper tritt nie jemand einfach so auf die Bühne, es wird immer im Halbkreis geschritten, was hier auch konsequent umgesetzt wird. Dabei wirken die eigentlich unnatürlichen Gesten in diesem Rahmen nicht fremd, sondern harmonischer, selbstverständlicher, ja natürlicher, als es eine modernisierende Personenregie einer Oper des frühen 18. Jahrhunderts erreichen könnte.
Stephan Dietrich zeigt mit den Kostümen barocke Opernpracht und Ausdruckskraft und mit dem Bühnenbild barocke Bühnentechnik bis hin zur Beleuchtung mit echtem Kerzenlicht (eher andeutungsweise neben der intensiven elektrischen Beleuchtung) aus sieben sechsflammigen Leuchtern. Barocktypisch sind auch der Holzfußboden und die Hänger, die der Bühne den perspektivischen Eindruck von Tiefe geben – aber keine üppigen Bemalungen für die verschiedenen Szenenbilder aufweisen. Die einzelnen Orte werden trotzdem eindrucksvoll dargestellt, insbesondere der Höllenrachen in Plutos Reich. Die etwas sehr grob gemalte Holzumrandung des Proszeniums (in die auch die Übertextanzeige integriert ist) und der ebenfalls recht grob bedruckte Thron Plutos wirken etwas befremdlich neuartig und teilweise erscheint die Beleuchtung ein bisschen sehr farbintensiv. Das Rampenlicht aus 19 einzeln verblendeten Lichtquellen erreicht aber effektvoll die wunderbare spezifische Beleuchtung der Gesichter von unten.

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Levente György (Pluto), Opernchor

Besonders beeindruckend erscheinen die schlangenartigen Armebewegungen der Furien, die am Schluss sich fließend bewegende Nattern in den Händen halten, von denen Orasia in Hals und Brust gebissen wird. Eurydike geht zum Sterben von Nymphen geführt ab. Sie sinkt weder leblos auf einen der drei Steine noch auf den Boden – letzteres wäre ein Unding in einer Barockoper. In der Unterwelt lebt an Schaben, Ratten und dergleichen erinnerndes, köstlich gestaltetes Getier. Orpheus‘ Gesang, der zunächst ein durch Schlagen seiner Laute hervorgerufenes Flötenspiel ist, bringt alle dazu, sich friedlich miteinander niederzulassen (man fühlt sich an die wilden Tiere und das Spiel der Zauberflöte in Mozarts gleichnamiger Oper erinnert). Verstorbene und in der Unterwelt umherwandelnde Menschen werden mit schwarzen Schleiern charakterisiert. Die verdammten Geister tragen zusätzlich Ketten. Pluto ist ein prachtvoll ausgestatteter Gott, der mit langem grauen Haar und Bart ein bisschen an Gottvater erinnert. Herrlich wirr agieren die „wilden Weiber“, die Orasia zum Mord an Orpheus aufgehetzt  hat.

Höchst eindrucksvoll das Ensemble die barocke Körpersprache um und zeigen auch gesanglich beachtliche Leistungen in diesem nicht alltäglichen Stil. Natürlich sind die Solisten keine ausgewiesenen Barockspezialisten, das erwartet man auch nicht – und entdeckt doch einige Überraschungen. Konstantinos Klironomos singt den Eurimedes mit gleichmäßig durchgeformtem, klangschönem, schlankem Tenor und empfiehlt sich auch gänzlich überzeugend mit Gestik, Mimik und Spiel für weitere Partien in Barockopern. Levente György gibt den Pluto mit vollem, satten und doch beweglichen Bass und verleiht der Figur zusätzlich einen Hauch von Humor. Meike Hartmann ist eine wundervolle Eurydike mit warmem Timbre und bewegenden, legato geführten Koloraturen. Siri Karoline Thornhill ist eine koloratursichere Orasia mit substanzreichem Sopran, der aber nicht in allen Lagen gleichmäßig durchgeformt klingt. Peter Kubik bewältigt die umfangreiche und anspruchsvolle Partie des Orpheus mit größtem Engagement und bewegt insbesondere mit den todessehnsüchtigen Arien. Aber ideal ist die Partie für seine Stimme nicht, die hier immer wieder leicht angestrengt klingt. Die kleineren Partien sind fast alle mit einer Arie bedacht, die ausnahmslos wunderbar gesunden wird: Neele Kramer als Ascalax, Antonia Radneva als Ismene und Steffi Fischer als Cephise. Stephan Freiberger (Echo), Daniel Käsmann (Geist), Karin Schibli (Priesterin) und die Tänzerinnen Annika Dickel und Sabrina Hauser komplettieren das Ensemble adäquat. Ein Sonderlob gebührt dem Chor – nicht nur für den kultivierten, homogenen, leichten Klang, sondern auch für die überzeugende Umsetzung der barocken szenischen Ausdrucksweisen und Tänze. Letzteres gilt ebenso für die Statisterie.

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Siri Karoline Thornhill (Orasia), Damenchor

Der Orchestergraben ist typischerweise halb hochgefahren, so dass Dirigent und Orchester ihn von der ersten Reihe aus betreten. Für die Streicher wurden speziell für diese Produktion Barockbögen angeschafft und auch ein neues Cembalo erklingt aus dem Orchestergraben. Die Musiker des klein besetzten Orchesters wurden intensiv mit barocker Spielweise vertraut gemacht. Gemeinsam mit zusätzlich engagierten Barockinstrumentalisten beeindrucken sie mit hochengagiertem, stilsicherem Spiel unter Ihrem neuen GMD und Operndirektor Florian Ziemen, der die quicklebendige Aufführung mit sprudelnder Energie, sängerfreundlicher Umsicht und Exaktheit leitet.  Ziemen hat mit dieser Barockoper in Hildesheim neue Wege beschritten – sehr erfolgreich, wie der begeisterte Applaus mit Standing Ovation des Premierenpublikums zeigte. Damit wird auch die viel bemühte These des modernen Regietheaters „So kann man das dem Publikum heute nicht mehr präsentieren“ widerlegt. Man kann das sehr wohl – wenn man kann – und bereichert damit die Opernlandschaft in ihrer Vielfalt ganz ungemein, auch im Repertoirebetrieb, nicht nur im Rahmen von Festspielen.

FAZIT

Ein wundervoller Opernabend, der die Qualitäten und den Genussfaktor einer barocken Oper mit ihren ureigensten weitgehend historischen szenischen Mitteln zeigt und auch musikalisch mit beeindruckenden Qualitäten überzeugt


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung und Choreografie
Sigrid T’Hooft

Bühne und Kostüme
Stephan Dietrich

Chor
Achim Falkenhausen

Dramaturgie
Maximilian Hagemeyer

 

Opernchor des TfN

Statisterie des TfN

Orchester des TfN

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Orasia
Siri Karoline Thornhill

Orpheus
Peter Kubik

Eurydike
Meike Hartmann

Eurimedes
Konstantinos Klironomos

Ismene 
Antonia Radneva

Cephise
*Steffi Fischer /
Kathelijne Wagner

Pluto
Levente György

Ascalax
Neele Kramer

Priesterin
Agnes Buliga-Contras /
*Karin Schibli

Ein Geist
*Daniel Käsmann /
Atsushi Okumurat

Echo
*Stephan Freiberger /
Jesper Mikkelsen

Tänzerinnen
*Annika Dickel /

*Sabrina Hauser /
Judith Hölscher

 


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Theater für Niedersachsen
(Homepage)



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