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Musiktheater
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Die Soldaten

Oper in vier Akten
Text vom Komponisten
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz
Musik von Bernd Alois Zimmermann


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 1) am 29. April 2018


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Frauen an die Macht?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclair

Schon der Anblick der Orchestermassen überwältigt, wenn man die Zuschauertribüne im Staatenhaus betritt. Dabei sind es nicht einmal alle Musiker im Blickfeld; einige Schlagzeuggruppen sind um die Tribünen herum aufgebaut. Für eine Bühne ist kein Platz, als Spielfläche dient eine schmale Galerie, ein Laufsteg um Orchester und Publikum herum. Damit man sich jederzeit dem momentanen Geschehen zuwenden kann, ist die normale Bestuhlung ausgetauscht gegen Drehschemel. Die Anordnung kommt durchaus dem entgegen, was Zimmermann einmal vom Theater der Zukunft gefordert hat, ein alles vereinnahmendes Theater oder, in Zimmermanns nicht ganz glücklicher Formulierung, das "totale" Theater. 53 Jahre haben diese Soldaten gebraucht, um nach Köln zurückzukehren - in die Stadt, in der nach langem Ringen 1965 die Uraufführung der Oper stattgefunden hat. Auch wenn viele Bühnen dieses Jahrhundertwerk nachgespielt haben, vermittelt die Raumanordnung einen Eindruck von den eminenten Schwierigkeiten, die eine Aufführung mit sich bringt. Umso bewundernswerter die stoische Ruhe, mit der Chefdirigent François-Xavier Roth das ausgezeichnete Gürzenich-Orchester durch die komplexe Partitur führt, unterstützt von drei Ko-Dirigenten im Raum (Arnaud Arbet, Jordan Gudefin, Arne Willimczik). Bei aller Attacke mancher orchestralen Aufschreie bleibt der Klang transparent, von einer gewissen Leichtigkeit, in den vielen zarten Passagen sowieso, aber selbst in den kraftvollen Klangballungen. Und ebenso bestaunenswert, wie die Sängerinnen und Sänger auch über große Distanz zum Orchester hinweg mit unglaublicher Selbstverständlichkeit auch die schwierigsten Gesangslinien bewältigen.

Fotos kommen später

Marie (Emily Hindrichs)

Die Regie ist Carlus Padrissa anvertraut, dem Kopf des Künstlerkollektivs La Fura dels Baus mit Wurzeln im Straßentheater und Garant für bildmächtige multimediale Spektakel wie in Köln bei Sonntag aus Licht, Benvenuto Cellini oder Parsifal. Padrissa und sein Team (Bühne: Roland Olbeter, Kostüme: Chu Uroz, Choreographie: Mireira Romero Miralles) bespielen virtuos den Raum. Zunächst einmal wird die Geschichte gut nachvollziehbar erzählt: Den Abstieg des Bürgermädchens Marie zur schnell verstoßenen Geliebten eines Edelmanns und weiter bis zur Straßenhure. Zwar zeigt Padrissa keine Charakterstudien der Figuren, wohl aber eine klare Typisierung. Desportes, Maries erster Verführer, ist ein soldatischer Haudegen, ihr zweiter Liebhaber Mary ein smarter Offizier am Schreibtisch, schließlich der von Marie umworbene Graf ein kraftloses Muttersöhnchen. Simultanszenen lassen sich unproblematisch umsetzen, genug Spielfläche gibt es schließlich. Die von Zimmermann intendierte Zeit- und Ortlosigkeit des Dramas zeigt sich an den Uniformen unterschiedlichster Armeezugehörigkeit. So machen's alle Soldaten, egal ob unter dem UN-Blauhelm oder unter dem Turban. Videosequenzen (Marc Molinos, Alberto de Gobbi) werden konsequent, aber nicht überbordend eingesetzt und liefern eher selten "reale" Bilder, die sich direkt auf die Geschichte beziehen. Feuer und Wasser passen immer; Körperhaufen lassen an Leichenberge denken, werden dann aber puppenhaft animiert; manche mikroskopischen Strukturen wirken ziemlich rätselhaft.

Fotos kommen später

Im Kaffehaus: Tuchhändler Stolzius, der Verlobte Maries, wird von Soldaten verspottet

Das Unbestimmte, Verspielte gehört seit je zum Wesen von La Fura dels Baus und zeigt sich am stärksten in den nicht immer glücklichen Kostümen. Marie ist, man sieht's an den Schulterklappen, so eine Art Damenhandtasche, und unter dem Reifrock trägt sie einen (von Armen, die aus den Wänden erscheinen, eifrig begrapschten) Lendenschurz in den französischen Nationalfarben; später wechselt sie den Rock aus gegen einen, der bedruckt ist mit unterschiedlichsten Flaggen und einer Reihe von "Emojis", wie sie in der Smartphone-Kommunikation verwendet werden - der Sinn erschließt sich nicht. Die Gräfin de la Roche (Mutter des Grafen und Beinahe-Retterin Maries, der sie eine Stelle als Gesellschafterin anbietet) ist nichts weniger als der Eiffelturm - auch hier wieder die Schulterklappen als Basis der Konstruktion, und als Kopfschmuck trägt sie die Spitze des Turms. Das will nicht so recht zur Ausweglosigkeit des Sujets passen.

Fotos kommen später

4. Akt: Simultanszenen mit Videosequenzen

Eine zentrale Frage ist der Umgang mit dem Schluss. Zimmermann, der den Untergang Maries weniger als Einzelschicksal denn als Ausdruck des alles vernichtenden Automatismus einer militarisierten Welt sah, hat sich die Atombombe als finales Bild vorgestellt, den vollständigen Untergang der Menschheit. Padrissa bietet einen im weitesten Sinn optimistischen Schluss, nämlich eine Massenhinrichtung aller Soldaten durch Erhängen, was bei aller Brutalität des Bildes an sich ja als Überwindung des Soldatischen verstanden werden kann. Gleichzeitig laufen militante Frauenrechtlerinnen (die beim Präludium noch von Soldaten niedergerungen wurden) über die Galerie. Ob die aber weniger zimperlich mit der Welt umgehen als die Männer? Vorbereitet wird diese Wendung nicht, die Oper selbst legt das auch nicht gerade nahe. In dem Moment, wo die Regie Diskurstheater sein möchte, fällt sie in sich zusammen.

Fotos kommen später

Marie und ihr Vater

Stärker als die Szene beglaubigt die Musik den Weg in die Katastrophe. Emily Hindrichs ist eine phänomenale Marie von außerordentlicher stimmlicher Präsenz, kraftvoll und ausdrucksstark. Nikoley Borchev steht ihr als Stolzius, unglücklicher Verlobter und späterer Rächer von Marie, kaum nach mit geschmeidigem, groß auftrumpfendem Bariton. Martin Koch ist ein Desportes mit sicherem Tenor, Wolfgang Stefan Schwaiger ein eleganter Offizier Mary, Sharon Kempton eine stimmlich in allen Lagen gewandte Gräfin, Oliver Zwarg ein eindrucksvoller Feldprediger Eisenhardt und auch Judith Thielsen als Maries Schwester Charlotte und Frank van Hove als Maries Vater ausgezeichnete Besetzungen, wie es überhaupt im großartigen Ensemble keine Ausfälle gibt.


FAZIT

Die Soldaten bleiben eine Großtat, musikalisch und technisch grandios umgesetzt. Über manche szenischen Details sollte man besser nicht zu sehr nachdenken, denn die Stärke der Regie liegt im multimedialen Gesamteindruck.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
François-Xavier Roth

Inszenierung
Carlus Padrissa (La Fura dels Baus)

Bühne
Roland Olbeter

Kostüme
Chu Uroz

Video
Marc Molinos
Alberto de Gobbi

Licht
Andreas Grüter

Choreographie
Mireira Romero Miralles

KLangregie
Paul Jeukendrup

Dramaturgie
Georg Kehren


Statisterie der Oper Köln

Mitglieder des Herren- und
Extrachores der Oper Köln und Gäste

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Wesener
Frank van Hove

Marie
Emily Hindrichs

Charlotte
Judith Thielsen

Weseners alte Mutter
Kismara Pessatti

Stolzius
Nikolay Borchev

Stolzius' Mutter
Dalia Schaechter

Obrist
Miroslav Stricevic

Desportes
Martin Koch

Pirzel
John Heuzenroeder

Eisenhardt
Oliver Zwarg

Haudy
Miljenko Turk

Mary
Wolfgang Stefan Schwaiger

Gräfin de la Roche
Sharon Kempton

Der junge Graf
Alexander Kaimbacher

Bedienter der Gräfin de la Roche
Alexander Fedin

Der junge Fähnrich
Ján Rusko

Drei junge Offiziere
Young Woo Kim
Dino Lüthy
Peter Tantsits

Der betrunkene Offizier
Hoeup Choi

Drei Hauptleute
Heiko Köpke
Carsten Mainz
Anthony Sandle

Drei tanzende Fähnriche
Alexeider Abad Gonzalez
Adrián Castelló
Charles de Moura

Andalusierin
Katerina Giannakopolou

Madame Roux, Kaffeehausbesitzerin
Silke Natho



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)



Da capo al Fine

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