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Ein PhantomVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
Nein, Des Grieux hat keine Chance: Mag er sich auch von der Welt abwenden und in den Glauben flüchten wollen - so betörend, wie diese Manon singend um ihn wirbt, ist es mit der Priesterlaufbahn vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat. Sonderlich fest war das Fundament dazu ohnehin nicht, im Gegenteil: Das Polster, auf dem er kniet, gehört eindeutig der Farbenwelt Manons an. Der nämlich gehören die Rottöne in einer ansonsten unterkühlten und hart ausgeleuchteten schwarzweiß Bühne, die sich als langer, nicht sehr hoher Streifen hinter dem Orchester durch den Raum zieht wie ein Laufsteg, aber auch Sinnbild für das Stationendrama, das am Zuschauer vorbeizieht. Regisseur Johannes Erath und sein Team (Bühne: Herbert Barz-Murauer, Kostüme: Gesine Völlm, Licht: Nicol Hungsberg, Video: Bibi Abel) haben eine faszinierende, konsequent durchgehaltene Ästhetik gefunden, eine frostige Aura des schönen Scheins, die ebenso dekorativ wie funktional ist. Blitzartig ändert sich durch Videoprojektionen das Bild. Da wird ein Augenpaar eingeblendet, wie die Augen eines Raubtiers, dann wieder Pariser Stadtlandschaften (in nostalgisch monochromem Grau); man erahnt die Metrostation wie die Oper, und im nächsten Moment wird abgeblendet und man befindet sich in einem Innenraum. Wie ein Mosaik setzen die Bilder sich zusammen zu einer nie ganz greifbaren Geschichte: Manon bleibt eine schemenhafte Gestalt, die immer etwas von einem Fantasieprodukt, auch einer Projektionsfläche hat und doch eine enorme Präsenz besitzt. Liebe auf den ersten Blick in der Untergrundbahn: Des Grieux und Manon
Das Geschehen wird in eine nicht ganz genau fixierte Gegenwart transformiert. Die schicksalhafte Begegnung zwischen Manon und Des Grieux findet nicht an der Poststation beim Wechsel der Kutschen, sondern in der Métro statt. Das Mädchen kommt als graue Maus vom Land in die große Stadt Paris (und das ist unbedingt richtig, auch wenn es laut Libretto zunächst Amiens ist), wo sie vorsichtig den Mantel aufschlägt wie einen sich öffnenden Kokon, aus dem sich umgehend ein feuerroter Schmetterling entpuppt. Fortan ist sie der Blickfang, unbedingtes Zentrum, um das alles kreist. Ein Kaffeehaustisch wird zum visuellen Leitmotiv (schon im Foyer steht so einer herum). Manon wird über so einen Tisch streichen, wenn sie Des Grieux und die gemeinsame Wohnung verlässt, so steht das in Text und Musik und wird hier sehr genau umgesetzt und fortgeführt. Manon gelingt der Aufstieg zur glamourösen Werbeikone für die eigene Parfümlinie mit dem Namen ML, ihren Initialien; der Abstieg vollzieht sich postwendend über die Halbwelt der illegalen Spielsalons mit ihrer Person als Gewinn beim Glücksspiel, bis im letzten Bild eine lebensgroße Manon-Puppe im Einkaufswagen über die Bühne geschoben wird. Viel böser kann man ihren Warencharakter nicht darstellen. Auf dem Gipfel: Manon als Werbeikone
Das Geschehen wird vielfach gebrochen. Mitunter gibt es eine zweite Manon auf der Bühne, im blassen Mantel des Beginns, als sei das alles ein Gedankenspiel, ein " Was wäre wenn". Dann wieder gibt es eine getanzte Manon, auf Spitze ganz nach dem Geschmack des Pariser Ballettpublikum - als sei das Leben ein großes Theaterstück für das allgemeine Publikum. Vor dem letzten Akt erklingt aus dem Lautsprecher die verrauchte Stimme von Serge Gainsbourg mit dem Chanson "Manon", Überbleibsel einer vergessenen Verfilmung des Manon-Stoffes von 1968. Und eines fügt sich zum anderen in dieser fesselnden, oft irritierenden Inszenierung, die aus der bescheidenen Bühnentechnik im Staatenhaus Verblüffendes herausholt. Dabei sind es oft die kleinen Gesten, die den entscheidenden Impuls geben. Wie Manon die ersten begehrenden Blicke mit Des Grieux austauscht, den Körper weggedreht, die Beine überschlagen, das erzeugt ungemein intensive Spannung. Verführung in der Kirche: Manon und Des Grieux
Die junge tschechische Sopranistin Zuzana Marková ist eine Traumbesetzung, optisch wie stimmlich: Sie hat die entsprechende Figur (ein Glücksfall für die Regie), spielt sehr überzeugend, beglaubigt das aber auch stimmlich auf eindrucksvolle Art. Ihr Sopran ist leicht und beweglich, dazu einschmeichelnd schön. Man kann sich sicher eine vollere Stimme vorstellen, aber man nimmt ihr das blutjunge und doch so selbstbewusst auftretende Mädchen ab, und bei allem vokal verführerischen Charme hat die Stimme eine faszinierende, luftige Entrücktheit. Diese Manon ist nicht zu fassen, szenisch wie sängerisch nicht, ein Traumgespinst, hinter dem die Männer herjagen, ohne sie fassen zu können, und das ist ganz großes Theater. (Wer sie hören und sehen möchte, muss freilich aufpassen: Die Partie ist in dieser Aufführungsserie gleich dreifach besetzt). Leider hat sie in Dirigent Claude Schnitzler nicht den kongenialen Partner, den man sich wünschen würde. Zwar zeichnet der manchen Rückgriff auf die Musik des Barock, mit dem Massenet in dieser rätselhaften, großartigen Partitur die vermeintlich glorreiche Vergangenheit beschwört, mit filigraner Sorgfalt, aber die andere, romantische Dimension, der Rücksprung ins späte 19. Jahrhundert, gerät eher oberflächlich und undifferenziert, nicht ganz schlecht, aber eben nicht mit der Feinzeichnung, mit der die Sängerin und die Regie glänzen. Zudem spielt das Gürzenich-Orchester mitunter im Detail recht ungenau, auch die Feinabstimmung mit dem (klanglich guten) Chor könnte besser sein. Der Abstieg.
Tenor Atalla Ayan hat es schwer, gegen diese Frau anzusingen; er tut das ohne Fehl und Tadel, mit schönem, nicht zu hellen, geschmeidigen Tenor, aber er bleibt doch in ihrem Schatten, und auch das passt genau zur Regie. Lieder fallen die anderen Darsteller doch ein ganzes Stück gegenüber diesem grandiosen Liebespaar ab. Wolfgang Stefan Schwaiger gibt Manons Vetter Lescaut als halbseidenen Ganoven mit dem Messer im Stiefel; die wenig fundierte Stimme hat metallische Schärfe und dadurch Präsenz, durchaus rollenkonform in dieser Sichtweise, aber nicht immer schön. Ähnliches gilt für Nikolay Didenko als Vater Des Grieux, schneidend kraftvoll und darin eindrucksvoll, aber die Stimme dürfte voller und wärmer sein. Ziemlich blass bleiben Manons Verehrer und Liebhaber Morfontaine (John Heuzenroeder) und de Brétigny (Insik Choi), akzeptabel singt das Damentrio Poussette (Menna Cazel), Javotte (Marta Wryk) und Rosette (Dara Savinova), ohne groß in Erinnerung zu bleiben.
Eine ebenso kluge wie ästhetisch faszinierende Regie mit einer großartigen Hauptdarstellerin: Diese Manon gehört zum Besten, was in Köln und darüber hinaus in der jüngeren Zeit zu erleben war. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Manon Lescaut
Chevalier des Grieux
Graf des Grieux
Lescaut
Guillot de Morfontaine
de Bretigny
Poussette
Javotte
Rosette
Wirt / Pförtner / Gardier
Zwei Gardisten
Tänzerin Double Manon
Tänzer Double Des Grieux
Akkordeonist
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