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Der Liebe Wesen wird auf diese Art sicher nicht ergründetVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
Es tut sich ein Abgrund auf an diesem Bundestagswahl- und Premierenabend im Kölner Staatenhaus. In der Bühne, leicht schräg gestellt und mit Schlammresten oder Ähnlichem versehen, klafft ein kraterförmiges Loch. Unten sitzt das Orchester, das damit immerhin mal wieder so etwas wie einen Graben hat; oben muss sich der riesige Chor, der im Übrigen ganz fabelhaft singt (Einstudierung: Andrew Ollivant), etwas bemüht am Rand entlang quetschen (Bühne: Darko Petrovic). Für die Solisten gibt es eine erhöht gebaute Brücke über diesen Riss, der symbolisch steht für … für … ja, wofür eigentlich? Sagen wir mal: Für die Zerrissenheit des Menschen. Das stimmt ja irgendwie immer. Skandal! Solch' anrüchiges Verhalten kann in Wartburgkreisen nicht geduldet werden!
Der moderne Mensch nämlich, genauer: der moderne Mann, der sitzt mit seinem Laptop einsam in kleinen Nischen (die Säulenreihe im Köln-Deutzer Staatenhaus gibt das sehr bildwirksam her), und da bekommt er gelegentlich Damenbesuch, wobei die Damen alle gleich aussehen und orangerote Perücken tragen und offensichtlich zum Team der Frau Venus gehören, die nicht mehr ganz jung klingt und auch nicht so aussieht, ganz in Schwarz eher wie eine Hexe (Kostüme: Annika von Pfuel). Dalia Schaechter fehlt leider auch vokal jedes verführerische Timbre; ein paar dramatische Attacken, mitunter auch flackernd, und ein paar ganz hübsch gesäuselte Pianissimo-Töne sind ein bisschen wenig für die Partie. Kein Wunder, dass Tannhäuser sie verlässt und auf eine hübsche und einigermaßen junge Dame zustürzt, die ein weißes Kleid mit einer in AfD-blauem Samt ausgeschlagenen Kapuze trägt und ein wenig so ausschaut, wie sich die Rechten wohl ein blondes deutsches Mädel wünschen. Das soll die Sphäre "Heilige Jungfrau" darstellen. An dieser Stelle hat es Regisseur Patrick Kinmoth allerdings bereits verpasst, einen durch den Abend tragfähigen Konflikt aufzubauen. Besserverdiener, die sich nebenbei auf amouröse Eskapaden oder gar käuflichen Sex einlassen (so ganz klar wird das nicht) - ist das ein Skandal, über den man eine Oper inszenieren muss? Und ist die sinnliche Liebe wirklich die "schwarze" Seite der Liebe, wie die Farbsymbolik suggeriert? Beziehungskrise: Tannhäuser und Venus.
Auch Elisabeth ist eine zerrissene Persönlichkeit, sinnlicher Liebe ebenso zugetan wie einer vergeistigten. Gleich zu Anfang sieht man sie in Jungfrau-weißem Oberteil mit Venus-schwarzer Strumpfhose(und leicht rötlichem Haar). Kristiane Kaiser beglaubigt das aber stimmlich mit dramatisch leuchtendem, durch das Vibrato allerdings auch immer wieder in der Intonation ungenauen Sopran, der auch die leisen Passagen im dritten Aufzug trägt. Sie kämpft einigermaßen erfolgreich an gegen eine immer wieder lähmende Regie, die ihre womöglich gar nicht so falschen Gedanken kaum einmal umsetzen kann. Immer wieder durchwandern Statistinnen den Raum, oft synchronen Schritts in Gruppen. Aber wenn sie in Weiß gekleidet sind und orangerote Perücken tragen, dann ist die Inszenierung beim Klischee von "Hure und Heilige" angekommen. Wir haben von beidem etwas, von Reinheit und von Sinnlichkeit (oder vom Wunsch nach beidem), so könnte man die sichtbare, nicht sehr originelle Botschaft des Abends zusammenfassen. Dafür muss man manche Unsäglichkeit schlucken. Ein Beispiel: Einen "stolzen Eichwald" behauptet Wolfram im Sängerkrieg zu sehen. Halluziniert der Mann? Er ist doch im Festsaal der Wartburg! Aber die Regie weiß Abhilfe und kleidet die Choristinnen in enganliegende gründe Kostüme (mit orangeroten Perücken), und Wolfram legt tatsächlich an diese "Eichen" die Axt an (echte Axt!), worauf die Damen niedlich einknicken. Hier wird die Lust regelrecht abgeholzt. Elisabeth und der Landgraf in der "theuren Halle", die hier allerdings recht spartanisch ausfällt.
Miljenko Turck, der den Wolfram singt, hat vor ein paar Jahren noch mit einem betörend schönen Bariton geglänzt, in den sich inzwischen manches scharfe Metall mischt. Immerhin trifft Turk oft sehr schön den liedhaften Tonfall, der dem Dirigenten Françoise-Xavier Roth vorschweben dürfte. Roth hat sich explizit die frühe Dresdener Fassung des Werkes gewünscht, und er dirigiert die Oper aus dem Geiste der Frühromantik. Dabei tritt er im ersten Aufzug allerdings undramatisch auf der Stelle, als handele es sich um ein Liederspiel des Biedermeier. Man hört jedes Detail, die Klangbalance im ausgezeichneten Gürzenich-Orchester ist hervorragend, jede noch so kleine Note wird ausgespielt - aber es geht nicht voran, und auf der Bühne müssten dann auch Sänger stehen, die das stimmlich auffangen könnten, die klangvoll und schlicht und dann auch dramatisch singen könnten - und das auch noch direkt an der Rampe (dahinter ist der besagte Abgrund) in der heiklen Akustik dieses Raumes. Das ist ein bisschen viel verlangt, und nicht nur deshalb ist es gut, dass Roth im zweiten und dritten Aufzug die große Linie besser im Ohr hat und dramatischer, spannender dirigiert (und trotzdem die außerordentliche Feinzeichnung im Detail beibehält). Da ist es dann plötzlich große Musik, die mit den Belanglosigkeiten der Bühne versöhnt, wo, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, die anfangs perfekt gekleideten Pilger zerlumpt aus Rom zurückkehren und Tannhäuser und Elisabeth letzten Endes (während der Körper der eigentlich ja schon verstorbenen) Elisabeth verbrannt wird) unbestimmt nach hinten abgehen. Alles doof? Elisabeth ist offensichtlich unzufrieden mit dem Verhalten der Männer.
David Pomeroy schlägt sich als Tannhäuser achtbar, mit Höhen und Tiefen. Wenn der Kanadier nicht aufpasst, wird die Aussprache mulmig (es heißt "erbarm dich mein" und nicht "erwarm dich mein") und der Sitz der Stimme ungenau, dadurch auch der Klang unschön. Aber er hat Kraft und Höhe, und etwa die "Romerzählung" besitzt auch gestalterisches Format. Karl-Heinz Lehner gibt einen weitgehend soliden Landgrafen (ab und zu gerät er aus dem Takt) mit stimmlicher Autorität, etwas wacklig in der Höhe. Mit nicht zu leichtem, interessant timbrierten Sopran ist María Isabel Segarra ein bemerkenswert guter junger Hirt.
Szenisch ist dieser Tannhäuser verschenkt, stimmlich durchwachsen. Interessant ist er in erster Linie des Dirigats von Françoise-Xavier Roth wegen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Herrmann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
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