„Kein
Tisch bleibt ganz, kein Stuhl, kein Spind,
sooft
Germanen gemütlich sind“
Von Bernd Stopka
/
Fotos von Falk von
Traubenberg
Es
zeugt von einer guten Portion Humor, wenn
ein Haus, das gerade dabei ist, Wagners Ring
des Nibelungen auf die Bühne zu
stellen, daneben auch Die lustigen
Nibelungen von Oscar Straus auf den
Spielplan setzt. Diese 1904 in Wien
uraufgeführte burleske Operette auf den
Text von Fritz Oliven, der seinem
Pseudonym Rideamus („Lasst uns lachen“)
alle Ehre macht, karikiert zurzeit in
Karlsruhe die hehren germanischen Helden
auf höchst amüsante Weise, holt sie vom
Podest, ohne die Figuren lächerlich zu
machen (allenfalls die, die sie auf die
Podeste stellen). Wenn bei Wagner die Welt
bedeutungsvoll und wortreich entsteht und
untergeht, plagen sich die lustigen
Nibelungen neben furchtbaren Ängsten und
noch fürchterlicheren Rachegelüsten,
maßloser Wut, unbefriedigter Lust auch mit
von Drachenblutwurst verdorbenen Mägen,
und dergleichen. Aber Oliven und Straus
nehmen nicht Wagners Version des
Nibelungenstoffes aufs Korn, sondern das
Nibelungenlied. Ihnen gelingt die ganz
große Kunst, Wortwitz entstehen zu lassen,
in dem hehre Momente ganz profan
formuliert werden und König und Recken zu
Normalbürgern werden. Das funktioniert für
sich allein hervorragend, aber für den
Wagner-Kenner entsteht nebenbei durch die
kontrastierenden Texte zu dessen
hochgestochener Dichtung eine zusätzliche
Komik, die schmunzeln, lachen und zuweilen
auch kein Auge trocken bleiben lässt. Als
ernsthafterer Hintergrund werden
Militarismus, Nationalstolz, das große
deutsche Heldentum und die Kriegs- und
Kampfbegeisterung der Entstehungszeit aufs
Korn genommen, was die Operette im Laufe
der Geschichte ziemlich schnell von der
Bühne verschwinden ließ.
Daniel Pastewski (Hagen),
Edward Gauntt (Dankwart), Volker
Hanisch (Volker), Michael Dahmen
(Gunther), Rebecca Raffell (Ute),
Tiny Peters (Giselher), Ina
Schlingensiepen (Kriemhild)
Das
Ganze wird musikalisch mit
verschiedenen Stilen spielend
kontrastierend unterstrichen und
auf zusätzliche Weise
persifliert: Ein Rachechor als
Reigen, ein Melodram als
Selbstfindungsprozess… Schade,
dass man auf Siegfrieds Couplet
„Ich hab‘ ein Bad genommen“
verzichtet hat, indem er das
Heiraten und Baden auf gleicher
Stufe als unnötig bejammert.
Kriemhilds Traum von Siegfried
macht Elsas Traum alle Ehre und
man hört Lohengrin-Klänge, die
aber keine sind, sondern Wagner
imitieren. Solche Momente findet
man immer wieder und sie machen
großes Vergnügen.
Doch ganz unbeschwert darf das
Karlsruher Publikum das nicht
erleben, woran insbesondere der
„Furor teutonicus“ Schuld ist,
die germanische unbändige Wut
und mitleidlose Raserei wie sie
der römische Dichter Tacitus vor
2000 Jahren beschrieben hat. „So
war’s bei den Germanen von
Alters Brauch. So taten‘s uns’re
Ahnen und wir tun’s auch!“
singen Dankwart, Ute und ihre
Brut immer wieder. Darum rankt
sich der Regieansatz von
Johannes Pölzgutter, der den
„Furor teutonicus“ vom
Mittelalter über das Kaiserreich
bis in die Gegenwart dekliniert.
Nikolaus Webern hat dazu ein
ebenso symbolträchtiges wie
praktikables Bühnenbild
geschaffen: Einen
mittelalterlichen Saal, dessen
Tiefe mit gemalten Hängern und
einem Hintergrundprospekt ganz
klassisch entsteht. Der
Hintergrundprospekt wird vor
Brünnhildes Ankunft entfernt und
die mittelalterlichen Säulen und
Bögen fokussieren den Blick auf
eine dreigeteilte Drehbühne, die
entweder ein spießiges
Wohnzimmer mit Schrankwand, ein
blümchentapetenbemustertes
Schlafzimmer oder ein üppig
großes Badezimmer mit
Schwanenfliesenbordüre als
Abschluss zeigt.
Tiny Peters (Giselher), Edward Gauntt
(Dankwart), Daniel Pastewski (Hagen), Michael
Dahmen (Gunther), Ina Schlingensiepen (Kriemhild)
Die
Mitglieder der
Familie
kriechen
während der
Ouvertüre als
Untote aus der
Unterbühne,
recken und
räkeln sich zu
neuen
(Un-)Taten,
denn sie sind
die treibenden
Kräfte, die
Germanen,
Teutonen,
Deutsche…
immer und
immer wieder
das gleiche
Schema des
„Furor
teutonicus“
durchleben
lassen.
Solange dieses
Muster nicht
durchbrochen
ist, ist keine
Rettung in
Sicht. Der
Regisseur
lässt sie am
Ende darum
wortwörtlich
nachsitzen und
sie müssen aus
den dramatisch
endenden
Versionen des
Nibelungenstoffes
von Loriot,
Wagner und
Heiner Müller
zitieren und
bemühen auch
das
Nibelungenlied.
Doch der
Knoten ist
bereits
gelöst: Die
Operette
beginnt mit
einer
Potpourri-Ouvertüre
und endet mit
einem
Potpourri-Duett,
in dem
Brünnhilde und
Siegfried,
einen
außergerichtlichen
Vergleich auf
50 Prozent
schließen, der
jubelnd
besungen wird.
50 Prozent von
was auch
immer, denn
der
Nibelungen-Schatz,
der hier nicht
auf einer
Sandbank im
Rhein, sondern
auf der
Rheinischen
Bank liegt,
die gerade
Pleite
gegangen ist,
gibt beim
Teilen nur
noch wenig
her…
Doch bis zu
diesem Finale
gibt es noch
vielerlei zu
sehen und zu
hören.
Brünnhildes
Begleiterinnen,
die sich in
karikierendem
Walküren-Gejauchze
ergehen, ihr
Boxeroutfit
unter dem
üppigen Kleid
aus
Faschingseide
(Janina Ammon
hat herrliche
Kostüme
gestaltet, die
uns durch die
Zeiten führen,
besonders die
mittelalterlichen
sind ein
Augenschmaus).
Ihr Weitwurf
mit der
(schwereren)
Meistersinger-Partitur,
der Rundwurf
des
unsichtbaren
Siegfrieds für
Gunther mit
der
Rheingold-Partitur,
das
"Gläserzersingen"…
– und der
Bayreuther
Meister schaut
als Büste aus
der
Wohnzimmerwand
zu, aus der
die
unsichtbaren
Drachenkinder
Titzel und
Tatzel Feuer
speien und in
der, hinter
einem Bild der
drei
Rheintöchter,
eine
Schatzkiste
mit
Wertpapieren
statt Gold
versteckt ist.
Immer wieder
wird auch
Theater auf
dem Theater
gespielt. Wenn
Regieanweisungen
gelesen
werden, die
Drehbühne von
einem Sänger
bedient wird
oder wenn der
Barde seinen
König Gunther
auf der Leier
begleiten soll
und
stinksauer
auf die Harfe
im Orchester
ist, weil sie
ihm Arbeit und
Ruhm wegnimmt.
Siegfried ist
ein gealterter
Grandseigneur
im perfekt
sitzenden
Frack, der
mehr von sich
macht, als er
ist und mit
seinem
Rheingold an
der goldenen
Kette die
Leute bezirzt,
wie Gabriel
von Eisenstein
mit seiner Uhr
in der Fledermaus.
Aus dem
allwissenden
und weisen
Waldvogel, den
Oliven und
Straus aus
Wagners Siegfried
übernommen
haben, macht
das Regieteam
einen von
mehreren
Schwarzalben,
also
Nibelungen,
denen einst
der Schatz
geraubt wurde
und die nun
als
Hausangestellte
dienen.
Dezente
szenische
Andeutungen
oder Zitate
(z. B. die
geöffnete Tür
des
Schlafzimmers
mit Ausblick
auf eine
Kostümstange)
schlagen
Brücken zur
aktuellen
Ring-Produktion
auf der
Karlsruher
Bühne.
Ensemble
Über die Idee den „Furor
teutonicus“ in der heutigen
Zeit als Demonstration mit
nationalistischen,
ausländerfeindlichen und
ähnlichen Parolen auf
Transparenten zu zeigen, lässt
sich streiten. Aber die
Demonstration immer und immer
wieder über die Bühne zu
schicken und dazu den „Furor
teutonicus“-Chor singen zu
lassen, wird schnell lästig
und bringt schöne Grüße vom
Holzhammer mit. Wenn König
Gunther eine Fernsehansprache
hält, in der er alle Schuld an
der heiklen Situation von sich
weist, in die er Siegfried und
Brünnhilde gebracht hat, als
er Siegfried bat, Brünnhilde
für ihn gefügig zu machen,
erinnert das in der Art und im
Wortlaut stark an Senator
White, der sich in der
Fernsehserie Little Britain
immer wieder für solche
Situationen rechtfertigen
muss. Das ist eine gelungene
komische Aktualisierung,
ebenso dass die
mittelalterlichen Untoten
einen Scheinwerfer als etwas
Fremdes und Gefährliches
begaffen, was an Catweazle und
das „Elektriktrik“ erinnert.
Doch eigentlich könnte sich
der Regisseur auf die Komik
des Originals verlassen und
auf den Ansatz, das Komische
ernst zu nehmen und ihm damit
erst die echte Komik zu geben
beziehungsweise zu lassen.
Aber er versucht – was ebenso
unsterblich zu sein scheint
wie der „Furor teutonicus“ –
das Komische noch komischer zu
machen und versenkt immer
wieder feine Komik in plattem
Klamauk. Dass der Chor in
Unterwäsche mit Fan-Schals wie
zu einem Fußballspiel zum
Zweikampf erscheint, wirkt
mehr gewollt als geschickt
aktualisiert und genauso wenig
komisch, wie Gunther, wenn er
sich ein Frauennachthemd
anzieht, um in der Badewanne
zu schlafen, in den ihn
Brünnhilde verbannt hat. Und
wenn Giselher ein dringendes
Bedürfnis verspürt, an dessen
Verrichtung ihn die
Zwergen-Diener hindern, er
dann aber doch auf dem Klo
stehend ins Waschbecken
pinkelt, haben wir ein Niveau
erreicht, dass diese Operette
nun wirklich nicht verdient
hat. Dass einer der Zwerge die
ganze Bühne als Schlussgag in
die Luft sprengt, allerdings
auch nicht.
Rebecca Raffell (Ute), Tiny Peters (Giselher),
Edward Gauntt (Dankwart), Daniel Pastewski
(Hagen), Michael Dahmen (Gunther), Christina
Niessen (Brunhilde), Volker Hanisch (Volker),
Klaus Schneider (Siegfried), Ina
Schlingensiepen (Kriemhild), Chor
Ganz
viel Vergnügen
macht Dominic
Limburgs
schmissiges
Dirigat mit
der richtigen
Kombination
aus Elan und
Feinsinn für
die
Köstlichkeiten
der Partitur,
die ironischen
Andeutungen
und krassen
Überzeichnungen.
Ob die
eingefügten
echten
Wagner-Zitate
(Rheingold-Beginn,
Riesenmotiv,
Trauermarsch,
Götterdämmerungsfinale,
Abendstern…)
aber sein
müssen? Sie
nehmen den
angedeuteten
und
assoziativen
Wagner-Elemente
der
Original-Partitur
mehr als sie
dem Gesamtwerk
geben.
König Gunther
wird von
Michael Dahmen
mit
stimmlicher
Hochkultur und
sanftem
Schönklang
gesungen. Er
erinnert nicht
nur an
Wolfram,
sondern darf
das Lied an
den Abendstern
auch
tatsächlich
anklingen
lassen.
Schöngesang
eines
Schöngeistes
vom
Feinsten.
Sein Vater
Dankwart wird
von Edward
Gauntt
angemessen
würdig
verkörpert und
gesungen. Als
seine Mutter
Ute kann
Rebecca
Raffell mit
unglaublicher
Spielfreude,
schonungslosem,
vollem
Körpereinsatz
und
herrlich-gewaltig
dröhnendem Alt
die Herzen der
Zuschauer im
Sturm erobern.
Klaus
Schneider
verkörpert den
oben
beschriebenen
gealterten
Siegfried
hochprofessionell
mit
ausgereifter
Stimmtechnik
und feiner
Ausgestaltung.
Er singt die
Partie mit
Konzentration
und einiger
Vorsicht an
den heiklen
Stellen. Er
ist nicht
der
überschwänglich
junge
Heißsporn, den
man als
Siegfried
vielleicht
erwartet, aber
das soll er ja
in dieser
Charakterisierung
gar nicht
sein.
Christina
Niessen gibt
als Brünnhilde
alles, um
dieser
gesangstechnisch
höllisch
schwierigen
Partie gerecht
zu werden,
lässt die
Furie ebenso
hören, wie die
gekränkte und
zickige
Betrogene und
die
selbstbewusst
Liebende –
wunderbar für
diese Rolle.
Ina
Schlingensiepen
ist eine
liebliche
Kriemhild mit
fraulichen
Anteilen, die
die Vielfalt
der Partie von
träumerischer
Kindlichkeit
und herziger
Naivität bis
zu straffem
Selbstbewusstsein
auch stimmlich
zu gestalten
weiß. Daniel
Pastewski ist
ein
überzeugender
Hagen, Volker
Hanisch ein
adäquater
Volker, ebenso
Tiny Peters
als Giselher.
Sophie Bareis
singt den
Vogel alias
Schwarzalben
mit lieblich
hellem Sopran.
Der Chor
klingt
wohleinstudiert
und
kultiviert.
Das Orchester
folgt dem
Dirigat mit
hörbarem
Engagement und
hoher
Konzentration.
FAZIT
Wunderbar,
dass diese köstliche
Nibelungen-Parodie-Operette
wieder einmal ausgegraben
wurde. Musikalisch hin- und
mitreißend, szenisch üppig,
aber stellenweise ein
bisschen zu bedeutungsvoll
und noch komischer sein
wollend, als es die Operette
eh schon ist. Aber allemal
sehens- und hörenswert.
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