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Musiktheater
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Die lustigen Nibelungen

Burleske Operette
Libretto von Rideamus
Musik von Oscar Straus

in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 45 Minuten (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe am 15. Dezember 2017

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

„Kein Tisch bleibt ganz, kein Stuhl, kein Spind,
sooft Germanen gemütlich sind“ 

Von Bernd Stopka / Fotos von Falk von Traubenberg

Es zeugt von einer guten Portion Humor, wenn ein Haus, das gerade dabei ist, Wagners Ring des Nibelungen auf die Bühne zu stellen, daneben auch Die lustigen Nibelungen von Oscar Straus auf den Spielplan setzt. Diese 1904 in Wien uraufgeführte burleske Operette auf den Text von Fritz Oliven, der seinem Pseudonym Rideamus („Lasst uns lachen“) alle Ehre macht, karikiert zurzeit in Karlsruhe die hehren germanischen Helden auf höchst amüsante Weise, holt sie vom Podest, ohne die Figuren lächerlich zu machen (allenfalls die, die sie auf die Podeste stellen). Wenn bei Wagner die Welt bedeutungsvoll und wortreich entsteht und untergeht, plagen sich die lustigen Nibelungen neben furchtbaren Ängsten und noch fürchterlicheren Rachegelüsten, maßloser Wut, unbefriedigter Lust auch mit von Drachenblutwurst verdorbenen Mägen, und dergleichen. Aber Oliven und Straus nehmen nicht Wagners Version des Nibelungenstoffes aufs Korn, sondern das Nibelungenlied. Ihnen gelingt die ganz große Kunst, Wortwitz entstehen zu lassen, in dem hehre Momente ganz profan formuliert werden und König und Recken zu Normalbürgern werden. Das funktioniert für sich allein hervorragend, aber für den Wagner-Kenner entsteht nebenbei durch die kontrastierenden Texte zu dessen hochgestochener Dichtung eine zusätzliche Komik, die schmunzeln, lachen und zuweilen auch kein Auge trocken bleiben lässt. Als ernsthafterer Hintergrund werden Militarismus, Nationalstolz, das große deutsche Heldentum und die Kriegs- und Kampfbegeisterung der Entstehungszeit aufs Korn genommen, was die Operette im Laufe der Geschichte ziemlich schnell von der Bühne verschwinden ließ.

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Daniel Pastewski (Hagen), Edward Gauntt (Dankwart), Volker Hanisch (Volker), Michael Dahmen (Gunther), Rebecca Raffell (Ute), Tiny Peters (Giselher), Ina Schlingensiepen (Kriemhild)

Das Ganze wird musikalisch mit verschiedenen Stilen spielend kontrastierend unterstrichen und auf zusätzliche Weise persifliert: Ein Rachechor als Reigen, ein Melodram als Selbstfindungsprozess… Schade, dass man auf Siegfrieds Couplet „Ich hab‘ ein Bad genommen“ verzichtet hat, indem er das Heiraten und Baden auf gleicher Stufe als unnötig bejammert. Kriemhilds Traum von Siegfried macht Elsas Traum alle Ehre und man hört Lohengrin-Klänge, die aber keine sind, sondern Wagner imitieren. Solche Momente findet man immer wieder und sie machen großes Vergnügen.

Doch ganz unbeschwert darf das Karlsruher Publikum das nicht erleben, woran insbesondere der „Furor teutonicus“ Schuld ist, die germanische unbändige Wut und mitleidlose Raserei wie sie der römische Dichter Tacitus vor 2000 Jahren beschrieben hat. „So war’s bei den Germanen von Alters Brauch. So taten‘s uns’re Ahnen und wir tun’s auch!“ singen Dankwart, Ute und ihre Brut immer wieder. Darum rankt sich der Regieansatz von Johannes Pölzgutter, der den „Furor teutonicus“ vom Mittelalter über das Kaiserreich bis in die Gegenwart dekliniert. Nikolaus Webern hat dazu ein ebenso symbolträchtiges wie praktikables Bühnenbild geschaffen: Einen mittelalterlichen Saal, dessen Tiefe mit gemalten Hängern und einem Hintergrundprospekt ganz klassisch entsteht. Der Hintergrundprospekt wird vor Brünnhildes Ankunft entfernt und die mittelalterlichen Säulen und Bögen fokussieren den Blick auf eine dreigeteilte Drehbühne, die entweder ein spießiges Wohnzimmer mit Schrankwand, ein blümchentapetenbemustertes Schlafzimmer oder ein üppig großes Badezimmer mit Schwanenfliesenbordüre als Abschluss zeigt.

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Tiny Peters (Giselher), Edward Gauntt (Dankwart), Daniel Pastewski (Hagen), Michael Dahmen (Gunther), Ina Schlingensiepen (Kriemhild)

Die Mitglieder der Familie kriechen während der Ouvertüre als Untote aus der Unterbühne, recken und räkeln sich zu neuen (Un-)Taten, denn sie sind die treibenden Kräfte, die Germanen, Teutonen, Deutsche…  immer und immer wieder das gleiche Schema des „Furor teutonicus“ durchleben lassen. Solange dieses Muster nicht durchbrochen ist, ist keine Rettung in Sicht. Der Regisseur lässt sie am Ende darum wortwörtlich nachsitzen und sie müssen aus den dramatisch endenden Versionen des Nibelungenstoffes von Loriot, Wagner und Heiner Müller zitieren und bemühen auch das Nibelungenlied. Doch der Knoten ist bereits gelöst: Die Operette beginnt mit einer Potpourri-Ouvertüre und endet mit einem Potpourri-Duett, in dem Brünnhilde und Siegfried, einen außergerichtlichen Vergleich auf 50 Prozent schließen, der jubelnd besungen wird. 50 Prozent von was auch immer, denn der Nibelungen-Schatz, der hier nicht auf einer Sandbank im Rhein, sondern auf der Rheinischen Bank liegt, die gerade Pleite gegangen ist, gibt beim Teilen nur noch wenig her…

Doch bis zu diesem Finale gibt es noch vielerlei zu sehen und zu hören. Brünnhildes Begleiterinnen, die sich in karikierendem Walküren-Gejauchze ergehen, ihr Boxeroutfit unter dem üppigen Kleid aus Faschingseide (Janina Ammon hat herrliche Kostüme gestaltet, die uns durch die Zeiten führen, besonders die mittelalterlichen sind ein Augenschmaus). Ihr Weitwurf mit der (schwereren) Meistersinger-Partitur, der Rundwurf des unsichtbaren Siegfrieds für Gunther mit der Rheingold-Partitur, das "Gläserzersingen"… – und der Bayreuther Meister schaut als Büste aus der Wohnzimmerwand zu, aus der die unsichtbaren Drachenkinder Titzel und Tatzel Feuer speien und in der, hinter einem Bild der drei Rheintöchter, eine Schatzkiste mit Wertpapieren statt Gold versteckt ist. Immer wieder wird auch Theater auf dem Theater gespielt. Wenn Regieanweisungen gelesen werden, die Drehbühne von einem Sänger bedient wird oder wenn der Barde seinen König Gunther auf der Leier begleiten soll und stinksauer auf die Harfe im Orchester ist, weil sie ihm Arbeit und Ruhm wegnimmt. Siegfried ist ein gealterter Grandseigneur im perfekt sitzenden Frack, der mehr von sich macht, als er ist und mit seinem Rheingold an der goldenen Kette die Leute bezirzt, wie Gabriel von Eisenstein mit seiner Uhr in der Fledermaus. Aus dem allwissenden und weisen Waldvogel, den Oliven und Straus aus Wagners Siegfried übernommen haben, macht das Regieteam einen von mehreren Schwarzalben, also Nibelungen, denen einst der Schatz geraubt wurde und die nun als Hausangestellte dienen. Dezente szenische Andeutungen oder Zitate (z. B. die geöffnete Tür des Schlafzimmers mit Ausblick auf eine Kostümstange) schlagen Brücken zur aktuellen Ring-Produktion auf der Karlsruher Bühne.

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Ensemble

Über die Idee den „Furor teutonicus“ in der heutigen Zeit als Demonstration mit nationalistischen, ausländerfeindlichen und ähnlichen Parolen auf Transparenten zu zeigen, lässt sich streiten. Aber die Demonstration immer und immer wieder über die Bühne zu schicken und dazu den „Furor teutonicus“-Chor singen zu lassen, wird schnell lästig und bringt schöne Grüße vom Holzhammer mit. Wenn König Gunther eine Fernsehansprache hält, in der er alle Schuld an der heiklen Situation von sich weist, in die er Siegfried und Brünnhilde gebracht hat, als er Siegfried bat, Brünnhilde für ihn gefügig zu machen, erinnert das in der Art und im Wortlaut stark an Senator White, der sich in der Fernsehserie Little Britain immer wieder für solche Situationen rechtfertigen muss. Das ist eine gelungene komische Aktualisierung, ebenso dass die mittelalterlichen Untoten einen Scheinwerfer als etwas Fremdes und Gefährliches begaffen, was an Catweazle und das „Elektriktrik“ erinnert.

Doch eigentlich könnte sich der Regisseur auf die Komik des Originals verlassen und auf den Ansatz, das Komische ernst zu nehmen und ihm damit erst die echte Komik zu geben beziehungsweise zu lassen. Aber er versucht – was ebenso unsterblich zu sein scheint wie der „Furor teutonicus“ – das Komische noch komischer zu machen und versenkt immer wieder feine Komik in plattem Klamauk. Dass der Chor in Unterwäsche mit Fan-Schals wie zu einem Fußballspiel zum Zweikampf erscheint, wirkt mehr gewollt als geschickt aktualisiert und genauso wenig komisch, wie Gunther, wenn er sich ein Frauennachthemd anzieht, um in der Badewanne zu schlafen, in den ihn Brünnhilde verbannt hat. Und wenn Giselher ein dringendes Bedürfnis verspürt, an dessen Verrichtung ihn die Zwergen-Diener hindern, er dann aber doch auf dem Klo stehend ins Waschbecken pinkelt, haben wir ein Niveau erreicht, dass diese Operette nun wirklich nicht verdient hat. Dass einer der Zwerge die ganze Bühne als Schlussgag in die Luft sprengt, allerdings auch nicht.

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Rebecca Raffell (Ute), Tiny Peters (Giselher), Edward Gauntt (Dankwart), Daniel Pastewski (Hagen), Michael Dahmen (Gunther), Christina Niessen (Brunhilde), Volker Hanisch (Volker), Klaus Schneider (Siegfried), Ina Schlingensiepen (Kriemhild), Chor

Ganz viel Vergnügen macht Dominic Limburgs schmissiges Dirigat mit der richtigen Kombination aus Elan und Feinsinn für die Köstlichkeiten der Partitur, die ironischen Andeutungen und krassen Überzeichnungen. Ob die eingefügten echten Wagner-Zitate (Rheingold-Beginn, Riesenmotiv, Trauermarsch, Götterdämmerungsfinale, Abendstern…) aber sein müssen? Sie nehmen den angedeuteten und assoziativen Wagner-Elemente der Original-Partitur mehr als sie dem Gesamtwerk geben.

König Gunther wird von Michael Dahmen mit stimmlicher Hochkultur und sanftem Schönklang gesungen. Er erinnert nicht nur an Wolfram, sondern darf das Lied an den Abendstern auch tatsächlich anklingen lassen. Schöngesang eines Schöngeistes vom Feinsten.  Sein Vater Dankwart wird von Edward Gauntt angemessen würdig verkörpert und gesungen. Als seine Mutter Ute kann Rebecca Raffell mit unglaublicher Spielfreude, schonungslosem, vollem Körpereinsatz und herrlich-gewaltig dröhnendem Alt die Herzen der Zuschauer im Sturm erobern. Klaus Schneider verkörpert den oben beschriebenen gealterten Siegfried hochprofessionell mit ausgereifter Stimmtechnik und feiner Ausgestaltung. Er singt die Partie mit Konzentration und einiger Vorsicht an den heiklen Stellen. Er ist nicht der  überschwänglich junge Heißsporn, den man als Siegfried vielleicht erwartet, aber das soll er ja in dieser Charakterisierung gar nicht sein. Christina Niessen gibt als Brünnhilde alles, um dieser gesangstechnisch höllisch schwierigen Partie gerecht zu werden, lässt die Furie ebenso hören, wie die gekränkte und zickige Betrogene und die selbstbewusst Liebende – wunderbar für diese Rolle. Ina Schlingensiepen ist eine liebliche Kriemhild mit fraulichen Anteilen, die die Vielfalt der Partie von träumerischer Kindlichkeit und herziger Naivität bis zu straffem Selbstbewusstsein auch stimmlich zu gestalten weiß. Daniel Pastewski ist ein überzeugender Hagen, Volker Hanisch ein adäquater Volker, ebenso Tiny Peters als Giselher. Sophie Bareis singt den Vogel alias Schwarzalben mit lieblich hellem Sopran. Der Chor klingt wohleinstudiert und kultiviert. Das Orchester folgt dem Dirigat mit hörbarem Engagement und hoher Konzentration.

FAZIT

Wunderbar, dass diese köstliche Nibelungen-Parodie-Operette wieder einmal ausgegraben wurde. Musikalisch hin- und mitreißend, szenisch üppig, aber stellenweise ein bisschen zu bedeutungsvoll und noch komischer sein wollend, als es die Operette eh schon ist. Aber allemal sehens- und hörenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Dominic Limburg
Ulrich Wagner

Inszenierung
Johannes Pölzgutter

Bühne
Nikolaus Webern

Kostüme
Janina Ammon

Licht
Rico Gerstner

Chor
Ulrich Wagner

Dramaturgie
Deborah Maier

 

Chor des Badischen
Staatstheaters Karlsruhe

Statisterie des Badischen
Staatstheaters Karlsruhe

Badisches
Staatsorchester Karlsruhe


Solisten

*Premierenbesetzung

Gunther, König von Burgund
Andreas Beinhauer /
*Michael Dahmen

Ute, seine Mama
Ariana Lucas /
*Rebecca Raffell

Dankwart, sein Papa
*Edward Gauntt /
Luiz Molz

Volker, Held
*Volker Hanisch /
Nando Zickgraf

Giselher, Recke
*Tiny Peters /
Clara Sophie Bertram

Kriemhild, minnige Maid
Joo-Anne Bitter /
*Ina Schlingensiepen

Hagen
Mario Klein /
*Daniel Pastewski

Siegfried von Niederland, Drachentöter
Cameron Becker /
*Klaus Schneider

Brunhilde, Königin von Isenland
Christina Niessen

Ein Vogel
*Sophie Bareis /
Carina Schmieger


Weitere
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