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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Musik und Dichtung von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 26. Mai 2018

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Ästhetisch stilisiert

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Lange musste Kassel nach dem Tannhäuser im Jahr 2013 auf die nächste Produktion einer Wagner-Oper warten (einen konzertanten 1. Akt der Walküre zählen wir mal nicht mit), obwohl es dort ja doch eigentlich eine große Wagner-Tradition gibt. Vielleicht wollte man Kräfte für den neuen Ring sammeln, der in der nächsten Spielzeit begonnen wird, zunächst aber wird sich mit Tristan und Isolde noch einmal Wagner-warm gespielt.

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Ulrike Schneider (Brangäne), Ann Petersen (Isolde)

Stephan Müller inszeniert das genialste Werk des Dichterkomponisten in spartanischen, stilisierten Bühnenbildern von Michael Simon und klassisch-realistischen Kostümen von Carla Caminati mit dem Ansatz, die überbordenden Leidenschaften durch sachliche Strenge und zwanghaft wirkende Zurückhaltung zu konterkarieren und damit umso deutlicher werden zu lassen – was auch eindrucksvoll gelingt. Wechselnde Hintergrundfarben, dezent eingesetzte Projektionen, beeindruckende Schattenspiele und der Einsatz der Hubpodien variieren das ästhetische Bühnenbild, das einen zurückhaltenden Rahmen bildet, sich nicht aufdrängt und zur Gattung der „dienenden Bühnenbilder“ gezählt werden darf.  Es lenkt nicht ab und gibt nicht nur Raum für eigene Assoziationen und Gedanken, es ermöglicht auch die intensive Konzentration auf Text und Musik.
Die oftmals statisch wirkende Personenregie verdeutlich die Zwänge, in denen sich die handelnden Personen befinden. Durch den Liebestrank legen Tristan und Isolde ihre gesellschaftlichen Korsetts ab und insbesondere Isolde wirkt dann wie befreit, wie ein verliebter, übermütiger Teenager. Ganz besonders eindrucksvoll gelingt die Charakterisierung König Markes, in dem innerlich die Gefühle so stark toben, dass es ihn fast zu zerreißen scheint, der sich in seinem stahlblauen Mantel aber nach Kräften bemüht, Haltung und Größe zu bewahren. Kein Marke, der so gut ist, dass einem schlecht wird, sondern ein leibhaftiger Mensch mit allen dazugehörigen Gefühlen, die er unter Kontrolle halten kann. Mehr oder weniger, aber eher mehr.

Nach dem Vorspiel werden Isolde und Brangäne auf Hubpodien auf die Bühne gefahren. Im ansonsten nur dezent farblich ausgeleuchten Hintergrund sieht man die fast bühnenbreite Projektion eines liegenden, leidenden oder toten Mannes, der eigentlich nur der verwundete Tristan aus der Vorgeschichte sein kann (wäre es Morold, hätte er keinen Kopf, denn den hat ihm Tristan ja abgeschlagen und Isolde geschickt), was unterstreicht, dass Isolde immer wieder auf ihre Rettung des schwer Verwundeten anspielt und darauf Rechte – auf Liebe oder Rache – abzuleiten scheint. Eine schmale, gülden glänzende, an eine Klinge erinnernde, sich langsam bewegende Projektion gibt zu Interpretationsversuchen Anlass, erklärt sich zumindest beim ersten Sehen aber nicht eindeutig, der Effekt ist aber recht schön. Den Liebestrank schüttet Brangäne in ein flaches großes Tablett (aus dem ich mindestens die Hälfte verschütten würde) und nachdem Tristan und Isolde ihn getrunken haben, wird es für einen Moment vollkommen dunkel, auch im Orchestergraben. Nur mühsam finden die beiden, von der wiedereinsetzenden Beleuchtung geblendet, mit in die Luft tastenden, traumwandlerischen Bewegungen ins Leben zurück. Sie dachten ja beide, es wäre der Todestrank – der Schrecken, doch weiter zu leben, ist groß. Vorsichtig begegnen sie sich, versuchen sich zu umarmen, streifen aber nur die Aura des anderen, eine tatsächliche Berührung findet nicht statt – ein oft eingesetztes Mittel, um die Unmöglichkeit dieser Liebe zu verdeutlichen (Wagnerfreunde unterscheiden gern zwischen „Tristan mit Anfassen“ und „Tristan ohne Anfassen“). Eindrucksvoll wird der Herrenchor in einer langen Reihe auf die Bühne gehoben und auch König Marke fährt aus der Unterbühne herauf.

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Dan Karlström (Melot), Andreas Bauer (König Marke), Hansung Yoo (Kurwenal), Ulrike Schneider (Brangäne)

Zu Beginn des zweiten Aktes bricht ein Zwischenvorhang in wilden Zacken nach oben und unten auf und gibt den Blick auf eine zunächst leere Bühne frei, über der später an starke Seile gebundene Felsbrocken schweben. Isolde trägt ein elegantes, modernes weißes, silbern gleißendes Paillettenkleid, Tristan einen Smoking mit seidig schimmerndem, nachtblauem Jackett. Liebe und Nacht – die großen Themen dieses Werkes. Die elektronische (?) Fackel spendet kein Licht und wird von Isolde kraftvoll auf die Seitenbühne geschleudert. Nach Tristans Ankunft macht es die Regie zunächst spannend, ob es nun eine Inszenierung mit oder ohne Anfassen wird. Auf dem Bühnenboden liegen große runde Spiegelplatten, die recht hübsche Licht- und Leuchteffekte ergeben, wenn sich die Liebenden darin betrachten und sie bewegen – eine leitmotivische Parallele zum flachen Tablett, das als Schale für den Liebestrank im ersten Akt dient. Dann erhebt sich in der Bühnenmitte eine hohe schwarze Fläche, hinter der Tristan und Isolde verschwinden, dort aber nicht die Liebe vollziehen, sondern sich Kerzen anzünden, die sie zunächst noch versteckt mit ausgestreckter Hand präsentieren. Das wirkt bedeutsam, erinnert aber aber auch ein bisschen an eine Handpuppenbühne.
Eine das Publikum blendende Reihe von Scheinwerfern beim Auftritt König Markes holt die Welt unangenehm in die kalte Realität zurück und lässt den Zuschauer am Schrecken des Liebespaares teilhaben.  Nach Markes Klage umarmt ihn sein Ziehsohn. Marke versucht, die Berührung zu erwidern, lässt die Hand aber wieder sinken. Dass sich Tristan nicht spontan in Melots Schwert stürzt, sondern Melot Tristan im Zweikampf mit seinem Dolch aktiv ersticht, verdeutlicht zwar, dass Melot tatsächlich durch den Verrat Tristans Fall und späteren Tod herbeiführt, aber einerseits muss das dem Publikum nun wirklich nicht verdeutlicht werden und andererseits beschleunigt Melot doch nur eine unaufhaltsame Entwicklung. Tristans freiwillige Opferung ist im Original viel eindrucksvoller. In diesem zweiten Akt bricht die Regie für einen Augenblick den Tristan-ohne-Anfassen-Ansatz und lässt nach „so stürben wir, um ungetrennt“ eine Umarmung der Liebenden zu, die in ihrer Einmaligkeit einen besonders großen und intensiven Eindruck hinterlässt.

Im dritten Akt sitzt Tristan auf halber Bühnenhöhe in einer fensterähnlichen Öffnung, was so wirkt, als halte er nach jemandem Ausschau, den er sehnlichst erwartet. Noch weiß er aber gar nicht, dass Kurwenal nach Isolde geschickt hat, um die entzündete, fieberauslösende Wunde zu heilen. Eine harte, unbequeme truhenähnliche Holzbank und sein Schwert genügen, um die Situation ausreichend zu visualisieren. Eine sehr heutige Wasserflasche, die zunächst unter der Bank versteckt ist, wird in einer Zeitenvermischung zu einem besonderen Requisit. Von Kurwenal gereicht bekommen, sieht Tristan in diesem Wasser den Liebestrank und schüttet ihn verfluchend aus. Kurz vor Isoldes Ankunft senkt sich der Bühnenausschnitt ein wenig, Kurwenal tötet Melot und wird selbst von einer schwarzen, maskierten Gestalt erstochen. Er sinkt praktischerweise hinter der Holzbank leblos zu Boden, so dass das Schlussbild dem toten Tristan und der ihm folgenden Isolde allein gehört. Isolde dreht die Handflächen ihrer dezent ausgebreiteten Arme nach vorn, blickt gen Himmel, empfängt den Tod und erlischt in langsam eintretender Dunkelheit.

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Ann Petersen (Isolde), liegend: Michael Weinius (Tristan)

Ann Petersen gestaltet die Isolde sehr eindrucksvoll, wirkt im ersten Akt zwar noch etwas unausgewogen, findet aber im zweiten Akt zu exakterer Stimmführung und kann der Aufführung mit einem wundervoll gesungenen Liebestod den finalen Glücksmoment verleihen. Michael Weinius ist ein schwerer Heldentenor im klassischen Sinne, der sich im kraftvollen Forte am wohlsten fühlt und Spitzentöne mit Macht und ohne Ermüdungserscheinungen im Fortissimo herausschmettert – auch noch in den Fieberphantasien des dritten Aktes. Für das Liebesduett im zweiten Akt wünscht man sich vielleicht etwas mehr Legatokultur und auch die Textsicherheit und Artikulation sind hier und da ausbaufähig. Aber der Sänger hat gleichermaßen Material und Potential, um weiter in die Partie hineinzuwachsen. Brangäne ist hier keine mitfühlende, liebevolle Gefährtin Isoldes, sondern eher eine strenge Gouvernante, wozu das individuelle Timbre und der eher sachliche, zuweilen harte stimmliche Ansatz passt, mit dem Ulrike Schneider die Partie gestaltet, ebenso wie die weicheren Passagen im zweiten Akt, die ihrem Schuldbewusstsein für das Vertauschen der Tränke tiefere Emotionalität verleihen. Andreas Bauer singt den König Marke mit profundem Bass sehr wohlklingend und ausdrucksstark. Er kann die Spannung der Klage im zweiten Akt nicht nur bis zur letzten Minute halten, sondern immer weiter steigern und auch seinen kurzen Auftritt im dritten Akt deutlich aufwerten. Hansung Yoo fügt der Reihe seiner stimmlich wie szenisch großartigen Rollengestaltungen einen höchst eindrucksvollen Kurwenal hinzu wie man ihn sich kaum besser wünschen kann. Es gelingt ihm sehr eindringlich, die Facetten dieses aufopferungsvollen Freundes und wilden Haudraufs gleichermaßen mit Ausdruckskraft und Stimmkultur zu gestalten. Mit Dan Karlström als Melot, Tobias Hächler als jungem Seemann, Younggi Moses Do als Hirten und Daniel Holzhauser als Steuermann sind die kleinen Partien bestens besetzt. Auch der Jubelgesang des Herrenchors lässt keine Wünsche offen.

Constantin Trinks beginnt mit einem ebenso leidenschaftlichen wie spannungsreichen Vorspiel und vermag es, die leidenschaftliche Spannung, den unglaublichen Sog dieser Musik in dynamischen großen Bögen den ganzen Abend zu halten und dabei auch immer wieder Details und Nebenstimmen herauszuarbeiten. Sein feinnerviges Dirigat, das nie die Sänger zudeckt oder überfordert, zeichnet sich nicht nur durch diese Kombination aus, es beweist auch, dass man Leidenschaften auch in gemäßigten Tempi toben und unter die Haut gehen lassen kann. Das ausgesprochen gut aufgelegte Orchester folgt ihm mit Präzision und Engagement.

FAZIT

Eine eindrucksvolle Inszenierung in stilisierten ästhetischen Bildern, die dem Werk gibt, was des Werkes ist, ohne aufdringliche Aktualisierungen oder sonstige Eigenwilligkeiten. Auf einem leidenschaftlichen, feinnervig gestalteten orchestralen Klangteppich können sich die Sänger sicher und gestaltungsfreudig bewegen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Constantin Trinks

Inszenierung
Stephan Müller

Bühne
Michael Simon

Künstlerische Mitarbeit Bühne
Sibylle Pfeiffer

Kostüme
Carla Caminati

Licht
Albert Geisel
Dirk Thorbrügge

Chor
Marco Zeiser Celesti

Dramaturgie
Dr. Ursula Benzing

Tondienst
Deniola Kuraja
Serena Stella

 

Staatsorchester Kassel

Herren des Opernchors
des Staatstheaters Kassel


Solisten

Tristan
Michael Weinius

Isolde
Ann Petersen

König Marke
Andreas Bauer

Kurwenal
Hansung Yoo

Brangäne
Ulrike Schneider

Melot
Dan Karlström

Ein junger Seemann
Tobias Hächler

Ein Hirte
Youngg iMoses Do

Ein Steuermann
Daniel Holzhauser

 


Weitere
Informationen

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Staatstheater Kassel
(Homepage)



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