Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Krasse
Kontraste Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger Die Geschichte von Romeo und Julia ist zeitlos, ob sie nun in den 1590er Jahren in Verona oder in den 1950er-Jahren in New York spielt, wohin sie Leonard Bernstein und Arthur Laurents in in ihrem Musical West Side Story verlegt haben. Große Liebe und gesellschaftliche Zwänge scheinen irgendwie immer zusammen zu gehören, zumindest auf der Bühne. Besonders erschreckend aber wird es, wenn das, was auf der Bühne zu sehen ist, ganz nah am realen Leben zu sein scheint und besonders erschütternd wirkt es, wenn dem Publikum diese Aktualität nicht aufgedrückt, sondern als Assoziation zum Selbstdenken angeboten wird. Ensemble Philipp Rosendahls Neuinszenierung der West Side Story für das Staatstheater Kassel wirkt wie eine Mischform aus Musical und Revue, über weite Strecken wie eine Aneinanderreihung von einzelnen Szenen, bei denen das Beleuchten von Momenten, von Augenblicken und Gefühlen wichtiger ist, als das Erzählen einer stringenten Geschichte. Hier werden Blitzlichter auf einzelne Szenen geworfen, die in sich stimmig sind und dann am Schluss doch wieder, im großen Bogen, zu einem großen Ganzen werden. Die bunten Kostüme von Brigitte Schima unterscheiden die beiden verfeindeten Gangs deutlich, vor allem in der Farbgebung, auch durch die fantasievollen, steifen Perücken, die bei den Jets windschnittig blau und bei den Sharks schwarz/rot gehalten sind. Außerdem führen sie uns, genau wie ein Werbeplakat im Brautmodengeschäft, in die 50er Jahre. Es erfolgt also keine zeitliche Aktualisierung, sondern die Geschichte bleibt in ihrer Entstehungszeit (Uraufführung: 26.09.57). Dass man sich für die englische Originalfassung entschieden hat und nicht, wie im deutschsprachigen Raum meist üblich, die Songs auf Englisch singen und die Dialoge in Deutsch sprechen lässt, wirkt ein bisschen gewollt wichtig und ist unpraktisch für die, die auf das Mitlesen der deutschen Übertexte angewiesen sind. Anna Nesyba (Maria) und Daniel Jenz (Tony) Daniel Roskamp hat als Bühnenbild zwei große bewegliche Bühnenelemente geschaffen, die von einer Seite den Blick auf Innenräume (Brautmodengeschäft, Doc‘s Laden usw.) durch auf dem Kopf stehende, groß ausgeschnittene Buchstaben des Wortes „West“ freigeben und von der anderen Seite einen Außenbereich zeigen, in den große Abwasserrohre ragen, von denen die Protagonisten regelrecht ausgespuckt werden. Viel Theaternebel, sparsam, aber effektiv eingesetztes Licht, eine ganze Armada von Discokugeln, die vom Bühnenhimmel (teilweise in Form eines „W“) schweben und die sich immer wieder bewegenden, drehenden, neu kombinierenden Bühnenbildteile bilden die Spielorte. Zum „Somewhere“, das hier von Anybodys (Tina Haas) mit kindlich-mädchenhafter Stimme wie eine große naive Sehnsucht gesungen wird, bildet ein Lichtstrahl mit Nebel und Wolken einen liegenden Kegel, in dem sie steht. Eine Szene, die wie eine Vision, eine Hoffnung, eine Utopie wirkt. Da bräuchte es gar nicht das eingespielte Video, in dem gezeigt wird, wie die verfeindeten Gruppen im Regen stehen, der ihnen die Farbe aus den Haaren wäscht und alle gleich erscheinen lässt, so dass sie sich versöhnen und umarmen… bis der Film rückwärts läuft und die Feindschaft größer wird, als vorher. Die letzten Wiederholungen des Songs singen dann Tony und Maria in ihrer Einsamkeit. Größer kann die Diskrepanz zwischen Hoffnung und Realität nicht sein. Genau diese Realität ist es, die diese Produktion der West Side Story von einer Revue zu einem Drama werden lässt. In den ersten Szenen gehen die Jets und die Sharks eher spielerisch mit ihrer Feindschaft um, obendrein mit viel (nervigem…) Geschrei, dass die Musik oft übertönt. Nicht nur, aber auch durch die Tänze wirkt das Ganze wie ein Spiel mit dem Feuer, wie ein Bellen der Hunde, ohne die Ernsthaftigkeit des gesellschaftlichen Konflikts. Doch nach dem tödlichen Ausgang des Zweikampfes wird aus dem Spiel ernst und das Gesellschaftsdrama wird umso deutlicher. Es sind keine Einheimischen und Zugereisten, die hier miteinander rivalisieren, es sind verschiedene Gruppen von Migranten, die sich gegenseitig streitig machen, wer schon ein bisschen mehr in der neuen Heimat angekommen ist. Die West Side Story spielt in Amerika, aber in einer Zeit von Hilfesuchenden, Flüchtlingen, Migranten auf der ganzen Welt ist das Thema zeitlos und ortsuniversal, da ist eine optische Aktualisierung nicht notwendig, sie erschließt sich automatisch. v.l.n.r.: Timothy Roller (Action), Andreas Langsch (A-Rab), Manuel Dengler (Baby John), Victor Rottier (Diese), Tom Schimon (Riff), Sebastian Zuber(Luis), Rupert Markthaler (Bernardo, Anführer der \"Sharks\", Marias Bruder), Ben Cox (Pepe), Benedikt Ströher (Chino), Shafiki Sseggayi (Indio), Dhimas Aryo Satwiko (Nibbles), Luca Ghedini (Anxious)
Dem
Regisseur
gelingt es,
beim Spagat
zwischen
flottem
Musical und
Gesellschaftsdrama
die einzelnen
Personen der
Gangs sehr
individuell in
ihren
Aggressionsformen
und
Bildungsunterschieden
zu
charakterisieren
bis hin zu
einem, beide
Gruppen
deutlich
unterscheidenden
sprachlichen
Akzent. Nicht
alle
Choreographien
gelingen immer
synchron, an
einigen
Stellen
holpert es ein
wenig, aber
das Ensemble
tanzt und
singt
hochmotiviert
und engagiert
mit vollem
Stimm- und
Körpereinsatz.
Alexander
Hannemann
macht mit dem
Staatsorchester
Kassel ebenso
motiviert die
schmissige wie
die
melancholische
Musik dazu. FAZIT Eine Produktion, die die Gegensätze von flotter Musik und grausamem Gesellschaftsdrama betont und damit den ernsten Charakter umso deutlicher werden lässt. Revuehafte Bilder unterstützen das Spiel mit den Kontrasten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
|
© 2018 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de