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West Side Story

Musical in zwei Akten (1957)
Buch von Arthur Laurents nach einer Idee von Jerome Robbins, Songtexte von Stephen Sondheim
Deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald
Musik von Leonard Bernstein

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere am 20. Januar 2018 im Opernhaus des Staatstheaters Kassel

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Krasse Kontraste

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Die Geschichte von Romeo und Julia ist zeitlos, ob sie nun in den 1590er Jahren in Verona oder in den 1950er-Jahren in New York spielt, wohin sie Leonard Bernstein und Arthur Laurents in in ihrem Musical West Side Story verlegt haben. Große Liebe und gesellschaftliche Zwänge scheinen irgendwie immer zusammen zu gehören, zumindest auf der Bühne. Besonders erschreckend aber wird es, wenn das, was auf der Bühne zu sehen ist, ganz nah am realen Leben zu sein scheint und besonders erschütternd wirkt es, wenn dem Publikum diese Aktualität nicht aufgedrückt, sondern als Assoziation zum Selbstdenken angeboten wird.

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Ensemble

Philipp Rosendahls Neuinszenierung der West Side Story für das Staatstheater Kassel wirkt wie eine Mischform aus Musical und Revue, über weite Strecken wie eine Aneinanderreihung von einzelnen Szenen, bei denen das Beleuchten von Momenten, von Augenblicken und Gefühlen wichtiger ist, als das Erzählen einer stringenten Geschichte. Hier werden Blitzlichter auf einzelne Szenen geworfen, die in sich stimmig sind und dann am Schluss doch wieder, im großen Bogen, zu einem großen Ganzen werden. Die bunten Kostüme von Brigitte Schima unterscheiden die beiden verfeindeten Gangs deutlich, vor allem in der Farbgebung, auch durch die fantasievollen, steifen Perücken, die bei den Jets windschnittig blau und bei den Sharks schwarz/rot gehalten sind. Außerdem führen sie uns, genau wie ein Werbeplakat im Brautmodengeschäft, in die 50er Jahre. Es erfolgt also keine zeitliche Aktualisierung, sondern die Geschichte bleibt in ihrer Entstehungszeit (Uraufführung: 26.09.57). Dass man sich für die englische Originalfassung entschieden hat und nicht, wie im deutschsprachigen Raum meist üblich, die Songs auf Englisch singen und die Dialoge in Deutsch sprechen lässt, wirkt ein bisschen gewollt wichtig und ist unpraktisch für die, die auf das Mitlesen der deutschen Übertexte angewiesen sind.

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Anna Nesyba (Maria) und Daniel Jenz (Tony)

Daniel Roskamp hat als Bühnenbild zwei große bewegliche Bühnenelemente geschaffen, die von einer Seite den Blick auf Innenräume (Brautmodengeschäft, Doc‘s Laden usw.) durch auf dem Kopf stehende, groß ausgeschnittene Buchstaben des Wortes „West“ freigeben und von der anderen Seite einen Außenbereich zeigen, in den große Abwasserrohre ragen, von denen die Protagonisten regelrecht ausgespuckt werden. Viel Theaternebel, sparsam, aber effektiv eingesetztes Licht, eine ganze Armada von Discokugeln, die vom Bühnenhimmel (teilweise in Form eines „W“) schweben und die sich immer wieder bewegenden, drehenden, neu kombinierenden Bühnenbildteile bilden die Spielorte. Zum „Somewhere“, das hier von Anybodys (Tina Haas) mit kindlich-mädchenhafter Stimme wie eine große naive Sehnsucht gesungen wird, bildet ein Lichtstrahl mit Nebel und Wolken einen liegenden Kegel, in dem sie steht. Eine Szene, die wie eine Vision, eine Hoffnung, eine Utopie wirkt. Da bräuchte es gar nicht das eingespielte Video, in dem gezeigt wird, wie die verfeindeten Gruppen im Regen stehen, der ihnen die Farbe aus den Haaren wäscht und alle gleich erscheinen lässt, so dass sie sich versöhnen und umarmen… bis der Film rückwärts läuft und die Feindschaft größer wird, als vorher. Die letzten Wiederholungen des Songs singen dann Tony und Maria in ihrer Einsamkeit. Größer kann die Diskrepanz zwischen Hoffnung und Realität nicht sein.

Genau diese Realität ist es, die diese Produktion der West Side Story von einer Revue zu einem Drama werden lässt. In den ersten Szenen gehen die Jets und die Sharks eher spielerisch mit ihrer Feindschaft um, obendrein mit viel (nervigem…) Geschrei, dass die Musik oft übertönt. Nicht nur, aber auch durch die Tänze wirkt das Ganze wie ein Spiel mit dem Feuer, wie ein Bellen der Hunde, ohne die Ernsthaftigkeit des gesellschaftlichen Konflikts. Doch nach dem tödlichen Ausgang des Zweikampfes wird aus dem Spiel ernst und das Gesellschaftsdrama wird umso deutlicher. Es sind keine Einheimischen und Zugereisten, die hier miteinander rivalisieren, es sind verschiedene Gruppen von Migranten, die sich gegenseitig streitig machen, wer schon ein bisschen mehr in der neuen Heimat angekommen ist. Die West Side Story spielt in Amerika, aber in einer Zeit von Hilfesuchenden, Flüchtlingen, Migranten auf der ganzen Welt ist das Thema zeitlos und ortsuniversal, da ist eine optische Aktualisierung nicht notwendig, sie erschließt sich automatisch.

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v.l.n.r.: Timothy Roller (Action), Andreas Langsch (A-Rab), Manuel Dengler (Baby John), Victor Rottier (Diese), Tom Schimon (Riff), Sebastian Zuber(Luis), Rupert Markthaler (Bernardo, Anführer der \"Sharks\", Marias Bruder), Ben Cox (Pepe), Benedikt Ströher (Chino), Shafiki Sseggayi (Indio), Dhimas Aryo Satwiko (Nibbles), Luca Ghedini (Anxious)

Dem Regisseur gelingt es, beim Spagat zwischen flottem Musical und Gesellschaftsdrama die einzelnen Personen der Gangs sehr individuell in ihren Aggressionsformen und Bildungsunterschieden zu charakterisieren bis hin zu einem, beide Gruppen deutlich unterscheidenden sprachlichen Akzent. Nicht alle Choreographien gelingen immer synchron, an einigen Stellen holpert es ein wenig, aber das Ensemble tanzt und singt hochmotiviert und engagiert mit vollem Stimm- und Körpereinsatz. Alexander Hannemann macht mit dem Staatsorchester Kassel ebenso motiviert die schmissige wie die melancholische Musik dazu.
Unter den kleineren Partien hinterlässt Timothy Roller als Action nachhaltig einen allerbesten Eindruck. Mit Rupert Markthaler ist der Bernardo sehr überzeugend besetzt, ebenso wie der Riff mit Tom Schimon. Anna Thorén ist eine resolute Anita. Ihr Selbstbewusstsein ist nach der Vergewaltigungsszene (hinter runtergezogenen Rollos) zwar kurz verletzt, wächst dann aber zu einer Größe, die selbst den Gangmitgliedern Angst macht. Eine tolle Darstellerin, wenn auch mit leichten Schärfen in der Stimme. Anna Nesyba ist eine wundervolle Maria mit angenehmem, aber nicht zu weichem Timbre und einer üppig aufblühenden Höhe. Einen frisch verliebten und dadurch verwirrten jungen Mann nimmt man dem Tony in dieser Produktion sofort ab, dass dieses scheue, hochsensible Jüngelchen einmal eine Gang gegründet haben soll, erscheint eher unwahrscheinlich, dass er Bernardo wütend im Reflex ersticht, gehört zu den erschreckendsten Momenten, weil man es ihm (auch wenn man die Story kennt) einfach nicht zutraut. Sängerisch trumpft Daniel Jenz insbesondere mit dem „Maria“-Song mächtig auf, volltönend, stimmstark, aber auch mit ganz zarten, sanften Höhen. Eine Stimme, die man in dieser Partie gern ohne Mikrofonverstärkung hören würde, die den ganzen Abend eh ein wenig zu laut sein lässt, beim Musical aber nun mal üblich ist. Bernhard Modes gibt dem Officer Krupke im eher mafiosen weißen Anzug mit schmalen Karostreifen das Profil dessen, der Gutes will und gegen Windmühlen kämpft. Dieter Hönig, Kassels Musiktheater-Urgestein, ist die richtige Besetzung für den weisen, alles mit Vernunft und Güte regeln wollenden Doc. Sein stricken ist aber doch ein bisschen zu viel der Gemütlichkeit. Dass die Gewaltbereitschaft des unsicheren, schüchternen Chino aus seiner Schwäche geboren ist, kann Benedikt Ströher überzeugend darstellen, insbesondere am Schluss, wenn er seinen Rivalen Tony erschießt. Da wird er von Maria vernichtend zurechtgewiesen, die sich nicht in Verzweiflung zu Tode grämt, sondern Mut fasst und sich der Verantwortung stellt, die Welt ein wenig besser zu machen. Sie schreitet mit allen anderen fragend auf das Publikum zu, aber ihre Worte bleiben ihnen im Halse stecken. Ihre Hände haben sie sich alle – bis auf den gutmütigen Doc – mit Blut besudelt, ein Blut, dass nicht nur Schuld anklagt, sondern auch nach Verantwortung zu fragen scheint. Verantwortung für das, was geschehen ist – und Verantwortung für das, was man bewirken kann.

FAZIT

Eine Produktion, die die Gegensätze von flotter Musik und grausamem Gesellschaftsdrama betont und damit den ernsten Charakter umso deutlicher werden lässt. Revuehafte Bilder unterstützen das Spiel mit den Kontrasten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Hannemann

Inszenierung
Philipp Rosendahl

Bühne
Daniel Roskamp

Kostüme
Brigitte Schima

Licht
Albert Geisel

Choreografie
Volker Michl

Dramaturgie
Christian Steinbock

 

Staatsorchester Kassel


Solisten

*Premierenbesetzung

Maria
Judith Caspari /
*Anna Nesyba

Tony
*Daniel Jenz /
Michael Pflumm

Riff
Tom Schimon

Action
Timothy Roller

A-Rab
Andreas Langsch

Baby John
Manuel Dengler

Snowboy
Safet Mistele

Big Deal
Jan Rogler

Diesel
Victor Rottier

Graziella
Cree Barnett Williams

Velma
Alessia Ruffolo

Clarice
Gotaute Kalmataviciute

Anybodys
Tina Haas

Bernardo
Rupert Markthaler

Chino
Benedikt Ströher

Pepe
Ben Cox

Indio
Shafiki Sseggayi

Luis
Sebastian Zuber

Anxious
Luca Ghedini

Nibbles
Dhimas Aryo Satwiko

Anita
Anna Thorén

Rosalia
Dalma Viczina

Consuela
Janina Moser /
*Amani Robinson

Francisca
Michèle Fichtner

Estella
Zoe Gyssler

Doc | Glad Hand
Dieter Hönig

Krupke
Bernhard Modes


Weitere
Informationen

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Staatstheater Kassel
(Homepage)



Da capo al Fine

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