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Don Carlo. Ein Requiem

Oper in vier Akten (Mailänder Fassung)
Libretto von Joseph Méry & Camille du Locle
Musik von Giuseppe Verdi unter Verwendung des Requiems von Alfred Schnittke

in italienischer/lateinischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theater Münster am 7. Oktober 2017

Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Philipp im Gefängnis der Seele

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Berg

Verdis Don Carlo besitzt nicht nur von den insgesamt vier Schiller-Vertonungen die größte Popularität, sondern kann auch als das Werk bezeichnet werden, mit dem sich Verdi am längsten auseinandergesetzt hat. Von der Uraufführung 1867 in Paris schuf er bis 1886 in Modena insgesamt sieben Fassungen in französischer und italienischer Sprache, die sich nicht nur durch das obligatorische Ballett für die Pariser Oper und Umarbeitungen einzelner Szenen unterscheiden - so existieren von dem großen Duett zwischen dem König und dem Marquis von Posa nicht weniger als vier verschiedene Fassungen -, sondern bei denen teilweise der ganze erste Fontainebleau-Akt geopfert wird. Während sich die vieraktige Version, die sogenannte Mailänder Fassung, auf den Bühnen durchsetzte, gehen in der heutigen Zeit die Theater dazu über, auch den übrigen Fassungen mehr Interesse zu schenken, so dass es bei jeder Neuinszenierung spannend ist, welche Version ausgewählt worden ist. Dieser Spannungsmoment hat dem Theater Münster allein wohl noch nicht gereicht, und so eröffnet man die Spielzeit mit einem Don Carlo, in den Teile des Requiems von Alfred Schnittke eingearbeitet worden sind. Schnittke komponierte dieses knapp 45-minütige Werk als Bühnenmusik für eine Inszenierung von Schillers Drama Don Karlos am Moskauer Mossowet-Theater 1975. Damit ist zwar der Bezug zu Schillers Drama erklärt, der Zusammenhang zu Verdi erschließt sich allerdings noch nicht.

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Posa (Filippo Bettoschi, links) will Carlos (Garrie Davislim, rechts) für den Kampf für Flandern gewinnen.

Eine Begründung, wieso sich Generalintendant Ulrich Peters in seiner Inszenierung von Verdis Oper für die Verwendung des Requiems entschieden hat, liefert ein Interview im Programmheft. Peters wolle den König Philipp ins Zentrum der Oper rücken, da er "die berührendsten Momente und die größten Konflikte in der Oper" habe. Wenn dem so ist, hätte doch Verdis Musik gereicht, um diesen Schwerpunkt zu setzen. Aber das sieht Peters scheinbar anders. Ihm gehe es darum Philipps Verhältnis zu Carlos, Elisabeth, Eboli und Posa zu durchleuchten. Das habe Verdi jedoch nur zur Hälfte komponiert. Schnittkes Musik hingegen sei ein geeignetes Mittel, um dem Publikum zu zeigen, was in Philipp vor sich gehe. Und so werden einzelne Teile des Requiems an verschiedenen Stellen in Verdis Oper eingebaut und unterbrechen Verdis musikalischen Fluss, der für sich genommen genau das herausarbeiten würde, was Peters mit Schnittkes Musik deutlich machen möchte. Offensichtlich wird jedoch nur, dass ein Großteil des Publikums genervt ist, weil Verdis emotionsgeladene Musik immer wieder unterbrochen wird. So wird das Regie-Team am Ende des Abends mit zahlreichen Unmutsbekundungen abgestraft. Der Grund dafür mag allerdings nicht allein an Schnittkes Musik liegen - ob man sie nun wie Peters "grandios" oder nur interessant findet, ist Geschmacksache -, sondern auch an den zahlreichen Stellen, die diesen Einschüben zum Opfer gefallen sind.

Um das Requiem in die Oper einzubauen, wird die "kürzere" Mailänder Fassung nämlich noch weiter gekürzt. Die Mönche im ersten Akt und die Stimme Karls V. kommen überhaupt nicht vor. Stattdessen beginnt der Abend mit dem ersten Satz des Requiems und zeigt Philipp mit seinem Sohn Carlos in einem surrealen Raum. Baumstämme gehen in rechteckige holzvertäfelte Säulen über, die in eine höhenverschiebbare Kassettendecke münden, die durch Herabsenken eine fast schon klaustrophobische Enge erzeugen kann. Fahles Licht, das aus den Säulen die Baumstämme anstrahlt, verleiht der Szene einen morbiden Charakter. In der Mitte der Bühne befindet sich ein mit buntem Laub bedeckter Hügel, auf dem zunächst ein Sarg steht, später ein Sessel und am Ende wieder der Sarg aus dem ersten Akt. Dieser Raum wird im Lauf des Abends nur durch einzelne Requisiten verändert. Auf den beiden Seiten und im Hintergrund befinden sich große Drehtüren. Der Chor steht beim "Requiem" nicht auf der Bühne, sondern wird über Lautsprecher eingespielt, was der Szene eine surreale Nuance gibt. Geht dieses Konzept im ersten Bild noch einigermaßen auf, wirkt es im zweiten Bild des ersten Aktes keineswegs mehr schlüssig. Die Hofdamen im Garten treten zunächst überhaupt nicht auf. Stattdessen hört man aus dem Off einen weiteren Satz des Requiems. Dann folgt relativ zusammenhanglos Ebolis Schleierarie "Nei giardin' del bello" mit, ja, mit wem denn eigentlich? Tebaldo und die Gräfin d'Aremberg werden beide von Kathrin Filip interpretiert. Einen optischen Unterschied gibt es bei Filips Auftritten nicht. Sollen die Gräfin und der Page also ein und dieselbe Person sein? Singt Eboli das Lied mit der Gräfin? Hält die Gräfin später in der Autodafé-Szene den Fächer vor ihr Gesicht, um zu verbergen, dass sie der Weisung des Königs nicht Folge geleistet hat und doch in Spanien geblieben ist? Viel ärgerlicher als diese dramaturgische Unklarheit ist jedoch, dass die zweite Strophe der Schleierarie einfach gestrichen wird und damit die Bedeutung des Liedes für die eigentliche Geschichte verloren geht.

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Der Großinquisitor ( Christoph Stegemann, links) fordert von Philipp (Stephan Klemm, rechts) ein Opfer.

Mag man an dieser Stelle nur bedauern, dass Monika Walerowicz als Eboli mit ihrem großartigen Mezzosopran nicht auch die zweite Strophe interpretieren darf, wird man in der Autodafé-Szene dann vollends um seine Emotionen betrogen. Zwar ist der Chor, der mit den hochtoupierten weißen Perücken ein wenig befremdlich wirkt, jetzt erstmals auf der Bühne zu sehen und läutet stimmgewaltig mit "Spuntato ecco" den königlichen Festzug ein. Nach Carlos Verhaftung wird die Wiederholung dieser Musik mit der Stimme aus dem Himmel jedoch komplett einem weiteren Satz des Requiems geopfert. Einblick in Philipps Seelenleben gibt diese Entscheidung nicht, so dass man kaum Verständnis für diesen musikalischen Eingriff aufbringen kann. Unverständlich bleibt auch, wieso der Großinquisitor beinahe jugendlich gezeichnet wird. Zwar hat er lange weiße Haare, wirkt aber in seinem kurzen schwarzen Umhang eher wie ein Musketier als wie ein Vertreter der Kirche. Sein leichtfüßiger Gang über die Bühne passt in keinem Moment zu der schweren und bedrohlich klingenden Musik, die die Szene begleitet. Der folgende Satz des Requiems hat dann eigentlich nur retardierenden Charakter, bevor es zur Auseinandersetzung zwischen Elisabeth und ihrem Gatten kommt, die schließlich in Ebolis Geständnis mündet. Ob Philipp während des Geständnisses noch auf der Bühne stehen sollte, ist Ansichtssache. Normalerweise wäre davon auszugehen, dass er dieses Geständnis verhindert hätte. Von daher ist es nicht sehr realistisch. Dass vor Ebolis großer Arie "O don fatale" erneut ein Auszug des Requiems steht, ist beinahe nervig, weil die Spannung, die zwischen Eboli und Elisabeth in diesem Moment herrscht, verpufft.

Carlos' Befreiung aus dem Gefängnis fällt nicht nur Posa zum Opfer. Eboli wirft sich schützend vor Carlos, als man versucht, ihn zu erschießen. Das Ende des dritten Aktes geht dann mit einem weiteren Satz aus dem Requiem direkt in die Klosterszene in San Yuste über, wo Elisabeth von Carlos Abschied nehmen will. Dort finden dann auch Elisabeth und Carlos den Tod, so dass am Ende das "Requiem aeterna" wieder aufgenommen wird und Philipp nun vor insgesamt vier Leichen steht. Wenn man Schnittkes Passagen nur an den Anfang und an das Ende des Werkes gestellt hätte, hätte man so vielleicht eine Einheit mit Verdis Musikdrama herstellen können. Die ganzen Einschübe im Rest der Oper erweisen sich jedoch als nicht hilfreich und stören den musikalischen Fluss.

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Elisabeth (Kristi-Anna Isene) und Carlos (Garrie Davislim)

Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau, und der neue Generalmusikdirektor Golo Berg schafft einen gelungenen Einstand am Theater Münster. An zahlreichen Stellen setzt er mit dem Sinfonieorchester Münster bei Verdis Musik Akzente, die man so nicht gewohnt ist. Den Beginn des berühmten Duetts zwischen Posa und Carlo, "Dio, che nell'alma infondere", legt er am Anfang zart und lyrisch an, bevor er zum forte wechselt, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch wenn Schnittkes Musik ein Fremdkörper zu Verdis Partitur bleibt, arbeitet Berg die einzelnen Sätze des Requiems differenziert und nuanciert heraus. Der Opernchor und Extrachor des Theaters Münsters unter der Leitung von Inna Batyuk überzeugen bei Schnittkes Musik durch leuchtenden Klang. Stephan Klemm stattet den König Philipp mit dunklem Bass aus. Seine große Arie im dritten Akt,  "Ella giammai m'amo!" avanciert durch seine eindringliche Interpretation und großartige Stimmfärbung zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Das anschließende Duett mit Christoph Stegemann als Großinquisitor kann musikalisch ebenfalls überzeugen, auch wenn die Personenregie hierbei zu wünschen übrig lässt. Filippo Bettoschi punktet als Posa mit markantem Bariton. Seine Abschiedsarie "Io morrò ma lieto in core" im vierten Akt geht genauso unter die Haut wie das berühmte Duett "Dio, che nell'alma infondere". Garrie Davislim verfügt als Carlo über einen kräftigen Tenor, der nur in den extremen Höhen ein wenig quetschen muss. Kristi-Anna Isene begeistert als Elisabeth mit strahlendem Sopran und setzt vor allem in ihrer großen Arie im letzten Akt, "Tu che le vanità", Akzente.

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Prinzessin Eboli (Monika Walerowicz) mit König Philipp (Stephan Klemm)

Star des Abends ist Monika Walerowicz als Prinzessin Eboli, die nicht nur in ihrer großen Arie "O don fatale" durch große Dramatik und fulminantem Mezzo glänzt, sondern auch im Terzett mit Bettoschi und Davislim im zweiten Akt bei ihrem Racheschwur deutlich macht, dass sie als Feindin nicht unterschätzt werden sollte. Peters lässt sie häufig im Hintergrund auftreten und die Szene belauschen, so dass nachvollziehbarer wird, wieso sie über die Geschehnisse am Hof bestens unterrichtet ist. Auf diese Weise wird auch ihre Reue motiviert, die sie schließlich der zu Unrecht beschuldigten Königin ihr Vergehen gestehen lässt. Dass sie bei dem Versuch, Carlo aus dem Gefängnis zu befreien, erschossen wird, steht zwar so nicht im Libretto, sieht man der Inszenierung allerdings nach, da so die vier Figuren, deren Verhältnis zum König Peters in seiner Inszenierung durchleuchten will, am Ende tot vor ihm liegen können.

FAZIT

Wenn man Verdis Don Carlo auf den Spielplan stellt, dann bitte in Reinkultur. Über die unterschiedlichen Fassungen kann man sicherlich diskutieren, aber eine Vermischung mit Schnittkes Requiem ist ein Betrug an den Emotionen des Zuhörers.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Golo Berg

Inszenierung
Ulrich Peters

Bühne
Rifail Ajdarpasic

Kostüme
Ariane Isabell Unfried

Choreinstudierung
Inna Batyuk

Dramaturgie
Ronny Scholz

 

Sinfonieorchester Münster

Opernchor & Extrachor
des Theaters Münster

Statisterie

 

Solisten

Philipp II., König von Spanien
Stephan Klemm

Don Carlos, Infant von Spanien
Garrie Davislim

Rodrigo, Marquis von Posa
Filippo Bettoschi

Der Großinquisitor
Christoph Stegemann

Elisabeth von Valois
Kristi-Anna Isene

Prinzessin Eboli
Monika Walerowicz

Gräfin d'Aremberg / Tebaldo
Kathrin Filip

Graf Lerma
Youn-Seong Shim


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