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Die Soldaten

Oper in vier Akten
Text vom Komponisten
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz
Musik von Bernd Alois Zimmermann

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 17.03.2018


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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

In Liebesangelegenheiten verspekuliert

Von Stefan Schmöe / Fotos von Ludwig Olah


Die Uniformierten von heute? Das sind nicht mehr die Soldaten (wie sie in einer Garnisonsstadt des 18. Jahrhunderts das öffentliche Leben prägten), sondern das sind die smarten Banker in ihren glänzenden Anzügen, die über ihre Erfolge bei Frauen reden wie über ein geglücktes Tor beim Fußballspiel. Und für ein junges Mädchen ist eine Folge von Affären nicht unbedingt moralisch verwerflich - solange sie sich an die Regeln des von Männern dominierten Systems hält, das von einer Frau vor allem Anpassung erwartet. Für Regisseur Peter Konwitschny sind die Soldaten kein Soldatenstück, und natürlich ging es auch Bernd Alois Zimmermann in seiner zwischen 1958 und 1965 entstandenen Oper nicht um die Beschreibung eines historischen Milieus, den Zuständen in einer Garnisonsstadt im 18. Jahrhundert. Der sah darin eine Parabel auf einen gesellschaftlichen Mechanismus, der "letzten Endes in die Vernichtung des Bestehenden führt", so der Komponist, und da war die Apokalypse eines Atomkriegs explizit mitgedacht.

Szenenfoto

Marie (rechts) träumt ziemlich naiv vom Liebesglück, Schwester Charlotte hält sich an Literatur

So weit geht Konwitschny nicht. Die von Zimmermann eingeplanten Bilder von einer Atombombenexplosion zu den letzten Takten verweigert er (wie die meisten Regisseure), sondern bleibt auf einer sehr gegenwärtigen gesellschaftlichen Ebene. Die Bürgerstochter Marie, die sich im Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz (geschrieben 1774-75) von den Avancen der adeligen Offiziere blenden lässt und schließlich als Prostituierte am untersten Punkt der sozialen Skala endet, ist ein ziemlich naives junges Mädchen von heute. Ihr braver Verehrer Stolzius ist weit weniger interessant als die eleganten jungen Männer aus der Finanzbranche, die ihr ein Leben im Luxus versprechen und kurzfristig wohl auch erfüllen - das alles glaubt man der Regie sofort. Allerdings wendet Konwitschny nicht einfach die Geschichte in die Gegenwart; er verfremdet und stilisiert sie nach Kräften. Die schnellen Szenenwechsel werden realisiert, indem einfache Kulissenteile vom Schnürboden auf die weitgehend leere Bühne herabgelassen werden, allenthalben eilen Bühnenarbeiter durch die Szenerie, und die Personenführung hat oft etwas vom Puppentheater. Die antirealistische Erzählweise betont das Modellhafte, und das entspricht sicher Zimmermanns Konzeption.

Szenenfoto

Die Soldaten von heute, das sind die Sportsfreunde von der nächsten Investment-Bank - und von der sportlichen Seite betrachten die auch ihr Liebesglück bei Frauen.

Dagegen ließe sich einwenden, dass die expressive Musik, serialistische Struktur hin und her, eben doch sehr stark auf der emotionalen Ebene wirkt, was den singulären Rang der Soldaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausmacht, und dass die Regie diese Dimension unterläuft. Drei Akte lang funktioniert dieser Kontrast allerdings ziemlich gut. Man sieht ohne falsche Sentimentalität, wie diese Marie mit (in gewisser Hinsicht sicher berechtigten) Hoffnungen im System aufsteigt, ohne dessen Mechanismen zu durchschauen oder gar zu antizipieren. Am Ende des dritten Aktes gibt es diesen Moment, in dem ihre Individualtragödie aufgehalten werden könnte, als die Gräfin de la Roche ihr eine Anstellung als Gesellschafterin anbietet. In dieser Inszenierung zieht die Gräfin Marie das verführerische Dessous aus und dafür weiße Bluse und knappes Kostüm an, und gleichzeitig erscheint eine ganze Armada solcher Damen, eine gekleidet wie die andere und mit Dokumentenmappe für den (sicher männlichen) Chef unterm Arm, und mit gequält mechanischem Lächeln wenden sie sich dem Publikum zu (und genau so gekleidete Frauen werden danach als Platzanweiserinnen agieren). So funktioniert Frau: Die unverbindlich freundliche Assistentin, stets zu Diensten, und ansonsten total unauffällig und ohne Individualität. Man ist froh, dass Marie sich Bedenkzeit erbittet.

Szenenfoto

Falsche Kleidung, Marie: Die Gräfin de la Roche und Charlotte werden ihr gleich in das unverbindlich-adrette Kostüm helfen, das man als funktionierende Frau in der Männerwelt zu tragen hat.

Daran anschließend hat Zimmermann (den am Lenz'schen Schauspiel insbesondere der Verzicht auf Einheit von Ort und Zeit und die Gleichzeitigkeit verschiedener Aktionen faszinierte) am Beginn des vierten Akts diverse Szenen simultan übereinander montiert. Dafür verlangt der Komponist Lautsprecher im Publikum für eine Rundum-Beschallung und verschiedene Filmeinblendungen - in den 1960er-Jahren war dieser Einsatz aller technischer und theatralischen Mittel auf dem Katastrophenpunkt der Oper (u.a. wird Marie planmäßig vergewaltigt) ein Überwältigungsmittel als Ausdruck des vollständigen Zusammenbruchs. Im Multimedia-Zeitalter ist dieser Effekt doch einigermaßen entwertet, und Konwitschny hat eine entgegengesetzte Lösung gefunden: Er bittet das Publikum auf die Bühne (Sitzplätze gibt es nicht, man steht zwanglos herum), wo ohnehin mehrere Schlagzeug-Batterien postiert sind, sodass sich der Surround-Effekt ganz natürlich einstellt. Konwitschny unterbricht das Geschehen und lässt die Darsteller die Gesangstexte zunächst von den Beleuchter-Galerien aus lesen; anschließend folgt die Simultanszene im Dunkeln als Hörtheater. Musikalisch ist das durchaus eindrucksvoll, bleibt aber eben auch sehr unbestimmt, wo man auf den Deutungsansantz der Regie wartet. Gleichzeitig hat das Arrangement den etwas unangenehmen Beigeschmack von "Event" - nicht zuletzt, weil eine Reihe von Zuschauern prompt die Smartphones zücken und fotografieren oder filmen. Zudem geraten die beiden folgenden Szenen ziemlich konventionell. Maries Verlobter Stolzius vergiftet sich und den Offizier Desportes, Maries ersten Verführer, im Rang des Theaters; in der Finalszene spricht Marie als Prostituierte Besucher auf der Bühne an, bis sie auf ihren Vater trifft (ohne dass sich die beiden erkennen). Das wirkt alles vergleichsweise realistisch, und dadurch fehlt der Inszenierung der Schlusspunkt, auf den sie eigentlich hinlaufen müsste. (Warum überhaupt sollte Marie in Konwitschnys Setting als Prostituierte enden? Für eine zeitweilige Gespielin verschiedene Investment-Broker scheint das keine wirklich zwingende Konsequenz, sondern eher Opernkonvention.) Konwitschnys Finale beschwört plötzlich doch das Schicksal eines kleinen dummen Mädchens, das sich verspekuliert hat, anstatt der universalen Katastrophe, und das wirkt dann doch überraschend kleingeistig. Dass er Zimmermanns Toncollage mit marschierenden Soldaten und Exerzier-Kommandos wie den abschließenden Unisono-Ton des Orchesters streicht und durch einen verebbenden Sinuston (szenisch begleitet durch die verlöschenden Herzsignale eines Sterbenden auf den Monitoren) ersetzt, ist inhaltlich diskutabel, aber nicht allzu wirkungsvoll und eben doch ein wenig konstruiert.

Szenenfoto

Finale mit dem Publikum auf der Bühne: Marie, zur ärmlichen Prostituierten auf der Straße geworden, und ihr Vater erkennen einander nicht mehr.

Sehr eindrucksvoll ist die musikalische Seite. Mit großer Umsicht leitet Marcus Bosch die gute Staatsphilharmonie Nürnberg und hält das riesige Ensemble gut zusammen, gibt den großen Eruptionen Kraft mit Fortissimo bis an die Schmerzgrenze, aber auch vielschichtig differenziert in den vielen leisen Passagen. Hinzu kommt eine glänzende Jazz-Combo und der von Tarmo Vaask einstudierte, sehr überzeugende Chor. Susanne Elmark ist eine lyrische, stimmlich bewegliche Marie, Jochen Kupfer ein sonorer, beinahe allzu seriöser Stolzius, Uwe Stickert mit markantem Charaktertenor ein ausdrucksstarker Verführer Desportes, Antonio Young ein nachdrücklicher Feldprediger Eisenhardt, um die aus einem durchweg ausgezeichneten Ensemble die herausragenden Figuren und Sängerdarsteller zu nennen. Eine musikalische Großtat.


FAZIT

Die Nürnberger Oper bewältigt die riesigen Herausforderungen, die Zimmermanns Soldaten stellen, bravourös. Nur geht Peter Konwitschnys ambitionierter Regie leider in der zentralen Szene die Luft aus.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Helmut Brade

Choreinstudierung
Tarmo Vaask

Dramaturgie
Kai Weßler


Statisterie und Chor des
Staatstheater Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg


Solisten

Wesener
Tilmann Rönnebeck

Marie
Susanne Elmark

Charlotte
Solgerd Isalv

Weseners alte Mutter
Helena Köhne

Stolzius
Jochen Kupfer

Stolzius' Mutter
Leila Pfister

Obrist
Alexey Birkus

Desportes
Uwe Stickert

Pirzel
Hans Kittelmann

Eisenhardt
Antonio Yang

Haudy
Tim Kuypers

Mary
Ludwig Mittelhammer

Gräfin de la Roche
Sharon Kempton

Der junge Graf
Martin Platz

Bedienter der Gräfin de la Roche
Richard Kindley

Der junge Fähnrich
Johannes Budelmann

Drei junge Offiziere
Yongseung Song
Chang Liu
Chool Seomun

Der betrunkene Offizier
Klaus Brummer

Drei Hauptleute
Manuel Krauß
Alexander de Paula
Petro Ostapenko

Drei Fähnriche
Cem Aydin
Jona Bergander
Nazzareno Putzolu

Andalusierin
Inga Schulte



Weitere
Informationen

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