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Musiktheater
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San Paolo (Der heilige Paulus)

Musiktheater in sieben Kapiteln
Libretto von Ralf Waldschmidt
eingerichtet nach dem gleichnamigen, unverfilmten Drehbuch von Pier Paolo Pasolini

Musik von Sidney Corbett

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Uraufführung im Theater am Domhof am 28. April 2018

 

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Theater Osnabrück
(Homepage)

Stachel im Fleisch          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg

5 Jahre sind vergangen, seit Sidney Corbetts beeindruckendes Lehrstück wider das Vergessen „Das große Heft“ nach dem Roman von Agota Kristof im Theater Osnabrück erstmalig gezeigt wurde. Jetzt bringt das umtriebige Theater mit „San Paolo“ ein weiteres Werk Sidney Corbetts zur Uraufführung. Erinnert wird in Osnabrück nicht nur an den biblischen, heiligen Paulus, sondern - mit einem umfangreichen Rahmenprogramm - auch an den 1922 geborenen, italienischen Schriftsteller, Dichter, Publizist und Filmregisseur Pier Paolo Pasolini, dessen unverfilmtes Drehbuch „San Paolo“  die Grundlage des Librettos von Ralf Waldschmidt ist.

Auf Paulus, ein dem Leben zugewandten orthodoxen Juden und römischen Bürger geht die Redewendung „vom Saulus zum Paulus“ zurück. Gemeint ist eine 180°-Wandlung des späteren Apostels. Zunächst hällt er die aufkommenden Christen für eine spalterische Sekte, verfolgt sie und ist 36 n.Chr. an der Steinigung des hl. Stefanus beteiligt. Auf dem Wege nach Damaskus soll ihm in der Wüste der auferstandene Christus begegnet sein. Paulus erblindet, wird von Anania gesund gepflegt und - von Stund an - vom Verfolger zum charismatischen Missionar des frühen Christentums.

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Timoteo und Paolo (Daniel Wagner, Jan Friedrich Eggers)

In Pasolinis, 1968 entstandenem Drehbuch, erscheint Paulus als gespaltene, in vielerlei Hinsicht zerrissene Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, dem zentrale Zitate des späteren Heiligen in den Mund gelegt werden. Ablehnung, Inspiration, mystisch wirkende Entrücktheit, Erkenntnis, Erleuchtung gehen einher mit krankheitsähnlichen Leiden und Vereinsamung. Revolutionäre Äußerungen wie „zur Freiheit hat uns Christus befreit“ stehen neben anderen Briefzitaten, die einen kühl wirkenden, die Öffentlichkeit suchenden, doktrinär predigenden Apostel bzw. Politiker zeigen. Zugleich thematisiert Pasolini das Leiden an der eigenen unterdrückten Homosexualität, transferiert entscheidende Begebenheiten des Paulus-Lebens in die Kriegs- und Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts.

So findet z.B. die Steinigung des Stefanus 1941 im Paris unter deutscher Besetzung statt. Auf seinen Missionsreisen 49 n.Chr. gerät der Apostel im Nachkriegsdeutschland ins Gefängnis, wo sich wundertätig die Mauern öffnen, die Gefangenen fliehen und der Wärter bekehrt werden kann, anstatt sich das Leben zu nehmen. In den 1960er Jahren doziert Paolo schließlich unter Hippies, Künstlern, Schwarzen und Homosexuellen in Greenwich Village, New York über Besonnenheit, Unbestechlichkeit und Anstand, Bescheidenheit und Zurückhaltung.

Am Ende folgt im Libretto der Oper das abschließende Bekenntnis an seinen Freund Timote: „Vivo, pero non piu io, ma vive in me Christo, quanto a me ho terminato la corsa, ho mantenuto la fede. Per il Resto“. Was man übersetzend zusammenfassen könnte mit: Ich lebe, aber nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Nach dem Wettlauf habe ich am Glauben festgehalten. Für immer.

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Christuserscheinung (Lina Liu, Jan Friedrich Eggers, Kinderchor des Theaters Osnabrück)

Während dieses Bekenntnisses an seinen alten Freund Timoteo, der mittlerweile zum Bischof avanciert ist, überschneiden sich in der Inszenierung von Alexander May die letzten Worte Paolos mit Dokumentaraufnahmen, die Johannes XXIII. als kirchlichen Würdenträger mit Mitra und Umhang zeigen, während er zur Eröffnungsmesse des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962 in den Petersdom getragen wird. Hier endet die Oper ein wenig zu abrupt. Einsam, a cappella klingt die Oper zu den Worten „per il Resto“ aus, während der Protagonist in Pasolinis Drehbuch wie Martin Luther King 1968 in einem kleinen Hotel in Memphis ermordet wird.

Solistenensemble, Opern- und Kinderchor des Theater Osnabrück führen unter der Leitung Daniel Inbals anschaulich das leidvolle Schicksal Paolos vor Augen. Jan Friedrich Eggers überzeugt als klangvoller, auch lyrische Farben findender Paolo. An seiner Seite stellt Daniel Wagner anschaulich den angeklagten Stefano und später Freund Timoteo dar. Grendijus Bergorulko gibt den Retter Anania und Barnaba, Susann Vent-Wunderlich ist Giovanni, detto Marco, der Apostel Markus. Lina Liu verkörpert die in wallende, weiße Gewänder getauchte Christuserscheinung mit Dornenkrone.

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Gefängnisszene (José Gallisa, Jan Friedrich Eggers, Daniel Wagner)

Neben einem traditionellen Orchesterinstrumentarium bestimmen Perkussionsinstrumente  wie Peitschen, also kurze, pistolenschussähnliche Geräusche, Almglocken oder auch - an Stockhausen-Crotales erinnernde -, kleine, antike Zymbeln das Klanggeschehen. Unermüdlich wird Paolo von Schmerzen heimgesucht. Harte, von Pausen durchsetzte, rhythmische Schläge vermischt mit zarten und doch durchdringend dissonant zugespitzten, hohen Streicherklängen rufen die Ausgangsszene der Oper, das grausame Todesurteil des Stefanus in Erinnerung. Dabei wechseln die Farben. Bei der Begegnung mit Freund Timoteo bspw. locken Duett, gezupfte Harfe und kleine Melismen im Gesang, aber das bewegte, treibende musikalische Spannungsverhältnis von Linie und Rhythmus bleibt.

Dazu zeigt Alexander May, der für die Inszenierung der Uraufführung verantwortlich zeichnet, starre Bilder, die sich thematisch und historisch nicht festlegen wollen und in groben Andeutungen stecken bleiben. Zu Beginn erscheint ein alter Mann, der sich als Hebräer aus Tarsus vorstellt und später - in dokumentarischen Filmausschnitten - als Vater entpuppt. Die Kostüme von Katharina Weissenborn verweisen dagegen eher ins 20. Jahrhundert. Das Bühnenbild zeigt eine unfertige, sich im Rohbau befindende Hauskonstruktion. Sie ist der einzige Schauplatz der Reise. Hier findet die Anklage des Stefanus statt. Hier träumt, halluziniert und belehrt er sein Publikum, begeistert oder stößt auf Widerstand, begegnet seinem Freund Timoteo.  Alexander May reiht starre Bilder aneinander. Statt historischer Zuordnung dreht sich die Bühne. Filmbilder werden eingeschoben, überblenden, erinnern an eine ungetrübte Kindheit oder deuten Bedrohung an wie während einer ins Kitschige gleitenden Christuserscheinung.

FAZIT

In der Verknüpfung von Religion, Gesellschaft und Homosexualität stellen Sidney Corbett und Ralf Waldschmidt wichtige Themen zur Diskussion.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Inbal

Inszenierung
Alexander May

Bühne
Wolf Gutjahr

Kostüme
Katharina Weissenborn

Video
Jana Schatz

Choreinstudierung
Markus Lafleur

Dramaturgie
Ralf Waldschmidt

 

Osnabrücker Symphonieorchester

Opern- und Kinderchor
des Theaters Osnabrück

Statisterie des Theaters Osnabrück


Solisten

Paolo
Jan Friedrich Eggers

Stefano / Timoteo
Daniel Wagner

Una voce
Lina Liu

Anania / Barnaba
Genadijus Bergorulko

Un uomo anziano
Klaus Fischer

Pietro
Rhys Jenkins

Giovanni, detto Marco
Susann Vent-Wunderlich

Un secondino
José Gallisa

Un capo
Mario Lee

Un commissaro
Jong-Bae Bu




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)





Da capo al Fine

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