![]() ![]() |
Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
![]() ![]() ![]() ![]() |
|
Gegensätze ziehen sich nicht immer an
28 Jahre ist
es her, dass in Wuppertal zum letzten Mal Wagners kompletter Ring des
Nibelungen im Opernhaus auf dem Programm gestanden hat. Langjährige Besucher
haben heute noch ein Leuchten in den Augen, wenn sie an die legendäre
Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel denken. Seitdem ist viel passiert an der
Wupper. Aus der Fusion mit Gelsenkirchen ist das Haus 2001 finanziell und
personell geschwächt hervorgegangen, und Toshiyuki Kamioka hat mit der
Zerschlagung des Solisten-Ensembles bis 2016 schweren Schaden angerichtet. Seit
der letzten Spielzeit versucht nun Berthold Schneider, das finanziell
angeschlagene Haus mit einem ambitionierten und vielseitigen Programm wieder
nach vorne zu bringen. Zu Beginn der neuen Saison knüpft er dafür an Wagner an,
da er weiß, wie groß die Begeisterung an der Wupper für diesen Komponisten ist.
Da ein kompletter Ring oder auch eine ganze Götterdämmerung
derzeit finanziell aber nicht zu realisieren ist, beschränkt er sich auf den
dritten Akt aus dem letzten Teil des Zyklus. Damit wären die Wagnerianer
wahrscheinlich schon zufrieden gewesen. Aber Schneider glaubt wohl, dass das für
einen kompletten Opernabend nicht reiche, und lässt den Schluss der
Götterdämmerung mit Auszügen aus Heiner Goebbels' 1994 zur 1200-Jahrfeier
Frankfurts komponierten Orchesterzyklus Surrogate Cities kombinieren, der
zuletzt 2014 bei der Ruhrtriennale zu erleben war (siehe auch
unsere Rezension).
Doch auch wenn Goebbels' Musik durchaus seine Meriten hat, lassen sich die
beiden Teile nicht zu einer Einheit verbinden und behindern sich eher
gegenseitig. "Turnübungen" bei Surrogate
Cities: Gutrune (Jenna Siladie) Der Abend beginnt mit ca. 40 Minuten Auszügen aus
Surrogate Cities. Das Sinfonieorchester Wuppertal ist dafür aufgeteilt
worden. Die Streicher und die Harfen sitzen im hochgefahrenen Orchestergraben,
während sich die Bläser und das Schlagzeug im hinteren Teil der Bühne befinden
und die Spielfläche einschließen. Kathrin Wittig hat auf relativ engem Raum ein
kleines, modernes Apartment entworfen, das von einer zweckmäßig eingerichteten
Küche auf der linken Seite über ein Bett in der Mitte hin zu einem kleinen
modern eingerichteten Badezimmer auf der rechten Seite führt und mit der Enge
die ökonomische Nutzung von Wohnraum in dicht besiedelten Großstädten andeutet.
Auf dieser Bühne ist den ganzen Abend über eine Frau (Hannah Usemann) mit einer
Live-Kamera in Aktion, die die Solisten und teilweise auch Elemente des
Bühnenbildes filmt, die dann auf Großleinwände geworfen werden, die über der
Bühne und auf der rechten Seite angebracht sind. Im Badezimmer befindet sich
neben der Dusche ein kleiner Lehmhaufen, auf dem zwei Miniatur-Häuser stehen.
Unter dem Tisch in der Küche steht eine Hochzeitstorte. Man befindet sich wohl
zwischen dem zweiten und dritten Akt der Götterdämmerung. Die
Doppelhochzeit zwischen Siegfried und Gutrune bzw. Gunther und Brünnhilde hat
bereits stattgefunden, und als nächstes steht der Jagdausflug der Männer an.
Gutrune (Jenna Siladie) wandelt in einem weißen Kleid etwas unschlüssig durch
den Raum und rutscht etwas unmotiviert auf dem Tisch herum. Hagen (Lucia Lucas) geht
duschen. (vorne und hinten: Sinfonieorchester Wuppertal mit Johannes Pell in der
Mitte) Das würde aber zur Musik von Goebbels nicht weiter stören.
Was hingegen Lucia Lucas als Hagen vom Regisseur Jay Scheib in dieser Szene
abverlangt wird, ist eine Frechheit und verstößt gegen den guten Geschmack.
Scheib lässt Lucas zu Beginn mit Motorradhelm und in Lederklamotten auftreten.
Nachdem sie ein bisschen im Lehm herumgematscht hat, stellt sie sich unter die
Dusche und zieht sich komplett aus. Während das allein schon keinen Sinn macht,
fragt man sich, wieso es obendrein noch nötig ist, sie mit der Live-Kamera dabei
auch noch ins Visier zu nehmen und diese Nacktheit in Großaufnahme auf die
Leinwände zu übertragen. Soll das Provokation um der Provokation willen sein?
Nachdem Lucas sich dann wieder anziehen darf, wühlt sie weiter im Lehm herum und
entdeckt einen goldenen Ring. Soll das Siegfrieds Ring sein? Kurz darauf
verliert sie ihn im Waschbecken, so wie er später in den Fluten des Rheins
untergeht. Anschließend schreibt sie noch mit Lippenstift "Drink to Remember,
Drink to Forget" auf den Spiegel. Vielleicht hilft hier wirklich nur Alkohol, um
zu verstehen, was der Regisseur einem damit sagen will. Bei diesem ganzen
Firlefanz kann man sich gar nicht richtig auf Goebbels' Musik konzentrieren, die
in interessanten vielschichtigen Klangbildern die Hektik und Gefahr der
Großstadt ausmalt, was mit Wagners Ring aber nun wirklich überhaupt
nichts zu tun hat. So wirkt auch das angespielte Es-Dur-Vorspiel des
Rheingolds, das erklingt, während Hagen im Badezimmer eine Schallplatte
auflegt, fehl am Platz. Siegfried (Ronald Samm, vorne
links) erzählt Hagen (Lucia Lucas, vorne rechts) von seiner Begegnung mit dem
Waldvogel. Der Übergang zum dritten Akt der Götterdämmerung kommt
nach den 40 Minuten ebenso unvermittelt. Hagen und seine Mannen treten zur Jagd
in weißem Anzug auf, wobei die Herren des Opernchors eine verwirrende schwarze
Kriegsbemalung im Gesicht haben. Siegfried hebt sich in seinem schwarzen Kostüm
nicht nur von der Jagdgesellschaft, sondern auch vom gesamten Orchester ab, das
ebenfalls weiß gekleidet ist. Die drei Rheintöchter wirken in ihren golden und
silbern glänzenden Kostümen wie Teile des Rheingoldes, das ihnen geraubt wurde
und das sie nun von Siegfried zurückbekommen möchten. Mit ihren stark
geschminkten Gesichtern erinnern sie ein wenig an weibliche Vampire. Das
Bühnenbild ist für den Anfang des dritten Aktes nicht gerade ideal, da es zum
einen für den Chor sehr wenig Platz bietet und alle auf engstem Raum
zusammengepfercht sind und zum anderen das Spiel der Rheintöchter mit Siegfried
ebenfalls nicht richtig entfaltet werden kann. Hier hätten die drei Wassernixen
wohl kaum die Möglichkeit, Siegfried zu entkommen. Hinzu kommen weitere unnötige
Regie-Mätzchen. Wieso muss Floßhilde (Ariana Lucas) auf einem Eimer ihr Geschäft
erledigen und goldene Münzen ausscheiden? Stimmlich hat man die Rheintöchter
schon harmonischer und textverständlicher erlebt, aber Ralitsa Ralinova und
Liliana de Sousa punkten als Woglinde und Wellgunde dennoch mit mädchenhaftem
Sopran, und Ariana Lucas überzeugt mit sattem Mezzo. Ronald Samm verfügt als
Siegfried über einen kräftigen Tenor, der in den Höhen ein bisschen stark
forcieren muss. Die Waldvogel-Erzählung meistert er gut. Lucia Lucas überzeugt
als grimmiger Hagen mit dunkel gefärbten und bedrohlich klingenden Tiefen. Nach
dem Orchesterstück "Siegfrieds Tod", das vom Sinfonieorchester Wuppertal unter
der Leitung des 1. Kapellmeisters Johannes Pell eindrucksvoll interpretiert
wird, folgt die Pause. "Starke Scheite schichtet dort
auf": Brünnhilde (Annemarie Kremer) Nach der Pause geht es dann an den Hof der Gibichungen in das
enge Apartment, in dem der Abend begonnen hat. Siegfrieds Leichnam ist bereits
auf dem Tisch aufgebahrt, so dass Gutrunes besungene Sorge eigentlich so recht
keinen Sinn macht, da sie ihren toten Gatten ja bereits auf dem Tisch in die
Arme geschlossen hat. Jenna Siladie verfügt über einen eher zarten Sopran, der
durch das umsichtige Dirigat von Pell nicht zugedeckt wird, so dass sie in den
leisen Passagen textverständlich bleibt. Sebastian Campione überzeugt als
Gunther mit kräftigem Bariton. Mit Lucas liefert er sich stimmlich einen
beeindruckenden Schlagabtausch, bevor er dann von Hagen mit Siegfrieds Schwert
Nothung umgebracht wird. Nun hat Annemarie Kremer als Brünnhilde ihren großen
Auftritt. Optisch macht sie in ihrem dunklen Kostüm deutlich, dass sie zu
Siegfried gehört. Brünnhildes Schlussgesang "Starke Scheite schichtet dort auf"
präsentiert sie stimmgewaltig mit starkem Vibrato in den Höhen. Am Ende vergräbt
sie den Ring im Lehm neben der Dusche. Doch dieses Mal sind es die Rheintöchter,
die den Ring an sich nehmen und nach einem kurzen Kampf Hagen im Lehm zur
Strecke bringen. Das Sinfonieorchester setzt musikalisch zu einem leuchtenden
Finale an, das die ersten vierzig Minuten des Abends und einige
Regie-Ungereimtheiten vergessen lassen könnte, wenn danach der Abend zu Ende
wäre. Aber dem Publikum wird nach dem beseelten Ende der
Götterdämmerung kein Moment des Innehaltens gelassen. Stattdessen peitscht
sofort und völlig unvermittelt wieder Goebbels' Musik los. Dieser Übergang ist
wirklich unbarmherzig. Dabei ist das Stück, das zum Finale gespielt wird,
musikalisch ein Höhepunkt aus dem Orchesterzyklus. Elisabeth King interpretiert
mit markanter Soulstimme die "Three Horatian Songs", die vom Kampf der Horatier
gegen die Curatier berichten, der im 7. Jahrhundert vor Christus stattgefunden
haben soll, als das noch junge Rom mit der benachbarten Stadt Alba Longa um die
Vorherrschaft in Latium kämpfte. Um die beiden Völker zu schonen, sollte der
Konflikt durch einen Kampf zwischen den besten Kriegern aus jedem Volk
entschieden werden. Für Rom wurden die drei Horatier, für Alba Longa die drei
Curatier ausgewählt. Einem der Horatier gelang es schließlich, die Curatier zu
töten. Bei den Siegesfeierlichkeiten betrauerte seine Schwester laut den Tod der
Curatier, da sie mit dem ältesten der drei Brüder verlobt war, und wurde von
ihrem Bruder dafür getötet. Dieser erhält im letzten der drei Songs die Ehren
für den siegreichen Kampf, wird jedoch gleichzeitig für den Mord an der
Schwester zur Rechenschaft gezogen. Dies alles wird von King und dem
Sinfonieorchester Wuppertal eindrucksvoll umgesetzt und wäre für sich allein
gesehen musikalisch großartig, aber nach dem Ende der Götterdämmerung
will man sich einfach nicht darauf einlassen.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne Kostüme Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Herrenchor der
Statisterie der SolistenSiegfried Brünnhilde Hagen Gunther Gutrune Woglinde Wellgunde Floßhilde Stimme Live-Kamera
|
- Fine -