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Musiktheater
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Der Besuch der alten Dame

Oper in drei Akten
Text nach dem gleichnamigen Drama von Friedrich Dürrenmatt von Gottfried von Einem
Musik von Gottfried von Einem


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Vorstellungsdauer: 3 h (eine Pause)

Premiere am 16. März 2018 in Theater an der Wien (rezensierte Vorstellung: 26. März 2018)

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Theater an der Wien
(Homepage)

Ein Auftritt mit großem Gefolge

Von Roberto Becker / Fotos: © Werner Kmetitsch

Es dürfte eher an dem gewaltigen Personalaufwand liegen, den man betreiben muss, um Friedrich Dürrenmatts und Gottfried von Einems alter Dame den Rachebesuch in Güllen zu ermöglichen, als an der Musik des Österreichers, dessen einhundertster Geburtstag in diesem Jahr ansteht. Die ist alles andere als verstörend oder abgehoben. Ganz im Gegenteil. Das ist eine griffige, Atmosphäre evozierende und den flott gebauten Handlungsablauf tragende Musik. 1971 wurde sie bei der Uraufführung an der Wieder Staatsoper vom Feuilleton noch etwas hochnäsig bekrittelt. Heutzutage wird diese Art von Eingängigkeit eher von allen Seiten goutiert. Vom Publikum sowieso. Aber auch von der Kritik. Es ist längst kein Makel mehr, wenn neuere Musik auch Spaß macht. Wenn da mal ein Kuckuck dazwischen ruft zum Beispiel. Oder wenn das Parlando der Güllener an den Rosenkavalier erinnert. Es ist eine sprudelnde Musik voller Witz. Und es ist ein Sujet, bei dessen vielen hochkarätigen Verfilmungen man allemal hängen bleibt, wenn sie im Spätprogramm irgendeines Fernsehsenders laufen. Der Wirkung des Furors kann man sich nicht entziehen, ganz gleich, ob Ingrid Bergmann oder Christiane Hörbiger die schwerreiche Rächerin spielt.

Vergrößerung Effektvolle Ankunft: Claire kommt nach Güllen

In der so packenden wie hintersinnig witzigen Inszenierung des Routiniers Keith Warner im Theater an der Wien ist diese Claire Zachanassian zunächst mal mit einer ganzen Kollektion von ausgefallenen, durchweg extravaganten Kostümen versehen. Da hat sich Ausstatter David Fielding, ganz so wie die Titelfigur, keinen Zwang zur Sparsamkeit auferlegt. Dazu kommt, dass Katarina Karneus als Claire hinreißend so tun kann, als wäre sie die Kunigunde aus Kleists Käthchen von Heilbronn. Ihre Bein- und Handprothese (natürlich beide vom Feinsten) passen zu ihrer Aura. Karneus bleibt ihrer Claire aber auch stimmlich nichts schuldig. Sie singt und spielt die Titelpartie. Und sie ist allemal der Mittelpunkt, wenn sie auf der Bühne ist und wenn sie es nicht ist.

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Große Party in Güllen

Schon wie sie in Güllen ankommt! Zwar nicht gleich mit dem Panzer durch die Wand, aber eine Notbremsung muss schon sein. Wozu hat man das viele Geld, wenn man damit nicht einen Bahnbeamten bestechen kann, damit der Ruhe gibt. Sie legt gleich noch so viel drauf, dass es reicht, um den berühmten sprichwörtlichen Witwen- und Waisenfonds für Schmiergelder, den es noch gar nicht gibt, zu gründen ... Bei ihrem Abgang am Ende dann gehts tatsächlich mit der Lok durch die Wand!

Zum Kostüm und Aplomb ihrer Ankunft passt ihr Gefolge. Das fängt an mit ihrem diabolischen Butler Boby (Mark Milhofer) - "den hat man fürs Leben" meint sie. Er stellt sich als der ehemalige Richter heraus, der sie einst verurteilt hat. Auch die zwei seltsamen Gestalten, von denen man nicht weiß, ob sie Männlein (waren) oder Weiblein sind, stammen aus jenem Prozess vor über vierzig Jahren - sie waren die, die falsch Zeugnis gegen das junge Mädchen, das schwanger war, geredet hatten. Ihr aktueller Gatte trägt die Nummer Nr. VII - wer sammelt, der nummeriert durch. Ihre zwei handfesten Sänftenträger hat sie sich aus einem Knast freigekauft. Und dann ist da noch ein Panther, der den Besuch ebenso wenig überleben wird wie jener Alfred Ill, in den sie einst verliebt, und von dem sie schwanger wurde. Der erwies sich als rechter Schuft, als er sie verleugnete, falsche Zeugen auftrieb und Claire ins Elend ziehen ließ.

Vergrößerung Güllen im Aufschwung

Dass sie für sich das Beste daraus machte, so reich und mächtig wurde, dass sie mit der Zeit das ganze Dorf aufkaufen und stilllegen konnte, und sich als Krönung den Kopf des Mannes auf dem Silbertablett servieren lassen würde, ahnte damals natürlich niemand. Claire kennt ihre Güllener Pappenheimer. Sie weiß, dass die immer noch so scheinheilig funktionieren wie damals. Also bietet sie eine Milliarde (zur Hälfte für die Gemeinde, zur anderen für jeden einzelnen) dafür, dass sie ihr den Kopf von Alfred liefern. Sie zieren sich denn auch nicht allzu lange. Claire überschwemmt sie so mit einem Wohlstand auf Kredit, dass sie am Ende gar nicht mehr anders können, als Alfred fallen zu lassen. Und sich diesen erneuten Verrat auch noch als moralische Überlegenheit und, einen Akt später, ausgleichender Gerechtigkeit schönreden.

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Butler und Panther

Der Witz von Warners Inszenierung (und von David Fieldings Ausstattung) liegt darin, dass sie das, was sich im verarmten Güllen nach der Ankunft von Claire abspielt, wie ein Modell des Wirtschaftswunders nach dem zweiten Weltkrieg ablaufen lassen. Mit erst unmerklichen, dann immer deutlicheren Veränderungen in Richtung Wohlstand für alle. Für den Preis des einen Sündenbocks gibt es das große Schwamm-drüber für all die anderen. Und die haben kein Problem damit. Von der Politik, sprich dem Bürgermeister (Raymond Very), hatte man eh nichts anderes erwartet. Doch auch der Pfarrer (Markus Butter) und der Lehrer (Adrian Eröd) zieren sich nicht allzu sehr. Am Ende behauptet ausgerechnet der Lehrer im Brustton der Überzeugung, dass es ihnen natürlich nicht ums Geld, sondern nur um die Gerechtigkeit ginge.

Zum Porträt der Dorfgesellschaft leistet der ausgesprochen spielfreudige Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Erwin Ortner) einen entscheidenden Beitrag. Als Gegenspieler von Claire profiliert Russell Braun den Alfred als einen Mann, der wohl von Anfang an ahnt, was ihm bevorsteht. Michael Boder sorgt mit dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien durchgängig für den musikalischen Drive, der diesen Besuch der alten Dame zu einem Ereignis macht. Nicht nur für Güllen, sondern für Wien und alle, die Gottfried von Einems Musik schätzen. Nach dem Besuch im Theater an der Wien sind das sicher ein paar mehr geworden.


FAZIT

Mit diesem Besuch der alten Dame ist dem Stagione-Opernhaus Wiens ein packender Beitrag zum 100. Geburtstag Gottfried von Einems gelungen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Boder

Inszenierung
Keith Warner

Ausstattung
David Fielding

Choreographie
Karl Alfred Schreiner

Licht
John Bishop

Video
David Haneke

Chor
Erwin Ortner


Arnold Schoenberg Chor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Claire Zachanassian
Katarina Karneus

Ihr Gatte VII
Ernst Allan Hausmann

Ihr Gatte IX
Erik Årman

Boby, ihr Butler
Mark Milhofer

Koby/ Boomer
Antonio Gonzales

Loby/ Pressemann
Alexander Linner

Roby
Jakob Müller

Toby
Rudolf Karasek

Alfred Ill
Russell Braun

Mathilde, seine Frau
Cornelia Horak

Ottilie, seine Tochter
Anna Marshania

Karl, sein Sohn
Johannes Bamberger

Bürgermeister
Raymond Very

makAnatte, seine Frau
Kaitrin Cunningham

Pfarrer
Markus Butter

Lehrer
Adrian Eröd

Dr. Nüsslein, Arzt
Martin Achrainer

Hancke, Polizist
Florian Köfler

Erste Frau
Anna Gillingham

Zweite Frau
Carolina Lippo

Hofbauer
Botond Odor

Helmasberger
Matteo Loi

Bahnhofvorstand
Alessio Borsari

Zugführer
Marcel Krokovay

Kondukteur
Masanari Sasaki

Kameramann
Jörg Espenkott


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





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