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Musiktheater
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Die Ring-Trilogie

Musiktheater-Projekt in drei Abenden nach Richard Wagners Der Ring des Nibelungen
In einer Fassung für das Theater an der Wien von Tatjana Gürbaca, Bettina Auer und Constantin Trinks

Erster Abend: Hagen
(Musik aus Rheingold und Götterdämmerung)
Premiere am 1. Dezember 2017 (besuchte Vorstellung: 17. Dezember 2017)
Vorstellungsdauer: 3 Stunden, 15 Minuten, eine Pause

Zweiter Abend: Siegfried (Musik aus Siegfried und Die Walküre)
Premiere am 2. Dezember 2017 (besuchte Vorstellung: 18. Dezember 2017)
Vorstellungsdauer: 4 Sunden, zwei Pausen

Dritter Abend: Brünnhilde (Musik aus Die Walküre und Götterdämmerung)
Premiere am 3. Dezember 2017 (besuchte Vorstellung: 19. Dezember 2017)
Vorstellungsdauer: 4 Stunden, zwei Pausen

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

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Theater an der Wien
(Homepage)

Ring reloaded oder Wie die Väter weiterleben

Von Roberto Becker / Fotos: © Herwig Prammer

Es gehört zum angenehmeren Teil des Ring-Fluches, dass er mehr oder weniger jedes Theater trifft. Mit Alberich könnte man sagen: "Wer ihn besitzt, den sehret die Sorge" - vor allem, was die Schlüssigkeit und Überzeugungskraft der Szene und die Qualität der Sänger betrifft. "Und wer ihn nicht hat, den nage der Neid" - welcher Intendant will sich schon nachsagen lassen, dass er das nicht hinbekommt. Wie man freilich, um auch noch den dritten Teil des Fluches zu nennen, "nach seinem Gut giert", da gibt's mittlerweile verschiedene Varianten. Zuerst den großen Wurf eines Regieteams im Einheitsambiente oder als Panorama, das auf Kapitalismuskritik oder die Weltgeschichte aus ist. Oder als Stückwerk mit vier autonomen Ansätzen unterschiedlicher Teams. So wie exemplarisch in Stuttgart, dann in Essen und jetzt gerade erneut in Karlsruhe. 2018 steht in Chemnitz als Unterform davon, ein Ring mit vier jeweils weiblich geführten autonomen Regieteams auf der Agenda. Daneben gibt es noch die eingedampfte Version. So, wie sie Katharina Wagner in Buenos Aires machen wollte und dann der einheimischen Regisseurin Valentina Carrasco überließ. Seit kurzem gibt es auch noch eine umstrukturierte Fassung. Tatjana Gürbaca hat sie im Theater an der Wien auf die Bühne gebracht.

Vergrößerung Albreich und sein Sohn Hagen - für den Jungen eine Kindheit als Trauma

Als Regisseurin hat sich Gürbaca ihre Wagnersporen mit einem gleich zur Inszenierung des Jahres gekürten Parsifal in Antwerpen und dem nicht minder spannenden Lohengrin in Essen verdient. Für ihre (erste) Ring-Version hat sie gemeinsam mit dem Dirigenten Constantin Trinks und der Dramaturgin Bettina Auer die Struktur der Tetralogie zerschlagen und zwei Drittel der Bruchstücke neu zusammengesetzt. Dabei herausgekommen sind drei Teile, die sie "Hagen", "Siegfried" und "Brünnhilde" nennt. Die Geschichte dieser drei "Helden" in Wagners Epos gibt die Struktur vor. Dabei fallen am Ende natürlich ein paar Stunden unter den Tisch. Die Frage ist, ob der Gewinn dieser Verdichtung größer ist als der Verlust, der durch die Lücken entsteht. Diese Antwort bleibt am Ende offen. Sie wird möglicherweise je nach Ring-Vorbelastung des Zuschauers unterschiedlich ausfallen. Tendenziell dürfte der Ringerfahrene mehr vermissen als gewinnen. Bei einem Neueinsteiger mag das anders sein.

Gestrichen jedenfalls sind Fricka und die übrige Göttersippe, inklusive Erda, ihre Nornen und alles, was musikalisch drum- und dranhängt. Von den Riesen wird nur Fafner als Wurm gebraucht, von den Walküren nur Brünnhilde und Waltraute. Also gibt es keinen Einzug der Götter in Walhall und keinen Walkürenritt. Da Walhall in den Subtext verschwindet, fällt auch die Todesverkündigung dem Rotstift zum Opfer. Sei's drum - all das fehlt nur dem, der es kennt und schätzt. Drei Abende musste man freilich in Wien trotzdem noch einplanen.

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Brünnhilde: Brünnhilde und Siegfried

Jeder Abend beginnt mit der gleichen Szene. Während der Saal von einem geheimnisvollen Rumoren erfüllt ist, sieht man wie Hagen Siegfried hinterrücks ersticht und Brünnhilde voller Entsetzen zusieht. Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt aus werden dann der Mörder, das Opfer und die Zeugin näher beleuchtet.

Im ersten Teil Hagen geht es darum, wie der Mörder zu dem geworden ist, der da voller Hass und getrieben von Rache den Speer in Siegfrieds Rücken stößt. Von diesem sozusagen biografischen Endpunkt aus erlebt Hagen als (hier hinzugefügter) Knabe mit, wie sein Vater Alberich das Rheingold raubt. Wie der Mime versklavt, wie Wotan und Loge auftauchen und Alberich als Geisel nehmen. Wie sie ihn genüsslich foltern und sich nicht damit begnügen, ihm den Ring einfach abzunehmen, sondern wie im Kalifat gleich die ganze Hand amputieren. Dass der Mann den Ring verflucht, scheint mehr als natürlich. Mit diesem Kindheitstrauma im Gepäck manipuliert der erwachsene Hagen dann die ziemlich infantil wirkenden Gibichungen-Geschwister Gunther und Gutrune im Handumdrehen dazu, sich von ihm jeweils mit einem Partner versorgen zu lassen. Hagen wartet auf Siegfried und Gunther, bis die gemeinsam mit Brünnhilde zurückkehren. Zum Schlussbild schreiten Siegfried und Gutrune im Hochzeitsputz auf die Rampe zu, während Hagen gerade Brünnhilde und Gunther auf Rache eingeschworen hat. Musikalisch lebt dieser Teil von der Musik der Götterdämmerung, die mit einigen Passagen aus dem Rheingold angereichert werden. Bei der Personenführung gab es in diesem Teil einige Irritationen. Vor allem Wotans ins einseitig sadistisch Negative gewendete Charakterisierung und die infantile Überzeichnung der bewusst albern kurzbehosten Mannen Hagens. Dafür wurde Alberich durch eine spannende Figurenzeichnung deutlich aufgewertet.

Vergrößerung Das Finale ist wie immer eine Katastrophe: Links Gunther und Gutrune, auf der Bahre der tote Siegfried, von hinten kommt Brünnhilde, und rechts ist auch Hagen zu Boden gegangen.

Auch der zweite Abend Siegfried beginnt wieder mit dem Mord am Helden. Diesmal steht das Mordopfer im Zentrum der aus Siegfried und Walküre kombinierten Teils. Es beginnt mit Mimes "als zullendes Kind zog ich dich auf….". Die beweglichen Stellwände des ersten Teils sind jetzt von Henrik Ahr zu einem klassischen Bühnenkasten geworden. Mime und Siegfried überziehen in ihrem Papa/Mama-Sohn-Spiel bis an den Rand der Schmiere. Als Jungsiegfried den Ziehvater wegen seiner leiblichen Eltern bedrängt, klappt schließlich die Rückwand nach hinten weg und wir befinden uns mitten im ersten Akt der Walküre, in dem sich Siegfrieds Eltern so unverhofft und folgenreich begegnen. Siegmund dringt hier wie ein Einbrecher mit Maske bei Hunding ein. Sieglinde kämpft gegen ihn, versucht ihn mit einem Slip zu würgen. Alles ziemlich übergriffig. Bei dieser Liebesbegegnung von Siegmund und Sieglinde schauen Mime und Siegfried zu, und kennzeichnen diese Szene damit als Rückerinnerung. Auch hier überzeichnet Gürbaca mit ihrer Personenführung bei Mime. Sie diagnostiziert bei ihm einen masochistischen Zug, wenn er Siegfried seinen Gürtel in die Hand drückt und ihm das Hinterteil zum Verprügeln präsentiert. Wie ein dramaturgisches Leitmotiv streift sich Siegfried das T-Shirt seines Vaters Siegmund über. Der hilft ihm dann auch (wie ein Geist der Vergangenheit) beim Schmieden des Schwertes. Bei dem hier einfach die Bruchstücke mit Klebeband zusammengefügt werden. Am Ende dieser Prozedur, bei der Siegfried normalerweise mit der neuen Wunderwaffe den Amboss in zwei Stücke haut, durchsticht er diesmal mit einer Nothung-Karikatur nur die Bratpfanne Mimes.

Die einzige persönliche Begegnung zwischen Wotan und seinem Enkel Siegfried wird in Wien zu einer verunglückten Teestunde. Wotan sitzt zwischen Grünpflanzen und macht sich einen Tee - eine zweite Tasse steht (vielleicht?) für Siegfried bereit. Als sich der aufkreuzende Götterenkel als widerspenstiger Gesprächspartner erweist, holt Wotan eine Kiste mit dem Modell des Bühnenbildes hervor, in dem er sich gerade befindet und bewegt die Figuren dort so, als sei er der Regisseur, der die Akteure auf der Bühne bewegt. Das hat selbstironisch selbstreferenziellen Witz. Brünnhilde dann bewegt sich in einer schwarzen Höhle wie in Trance. Bei ihrem "Ewig war ich…." dreht sich die Bühne, und zwischen den Grünpflanzen tauchen auch Siegmund und Sieglinde auf und Siegfried erlebt den Moment kurz vor seiner eigenen Zeugung mit. Am Ende des großen Liebesduetts zwischen Siegfried und Brünnhilde tauchen Hagen und Wotan als Beobachter wieder auf.

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Auch der dritte Teil Brünnhilde beginnt wie schon die beiden anderen mit dem Mord an Siegfried. Diesmal kommt Wotan dazu und es folgt der große Abschiedsdialog zwischen Wotan und Brünnhilde. Die Rückerinnerung an Brünnhildes Kindheit an der Seite ihres Vaters wird durch Doubles illustriert, die Wotan und seine Tochter als Kind am Schreibtisch zeigen. In der Rückblende begegnen wir dann noch einmal Siegmund und Sieglinde samt Brünnhilde mit Schild und Speer im Hintergrund.

Wotan verbannt Brünnhilde stehend in den Brünnhildenfelsen. Dort erweckt sie Siegfried, quasi mit einer Aufforderung zum Tanz bzw. zum Spiel mit und auf dem Klavier. Wenn Siegfried zu den Gibichungen aufbricht, läuft die Geschichte ganz so wie in der Götterdämmerung ab. Waltraute besucht Brünnhilde. Gunther und Siegfried dringen bei Brünnhilde ein und überwältigen sie. Dabei sieht man zunächst Gunther und hört die Stimme von Siegfried aus der Kulisse. Wenn er ihr den Ring abnimmt und sie mit sich fortschleift, dann ist es Siegfried. Wenn diese drei wieder bei den Gibichungen ankommen, wiederholen sich die Albereien der Mannen, die wir schon einmal gesehen haben. Siegfrieds Ermordung - jetzt an der "richtigen" Stelle - hat wie immer den Trauermarsch zur Folge. Beim Dirigenten Constantin Trinks und szenisch bei Tatjana Gürbaca wird dieser Trauermarsch zu einer Art Staatsstreich-Musik. Was ja im Rezeptionskontext nicht vollkommen abwegig ist. Parallel dazu schlägt ein außer Rand und Band geratener Gefolgsmann Hagens den Helden sozusagen sicherheitshalber mit dem Baseball-Schläger tot. Gunther bricht über der Leiche zusammen und wird von Hagens Mannen gewaltsam weggetragen.

Am Ende tauchen Hagen und Brünnhilde als Kinder auf und schauen auf den am Ende geschlossenen White Cube. Dass diesen beiden das metaphorische Privileg des Schlussbildes überlassen bleibt, ist eine bewusste Pointe von Gürbaca. Vor allem im letzten Teil setzt sich die klassische Struktur der Götterdämmerung voll durch. Da Brünnhilde bei der Jagdszene und dem letzten Auftauchen der Rheintöchter keine Rolle spielt, ist die Überzeugungskraft der Neustrukturierung gerade im dritten Teil am schwächsten.

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Für dieses Ringexperiment hat das Theater an der Wien ein überzeugendes Sängerensemble engagiert. Herausragend sind die Titelpartien der drei Teile besetzt. Samuel Youn ist ein finsterer Hagen, der den intriganten Strippenzieher höchst glaubwürdig verkörpert. Daniel Brenna überzeugt als mühelos strahlender Siegfried. Und Ingela Brimberg ist eine in jeder Hinsicht souveräne erstklassige Brünnhilde. Aris Argiris ist ein auch in der negativen Überzeichnung hochsouveräner Wotan bzw. Wanderer. Martin Winkler bleibt vor allem darstellerisch als Alberich im Gedächtnis. Auf besondere Weise folgen auch Liene Kinca als Gutrune (und Sieglinde) und Kristján Jóhannesson als Gunther den stimmlichen Anforderungen ihrer Partien und den Besonderheiten der Personenregie. Auch Marcel Beekman (als Mime), Michael J. Scott (als Loge) und Stefan Kocan (als Hunding/ Fanfner) fügen sich in das Ensemble. Der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor leistet seinen Beitrag für das musikalische Gelingen dieses Ringabenteuers.

Im Graben gehen Constantin Trinks und die ca. 60 Musiker des ORF Radio-Symphonieorchester mit der der Größe des Hauses angemessenen Version auf der Basis der Orchesterfassung von Alfons Abbas und den geschickt ergänzenden Übergängen von Anton Safronow souverän, mit Neugier und höchst sängerfreundlich um. Sollte Gürbaca, wie gemunkelt wird, in Bayreuth beim nächsten Ring zum Zuge kommen, so könnte ihre Ringtrilogie als ein Herantasten an die inneren, sozusagen biographischen Dispositionen der Fabel gesehen werden.


FAZIT

Das Theater an der Wien hat der Staatsoper nicht etwa einfach eine kleine Ringversion entgegengesetzt, sondern mit einem kühnen Experiment einen Ring der anderen Art. Vor allem für Ring-Neulinge ein lohnender Zugang. Dass das riskante Wagnis mit vokaler und instrumentaler Sorgfalt abgesichert war, versteht sich an diesem Haus von selbst. Schade, dass die en-suite Produktion nicht ständig als alternatives Angebot zur Verfügung steht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Constantin Trinks

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne
Henrik Ahr

Kostüme
Barbara Drosihn

Licht
Stefan Bolliger

Chor
Erwin Ortner

Dramaturgie
Bettina Auer


Arnold Schoenberg Chor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Hagen
Samuel Youn

Siegfried
Daniel Brenna

Brünnhilde
Ingela Brimberg

Wotan/ Wanderer
Aris Argiris

Alberich
Martin Winkler

Mime
Marcel Beekman

Loge
Michael J. Scott

Gutrune
Liene Kinca

Gunther
Kristján Jóhannesson

Woglinde/ Waldvogel
Mirella Hagen

Flosshilde/ Waltraute
Ann-Beth Solvang

Wellgunde
Raehann Bryce-Davis

Sieglinde
Liene Kinca

Siegmund
Daniel Johansson

Hunding/ Fanfner
Stefan Kocan


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





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