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Traum von einem Ort der RuheVon Thomas Molke / Fotos: © Carl BrunnAm 25. August 2018 wäre Leonard Bernstein 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben sich zahlreiche Bühnen und Konzertsäle mit dem musikalischen Schaffen dieses bedeutenden Dirigenten, Komponisten und Pianisten des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt, der mit seinem breit gefächerten Stil für viele als Sprachrohr in Sachen Musik galt. Mit einem halben Jahr Verspätung schickt auch das Theater Aachen noch einen Geburtstagsgruß und hat, ähnlich wie das Musiktheater im Revier mit Mass, zwei eher unbekannte Bühnenwerke des Komponisten ausgewählt, der durch seine West Side Story Weltruhm erlangte. Dabei war es immer Bernsteins Ziel gewesen, "eine echte, bewegende amerikanische Oper" zu schreiben, die jeder Amerikaner versteht. So entstand 1951/52 der Einakter Trouble in Tahiti, für den Bernstein auch selbst das Libretto verfasste. Darin zeichnet er in einer bissigen Satire die scheinbar perfekte Welt eines amerikanischen Durchschnitts-Ehepaars aus der Mittelschicht. Die Weiterentwicklung der musikalischen Komödie konnte er mit diesem Werk allerdings nicht erreichen. Als er immer mehr mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Musicals haderte, unternahm er knapp 30 Jahre später erneut den Versuch, eine "echt amerikanische" Oper zu komponieren und schuf mit A Quiet Place eine Fortsetzung seines Einakters Trouble in Tahiti. Doch auch eine revidierte Fassung des Werkes, die ein Jahr später in Mailand herauskam und in der große Teile von Trouble in Tahiti als Rückblenden in den zweiten Akt eingebaut wurden, brachte keinen großen Erfolg. In Aachen verbindet man nun die beiden Opern zu einem Abend und hat dafür die beiden Kammerfassungen ausgewählt, die Garth Edwin Sunderland, der Music Editor des Leonard Bernstein Office, 2009 bzw. 2013 erstellt hat. Sam (Ronan Collett) und Dinah (Fanny Lustaud) haben sich nichts mehr zu sagen. Trouble in Tahiti spielt zur Zeit der Entstehung der Oper und erzählt von Dinah und Sam, die sich nach zehn Jahren Ehe nichts mehr zu sagen haben und ein recht trostloses Leben in der amerikanischen Vorstadt führen. Jeder Versuch eines Gesprächs endet in einem Streit, selbst wenn er nur darum geht, dem anderen beim Frühstück den Toast zu reichen. Sam flüchtet sich in seinen Job und in eine Affäre mit der Sekretärin Miss Brown. Dinah verbringt ihre Zeit beim Psychiater, um ihre Probleme aufzuarbeiten, und sehnt sich nach Liebe und Harmonie an einem Ort der Ruhe. Ihr Sohn Junior leidet an den Kommunikationsproblemen der Eltern und fühlt sich vernachlässigt. Als sich Sam und Dinah zufällig in der Mittagspause auf der Straße begegnen, lügen sie sich gegenseitig an und behaupten, keine Zeit zu haben, um mit dem anderen gemeinsam Essen zu gehen. Stattdessen schieben sie eine wichtige Verabredung vor. Dinah flüchtet sich ins Kino, um sich den Film Trouble in Tahiti anzusehen, den sie allerdings wütend verlässt, da sie den Kitsch und die heile Welt, die ihr im Film vorgegaukelt wird, mit Blick auf die eigene Situation nicht ertragen kann. Als die beiden beim Abendessen doch noch einmal den Versuch unternehmen, ein Gespräch zu beginnen, fehlt ihnen erneut die Kraft, sich den gemeinsamen Problemen zu stellen. Sam schlägt vor, sich doch lieber einen Film im Kino anzusehen: Trouble in Tahiti. Dinah willigt ein. Sam (Ronan Collett, 2. von rechts) stürzt sich in sportliche Aktivitäten (Jazz Trio (von links: Takahiro Namiki, Eddie Mofokeng und Jelena Rakić)). Das Regie-Team um Nina Russi siedelt die Geschichte in einem isolierten Modellhaus an. Das Bühnenbild von Mathis Neidhardt wird als Guckkastenbühne wie ein Fernseher eingerahmt, der im Stil das Ambiente der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts einfängt. Auf einer Drehbühne sind dahinter verschiedene Räume in Dinahs und Sam Vorstadtwohnung eingerichtet, die in der Ausstattung den öden Alltag des Paares sehr gut einfangen. Einziger Blickfang ist ein Poster von Tahiti, das Dinah als Traum von einer anderen Welt dient. Die Bühne dreht sich wie die beiden Protagonisten im Kreis, wobei die mangelnde Kommunikation so weit geht, dass Dinah und Sam das Haus gar nicht verlassen. Sams Büro ist ein weiterer Raum im Haus, in dem im Hintergrund zahlreiche Pokale aufgestellt sind. Dinahs "Kinobesuch" findet vor dem heimischen Fernseher statt, und der Garten, in dem Dinah sich an einen ruhigen Ort in einer anderen Welt sehnt, ist bloß eine recht nüchtern eingerichtete Terrasse mit einigen lieblos angeordneten Topfpflanzen. In diese Einöde platzt das Jazz-Trio als satirischer Kommentator wie ein falscher, zum Scheitern verurteilter Traum von einem besseren Leben. Die drei sehen aus wie Schaufensterpuppen in einem perfekten Körper mit einer porentief reinen gelifteten Haut. Auch musikalisch karikieren Jelena Rakić, Eddie Mofokeng und Takahiro Namiki im Stil der amerikanischen Werbung der 50er Jahre gekonnt das Musterleben einer Familie in der amerikanischen Vorstadt. Dazu steigen sie auch auf ein Trainingsrad, um zu unterstreichen, wie wichtig die körperliche Fitness für die innere Zufriedenheit ist. Fanny Lustaud überzeugt als Dinah mit warmem Mezzo und eindringlichem Spiel, was die Verzweiflung der jungen Frau bewegend zum Ausdruck bringt. In ihrer melancholischen Melodie von dem traumhaften Garten, die als Motiv im zweiten Teil des Abends immer wieder anklingt, nimmt Bernstein bereits Ansätze des in der West Side Story perfektionierten "Somewhere" vorweg. Ronan Collett stattet die Partie des Sam mit markantem Bariton aus und verleiht der Figur in der Darstellung glaubhaft chauvinistische Züge. Dede (Katharina Hagopian), Junior (Fabio Lesuisse, Mitte) und François (Patrick Cook, rechts) schwelgen in Erinnerungen (auf der linken Seite im Nebenraum: Sam (Wieland Satter)). Der Teil nach der Pause, A Quiet Place, beginnt mit Dinahs Beerdigung. Nachdem sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, versammeln sich ihre Freunde und Verwandten zur Trauerfeier. Nach langer Zeit kehren auch erstmals Dinahs Kinder Dede und Junior nach Hause zurück. Dede lebt mittlerweile mit ihrem Mann François in Quebec zusammen mit ihrem Bruder Junior, von dem es heißt, dass er ein Verhältnis mit Dedes Ehemann hat. Junior platzt erst verspätet in die Trauerfeier herein, und es kommt direkt zu einem Streit mit seinem Vater Sam, bei dem alte Wundern wieder aufbrechen. Nach und nach kommen Wahrheiten ans Licht, die vermuten lassen, dass es sich bei Dinahs Unfall um einen Selbstmord gehandelt haben könnte. Während Dede am Abend mit ihrem Vater die Sachen ihrer Mutter durchgeht und dabei gemeinsam mit ihm in alten Erinnerungen schwelgt, sucht Junior erneut die Nähe zu François und konfrontiert ihn damit, dass er ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Schwester gehabt habe. François weist Junior zurück. Zwischen Sam und Junior kommt es erneut zum Eklat, und die Kinder geben ihrem Vater eine Mitschuld am vermeintlichen Selbstmord der Mutter. Am nächsten Morgen gelingt ihnen scheinbar doch noch eine Aussöhnung. Dede und Junior schwelgen in Kindheitserinnerungen, und Junior und Sam unternehmen einen neuen Versuch, das Kriegsbeil endlich zu begraben. Ob diese Harmonie von Dauer sein wird, bleibt offen. Sam (Wieland Satter, links), Dede (Katharina Hagopian), Junior (Fabio Lesuisse, 2. von rechts) und François (Patrick Cook, rechts) finden einen Brief von Dinah. Bernsteins Musik ist in A Quiet Place schonungsloser und härter als in Trouble in Tahiti, auch wenn kurze Motive aus dem Einakter immer wieder anklingen. In Sunderlands Kammerfassung fehlen die in der zweiten Version eingefügten kompletten Passagen aus Trouble in Tahiti. Die zahlreichen Trauergäste tauchen nur im ersten Akt bei der Feier auf und haben eine teilweise sehr atonale Sprache. Hervorzuheben ist Ekaterina Chekmareva als Mrs. Doc, die mit boshaftem Spiel die schreckliche Atmosphäre auf der Trauerfeier unterstreicht. Auch Irina Popova als Dinahs beste Freundin Susie vermittelt mit intensivem Spiel die Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Beinahe schon makaber ist, wie Soon-Wook Ka als Bestattungsunternehmer mit seinen Bediensteten quasi bis zum Beginn der offiziellen Trauerfeier an der Toten im aufgebahrten Sarg herumtupft. Die Trauerfeier findet in dem gleichen Bühnenbild wie der erste Teil des Abends statt. Das Haus ist allerdings ein bisschen in die Jahre gekommen, und der einrahmende Fernsehbildschirm fehlt jetzt, da die Außenwelt durch die Trauerfeier ja in die Handlung mit einbezogen wird. Das Jazztrio aus Trouble in Tahiti wird durch ein Vocal Quartet ersetzt, das eine ähnliche Musiksprache wie das Trio erhält und hier die Funktion der Nachbarn übernimmt und mit einem Kuchen für die Trauerfeier nervt. Rakić, Mofokeng und Namiki werden hier von Rina Hirayama überzeugend unterstützt. Katharina Hagopian gestaltet die Partie der Dede mit hellem Sopran und einer überzeugend dargestellten Unsicherheit. Natürlich weiß sie von den Gerüchten um ihren Mann und Junior. Auch ist sie sicherlich verletzt, dass ihr Vater damals nicht zu ihrer Hochzeit gekommen ist und nun ihrem Mann zum ersten Mal auf der Beerdigung ihrer Mutter begegnet. Doch es gelingt ihr stets, die Fassade aufrechtzuerhalten, was durch Bernsteins weiche Musik für Dede noch unterstützt wird. Wenn sie am Abend erneut mit François zusammenfindet, wandelt sich der ansonsten recht unruhige Tonfall, der die Partitur durchzieht, zu einer romantischen Melodie, die an eine neu aufkeimende Liebe erinnert. Ansonsten fühlt man sich bei den Familienstreitigkeiten an die Auseinandersetzungen zwischen den Jets und den Sharks aus der West Side Story erinnert. Patrick Cook gestaltet die Partie des François mit höhensicherem Tenor. Wieland Satter findet als Old Sam mit dunklem Bariton für den Vater sehr markante Töne, die zwischen tiefer Trauer über den Verlust seiner Frau und immer wieder unkontrolliert ausbrechender Aggression changieren. Fabio Lesuisse legt die Partie des Junior mit extravagantem Spiel und kräftigem Bariton an. Zahlreiche Tätowierungen sollen seinen exzentrischen Lebenswandel unterstreichen. Sein Verhältnis mit Dedes Ehemann François wird von Lesuisse sehr aggressiv ausgespielt. Man kann sich bei ihm nicht vorstellen, dass die Aussöhnung am Ende des Stückes von Dauer sein wird. Hiroshi Ueno lotet mit dem Sinfonieorchester Aachen die zahlreichen unterschiedlichen Farben der Partitur differenziert aus, so dass es am Ende verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt. Schade ist nur, dass bei dieser Aufführung am Mittwoch zahlreiche Plätze frei geblieben sind. FAZIT Nina Russi gelingt eine bewegende szenische Umsetzung von Bernsteins bitterer Gesellschaftssatire. Musikalisch erreicht der Abend ein hohes Niveau. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Choreinstudierung Dramaturgie
Opernchor Aachen Statisterie Theater Aachen Solisten*rezensierte Aufführung Trouble in Tahiti
Young Sam Dinah Jazz Trio Kinderstatisten A Quiet Place Old Sam,
Dinahs Mann Dede, Dinahs Tochter Junior, Dinahs Sohn François, Dedes Mann Susie, Dinahs Freundin Bill, Dinahs Bruder Doc, Dinahs Arzt Mrs. Doc, seine Frau Bestattungsunternehmer Analytiker Vocal Quartet
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