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Der Dämon im Spiegel
Von Roberto Becker / Fotos: © Monika Rittershaus Der Titel von Alexander von Zemlinskys Oper Der Zwerg führt in die Irre. Ein "kleines Werk" ist die nämlich nicht. Dennoch fügen Regisseur Tobias Kratzer und sein Stammbühnenbildner Raine Sellmaier einen szenischen und musikalischen Prolog hinzu. Er bezieht die Oper auf die Biographie des Komponisten und unterlegt das mit Arnold Schönbergs nicht mal zehnminütiger Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene für Orchester op. 34 aus dem Jahre 1930. Zemlinskys knapp anderthalbstündiger Einakter, zu dem auf Oscar Wildes The Birthday of the Infanta basierenden Libretto von Georg C. Klaren, wurde 1922 in Köln uraufgeführt.
In diesem Prolog begegnen wir dem unschwer zu erkennenden Komponisten selbst und einer kapriziösen Schülerin, in der sich ebenso so leicht jene Alma Schindler erkennen lässt, die nicht nur Zemlinsky, sondern auch Gustav Mahler, Walter Gropius, Oscar Kokoschka und Franz Werfel den Kopf verdrehte und mit einigen von ihnen auch verheiratet war. Kunstproduktion als Sublimierung von Obsessionen? Kann gut sein, dass der gerade mal 1,59 m große Komponist sich selbst in seinen Opernhelden und dessen Probleme mit seiner Selbst- und Außenwahrnehmung projizierte.
Deshalb macht es durchaus Sinn, diesen historisch biographischen Prolog in einen gutbürgerlichen Musiksalon der vorvorigen Jahrhundertwende zu verlegen. Hier nähert sich der Musiklehrer seiner Schülerin an, die ihn aber brüsk zurückweist. Liest man die Tagebuchzitate im Programmheft, so wird klar, dass Zemlinsky die Kränkung, die er als Mann in dem Verhältnis mit Alma erfuhr, zeitlebens nie überwand. Für den Komponisten in ihm war das immerhin eine Anregung für ein Werk. Die eigentliche Geschichte beginnt im nüchtern abstrakten Ambiente eines modernen Konzertsaales. Mit einem Podium für die Musiker, einer Galerie für den Chor und einer Orgel. Hier sind die Vorbereitungen für ein Event zum 18. Geburtstag einer verwöhnten Oligarchentochter voll im Gange. Sogar ein klassisches Orchester ist engagiert. Obwohl man sich kaum vorstellen kann, dass sie und ihre Freundinnen der Generation Smartphone wirklich etwas dafür übrighaben.
Schon eher für ein so groteskes Geschenk, wie es ein kleinwüchsiger lebendiger Mensch ist. Sie interessieren sich für ihn allerdings nur als ausgefallenes Spielzeug und als Attraktion. Zumal der kleine Mann auch noch schön singen kann und sich zur Gaudi der ganzen Versammlung selbst für schön hält. Mit ihrer jugendlichen Erscheinung ist die vokal souveräne Elena Tsallagova eine Idealbesetzung für diese "Prinzessin". Den Zwergen hat Kratzer doppelt besetzt. Der geschmeidige und schön timbrierte Tenor David Butt Philip singt ihn, und verkörpert gleichsam das "normalwüchsige" und insofern "schöne" Selbstbild des Titelhelden, das der kleinwüchsige Schauspieler Mick Morris Mehnert, der ihn doppelt, von sich hat. Mit seinem Spiegelbild konfrontiert er sich nie - zumindest behauptet er das. Wenn es ihm doch einmal zum Beispiel auf einem blitzenden Schwert entgegenblickte, dann war es für ihn ein böser Dämon, den er zu besiegen versuchte.
Das ist ein gewagtes Spiel - aber es funktioniert hervorragend. Die Prinzessin betrachtet erst amüsiert den kleinen Mann und ist dann vom Sänger fasziniert - wendet also den Blick von dem einen ab und dem anderen zu. Diese Dopplung der Persönlichkeit als Sinnbild ihrer Spaltung kulminiert, wenn die beiden aufeinander losgehen, der "Schöne" den "Hässlichen" erwürgt und dann selbst stirbt. Neben diesen Hauptpartien ist gütige Ghita, die den Zwergen über sein wahres Aussehen aufklären will, mit Emily Magee ebenso erstklassig besetzt wie der Spielmacher dieser Gruselparty Don Estoban mit dem markanten Philipp Jekal. Florian Stucki, Amber Fasquelle und Mijau Vaahtoluoto verleihen den drei Zofen ebenso ein wahrnehmbares Profil, wie So Young Park und Kristina Jäger den beiden Mädchen. Nicht zu vergessen die darstellerische Intensität, mit der Adelle Eslignger-Runnicles die Pianistin Alma Schindler und Evgeny Nikiforov Alexander von Zemlinsky verkörpern. Zemlinskys Musik hört man an, dass Hauptwerke von Richard Strauss 1922 schon in der Welt waren und ihre Wirkung entfalteten. Der GMD des Orchesters der Deutschen Oper Donald Runnicles macht daraus im Graben keinen Hehl. Die Musiker verstehen sich auf diese Art von musikalischem Luxus, der zwischen Spätromantik und Moderne changiert und zunehmend der szenischen Spannung einen suggestiven Klangsog hinzufügt.
Tobias Kratzer hat nach dem Einakter Eine florentinische Tragödie in Halle jetzt mit dem Zwerg das zweite Mal mit Zemlinskys reüssiert. Für die musikalische Qualität bot die Deutsche Oper ihr beachtliches Potenzial auf. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Donna Clara
Ghita
Der Zwerg
Der Zwerg (Darsteller)
Don Estoban
Die erste Zofe
Die zweite Zofe
Die dritte Zofe
Das erste Mädchen
Das zweite Mädchen
Alma Schindler (Pianistin)
Alexander von Zemlinsky (Pianist)
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