Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Fremd ist sie eingezogen ...
Von Roberto Becker / Fotos: © Bernd Uhlig Für einen Komponisten des Jahrgangs 1960 ist die Liste seiner komponierten und auch aufgeführten Opern beachtlich. Das Dutzend hat Detlev Glanert bald voll. Die im Auftrag der Deutschen Oper Berlin entstandene Oceane war die laufende Nummer elf. Ob nun sein Joseph Süß Ende der 90er Jahre oder Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, dessen Uraufführung 2001 der Oper Halle den Bayerischen Theaterpreis einbrachte, oder die Drei Rätsel, eine Art Turandot für Kinder, ob Nijinskys Tagebuch, seine Solaris-Version in Bregenz, ob der großformatige Caligula in Frankfurt oder eben jetzt die Oceane - Glanerts Novitäten für die Opernbühne lohnen sich immer, sind ein Dienst am Genre und belohnen das Publikum, wenn es sich die Neugier aufs Neue bewahrt hat.
Ob nun von langer Hand so geplant oder eher Zufall, jedenfalls liefert die Deutsche Oper Berlin mit dieser Uraufführung auch noch einen besonderen Höhepunkt für das Fontane-Jahr, zu dem man sich im Brandenburgischen besonders berufen fühlt. Der Geburtstag des fleißig seine Eindrücke protokollierenden Wanderers durch die Mark Brandenburg jährt sich 2019 zum zweihundertsten Mal. Oceane geht auf Fontanes Novellenfragment Oceane von Parceval aus dem Jahre 1882 zurück. Hans-Ulrich Treichel (der schon den Text für Caligula beisteuerte) hat aus dem Fragment ein musikaffines und bühnentaugliches Libretto gemacht. Fontane greift mit dieser Oceane (ein sprechender Name) das im 19. Jahrhundert beliebte Motiv der geheimnisvollen Frau aus dem Meer auf, die Mensch werden will und daran scheitert. Die Novellenskizze ist seine Melusine-Version. Eine Frau, die er in Heringsdorf auf Usedom an Land gehen lässt, wo sie denn auch prompt die prototypische ‚Gesellschaft im maroden Hotel' fasziniert und zugleich so stark irritiert, dass diese sich aggressiv gegen sie wendet. Im Grunde ist es weibliches Selbstbewusstsein, das sich nicht um männlich dominierte bürgerliche Normen schert. Verschärfend kommt hinzu, dass Oceane nicht zu menschlichem Mitgefühl fähig ist. Ein Toter am Strand lässt sie ebenso kalt wie das Liebeswerben des jungen Gutsbesitzers Martin Dirksen.
Dass der Schauplatz für dieses "Sommerstück für Musik", wie Glanert die Oper im Untertitel nennt, das Strandhotel der Madame Louise (Doris Soffel) ist, wird hier zum Anknüpfungspunkt für eine schwarz-weiß-graue Strandatmosphäre, die mit den Kostümen auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verweist. Emsig wird auf der Terrasse mit herrlichem Meerblick ein Sommerball vorbereitet. Da taucht unter den Gästen eine schöne, elegante Fremde im glitzernden Abendkleid auf. Von der ekstatischen Art, wie sie sich bewegt und tanzt, sind die meisten Gäste irritiert, der junge Gutsbesitzer Martin von Dirksen aber ist von ihr vor allem fasziniert. Seine Annäherungsversuche verlaufen ungewöhnlich. Erst weißt sie ihn brüsk zurück, als er versucht, sie zu küssen. Dann wiederum küsst sie ihn so heftig, dass er das für ein Verlobungsversprechen hält. Als er das öffentlich bekannt gibt, schweigen alle anderen demonstrativ und reagieren, angestachelt durch den Pastor, aggressiv ablehnend.
Regisseur Robert Carsen vermeidet es, daraus einen allzu offensichtlichen Bezug zur Fremdenfeindlichkeit von heute zu machen. Er überlässt solche auf der Hand liegenden assoziativen Bezüge dem Zuschauer und bleibt wohltuend im Exemplarischen der Geschichte. Es kommt, wie es kommen muss: Als Oceane erkennt, dass sie nicht über die Sehnsucht nach menschlichen Gefühlen hinaus zu diesen selbst vordringen kann, verlässt sie die Menschenwelt wieder. Martin bleibt mit dem Abschiedsbrief in der Hand allein am Strand zurück. Dieses Motiv der romantischen Bildersprache zitiert Carsen im Laufe des Abends mehrfach. Glanerts Musik meidet jede avantgardistische Verschreckung. Sie ist tonal und von geradezu betonter Schönheit. Was ja keineswegs ein Nachteil ist. Die Orchesterpassagen sind atmosphärisch, das Parlando durchweg gut singbar.
GMD Donald Runnicles ist ein überzeugender Anwalt dieser Musik. Dass er das Orchester der Deutschen Oper dafür zu begeistern vermag, ist offenkundig und springt schnell auf die Zuschauer über. Manches erinnert an Richard Strauss. Maßgeschneidert das perfekte Erinnerungsparlando der Hotelbesitzerin Madame Louise an ihre angeblich so große Zeit in Paris. Mit Witz galoppiert Stephen Bronk als Kellner Georg durch die Speisekarte. Als zupackend gutmütiger junger Mann charakterisiert Nikolai Schukoff den werbenden Martin. Auch das zweite, sozusagen unbeschwerte Paar, das aus dem Freund Martins, Dr. Felgentreu, und der von Oceane angestellten Kristina besteht, sind bei Christoph Pohl und Nicole Haslett bestens aufgehoben. Alfred Pesendorfer trägt die Last des Moralapostels und Scharfmachers als Pastor Baltzer mit pastoraler Würde. Am faszinierendsten ist aber, wie es Maria Bengtsson gelingt, die zentrale Rolle der Oceane im Zentrum des Ensembles auszufüllen. Sie meistert Balanceakt aus Verführung durch das Fremde und Kälte vokal ebenso überzeugend wie die körperlich sinnliche Ausstrahlung. Der szenische Rahmen, den Robert Carsen, Luis F. Carvalho (Bühne) und Dorothea Katzer (Kostüme) schaffen, betört mit seiner stringenten Ästhetik und lässt genügend Raum für ein Kopfkino der Zuschauer. Geheimnisvoll sehnsüchtige Blicke aufs Meer, dräuende Wolken, ein Zeitkolorit vor dem ersten Weltkrieg, Irritationen in einer geschlossenen Gesellschaft. All das fügt sich in diesem Fall zu einem höchst überzeugenden Ganzen.
Der Deutschen Oper ist mit der Uraufführung von Detlev Glanerts Fontane-Oper ein in jeder Hinsicht überzeugendes Gesamtkunstwerk gelungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Licht
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Ocean von Parceval
Martin von Dircksen
Dr. Albert Felgentreu
Kristina
Pastor Baltzer
Madame Louise
Georg
|
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de