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Musiktheater
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Hippolyte et Aricie

Tragédy-lyrique in fünf Akten
Libretto von Simon-Joseph Pellegrin nach der Tragödie Phèdre von Jean Racine (1677)
Musik von Jean-Philippe Rameau
(3. Fassung von 1757 mit ausgewählten Passagen aus der 1. Fassung von 1733 sowie der posthumen Fassung von 1767)


In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 25. November 2018
(rezensierte Fassung: 02.12.2018)


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Staatsoper Berlin
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Brückenschlag zwischen Barock und Futurismus

Von Christoph Wurzel / Fotos von Karl und Monika Forster

Ein sanfter Schluss: Die Chaconne des letzten Divertissements in Rameaus Oper ist bereits verklungen, da tanzt sich noch ein einzelner Tänzer selbstversunken  vor dem langsam fallenden Vorhang wie ein Schattenbild aus dem Blickfeld des Publikums in den Hintergrund der Bühne. Zuvor hatte Anna Prohaska in einer berückend lyrischen Arie im Wettstreit mit den grandiosen Flöten des Freiburger Barockorchesters die Nachtigallen zum Lob der Göttin Diana angerufen. Nicht laut und auftrumpfend ist diese Freude, sondern gemessen und nach innen gekehrt. Und das ist auch der Grundton dieser gesamten Inszenierung.

Denn ganz anders als in der italienischen Oper ist Action bei dem französischen Meister nicht angesagt. Hier geht es vorrangig um Eleganz und Mäßigung. Hier strebt die Handlung nicht gradlinig einem furiosen Finale entgegen, sondern ausgedehnte Divertissements, Balletteinlagen und volkstümliche Strophenlieder unterbrechen in jedem Akt den dramatischen Fluss - und zwar auf höchst angenehme Weise, denn dies gibt der Musik Gelegenheit zur Entfaltung größter Varianz und Farbigkeit, die Simon Rattle mit dem Freiburger Barockorchester auch bestens zu nutzen versteht. Die Freiburger blühen gerade in diesen instrumentalen Zwischenspielen zu allerhöchster Barockpracht auf. Und Rattle gibt der rhythmischen Grazie dieser Musik und deren berückendem Klangfarbenreichtum  allen Raum, der sich denken lässt. Transparenz und Klarheit des Klangs sind Trumpf. Das auf rund fünfzig Instrumentalisten erweiterte Orchester lässt hier keinerlei Wünsche offen, seien es die markanten Akzente im Schlagwerk oder die bezaubernden Bläserfarben bis hin zu den beiden Musettes, den selten zu hörenden speziell französischen Sackpfeifen, die im letzten Akt sogar direkt von der Bühne erklingen. Aller Klangzauber wird noch zusätzlich unterstützt von der neu gewonnenen akustischen Premiumqualität des frisch renovierten neobarocken Saals.

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2. Akt: Futuristischer Blick in die Unterwelt: Gyula Orendt (Thésée), Peter Rose (Pluton) und Roman Trekel (Tisiphone) (v. l.)

Die Anmutung der Inszenierung dagegen ist in spannungsvollem Kontrast dazu eher futuristisch. Die etwas inflationäre Charakterisierung Bühnenzauberer kann in dieser Produktion aber der isländische Künstler Ólafur Elíasson als Bühnen-, Kostüm- und Lichtbildner mit Recht beanspruchen. In einer Kombination aus geometrischen Raumkonstruktionen und immer neu überraschenden Beleuchtungseffekten kann er die spärliche Handlung der Oper sinnlich überhöhen, ohne die Musik zu verdrängen oder zu dominieren. An vielen Stellen erschließt sich das Lichtkonzept sofort als Interpretation der jeweiligen Handlungsebene wie etwa im Hades-Akt, wenn die Protagonisten lediglich mit großen verschiedenfarbigen Kopfkäfigen aus dem sonst tiefen Dunkel der Bühne Gestalt annehmen. Die für die barocke Opernkunst typischen Coups, das spektakulär Wunderbare, löst Elíasson mit magischen Lichteffekten. Für den Auftritt einer Göttin muss es dann schon eine riesige Spiegelkugel sein, die von der Decke des Zuschauerraums herabschwebt, während Diana sich aus olympischen Höhen in arkadische Gefilde begibt und diese Kugel ein buntes Leuchtkonfetti im ganzen Saal verstreut . Im Publikum ließ sich dabei akustisch vernehmbares Staunen bemerken wie bei einem besonders gelungenen Feuerwerk.

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Beredtheit der Körper: das Ballett als konstitutiver Teil der Inszenierung

Die in nicht besonders stringenter Dramaturgie entwickelte Handlung der Oper wird aber in dieser Inszenierung  erstaunlich deutlich erzählt. Aletta Collins beschränkt sich in der Regie auf eine elementare, fast formalisierte Gestik und Körpersprache, die aber dennoch die Interaktion der Figuren charakterisiert. Einzig die über weite Strecken recht dunkle Bühne erschwert mitunter das genaue Hinsehen.

Dem Titel gebenden Paar, der jungen Diana-Priesterin Aricie und Hippolyte, dem Sohn des attischen Helden Theseus, scheint es nicht vergönnt, seine Liebe zu leben. Dagegen sprechen sowohl das Keuschheitsgebot Dianas als auch die heftige Leidenschaft, welche Theseus' neue Frau Phädra vehement für ihren Stiefsohn empfindet. Da sie glaubt, Theseus wäre im Hades gefangen, offenbart sie sich Hippolyte und stürzt ihn damit ob ihres anstößigen Begehrens in schreckliche Gewissensqualen. Doch Theseus kehrt aus dem Hades zurück, missversteht die häusliche Situation als Schuld Hippolytes und veranlasst den Meeresgott Neptun, seinen Sohn zu töten.  Im fünften Akt aber lösen sich auf wundersame Weise alle Konflikte und durch Dianas Gnade werden Aricie und Hippolyte schließlich glücklich vereint.

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Beginn des fünften Akts: Aricie betrauert den Verlust des tot geglaubten Geliebten: Anna Prohaska

Die Regisseurin führt die Figuren sanft, aber schlüssig durch die Szenen. Das junge liebende Paar bleibt dabei eher defensiv passiv. Anna Prohaskas junge, betörende Stimme und der leuchtend aufblühende Tenor Reinoud Van Mechelen geben diesem Paar auch ohne große Gesten allein stimmlich hohe Präsenz. Dass Anna Prohaska an diesem Abend als erkältet gemeldet war, war ihrem eminent filigranen Gesang nicht anzumerken. Van Mechelen war ihr absolut ebenbürtiger Partner. Beiden schien die Diktion von Rameaus Musik, die sachten Übergänge zwischen dem wohlklingenden Parlando der Rezitative und den technisch höchst anspruchsvollen Arien wie naturgegeben in die Stimme gelegt.

Das Paar, von dem alles Unglück ausgeht, ist dagegen mit weit mehr opernhafter Dynamik ausgestattet. Magdalena Kožená gibt dabei als Phèdre die wahre Drama Queen und lotet darstellerisch wie stimmlich in ihren beiden großen Szenen die ganze Bandbreite der dargestellten Emotionen tief aus.  Den in seinem tragischen Irrtum verfangenen Thésée gibt Gyula Orendt packend mit leidenschaftlicher Intensität. Auch die kleineren Rollen sind ausnahmslos profund besetzt, wie auch die volkstümlichen Gesangseinlagen der Schäferinnen, Matrosenfrauen und Jägerinnen in den Divertissments durch Mitglieder des Opernstudios der Staatsoper.

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In glitzernder Robe und sich selbst im Spiegel befragend: Magdalena Kožená in der Rolle der Phèdre

Ausgiebig Einsatz findet das Ballett und zwar nicht allein in den Divertissment-Tableaus, sondern auch im Sinne eines gleichsam körperlich gespiegelten Ausdrucks der seelischen Vorgänge in den Figuren. Das mag einserseits manche Leerstelle der Regie füllen, andererseits auch als entbehrliche Ablenkung empfunden werden. Aber der Virtuosität des Corp de ballet der Staatsoper tut dies keinerlei Abbruch.

 

FAZIT

Auf wunderbare Weise gelingt mit dieser Produktion der Brückenschlag zwischen der Barockoper französischen Stils und der Moderne. Weder dem Auge noch dem Ohr werden jedenfalls deren Reize verweigert, wenn dieses Angebot auch nicht jeden Geschmack treffen mag. So teilte sich das Berliner Publikum an diesem Abend in sehr wenige, die in der Pause die Oper verließen und eine große Mehrheit die begeistert und heftig applaudierten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simon Rattle

Inszenierung und Choreografie
Aletta Collins

Bühnenbild, Lichtgestaltung
und Kostüme

Ólafur Elíasson

Licht
Olaf Freese

Einstudierung Chor
Martin Wright

Dramaturgie
Detlef Giese


Staatsopernchor

Freiburger Barockorchester


Sänger

Aricie
Anna Prohaska

Phèdre
Magdalena Kožená

Œnone
Adriana Queiroz

Diane
Elsa Dreisig

La Grande Prétresse de Diane /
Une Matelote

Sarah Aristidou

Une Chasseresse
Slávka Zámencníková

Une Bergère
Serena Sáenz Molinero

Hippolyte
Reinoud Van Mechelen

Thésée
Gyula Orendt

Tisiphone
David Oštrek

Pluton
Peter Rose

Mercure
Michael Smallwood

Première Parque
Linard Vrielink

Deuxième Parque
Arttu Kataja

Troisième Parque
Jan Martinik

Tänzerinnen und Tänzer
Bruna Diniz Afonso
Ema Jankovic
Patricia Langa
Sophia Preidel
Yuri Fortini
Daniel Hay-Gordon
Alessandro Marzotto Levy
Will Thompson
Po-Nien Wang
Victor Villarreal




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



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