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L'incoronazione di Poppea

Opera musicale in einem Prolog und drei Akten
Libretto von Giovanni Francesco Busenello
Musik von Claudio Monteverdi


In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 9. Dezember 2017
(rezensierte Fassung: 26.11.2018)


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Staatsoper Berlin
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Katz und Maus im alten Rom

Von Christoph Wurzel / Fotos von Bernd Uhlig

Die Sitten im alten Rom sind ja sprichwörtlich geworden, und es waren schlechte Sitten. Kaiser Nero ist dabei wegen seiner monströsen Missetaten ganz besonders berüchtigt. Die antiken Annalen geben darüber umfassend Auskunft. Seine obszöne Liaison mit der Edelhure Poppea Sabina ist verbürgt und in die Geschichte eingegangen. Als Giovanni Francesco Busenello fast 600 Jahre später diesen Stoff auswählt und für Claudio Monteverdi das Libretto für dessen letztes Bühnenwerk schreibt (eines der besten der ganzen Operngeschichte überhaupt), geht es ihm und dem Komponisten natürlich weniger um die Darstellung historischer Ereignisse, sondern vor allem darum, mit dieser Karnevalsoper in Venedig dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten und darin ganz real zeitgenössische Phänomene sichtbar zu machen. Wenn in L'incoronazione di Poppea im Verlauf der Handlung nach und nach jede Moral und Ethik zunichte werden, der Herrscher zugunsten seiner zügellosen Erotomanie buchstäblich über Leichen geht, und seine Macht allein nur zu schnöder Selbsterhaltung benutzt (Macchiavelli hatte schon 100 Jahre zuvor Gleiches propagiert), dann zeigen die Autoren dieser opera musicale damit ganz ungeschminkt Verfallserscheinungen der Zeit, wie sie vom republikanischen Venedig aus in den monarchischen Kleinstaaten Norditaliens, aber vor allem im Absolutismus des römischen Papsttums abschreckend auszumachen waren.

Dieser Subtext grundiert die Berliner Inszenierung von Monteverdis Oper vor allem im äußerlichen Setting, den Kostümen und dem Personenarrangement. Entscheidender ist aber der analytisch scharfe psychologische Blick auf die Protagonisten der skandalösen Vorgänge, von denen Nikolaus Harnoncourt einmal gesagt hat, dass keine einzige dieser Figuren positiv und sympathisch gezeichnet sei. (Auch dies ein seltener Fall in der Operngeschichte)

Worum geht es? Poppea wittert die Chance Kaiserin zu werden, indem sie Nerone derart heftig den Kopf verdreht, dass er seine Frau Ottavia verstößt und ins Exil schickt. Die allerdings bleibt immerhin am Leben. Dem Philosophen Seneca dagegen wird von Nerone die Selbsttötung befohlen, weil ihm dessen moralische und rationale Vorhaltungen gehörig auf die Nerven gehen. Diese Szene bekommt das Publikum sogar auf offener Bühne serviert. Zum Opfer wird auch Poppeas Expartner Ottone, der vor Eifersucht schier bis zum Wahnsinn getrieben wird.

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Nur Hohn und Spott ergießt sich über die Stimme der Vernunft: Franz-Josef Selig (Seneca), Max Emanuel Cencic (Nerone), Gyula Orendt (Liberto, Lucano), Ensemble (Besetzung der Premiere 2017)

Der Regisseurin Eva Maria Höckmayr gelingt es bezwingend, aus diesen eigentlich bejammernswerten Existenzen höchst lebendige Opernfiguren zu machen. Sie erzählt die Handlung ungemein spannend und zudem mit viel Ironie, also kurzweilig, zumal bei Monteverdi (wie bei Shakespeare auch) sich im hartem Kontrast zueinander Tragisches und Komisches die Hand geben.

Alles spielt auf einer zum Orchestergraben hin leicht abfallenden Ebene, die sich hinten senkrecht nach oben verlängert. Ein schiefes, zudem rutschiges Parkett, das weder nach vorn noch nach hinten Auswege ermöglicht. Alle Beteiligten sind stets anwesend, alles findet sozusagen öffentlich statt. In diesem abstrakten Bühnenraum benötigt Jens Kilian nur sehr wenige weitere Requisiten.

Durch die an den Hochbarock des Absolutismus angelehnten Kostüme sind die Figuren in ihrem sozialen Status genau charakterisiert. Als Noch-Kaiserin tritt Ottavia in barockem Staatsornat auf, wenn sie dann später von Nerone verstoßen wird, entkleidet er sie zugleich mit der Robe  auch all ihrer Würde. Als offizielle Person des Hofes ist auch Seneca charakterisiert, auch er in üppigen Adelskleidern mit Pantalon, roter Robe, Halskrause und gepuderter Perücke.

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Ihrer Kleider und damit auch ihrer Würde beraubt: Ottavia (Katharina Kammerloher) sowie Poppea (Anna Prohaska) und Nerone (Max Emanuel Cencic) (Letztere aus der Premierenbesetzung 2017)

Ganz privatim dagegen das zentrale Paar. Nerone mondän in chic-kühler schwarzer Eleganz, Poppea mit leichtem schwarzen Hemdchen fast anstößig freizügig. Roberta Mameli ist in dieser Rolle grandios. Vokaler und darstellerischer Ausdruck runden sich bei ihr zu einer knisternden Melange aus erotischer Ausstrahlung und berechnender Durchtriebenheit. Poppea wird Nerone nicht mehr aus ihren Fängen lassen, das macht sie bereits in den ersten Worten unmissverständlich klar. Nach eben genossener Liebesnacht haucht sie ihm "Signor" entgegen "non partir! Geh noch nicht!", bis sie ihn nach langem Liebessäuseln soweit hat, ihr Ziel auf den Punkt bringt und vier Mal die fordernde Frage stellt "tornarai? Kommst du wieder?", dann ist er festgenagelt: "tornero - ich werde kommen." Eindrucksvoller als diese Sängerin kann man kaum zeigen, wie sich mit Worten bzw. durch Gesang manipulieren lässt. Aber natürlich fallen sie auf fruchtbaren Boden, denn Nerone ist nur allzu bereit, sich Poppeas Werbestrategie zu unterwerfen. Der Counter Kangmin Justin Kim flötet und juchzt seine amouröse Kapitulation in den brillantesten Koloraturen. Dieses hoch erotisch aufgeladene Katz- und Mausspiel, das auch manchmal die Grenze der Jugendfreiheit streift,  liefert sich hier ein großartiges Sängerpaar.

Überhaupt macht das Sängerensemble in dieser Produktion wunschlos glücklich. Katharina Kammerloher stößt als schnöde verstoßene Ehefrau in ihrem großen Rezitativ mit zusammengebissenen Zähnen allen Frust und alle Wut heraus, die ihr geblieben sind. Aber der Librettist hält sein Mitleid mit dieser Figur in Grenzen, denn sie stachelt schließlich Ottone zum Mord an Poppea an. Diesen betrogenen  Ottone stattet der Counter Xavier Sabata mit nicht geringen Aggressionen, aber gehörig stimmlichem Selbstmitleid aus. Auch er verdient jedoch nur begrenzte Sympathie, macht er sich doch ziemlich rasch an Poppeas Kammerzofe Drusilla heran, um Ottavias Mordbefehl ausführen zu können. Mit pompösen Gesten und rhetorisch ausladend tritt Franz-Josef Selig als Seneca auf den Plan. Mit seinen übertrieben geschönten Koloraturen gibt er die Karikatur eines aufgeblasenen Staatsphilosophen. Mit dieser komödiantischen Seite ist er ebenso überzeugend wie als seriöser Bass in den Wagnerrollen.

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Bewahren nur mühsam die Contenance: Nutrice (Jochen Kowalski) und Ottavia (Katharina Kammerloher)

Die rein komischen Rollen sind dem "Personal" zugewiesen. Das ist vor allem Arnalta, Poppeas schon recht ältliche Amme. Mark Milhofer macht  diese Rolle, die schon im Original einem Tenor zugedacht ist, zu einem Kabinettstückchen biederer Betulichkeit und, wenn sie  zum Schluss mit Poppeas Aufstieg zur Kaiserin auch den eigenen bejubelt, zu einer Lachnummer an Eitelkeit. Glänzend auch Lucia Cirillo als  Page Lucano, wenn sie mit Gekeife und Gefuchtel Ottavia vor dem hohlen Gerede Senecas zu warnen versucht.

Diego Fasolis hat für diese Berliner Produktion das nur rudimentär erhaltene Notenmaterial Monteverdis zu einer beeindruckend vollklingenden und enorm farbenreichen Partitur entwickelt. Mit der Akademie für Alte Musik Berlin findet er für jede Szene die genau passende Farbe und lässt die Instrumente sich in breiter Klangpalette wunderbar entfalten. Perfekt wird die Balance aus Streichern, zarten Holzbläsern wie dem Dulcian, den majestätischen Zinken und der Continuogruppe aus Gambe, Cembalo und Orgel gehalten - absolute musikalische Prachtentfaltung!

 

FAZIT

Eine großartige Produktion. Möge sie noch weitere Jahre das Barockrepertoire der Staatsoper bereichern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Diego Fasolis

Inszenierung
Eva-Maria Höckmayr

Bühnenbild
Jens Kilian

Kostüme
Julia Rösler

Licht
Olaf Freese
Irena Selka

 

Akademie für Alte Musik Berlin


Sänger

Fortuna
Sónia Grané
Niels Domdey*

Virtù
Artina Kapreljan*

Amore
Lucia Cirillo
Noah Schurz*

Nerone
Kangmin Justin Kim

Ottavia
Katharina Kammerloher

Poppea
Roberta Mameli

Ottone
Xavier Sabata

Seneca
Franz-Josef Selig

Drusilla
Sophie Junker

Liberto / Lucano
Adam Kutny

Erster Soldat / Konsul
Daniel Arnaldos

Zweiter Soldat
Florian Hoffmann

Tribun
Bartosz Araraszkiewicz

Valetto
Lucia Cirillo

Damigella
Sónia Grané

Nutrice
Jochen Kowalski

Arnalta
Mark Milhofer

*Solisten des Kinderchores der
Staatsoper Unter den Linden


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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