Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Von der Macht der Musik
Von Christoph Wurzel / Fotos: © Sebastian Bolesch und Monika Rittershaus
Drei Opernproduktionen standen im November und Dezember im Mittelpunkt der an der Berliner Staatsoper Unter den Linden neu etablierten Barocktage. Als Neuproduktion mit Hippolyte et Aricie überhaupt zum ersten Mal an diesem Haus ein Bühnenwerk von Jean-Philippe Rameau (siehe auch unsere Rezension) sowie zwei Wiederaufnahmen von Opern Claudio Monteverdis. Neben der letztjährigen L'incoronazione di Poppea (siehe auch unsere Rezension) die von Sasha Waltz kreierte Inszenierung von L'Orfeo, die in Amsterdam erstaufgeführt, 2015 zum ersten Mal an der Staatsoper (damals noch im Schillertheater) und danach in zahlreichen weiteren Städten gezeigt wurde. Oper und Ballett sind seit jeher Geschwister und ihr gemeinsames Leben beginnt mit der ersten erhaltenen Oper der Musikgeschichte Monteverdis L'Orfeo. Diese favola in musica, vor genau 411 Jahren uraufgeführt, entstand sogar eigens aus dem Bemühen, eine neue Kunstform zu finden, in der Theater, Tanz, Gesang und Instumentalmusik mit einander zu verbinden seien. Die Erzählung des Mythos, die Musik als deren emotionale Verstärkung und der Tanz als körperlicher Ausdruck von Gefühlen sollten eine Einheit bilden. Claudio Monteverdi hat in diesem Sinne mit seinem L'Orfeo den Grundstein einer neuen Gattung gelegt. Körper verbinden sich zu Skulpturen (© Sebastian Bolesch) Nichts liegt also näher, als die Geschichte des mythischen Sängers Orpheus auch auf dem heutigen Theater im geschwisterlichen Geist von Gesang und Tanz zu erzählen. So wechseln sich die magische Sangeskunst und der Ausdruck von Emotionen in Form von Tänzen als die Handlung strukturierende Elemente in Monteverdis Oper regelmäßig ab und bilden ohnehin schon eine untrennbare Gemeinschaft. Die Inszenierung von Sasha Waltz geht aber darüber noch hinaus und integriert das Ballett als zusätzliche Ebene, als Ebene der Körpersprache, mittels derer die Tänzerinnen und Tänzer den Erzählfluss der Handlung kommentieren oder die Gefühle der Protagonisten in Bewegungen ausdrücken. Ballett bleibt nicht bloßes Handlungselement, sondern ist integraler Bestandteil dieser Art von "Gesamtkunstwerk", welches Sascha Waltz als "choreografische Oper" bezeichnet. Bewegung ist Grundkonstante der Aufführung. Spiel, Gesang und Tanz sind nicht nach Akteuren getrennt, sondern gemeinsam mit der Compagnie tanzen auch die Chorsängerinnen und -sänger sowie die meisten Solisten. Bernini-Zitat: Raub der Proserpina (Konstantin Wolf und Luciana Mancini) (© Sebastian Bolesch) Zu sehen ist eine Aufführung mit der Ausstrahlung von klassischer Eleganz und Schönheit. Entsprechend der Farbe der Musik variiert Sasha Waltz Rhythmus und Bewegungsformen ihrer Choreografie. Leicht und fließend sind die Tänzerinnen und Tänzer geführt, voll praller Lebensfreude in der heiteren Ausgelassenheit der Nymphen und Hirten bei Euridices und Orfeos Hochzeitsfeier zu Beginn und dem überdrehten Spingtanz nach der Aufnahme des Sängers in die Schar der olympischen Götter am Schluss, die den Rahmen bilden für die Szenen des Leids, der Trauer und der Verzweiflung. Erstarrt ist jede Bewegung, als unvermittelt die Botin vom Tode Euridices berichtet. Während des in polyphonem Madrigalstil gehaltenen Trauergesangs wird Euridices Körper in einem strengen Kondukt über die Bühne getragen. Nach der Pause zu Beginn des vierten Akts wälzen sich während einer langen musiklosen Sequenz am Boden kriechende schwarze Gestalten, die Bewohner der Unterwelt, während deren Herrscherpaar, Pluto und Proserpina in einem langsamen Pas de deux sich ihrer Liebe versichern, die bekanntlich weniger harmonisch mit einer Entführung begann. Quasi wie eine Reminiszenz zitiert Sasha Waltz hier die berühmte Statue von Bernini aus der Villa Borghese in Rom. Am Schluss erscheint Apollo als barocke Göttergestalt in der Loge und erhebt Orfeo in den Stand olympischer Würden. Die Bühne von Alexander Schwarz ist angemessen schmucklos und funktional, so konzentriert sich das Auge auf Tanz und Spiel. Den Hintergrund deckt eine Wand ab, die mittels Drehelementen geöffnet werden kann und der Bühne Tiefe gibt, in die im ersten Akt die Naturidylle eines Frühlingswaldes projiziert wird. Die Wand stellt im dritten Akt das Tor zur Unterwelt dar, hinter dem Charon sacht rudernd in seinem Kahn die verstorbenen Seelen über den Acheron in den Hades befördert. Georg Nigl als Orfeo, im Hintergrund das Ensemble (© Monika Rittershaus) Musikalisch ist diese Produktion von auserlesener Qualität, Solisten, Chor und Orchester auf allerhöchstem Niveau. Handverlesen sind die Solistinnen und Solisten der einzelnen Rollen. Monteverdi lässt seinen Orfeo gleichsam durch alle Gefühlslagen des Lebens gehen von der höchsten Freude bis zum tiefsten Leid, in Trauer, Verzweiflung und schließlich kalten Zorn. Für all diese Affekte hat Nigl die überzeugende Farbe und die vokale Ausdruckspalette zur Verfügung. Technisch ohnehin perfekt, ist seine Stimme klangschön im gesungenen Parlando ebenso wie in der koloraturgespickten Arie. Dass sich durch Gesang auch die kältesten Seelen bezwingen lassen, dafür liefert dieser Sänger hier den schönsten Beweis. Anna Lucia Richter als Euridice (© Sebastian Bolesch) Anna Lucia Richter beginnt in der allegorischen Rolle der Musica bereits im Prolog mit der Schönheit ihrer Stimme die Macht der Musik zu preisen und singt dann die Euridice anrührend lyrisch und rein. Die Mezzosopranistin Charlotte Hellekant gibt der Unglücksbotin, die mit der Nachricht vom Tod Euridices Orfeo urplötzlich in tiefste Trauer stürzt, wie auch der Allegorie der Hoffnung vor dem Tor zum Hades intensiv dramatischen Ausdruck. Dunkel und sonor im Klang sorgen die drei Protagonisten der Unterwelt für die stimmungsvollen vokalen Farben: die Bässe Gigory Shkarupa als Caronte, Konstantin Wolff als Plutone und die Mezzosopranistin Luciana Mancini. Das Vokalconsort Berlin zeigt eindrucksvoll seine Hochspezialisierung gerade auch in Alter Musik. Glasklar bewältigen sie die filigrane Polyphonie der Madrigale, mit überschäumendem Temperament die lebenssprühenden Tanzlieder. Monteverdis großartige Kunst der musikalischen Charakterisierung hat nicht zuletzt auch in der instrumentalen Gestaltung seinen hervorragenden Sachwalter. Das Freiburger Barockconsort, die Kammerformation des Freiburger Barockorchesters, spielt unter der Leitung von Leonardo García Alarcón nicht nur mit höchster Präzision, sondern auch in einer stilistischen Sicherheit, die Maßstäbe setzt. An den Seiten der Bühne postiert, lässt die kleine Besetzung alle instrumentalen Klangfarben gleichermaßen erstrahlen, die hellen Blockflöten klingen genauso präsent wie die dunklen Posaunen, die scharfen Zinken oder die schnarrende Orgel. Der Dirigent passt auch Dynamik und Tempo dem dramatischen Geschehen der Handlung eindrucksvoll an. FAZIT Sasha Waltz hat mit ihrer Compagnie, mit einem erlesenen Gesangsensemble und dem exzellent spielenden Freiburger Barockconsort Monteverdis Oper einen grandiosen Auftritt bereitet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung und
Choreografie Bühnenbild Kostüme Licht Video Repetition
Vocalconsort Berlin
SängerOrfeo Euridice /
La Musica Messagiera / La Speranza Caronte Plutone Proserpina Apollo / Eco / Pastore 4 Ninfa / Pastore 1 Pastore 2 / Spirito Pastore 3 / Spirito Pastore 5 / Spirito Spirito Tanz / Choreografie
|
© 2018 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de