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Gegen Oper ist kein Kraut gewachsen
Von Roberto Becker / Fotos von Ruth und Martin Walz
Etwas Wagemut gehört schon dazu, Sergej Prokofjews Verlobung im Kloster auf das Programm der hauseigenen Osterfestspiele in der Staatsoper Unter den Linden zu setzten. Wenn am Ende zum Schlussbild der Chor, von Elena Zaytseva mit den Prachtkostüme aller Opernhelden mit Rang und Namen ausgestattet, aufmarschiert, wäre mindestens ein Dutzend davon prädestinierter, um dem Publikum die Festtagszuschläge plausibel zu machen. Aber sei's drum - Daniel Barenboim und sein neuer Intendant haben es riskiert und gewonnen. Es hat im Ganzen funktioniert, weil die Musik sich zwar nicht an den gängigen Geschmack anbiedert, andererseits aber ihren eigenen Kopf hat bzw. den Eigensinn des Komponisten vorführt. Was der in Stalins Reich zurückgekehrte Prokofjew um 1940 komponierte, aber erst nach dem Kriegsende uraufgeführt werden konnte, ist ein erstaunlich vitaler, buffoartiger Vierakter, der - gerade wenn man sich die Entstehungszeit vor Augen führt - mit ungetrübter Orchesteropulenz, übermütigem Spielwitz und seiner Zugänglichkeit, abseits von gewagt Experimentellem, erstaunt. Vorstellungsrunde im Club der Abhängigen
Dass auch die Verlobung im Kloster, obwohl sie sich nicht von den Traditionen des 19. Jahrhunderts abwendet und sich wohl sogar bewusst dem herrschenden Kulturdogmatismus anpasste, in dessen Visier geriet, gehört zu den Verwerfungen, denen Künstler in der Mitte 20. Jahrhundert im Machtbereich der dominierenden Diktaturen ausgesetzt waren. Da erging es Prokofjew und Genossen nicht anders als Strauss & Co. Die Lindenoper bietet für den österlichen Klosterbesuch eine erlesene Schar von Protagonisten auf, denen man den Spaß am Spiel, den ihnen Dmitri Tscherniakov auf den Leib und in die Kehle inszeniert hat, durchaus abnimmt. Zumal der Russe, der mittlerweile so etwas wie ein Hausregisseur der Berliner Staatsoper ist, auch für eine solche Vermutung mit seinem Regieansatz eine Fährte legt, die in diese Richtung weist. Er führt sein Personal nämlich mit dessen jeweils eigenen Vornamen und einer kleinen Parallelbiografie ein, die jeden auf seine Art zum Teilnehmer einer "Gemeinschaft anonymer Opern-Abhängiger", also einer Opernvariante der Anonymen Alkoholiker prädestiniert. Opernfreaks, die von ihrer Sucht loskommen wollen, versuchen es mit einer Konfrontationstherapie mit dem Suchtobjekt. Stefan Rügamer als (Vater) Don Jerome und Anna Goryachova als Schwiegertochter in spe Clara
Dazu hat sich Tscherniakov (als sein eigener Bühnenbildner) einen kargen Probenraum auf die Bühne gebaut und lediglich mit einigen fahrbaren Staatsopern-Sitzreihen und einer Tafel möbliert. Hier gibt es einen Leiter oder Moderator, aber als der einmal die Segel streicht, den Kurs für gescheitert erklärt und das Weite sucht, übernimmt Violeta (die als ehemalige Sängerin vorgestellt worden war, die das Verblassen ihres Ruhmes nicht vertragen würde) das Heft und sie machen einfach ohne ihren Moderator weiter. Für Violeta Urmana, die den Text der Amme Duenna übernommen und im Stück den Fischhändler Mendoza im Visier hat, gilt das mit dem Verblassen natürlich nicht. Dass russisch gesungen wird, auch weil ein Russe in Berlin inszeniert, versteht sich von selbst. Dass bei diesem Ensemble Russisch auch als Muttersprache reichlich vertreten ist, gereicht der Leichtigkeit, mit der agiert und drauflos gesungen wird, aber zu einem entscheidenden Vorteil. Die vokale Spitzenqualität hilft über Längen hinweg, obwohl Tscherniakov die Truppe immer in Bewegung hält und sie allesamt ihre Rollen fabelhaft durchhalten. Also als Kursteilnehmer sich in die Rollen hineindenken, sie annehmen, vorführen, manchmal auch komplett unterlaufen. Die Teilnehmer unter sich: Luisa, Duenna, Clara und Carlos
Daniel Barenboim kostet mit der Staatskapelle diese durchweg kraftvolle, farben- und temporeiche Musik lustvoll aus und trägt die komödiantische Eloquenz der Protagonisten durch den ganzen Abend. Da die deutschen und englischen Übertitel an die Rückwand des Probenraumes, in dem die Therapiesitzung stattfindet, projiziert werden, kann man dem russisch gesungenen Text auch bequem folgen. Obwohl das Intrigen Hin - und Her, bis sich die drei Paare zusammenfinden, auf die lange Distanz des Abends gesehen auch schon mal dazu verführt, dem lebendigen Treiben zwischen den Sitzreihen auf der Bühne einfach ihren Lauf zu lassen. Wenn beim Finale für einen Augenblick die falschen Partner für den Hochzeitssegen beieinanderstehen, und erst noch mal ausgetauscht werden müssen, kann man das jedenfalls gut nachvollziehen. Das unvermutete Paar in der Mitte: der Fischhändler und die Amme, da stauen der Moderator, Don Jerome und Don Ferdinand
Mit all dem reifen Ammenfuror, den Violeta Urmana für ihre Duena mitbringt, kriegt sie natürlich, was sie will, und Goran Juri? gibt ganz bassouverän am Ende klein bei, nicht ohne sich in seiner Rolle als Goran köstlich mit Violeta darüber zu amüsieren. Neben Maxim Paster in der Rolle des Moderators ist von allem Stephan Rügamer als Don Jerome, der Alte im Stück, ein Spielmacher im Wer-mit-Wem-Hin-und-Her. Wunderbar jugendlich leichtfüßig Aida Garifullina als Tochter Luisa, grandios der charismatische Mezzo, mit dem Anna Goryachovas die Nebenrolle der Clara aufwertet. Als Liebhaber Antonio und Ferdinand machen Bogdan Volkov und Andrey Zhilikhovsky eine (regiebedingt zwar nicht optische, aber vokal) exzellente Figur. FAZITDer Regieansatz von Dmitri Tcherniakov fängt witzig an, lässt sich aber nicht ganz auf dem Niveau durchhalten. Die exzellente vokale Qualität, mit der das Protagonistenensemble aufwartet, macht die Produktion gleichwohl zu einem Hochgenuss. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Videodesign
Dramaturgie
Sänger
Don Jerome
Don Ferdinand
Luisa
Die Duenna
Don Antonio
Clara D'Almanza
Mendoza
Don Carlos
Moderator
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E-Mail: oper@omm.de