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Die feministische Revolution ist gescheitertVon Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöß
Freiheit kann ganz schön anstrengend sein. Allzu anstrengend, jedenfalls für die fünf Frauen Blaubarts, die eben aus ihrem Kerker befreit wurden - und prompt dorthin zurückkehren. Doch der Reihe nach: Sechs Türen zu den Schatzkammern darf Ariane, Blaubarts jüngste Gattin, öffnen, doch die dahinter angehäuften Edelsteine lassen sie kalt. Sie setzt sich über Blaubarts Verbot hinweg und öffnet die siebte Türe, die zum Verlies ihrer fünf Vorgängerinnen führt. Sie zerschlägt ein Fenster und ebnet damit den Weg nach draußen, und mit Hilfe der Bauern wird der gefürchtete Tyrann Blaubart überwältigt, aber auf Arianes Geheiß nicht getötet. Aber den Weg in die Freiheit tritt sie am Ende allein an, denn die anderen Frauen wollen gar nicht weg. Blaubarts Macht wirkt fort. Sie öffnet auch die verbotene siebte Tür: Ariane
Paul Dukas komponierte den Stoff 1907, und nicht nur des Textdichters Maurice Materlick wegen liegt der Vergleich mit Debussys Pelléas et Mélisande nahe, ebenfalls auf ein Libretto Maeterlincks komponiert und fünf Jahre zuvor uraufgeführt. Die Musiksprache Dukas' ist handfester, weniger unbestimmt als bei Debussy, dabei vergleichbar im Farbreichtum, und auch die Handlung klarer - bleibt bei Pélleas et Melisande im Vagen, warum und woran Melisande am Ende stirbt (irgendwie an der Welt und überhaupt), ist Ariane et barbe-bleue eine handfeste Emanzipationsgeschichte, zumindest für die Titelfigur, die erhobenen Hauptes das Schloss und damit den Machtbereich des Mannes verlässt. Blaubarts Frauen: (von links) die stumme Alladine mit der Maske (Katrin Schyns), Ariane (Sarah Kuffner), Mélisande (Melanie Kreuter), Sélysette (Nohad Becker), Bellangére (Hasti Molavian) und Ygraine (Dorine Mortelmans).
Regisseurin Andrea Schwalbach erzählt die Geschichte aus verhalten feministischer Perspektive, ohne die Widersprüche zu vertuschen. Ariane ist eine moderne Frau, kurze Haare und Hosenanzug (Ausstattung: Nanette Zimmermann), und die große und kräftige Statur der famosen Darstellerin Sarah Kuffner tut ein Übriges: Diese Frau weiß, was sie will. Mit Blaubart selbst hat sie weiter keine Mühe, denn der gibt sich nicht einmal ansatzweise kämpferisch. Moon Soo Park ist ein smarter Typ mit exotischer Kleidung (Seidenhose, offenes Hemd) und Intellektuellenbrille - kein primitiver Macho, sondern ein Mann mit Ausstrahlung und offenbar sehr großem Vermögen. Bei den Perlenketten, die er Ariane zeigt, darf man sich freilich die Betonung auf dem Wortteil "Ketten" denken. Andrea Schwalbach inszeniert die Begegnung der beiden als fesselndes Kammerspiel. Der Blick in die Natur, sprich: Freiheit von Rollenkonventionen, verwirrt diese Damen.
Merkwürdigerweise hat Blaubart fast nichts zu singen, was wohl auch mit der Entstehungsgeschichte zu tun hat: Maeterlinck verfasste Ariane et barbe-bleue nicht als Schauspiel, sondern direkt als Opernlibretto (noch ohne einen Komponisten von der Vertonung überzeugt zu haben), und die Partie der Ariane war von Beginn an für seine Lebensgefährtin, die Sopranistin Georgette Leblanc, gedacht. Da sollte vielleicht keine allzu profilierte Gesangspartie dem Erfolg der Diva (die dann auch bei der Uraufführung die Partie übernahm) im Wege stehen. Man kann das als dramaturgisches Manko sehen, weil der direkte Geschlechterkampf ausbleibt. Oder auch als Vorzug, wie in dieser Inszenierung: Ariane kämpft nicht gegen einen realen Mann, sondern sie führt ein Scheingefecht gegen ein Prinzip, nämlich gegen das Prinzip der freiwilligen Unterwerfung der Frau. Blaubart ist nur indirekt ihr Widersacher. Ziemlich unbeeindruckt von Arianes Revolution: Blaubart
Die fünf eingekerkerten Damen, die allesamt Namen von Frauengestalten aus früheren Dramen Maeterlincks tragen, sind Luxusweibchen, mit Schmuck behangen und von schweren Perücken fast erdrückt. Die stumme Alladine trägt gar eine Maske. Die reißt Ariane ihr ab wie den anderen die Perücken, nimmt ihnen auch den Schmuck weg: Wohlstandshüllen, die jede echte Identität unterdrücken. Es ist verblüffend, wie gut das mit dem Text übereinstimmt, selbst da, wo Andrea Schwalbach ganz bewusst gegen die Handlung inszeniert. So ist bei Maeterlinck vorgesehen, dass Ariane den Frauen Schmuck gibt, damit diese sich ihrer Schönheit bewusst werden; bei Andrea Schwalbach ist es gerade umgekehrt: Erst ohne Schmuck, Pelz und Perücke wird die wahre Schönheit, die in der Individualität jenseits von Rollenklischees liegt, sichtbar. "Wie ist Dein Haar so schön" - das passt ungleich besser, wenn es eben nicht der Schmuck ist, der das Haar glänzen lässt. Die Regie entfernt sozusagen den Firnis des 19. Jahrhunderts (tatsächlich hat Maeterlick das Stück 1899 geschrieben). Und sie zeigt den inneren Kampf der Frauen, deren anfängliche Hilflosigkeit jenseits der tradierten Rolle, die zögerliche Selbstfreiung, sogar ganz vorsichtig die Möglichkeit von gleichgeschlechtlicher Liebe. Und doch bricht das alles in sich zusammen, als Blaubart wieder auftaucht. Der war eigentlich schon tot, von Ariane blutig erstochen, ohne sich gewehrt zu haben. Aber er erhebt sich wieder, ein unheimliches Gespenst, das nicht fassbar ist, und seine Frauen liegen ihm prompt zu Füßen. Die Natur draußen, die Ariane in wackligen Videoprojektionen heraufbeschworen hat hinter dem surreal schrägen Raum (leider sieht der ein bisschen nach "der Ausstattungsetat war sehr knapp" aus), der bedrohlich gekippt werden kann, interessiert sie nicht mehr. Arianes Revolution ist gescheitert. Es hilft alles nichts, auch nicht diverse Messerstiche, mit denen Ariane Blaubart ins jenseits befördern möchte. Das Prinzip Blaubart lebt weiter.
Dass ein paar Details unklar bleiben an diesem Premierenabend, das liegt an einer fiebrigen Erkältung von Katja Starke, die eigentlich Arianes Amme singen sollte - statt dessen musste kurzfristig Janina Baechle eingeflogen werden, die mit etwas brüchigem, reifen Alt von der Seite singt, während die sehr junge Regieassistentin Frederike Prick-Hoffmann auf der Bühne spielt. Ob die Regie die Figur tatsächlich so jung anlegen wollte, ein schnelles Opfer sexueller Gewalt der Bauern, das bleibt offen, lässt sich aber als Abgrenzung gegenüber dem keineswegs gewalttätigen Blaubart deuten, der über subtilere Mittel verfügt, um sich Frauen gefügig zu machen. Überhaupt stand die Premier wohl bis zuletzt auf der Kippe, weil auch Nohad Becker angeschlagen war - was man im ausgesprochen homogenen, klangschönen und sehr präsenten Quartett der vier singenden Ehefrauen (neben Nohad Becker noch Dorine Mortelmans, Melanie Kreuter und Hasti Molavian) nicht bemerkte. Mit klarem Bass gibt Moon Soo Park dem Blaubart in den wenigen zu singenden Tönen eine sachliche Kontur. Der Chor singt hinter der Bühne klanglich bewusst ein wenig vernebelt, das aber sehr zuverlässig. Im Zentrum aber steht Sarah Kuffner als jugendlich strahlende Ariane, keine Riesenstimme, aber mit der nötigen Emphase und den Reserven, dazu einer exzellenten schauspielerischen Leistung bis hin zum zynischen Ende, bei dem sie alle Ketten gesprengt hat und doch allein abgeht, fassungslos über die Beharrungskräfte des konventionellen Frauenbilds. Die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Chefdirigent Alexander Kalajdzic interpretieren Dukas' faszinierende Musik mit dramatischem Impetus und schneidigem Blechbläserglanz, vielleicht ein wenig vordergründig und nicht immer mit der luxuriös schillernden Opulenz, die dem Komponisten vorgeschwebt haben mag, aber doch spannungsgeladen und packend.
Eine der besten Produktionen der laufenden Saison: Dukas' immer noch zu selten gespielte Ariane wird hier zupackend musiziert, und Andrea Schwalbachs sehr genaue Inszenierung geht unter die Haut. Unbedingt ansehen! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Ausstattung
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Ariane
Die Amme
Blaubart
Sélysette
Bellangère
Ygraine
Mélisande
Alladine
Ein Alter Bauer / Dritter Bauer
Zweiter Bauer
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