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Einfache Antworten gibt es hier nichtVon Stefan Schmöe / Fotos von Sarah Jonek
Was macht das Besondere dieser Oper aus? So erfolgreich wie Dead Man Walking ist wohl kein anderes Werk der jüngeren Musikgeschichte. Seit der Uraufführung im Jahr 2000 in San Francisco ist das Stück an über 50 Theatern nachgespielt worden und in diesem Frühjahr an gleich drei deutschen Bühnen zu sehen (neben dieser Bielefelder Produktion noch in Erfurt und Oldenburg). Entscheidend dafür ist sicher der Ansatz, in einer hochemotionalen (und leicht verständlichen) Tonsprache eine Geschichte zu erzählen, die unmittelbar berührt und gleichzeitig ausgesprochen komplex ist. Dabei ist es vielleicht weniger die Diskussion über die Todesstrafe, der hierzulande im Vordergrund steht, sondern mehr noch grundsätzlichere Fragen nach Schuld, Strafe und Vergebung. Der Besuch im Gefängnis wird zu Sister Helen Prejean zu einer Reise zu sich selbst, die alle Überzeugungen infrage stellt
Der Inhalt: Eine Ordensschwester nimmt Kontakt zu einem verurteilten Mörder in der Todeszelle auf, begleitet ihn in dessen letzten Lebensmonaten bis zur Hinrichtung, wird gleichzeitig mit dem Leid der Eltern der Opfer, aber auch den Angehörigen des Mörders konfrontiert. Der gleichnamige Film (Regie: Tim Robbins) aus dem Jahr 1995 mit Sean Penn und Susan Sarandon mag zur Verbreitung der Opernfassung beigetragen haben, aber Heggies Werk mit dem starken Libretto von Terence McNally steht für sich selbst. Zwar ist die lineare Handlung durchaus filmisch angelegt, aber die Musik trifft derart gut die jeweiligen Stimmungslagen, dass sich in den großformatig angelegten Szenen immer wieder die Situation verdichtet, ohne in Kitsch abzugleiten. Der "romantische" Gestus des großen Orchesters wird durch formale Strenge versachlicht. Gleichzeitig bekommt die Partitur durch die Verwendung von Gospel und Blues, teilweise in der Funktion von Leitmotiven, eine ganz eigene, auch sehr "amerikanische" Farbe. Nicht vorhergesehene Emotionale Bindung: Sister Helen und der Mörder Joseph de Rocher
Auch wenn es keine Oper "nach dem gleichnamigen Film" ist (vielmehr basieren Film wie Oper auf den 1993 erschienenen Aufzeichnungen von Sister Helen Prejean) - wer den Film gesehen hat, wird so manche Szene nicht mehr vergessen können. Regisseur Wolfgang Nägele gelingt es in dieser Bielefelder Inszenierung recht gut, davon zu abstrahieren und doch einen hinreichend konkreten Rahmen für die Handlung zu setzen. Manche Szenen spielen auf leerer Bühne, manchmal werden für die Innenräume rollbare Elemente hereingefahren, die mit durchlässigen Lamellen bespannt sind, aus denen die Darsteller hervortreten können (Bühne: Stefan Mayer). Die Hinrichtung mit der Giftspritze wird angedeutet, und natürlich kann das Regieteam damit arbeiten, dass sich genügend realistische Bilder im Kopf des Zuschauers zusammensetzen. Die heikelste Passage ist der Prolog mit der Ermordung des Teenager-Pärchens samt Vergewaltigung. Natürlich kann die Drastik des Geschehens nur angedeutet werden und es legt sich ein ästhetischer Schutzfilm über die sorgfältig arrangierte Szene. Das Pärchen taucht später immer wieder als Erinnerungsbild auf, wie auch ein Prospekt mit arg verkitschtem Sonnenuntergang am See, was der Dramaturgie der Oper entspricht, die immer wieder auch den Blick zurück auf die Opfer lenkt. In solchen Momenten schwingt eine - vielleicht kaum zu vermeidende - Unbeholfenheit mit, auch weil das Medium Film hier entscheidende Vorteile hat. Konfliktreiche Begegnung, während das Gnadengesuch verhandelt wird: Sister Helen zwischen den Eltern der ermordeten Teenager (auf der linken Seite) und der Familie des Mörders
Misslungen ist auch die erste Szene mit dem Auftritt des Kinderchors, hier als schlechte Revuenummer gestaltet (und in der hier besprochenen Aufführung gehörig aus dem Takt geraten). Das müsste mehr Bedeutung bekommen als "hier singt der Kinderchor", schließlich trägt der das zentrale Leitmotiv der Oper vor: "He will gather us around", das zur musikalischen Klammer der gesamten Oper wird. Danach allerdings nimmt die Aufführung Fahrt auf. Eine wesentliche Entscheidung der Regie liegt darin, Sister Helen nicht als Nonne, sondern in erster Linie als junge Frau (Kostüme: Hannah König) zu zeigen. Zwischen ihr und dem fast ein wenig zu nett geratenen Mörder Joseph de Rocher entwickelt sich eine durchaus auch erotisch aufgeladene Spannung. Die Figuren, auch in den Nebenrollen, erhalten durch die genaue Personenregie scharfes Profil. Kurz vor der Hinrichtung mit der Giftspritze: Joseph de Rocher und Sister Helen
Nicht nur die Hauptrollen sind in dieser Produktion exzellent besetzt. Evgueniy Alexiev in der Partie des Todeskandidaten Joseph de Rocher beeindruckt mit hell strahlendem, durchsetzungsfähigem Bariton, besitzt aber gleichzeitig viel Gespür für die Zwischentöne, den unterschwelligen Blues und Rock'n'Roll, auch die "hässlichen" Töne - Heggie hat sehr geschickt einen lower-class-Tonfall komponiert, den der Sänger gut trifft. Zudem ist er auch optisch eine Idealbesetzung, durchtrainiert und im passenden Alter. Großartig ist auch Nohad Becker mit lyrischem, warm timbrierten Mezzosopran als Sister Helen, oft anrührend zart, dann aber durchaus zu dramatischen Ausbrüchen fähig und doch mit der nötigen Spur von Verletzlichkeit in der Stimme. Fast ständig auf der Bühne, wird von ihr auch schauspielerisch einiges abverlangt - was sie mit Bravour bewältigt und ausdrucksstark die innere Zerrissenheit der Figur, die moralisch immer mehr zwischen die Fronten gerät. Cornelia Starke singt mit entrücktem Sopran eine betörend schöne Sister Rose, Helens engste Vertraute. Katja Starke liefert mit leicht brüchiger Höhe ein ausdrucksstarkes Portrait der Mutter des Todeskandidaten, Frank Dolphin Wong (der in der Hagener Inszenierung 2007 den Joseph gesungen hat) gibt dem Vater des ermordeten Mädchens Präsenz und klangvolle Würde. Auch die kleineren Partien sind durchweg sehr gut besetzt. Am Pult der sehr ordentlich aufspielenden Bielefelder Philharmoniker hält Gregor Rot geschickt die Balance zwischen den großen Ausbrüchen und einem fast sachlichen Tonfall. So bleiben am Ende, und das ist eine Stärke des Stücks, viele Fragen offen in einem überaus komplexen Spannungsfeld von Schuld und Strafe, das keine einfachen Antworten zulässt.
Eine mitreißende Produktion einer starken Oper, die die ganz großen Fragen verhandelt. Einfühlsam inszeniert und auf musikalisch ausgezeichnetem Niveau umgesetzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Sister Helen Prejean
Joseph De Rocher
Mrs. Patrick De Rocher
Sister Rose
George Benton
Father Grenville
Kitty Hart
Owen Hart
Jade Boucher
Howard Boucher
Motorradfahrer
Älterer Bruder
Jüngerer Bruder
1. Wächter
2. Wächter
Sister Catherine
Mãdãlina Sandu
Sister Lillianne
* Sofio Maskharashvili
Eine Mutter
* Evelina Quilichini
Mrs. Charlton
Elena Schneider
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