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Vom langen Sterben der E.M.
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Die Männer liegen ihr zu Füßen. Alle. Allein - es lässt sie kalt. Mit einem Alter von 337 Jahren hat sie genug erotische Erlebnisse hinter sich - nachdem sie mit 16 Jahren aufgehört hat, nennenswert zu altern. Ursache war die "Sache Makropulos", eine Geheimformel, die ihr Vater als Arzt am Hof Rudolf II. gefunden hatte und an ihr erproben musste. Mit wechselnden Namen (allein die Initialien E.M. behält sie bei) wandelt sie als Untote durch die Zeiten. Allmählich müsste die Formel erneuert werden, aber die lagert im Schrank des Baron Prus, weil Elina Makropulos, die sich gerade Emilia Marty nennt, sie einst einem Liebhaber überlies. Um wieder in deren Besitz zu kommen, mischt sie sich in einen jahrzehntealten Erbprozess ein und schenkt dem Baron Prus eine eisige Liebesnacht. Mit Erfolg, eigentlich, denn letztendlich will sie gar nicht länger leben und wirft die "Sache" von sich.
Janáček, der das Libretto seiner Oper nach einer Komödie von Karel Čapek selbst schrieb, entwickelt die Geschichte zunächst als Juristendrama. Emilia Marty, eine gefeierte Operndiva, platzt in die Schlussphase des Erbschaftsprozesses hinein und kennt erstaunlich viele Details. Die - ohne Kenntnis der Vorgeschichte, die erst am Ende enthüllt wird - verblüffenden Wendungen sind im Text ziemlich geschickt verarbeitet (um den Preis, dass man auch ziemlich viel nach den Übertiteln schauen muss) und im Janäček-typischen Parlando, das der tschechischen Sprachmelodie folgt, schnörkellos und recht schroff vertont. Der junge Kapellmeister Hermes Helfricht am Pult des sehr guten Beethoven Orchesters glättet nichts, trifft ausgezeichnet den angespannten und nervösen Tonfall dieser Musik und macht deutlich, wie modern Leoš Janäček die Komposition in den 1920er-Jahren angelegt hat.
Vorweggenommene Beerdigung: Nicht nur Albert Gregor (Thomas Piffka) hat Blumen für Emilia Marty (Muriel Yannick Noah)
Schon schwieriger tut sich die Regie mit dem spannenden, aber auch spröden Stoff. Was die Bonner Oper als "Koproduktion" mit der English National Opera London ankündigt, ist wohl eher die Übernahme einer Inszenierung, die dort bereits 2006 (!) zu sehen war. Christopher Aldens solide und ästhetisch eindrucksvolle, wenn auch ein wenig schwammige Regie belässt die Geschichte in den 1920er-Jahren, was vor allem in den Kostümen (Sue Wilmington) deutlich wird. Der für alle drei Akte gleiche Bühnenraum (Charles Edwards) zeigt eine große Halle, rechts durch eine moderne Glasfront begrenzt, durch Leuchstoffröhren kalt ausgeleuchtet. Lässt sich zunächst noch der überdimensionierte Vorraum eines Gerichts oder einer Kanzlei assoziieren, so wird der Raum zunehmend irreal. Alden versucht, die Geschichte in der Schwebe zu halten zwischen einer realistischen Erzählweise und einer surrealistischen Verfremdung. Letztendlich fehlt es dabei an Schärfe, und die Regie verliert sich ein wenig in dekorativer Beliebigkeit. Immerhin: Eindrucksvoll anzusehen ist das schon.
Alden fokussiert ganz auf Emilia Marty alias Elina Makropulos - und Sängerin Yannick Muriel Noah setzt das spielerisch wie sängerisch mit großer Intensität um. Mitunter fehlen ihrer lyrischen und immer klangschönen Stimme die Reserven zur dramatischen Attacke; den Zynismus der Figur muss sie über die darstellerische Seite zeigen - was ihr gut gelingt. Sie ist das Gravitationszentrum der Aufführung, alle anderen Figuren umkreisen sie wie Planeten die Sonne. Immer mehr bekommt man angesichts der geradezu choreographischen Personenführung aller anderen Figuren den Eindruck, die Handlung spiele sich in ihrem Inneren ab, ist vielleicht eine Reflexion des Lebens im Angesicht des Todes.
Die Sache Makropulos klebt Emilia an den Händen
Ihr stärkster Widersacher ist der Baron Prus, den Ivan Krutikov mit donnernder Stimme und animalischer Virilität gibt - um nach der lieblosen Liebesnacht umso stärker zu implodieren. Thomas Piffka singt seinen Prozessgegner Albert Gregor mit sicherem Tenor, Martin Tzonev ein eindrucksvoller Anwalt Kolenatý, Johannes Mertens ein ordentlicher ehemaliger Liebhaber Hauk-Šendorf. David Lee bleibt stimmlich als Prus' Sohn Janek ziemlich blass (was immerhin der Regie entgegenkommt, die ihn als zaghaften Schwächling zeichnet). Auch seine Freundin Krista ist mit Kathrin Leidig ein wenig leichtgewichtig besetzt - wobei die Regie diese Rolle abwertet, indem sie den Schluss abwandelt. Ist im Libretto vorgesehen, dass Emilia die "Sache Makropulos" eben an diese junge Sängerin Krista weitergibt, die sie postwendend zerreißt, bleibt sie hier bei Emilia/Elina, die allein mit dem Dokument zurückbleibt. Das klebt ihr geradezu an den Händen, lässt sich lange nicht abschütteln. Als es doch gelingt, sinkt Emilia tot zu Boden. Wirklich Stellung bezieht die Regie damit nicht, aber sie trifft, nicht das Schlechteste, recht gut die Stimmung der Oper.
Christopher Aldens Inszenierung schlängelt sich ganz elegant durch die szenischen Klippen des Stücks, ohne eine Aussage zu treffen - spannendes, musikalisch eindrucksvolles Theater ist das allemal.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Lichteinrichtung Bonn
Chor
Solisten
Emilia Marty
Jaroslav Prus
Janek
Albert Gregor
Hauk-Šendorf
Dr. Kolenatý
Vítek
Krista
Komorná (Kammerzofe)
Strojník (Maschinist)
Poklízečka (Putzfrau)
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