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Räum' doch mal einer diesen Müll weg!
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Im Palast ist Großreinemachen angesagt. Jede Menge schwarzer Plastiksäcke hat man schon angehäuft, zwischen denen Elektra ungepflegt und mit dumpfen Blick vor sich hin vegetiert. Ein goldener Brustpanzer lässt vermuten, dass es sich um Hinterlassenschaften des von Gattin Klytemnästra gemordeten Agamemnon handelt. Elektra, das Mädchen von der Müllhalde - ein allzu starkes Bild ist das nicht, gemessen an den Ungeheuerlichkeiten der blutigen Handlung, vor allem gemessen aber an den Ungeheuerlichkeiten der Musik.
Schon wirkungsvoller ist die eindrucksvolle Treppe mit (neo-)barockem Geländer und Beleuchtung der Richard-Strauss-Zeit (Bühne: Etienne Pluss), die in die unsichtbaren Gemächer hinaufführt. Zeitlich eindeutig festlegen will sich die Regie (Enrico Lübbe) nicht. Elektra tritt im antikisierenden gelben Kleid auf, und auch ihr Bruder Orest im archaisch anmutenden Lederharnisch scheint eher eine Figur mit historischen Bezügen zu sein, Schwester Chrysothemis im aparten Kleid dagegen ist vorsichtig modern angelegt wie Mutter Klytämnestra in goldenem Flitter, Stiefvater Aegysth ist ein moderner Krawattenträger (Kostüme: Bianca Deigner), die offenbar geklonten Dienerinnen. Ein zeitloses Drama also, wie es in den besten Familien vorkommt.
Mordsvisionen mit Axt
Viel mehr dazu eingefallen ist Enrico Lübbe, Intendant am Schauspiel Leipzig, allerdings nicht. Zu Elektras Rachefantasien, in denen sie Bruder Orest mit Beil herbeibeschwört, lässt Lübbe diesen Orest tatsächlich erscheinen, sogar gleich vervielfacht, und entsprechend viele Elektras folgen ihm - aber mehr als eine Doppelung dessen, was in Text und Musik sowieso gesagt wird, ist das nicht. Und um auch szenisch eine Fallhöhe aufzubauen zwischen Elektras Mordgedanken und ihrer Handlungsunfähigkeit - sie vergisst, Orest das Beil mitzugeben (was er nicht braucht, weil dessen Begleiter, offensichtlich ein versierter Mörder, eigenes Werkzeug mitbringt) - ist die Regie viel zu ungenau, sind die Bilder allzu beliebig. Wenn Elektra am Ende in den Müllberg steigt und mit weiteren Müllsäcken beworfen, quasi gesteinigt wird, sieht das mehr nach einer fröhlichen Kissenschlacht als nach Tragödie aus.
Lübbe tut sich zudem schwer mit den langen Szenen, bleibt konventionell und überraschungsarm in der reichlich statischen Personenregie. Die exquisite, häufig wechselnde Beleuchtung (Licht: Max Karbe) setzt weniger szenische Impulse als einen dekorativen Rahmen. So sind, nicht zuletzt mangels eines überzeugenden Regiekonzepts, diejenigen Szenen die stärksten, in denen die Darsteller ganz sich selbst überlassen sind - und der Musik. Es dauert eine Weile, bis das Orchester und die Sänger sich klanglich aufeinander und auf den Raum eingestellt haben, zu Beginn besteht noch ein Ungleichgewicht, aber mehr und mehr verschmelzen die Stimmen mit dem Orchester zu einem immer besseren Gesamtklang. GMD Dirk Kaftan am Pult des sehr guten Beethoven Orchesters hebt dabei die Schärfen der Partitur hervor, die "Zumutungen" des Komponisten, die perkussiven Elemente. Da wird Strauss nicht als Endpunkt der Spätromantik, sondern ziemlich stark zugespitzt als Beginn der Moderne interpretiert und die süffige Kulinarik nur am Rande gestreift, und das gelingt Kaftan und den Musikern ganz ausgezeichnet. Das Klangbild ist transparent und nie dick, aber durchaus wuchtig, aber beinahe noch mehr als die Exzesse gewinnen die leisen Passagen erhebliche Spannung.
Hui, da fliegen die Müllsäcke: Elektra wird letztendlich unter selbigen begraben.
Aile Assonyi in der Titelpartie, am Anfang noch ein wenig befangen, steigert sich zu einer imposanten Leistung mit noch jugendlichem, gleichwohl dramatisch großem, facettenreichen Sopran, auch (und gerade) in den leisen Tönen tragfähig und ausdrucksstark. Manuela Uhl gibt eine leuchtende, keineswegs naive Chrysothemis mit tragischen Zwischentönen. Die Klytämnestra von Nicolle Piccolomini ist nicht wie so oft eine alternde Frau, sondern eine auch stimmlich strahlende Erscheinung - ihr Dialog mit Elektra ist ein höchst spannender Machtkampf zweier auf ihre Weise starker Frauen. Martin Tzoney singt einen großformatigen, klangprächtigen Orest, Johannes Mertes einen markanten Ägisth.
Trotz oder wegen szenischer Ideenarmut: Diese Elektra entwickelt sich zum packenden Hördrama in nicht unpassender Kulisse.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Orest
Ägisth
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
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