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Les vêpres siciliennes
(Die sizilianische Vesper)

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe und Charles Duveyrier nach dem Libretto Le Duc D’albe aus dem Jahr 1839
Musik von Giuseppe Verdi


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit der Welsh National Opera, Cardiff
Premiere im Opernhaus Bonn am 25. Mai 2019
(rezensierte Aufführung: 27. Juni 2019)


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Theater Bonn
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Gewissensfragen, großformatig

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Allzu erfolgreich war Verdis Flirt mit der französischen Grand opéra nicht. Als er 1855 Les vêpres siciliennes nach einem nicht mehr taufrischen Libretto von Eugène Scribe für die Pariser Oper schuf, mochten die Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle gespielt haben: Die Möglichkeit, für einen großen Chor- und Orchesterapparat zu komponieren. Den Pariser Gewohnheiten entsprechend gehörte allerdings auch ein umfangreiches Ballett dazu, und überhaupt erscheint die gedehnte Anlage gegenüber knapp gehaltenen, mitreißenden Werken wie Rigoletto oder Il Trovatore ein Rückschritt. Die Personenkonstellation wirkt mitunter wie eine unausgereifte Vorwegnahme späterer Werke, etwa des Don Carlo. Hier wie dort besteht der Grundkonflikt zwischen privatem Glück und familiärer Bindung auf der einen, dem politischen Freiheitswillen auf der anderen Seite. In der Sizilianischen Vesper erkennt der Freiheitskämpfer Henri im Gouverneur Montfort, Führer der französischen Besatzungsmacht, seinen Vater, ist aber gleichzeitig verliebt in Hélène, deren Bruder von ebenjenem Montfort zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Aber dieser Montfort, eine zerrissene Figur, hat noch nicht das Format, wie es später im Don Carlo der König Phillip haben wird; der Rebellenführer Procida der Vesper bleibt sehr viel blasser als Carlos Freund Posa. Und trotzdem bietet Les vêpres siciliennes viel hörenswerte Musik.

Vergrößerung in neuem Fenster Ihr Bruder wurde von den französischen Besatzern, die hier bessere Karnevalsoffiziere bleiben, hingerichtet: Hélène (Anna Princeva)

Die (in Kooperation mit der Welsh National Opera Cardiff entstandene) Bonner Produktion weicht diesen Problemen nicht aus, im Gegenteil: Sie bekennt sich entschieden zur Grand opéra und greift auf Verdis französische Originalfassung mit Ballett zurück (und nicht auf die spätere italienische Version) - und Regisseur David Pountney führt demonstrativ die Eigenarten dieses Genres vor, etwa den Hang zur Ausstattungsoper. Die französischen Besatzer erscheinen in aufwendigen historischen Kostümen (Marie-Jeanne Lecca), alles demonstrativ zu dick aufgetragen und keineswegs historisch korrekt (die Oper lässt sich auf den 30. März 1282 datieren), sondern eher im barocken Prunk. Die großen Tableaus sind mit bewusster Künstlichkeit arrangiert, was in starkem Kontrast zum nüchtern-abstrakten Bühnenbild (Raimund Bauer) steht - ein paar riesige, verschiebbare Rahmen, später mit Gittern versehen, um ein Gefängnis anzudeuten. Die politisch-historische Ebene ist große Show, ohne aber der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Dafür sorgt nicht zuletzt Dirigent Will Humburg, der mit dem sehr guten Beethoven Orchester, mit dem prachtvoll singenden Chor und Extrachor alle Register zieht (einschließlich Ferneffekten wie Chor auf den Fluren des Theaters) und wuchtige Momente schafft, in der Grundhaltung aber einen transparenten, schlanken, oft kammermusikalisch feinen Verdi mit französisch eleganter Note dirigiert - eine Glanztat. So wird die große französische Oper unbedingt ernst genommen, ohne das Drama dahinter zu erdrücken.

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Die Vorgeschichte als Ballett: Rechts Henri und sein Vater Guy de Montfort (sitzend).

Der historisierende Prunk bleibt eine Hülle, hinter der die eigentliche Geschichte ihren Lauf nimmt. Die Sizilianer tragen nüchternes Schwarz; losgelöst von realhistorischen Ereignissen ist das Moment der Unterdrückung immer präsent, bleibt aber abstrakt. Montfort und Hélène zeigen noch Spuren historisierender Kostüme, Henri ist ein gänzlich moderner Mensch, Procinda im geschäftsmäßigen Anzug ein Berufsrevolutionär ohne Eigenschaften. Die Regie versucht nicht, das Geschehen in eine andere Zeit zu übertragen oder neu zu interpretieren; sie interessiert sich vielmehr für die Gewissenskonflikte, die sich aus dieser Konstellation entwickeln. Dazu inszeniert Pountney die äußere Handlung geschickt als Abfolge theatralischer Momente. Auf dem Höhepunkt der Oper werden Hélène und Procida zur Hinrichtung geführt und im allerletzten Moment begnadigt, weil Henri öffentlich Montfort als seinen Vater anerkennt. Die Regie lässt dazu zwei riesige Puppen mit Henkersbeilen auffahren - die äußere Handlung wird zum Puppenspiel, die innere zum großen Drama.

Vergrößerung in neuem Fenster Gleich sollen Procida und Hélène (hinten) hingerichtet werden - Henri (links, kniend) kann das nur abwenden, indem er Montfort öffentlich als seinen Vater anerkennt.

Ein paar Umdeutungen benötigt Pountney für das Konzept aber schon. Bei Scribe und Verdi erscheint Hélène im Schlussakt als naive junge Braut, übermütig vor Freude - man kann darüber streiten, ob hier eine Entwicklung der zuvor hasserfüllten Figur erfolgt ist oder nicht doch ein konzeptioneller Schwachpunkt der Oper vorliegt, weil das Freiheitsdrama unter den Tisch fällt. Pountney inszeniert die Szene als Mischung aus Zynismus und Entschlossenheit; bei ihm bereitet sich Hélène auf das Massaker vor, das mit dem Läuten der Hochzeitsglocken beginnen soll. In großen Bildern zeichnet sich hier das Menschenopfer ab, das bevorsteht, und durch die fröhliche Musik wird das Widersprüchliche der Situation deutlich und schafft den Rahmen für den folgenden Gewissenskonflikt Hélènes, die damit ja auch Bräutigam und Schwiegervater dem Gemetzel ausliefern wird. Und Pountney verändert den Inhalt des Balletts, das nun nicht mehr unverfänglich die vier Jahreszeiten thematisiert, sondern in dem mit sechs ausgezeichneten Tänzerinnen und Tänzern die Geschichte von Henris Geburt vorführt, die Liaison Montforts mit Henris Mutter, die nach anfänglicher Liebe in einer Vergewaltigung und schließlich in der Verfolgung der Kindsmutter endet. Das Modell ist natürlich dem Hamlet entlehnt: Im Theater auf dem Theater wird der Herrscher mit seiner dunklen Vergangenheit konfrontiert. Die spannende Choreographie von Caroline Finn macht das vermeintlich langweilige Ballett zu einem Höhepunkt der Oper.

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Die Hochzeitsglocken für Hélène und Henri (Mitte) sind das verabredete Zeichen für das Massaker, das als "sizilianische Vesper" in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Pountney zeigt grandios die Mechanismen der Oper und dringt zum Kern vor, der, wie später in der Aida, allem pompösen Prunk zum Trotz, kammerspielartig ist. Leider bleibt dann die Personenregie ziemlich pauschal. Sicher braucht es ein gewisses Maß an Nüchternheit, um das Pathos abzukühlen, aber es wird dann eben doch ziemlich viel herumgestanden. Gesungen wird dabei ganz ausgezeichnet. Leonardo Caimi ist ein geschmeidiger Henri mit leuchtender Höhe; hier und da merkt man noch die Schwierigkeiten der Partie, aber vieles gelingt betörend schön. Anna Princeva ist eine lyrische und koloratursichere Hélène, in der Mittellage etwas dünn, aber mit strahlender, nicht zu dramatischer Attacke in der Höhe. Davide Damiani singt den Guy de Montfort mit profundem Bass, mitunter eine Spur unscharf, aber immer mit vollem Klang, und Pavel Kudinov gibt einen prägnanten Procida.


FAZIT

Regie und Musik nehmen das sperrige Genre "grand opéra" beim Wort und kristallisieren gleichzeitig das Kammerspiel heraus. Eine Großtat.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
David Pountney

Bühne
Raimund Bauer

Kostüme
Marie-Jeanne Lecca

Licht
Thomas Roscher

Choreographie
Caroline Finn

Chor
Marco Medved


Statisterie des
Theater Bonn

Chor und Extrachor des
Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Hélène
Anna Princeva

Ninette
Ava Gesell

Henri
* Leonardo Caimi /
Michal Lehotsky

Guy de Montfort
Mark Morouse /
* Davide Damiani

Jean Procida
Pavel Kudinov

Thibaut
Jeongmyeong Lee

Danieli / Mainfredo
David Fischer /
* Woongyi Lee

Robert
Giorgos Kanaris

Le Sire de Bethune
* Leonard Bernad /
Alexander Milev

Le Comte de Vaudemont
Martin Tzonev

Tänzerinnen und Tänzer
Jessica Akers
Hellen Boyko
Paula Niehoff
Javi Ojeda Hernandez
Jack Widdowson
Hayato Yamaguchi



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