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Das Runde passt nicht zum EckigenVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Lohengrin - ein Stück der Stunde? Ein Superheld, der aus dem Nichts kommt und in einer Krisensituation im Handumdrehen die Führerschaft in der Verteidigung des deutschen Volkes gegen dubiose äußere Gefahren übernimmt; dem aber die Luft ausgeht, sobald man auf Fakten über seine Herkunft, sein Wesen hinter dem vordergründigen Charisma, besteht. Ein Lehrstück über den Populismus, in dem ziemlich viel "Heil!" geschrien wird. Sicher, Wagner hat das so nicht gemeint, aber die nicht so übermäßig geschickte Dramaturgie erzählt eben als Kehrseite auch diese böse Geschichte. Dekonstruktionen in dieser Richtung hat es freilich etliche gegeben, zuletzt von David Alden in Gent. Im A-Dur-Blau herbeigeträumt: Lohengrin, der Künstler
Mit der Verpflichtung von Marco Arturo Marelli als Regisseur, so darf man vermuten, wollte Intendant Bernhard Helmich eher einen "klassischen" Gegenentwurf zeigen. Marelli, daran erinnerte die Bonner Oper im Vorfeld, hat bereits früher hier inszeniert, in der Ära von Jean-Claude Riber - die dauerte von 1981 - 1992 und steht für den Anspruch, Hauptstadttheater mit hochkarätigen Sängerbesetzungen zu gestalten (und weniger für provokatives Regietheater). Schaut man sich Marellis Inszenierung an, so scheint tatsächlich die Zeit stillgestanden zu haben, so altmodisch erscheint der dekorative Stil, der im großen Stil Tableaus stellt, Blick ins Publikum, und auf pathetische Momente setzt - manche Geste, vor allem aber manche Bilder mit Schlüsselfunktion sind geradezu aufdringlich überzeichnet. Etwa der Schluss des zweiten Aufzugs, wenn aus dem Orchester das Frageverbot-Motiv in die Hochzeitszeremonie (mit Kardinal und Messdienern) das Frageverbot-Motiv hineinbricht. Marelli lässt Ortrud dazu mit bösem Blick ins Zentrum der Bühne schreiten, und wenn der Vorhang sich langsam schließt, fokussiert das den Blick noch einmal auf diese Figur, damit auch der letzte Volltrottel im Publikum verstehe, wer hier die Oberhand behält. In der Musik, die im dritten Aufzug die Verwandlung vom Brautgemach zum Aufmarschplatz begleitet, fallen dramatisch riesige Speere vom Bühnenhimmel herunter und bleiben im Bühnenboden stecken (wo sie nachfolgend leider akustisch ziemlich störend klappern). Ein bisschen viel Knalleffekt ohne dramaturgischen Nutzen. Die schnöde Realität der Macht: Telramund und König Heinrich, rechts Ortrud
Dabei ist Marellis Ansatz im Grundsatz her gar nicht schlecht. Er nimmt die Perspektive Elsas ein, die als naives junges Mädchen gezeichnet ist, das sich den Helden herbeiträumt und am Ende böse in der Realität landet. Marelli erzählt das bereits zum Vorspiel (auch diese Bebilderung ist ein wenig aufdringlich, weil sie von der Musik ablenkt). Da sieht man Elsa auf dem Bett liegen, das auf einer viereckigen Platte steht inmitten von Bühnenelementen, die schroff aufgetürmt sind wie die Eisschollen bei Caspar David Friedrich (dieses Bühnenbild, auch von Marelli selbst entworfen, bleibt durchgehend gleich). Die Vision des Ritters erscheint auf einer runden Scheibe im Hintergrund, gleichsam eine hereinschwebende fliegende Untertasse, auf dem neben dem Ritter dessen Rüstung zu sehen ist - der Held selbst aber sitzt, ganz Künstler, am Klavier. Die runde Form bleibt letztendlich ein Fremdkörper, so formuliert Marelli den Konflikt auf einer ästhetischen Ebene. Die Deutung des Lohengrin als Drama des nach vorbehaltlosem Verständnis suchenden Künstlers geht auf Wagner selbst zurück. Letztendlich schält sich als eigentlicher Konflikt die Unvereinbarkeit der Erwartungen heraus: Als bejubelten Heeresführer mag der Held selbst sich nicht sehen (ganz hübsch inszeniert ist der Zweikampf, bei dem Telramund nicht in der Lage ist, sein Schwert zu heben, und Lohengrin quasi kampflos gewinnt: Ein Sieg des Pazifismus). Die überwiegend modernen, nicht immer gelungenen Kostüme (Ingeborg Bernerth) zeigen eine militarisierte Gesellschaft, die am Ende im Gleichschritt marschiert (was noch etwas geübt werden sollte). Da hat der Künstler keine Chance, muss man befürchten, auch wenn die Erscheinung des Thronanwärters Gottfried in weißer "Künstlerkleidung" die Option andeutet. Elsa und Ortrud
Andere Regisseure inszenieren so etwas sicher pointierter, während Marelli dann doch lieber nahe am Libretto bleibt und Elsa am Ende tatsächlich entseelt zu Boden sinken lässt. Angesichts der assoziativen Freiräume, die er lässt, könnte man ganz gut damit leben, wenn die Personenzeichnung nicht an vielen Stellen arg rückwärtsgewandt erscheint. Dass ihm zur Figur des Lohengrin nicht viel Charakterzeichnung einfällt, liegt vielleicht auch am Werk und seinen dramaturgischen Schwächen selbst; die Frauen allerdings sind bei Marelli entweder naiv und überfordert wie Elsa - kaum hat sie die Oberhand und stellt die verbotene Frage, da springt sie auch schon angesichts des nahenden Telramund verängstigt in die starken Arme ihres Beschützers -, oder intrigant und zickig wie Ortrud. Da zeigen andere Inszenierungen weitaus mehr Zwischentöne, zumal Marelli auch den Frauenchor in geradezu hysterische Verzückung geraten lässt, wenn Lohengrin erscheint. Und es geht, eigentlich nicht zu fassen, noch schlimmer: Der Choreinsatz "In Frühn versammelt uns der Ruf" im zweiten Aufzug beordert die Herren offenbar direkt aus den Betten zur Burg, wo sie sich auf dem Vorplatz schnell die Anzüge überstreifen - und da kommen die Frauen und tragen ihren Gatten die vergessenen Schuhe nach und richten die schlecht gebundene Krawatte. Klare Rollenverteilung: Die 1950er-Jahre lassen grüßen. Etwaige Ironie ist nicht zu erkennen. Hochzeit im Dom
Hätte Marelli nicht mit Anna Princeva eine geradezu ideale Elsa auf der Bühne stehen, mädchenhaft in der Erscheinung und im Ton mit fabelhaft lyrischer, trotzdem auftrumpfender Stimme absolut glaubwürdig, die Regie hätte als Farce enden können. Dass Mirko Roschkowski schon leicht silbriges Haar (perfekt gefönt) und ein Wohlstandsbäuchlein aufweist, sieht man diesem Traummann in Anbetracht der betörend schönen, leichten und lyrischen, ganz leicht und charmant eingedunkelten Stimme gerne nach, die auch in der Höhe strahlen kann (was der Sänger geschickt dosiert). Ein musikalisches Traumpaar, die beiden, und die Bösen stehen dem kaum nach: Dshamilja Kaiser ist eine intensive, bei aller Boshaftigkeit klangschöne Ortrud, und Tómas Tómasson ein fulminanter Telramund mit klar fokussierter Stimme. Weil auch Pavel Kuninov als König Heinrich und Ivan Krutikov als Heerrufer ausgesprochen präsent singen und Chor und Extrachor (sogar der Kinderchor ist für ein paar Takte im Einsatz) sehr differenziert agieren (Einstudierung: Marco Medved) und vom klangschönen Pianissimo bis zum dröhnenden Fortissimo keine Wünsche offenlassen, ist die Aufführung ein Sängerfest. Dirigent Dirk Kaftan hat das bestens im Griff, auch die manchmal im Zuschauerraum verteilten Bühnentrompeten, und das Beethoven Orchester zeigt sich in ganz ausgezeichneter Verfassung, sehr aufmerksam und zuverlässig. Kaftan hebt gerne die Mittelstimmen hervor, hat Ruhe für die düsteren Passagen um Telramund und dann wieder den notwendigen Schwung. Er kann es richtig "knallen" lassen, aber auch im Pianissimo zaubern, wobei er mehr die romantische, in mancher Hinsicht noch eng der Tradition verhaftete Oper hervorhebt denn die Vorahnung des kommenden Musikdramas.
Musikalisch grandios; szenisch trotz einiger interessanter Ansätze irgendwo tief im 20. Jahrhundert mit schwer verdaulichen Momenten stecken geblieben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Licht
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Heinrich der Vogeler
Lohengrin
Elsa von Brabant
Friedrich von Telramund
Ortrud
Der Heerrufer des Königs
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