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Musiktheater
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Serse (Xerxes)

Dramma per musica in drei Akten
Text nach einem Libretto von Nicolò Minato und Silvio Stampiglia
Musik von Georg Friedrich Händel


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 7. Oktober 2018


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Theater Bonn
(Homepage)

Der kleine Diktator

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Ach, vielleicht sollte man all' diese Diktatoren und Möchtegern-Diktatoren, die Erdogans, Putins und Orbáns, nicht zu vergessen Kim Jong-un, einfach mal einen Abend lang nicht so ernst nehmen, ja, sich über deren Gebaren lustig machen. Sie zu Operettendiktatoren erklären. Händel hat zwar keine Operetten geschrieben, aber sein Serse aus dem Jahr 1738 ist schon ziemlich komisch, mit einem König, der in seiner berühmten, als "Händels Largo" zu Salonehren gekommenen Auftrittsarie Ombra non fui die Schönheit eines Baumes besingt. Dieser wenig kriegerische Zug macht ihn zwar durchaus sympathisch, im Folgenden aber wird er, ziemlich ungeschickt agierend, ausschließlich mit Liebesangelegenheiten beschäftigt sein, verliebt in die Frau, die ihrerseits seinen Bruder liebt. Alsbald bewegt sich die Handlung in den Sphären eines nicht allzu raffinierten Schwanks. Da rivalisiert die umworbene Romilda auch noch mit der eigenen Schwester um den Bruder des Königs, und der König hat eine eifersüchtige Verlobte; ein ungenau adressierter Brief wird abgefangen und führt zu Komplikationen; am Ende werden versehentlich die Falschen (und eigentlich Richtigen, nämlich Romilda und ihr angebeteter Arsamene) verheiratet, und König Serse kehrt zurück in die Arme seiner Verlobten Amastre. Wer die Oper nicht kennt, wird die Inhaltsangabe im Programmheft wohl mehrfach lesen müssen, um den Überblick zu behalten.

Szenenfoto

Er will, sie nicht: Serse und Romilda

Viel Respekt vor dem Regenten hat das Libretto nicht, und das Team um den italienischen Regisseur Leonardo Muscato, der hier sein Debut auf deutschen Opernbühnen gibt, schon gar nicht. Ihr Serse ist eine Witzfigur wie aus einem Comic, der Prototyp des überforderten Diktators schlechthin, mit Uniform, Sonnenbrille und allerschönstem Diktatorenrauschebart. Überhaupt sind alle Figuren comichaft stilisiert, konsequent bis hin in die puppenhaften Bewegungsabläufe. Dabei beherrschen sie die Kunst, per Fingerschnippen die anderen Protagonisten "einfrieren" zu lassen, um die eigenen Phrasen sozusagen für sich allein und für's Publikum zu singen. Ein vollkommener Anti-Realismus, der aber atemberaubend genau durchgestaltet, immer wieder nicht nur nahe am Klamauk, sondern mittendrin. Nicht, dass das zum Schreien komisch wäre, aber ziemlich unterhaltsam ist es schon, zumal die musikalische Seite stimmt, siehe unten. Und es geht ziemlich modern zu. Der Baum, den Serse besingt, das ist die Palme, die sein Wappen ziert, und das macht aus dem vermeintlichen Naturliebhaber einen Narzissten. Einen Selbstdarsteller, dessen Pappstatuen immer wieder die Bühne zieren. Nur Angst haben braucht man in diesen zweieinhalb ziemlich gut geglückten Opernstunden nicht: Die Maschinenpistolen der Leibwache wie auch Panzer und Rakete sind ganz offensichtlich nur Papp- und Plastikwaffen, und zum Happy End weinen selbst die Soldaten vor Rührung.

Szenenfoto

Die Schwestern Atalante und Romilda rivalisieren um Arsamene

Die Bühne (Andrea Belli) zeigt stilisierte Architektur vor himmelblauem Hintergrund mit weißen Wölkchen - Renaissancefronten, die durch die Vereinfachung einen Zug zum faschistischen Stil bekommen. Die Verwendung von Prospekten und Illusionsmalereien zeigt bewusste Nähe zum Barocktheater. Zusammen mit den Fantasiekostümen von Katia Bottegal ist das Bühnenbild auf der Farbskala von Blau, Violett, Pink und Rot bis zum Gelb als Kontrast fein abgestimmt, dazu perfekt ausgeleuchtet (Licht: Max Karbe). Bis ins Detail ist die farbenfrohe, aber eben nicht quietschbunte, sondern sehr streng gestaltete Ästhetik durchgehalten. Wenn die übergroßen Pappdiktatoren schließlich exotischen Tieren und sogar einem Pappsaurier weichen, bewegt sich die Regie mehr und mehr hin zum Absurden. Tiefgang hat das nicht unbedingt. Oder ob man im königlichen Wappen mit einem Kranz aus Sternen eine Anspielung auf die italienische Cinque stelle-Bewegung ahnen soll? Genauso nahe liegt die Assoziation an die EU-Fahne. Am deutlichsten sind die Anspielungen auf den nordkoreanischen Führerkult. Aber Muscato beschränkt sich nicht darauf, den König zur Karikatur zu verzeichnen, den anderen Figuren geht es kaum besser. Romilda etwa hat etwas von einer Aufziehpuppe. Eine besondere Sympathieträgerin ist auch sie nicht. Man sieht eine Puppenwelt, wie von höherer Mechanik aufgezogen.

Szenenfoto

Der König und sein General: Xerxes und Ariodate

Nicht ganz von der Hand zu weisen ist die Gefahr, dass die Musik da, wo die Inszenierung jedes echte Gefühl verweigert, zur Ansammlung schöner Arien degradiert wird. Dirigent Rubén Dubrovsky liefert mit dem in kleiner Besetzung aufspielenden Beethoven Orchester eine ungemein farbreiche Interpretation, pointiert und genau. Luciana Mancini singt und spielt einen hinreißenden Serse, mit punktgenauen Koloraturen und vokaler Attacke. Ihr Sopran klingt beinahe wie ein Countertenor, und das gibt der Figur eine ganz eigene Aura. Louise Kemény ist eine kokette, bewegliche Rominda, Katrin Leidig ein klangschöner Arsamene mit ganz leichten Wacklern bei den Spitzentönen. Durch und durch solide gestaltet Marie Heeschen die intrigante Atalante, und auch Susanne Blattert als Amastre sowie Leonard Bernard als Brautvater Ariodate und Martin Tzonev als Diener Elviro machen ihre Sache mehr als gut. Durchweg wird sehr genau gesungen, auch in den "kleinen" Noten, die Abstimmung mit dem Orchester ausgezeichnet, und nicht zuletzt die Regie fordert hohe Präzision, vom gesamten Ensemble bewundernswert umgesetzt.

Szenenfoto

Happy End mit Goldregen

Sicher, man kann sich szenische Interpretationen mit mehr Tiefgang vorstellen. Aber dieser fröhlich-anarchische Zugang bei gleichzeitig größter Disziplin auf der ästhetischen Seite hat Charme - und rief, auch wenn vereinzelte Buh-Rufe nicht unterschlagen werden sollen, geradezu frenetischen Jubel beim Premierenpublikum hervor. Einen Abend lang bei hinreißender Musik über die Diktatoren dieser Welt zu lachen ist dann doch nicht das Schlechteste, was die Oper zu bieten hat.


FAZIT

Eine sehr unterhaltsame, in ihrer konsequenten Comic-Ästhetik eindrucksvolle Produktion auf sehr gutem musikalischem Niveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rubén Dubrovsky

Inszenierung
Leonardo Muscato

Bühne
Andrea Belli

Kostüme
Katia Bottegal

Licht
Max Karbe


Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der Premiere

Serse, König von Persien
Luciana Mancini

Arsamene
Kathrin Leidig

Amastre
Susanne Blattert

Ariodate
Leonard Bernad

Romilda
*Louise Kemeny /
Nina Bernsteiner

Atalante
Marie Heeschen

Elviro
* Martin Tzonev /
Algis Lunskis



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