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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 55' (zwei Pausen)

Premiere am 24. März 2018 im Opernhaus Chemnitz
(Rezension im Rahmen des 2. Ring-Zyklus zu Ostern 2019: 19.04.2019)


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Theater Chemnitz
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Kampf ohne Schwert und Speer

Von Thomas Molke / Fotos von Kerstin Nijhof

Wenn es im Ring des Nibelungen einen Teil gibt, der auf der Beliebtheitsskala über den anderen rangiert und eine Sonderstellung einnimmt, so dass er bisweilen auch außerhalb eines Zyklus zur Aufführung gelangt, ist es Die Walküre. Ein Grund mag sein, dass an diesem ersten Tag des Bühnenfestspiels die Liebe in ihrer reinsten Form präsentiert wird. Die Innigkeit zwischen dem Wälsungenpaar Siegmund und Sieglinde erreichen im weiteren Verlauf des Rings nicht einmal Siegfried und Brünnhilde, deren Liebe am Ende Verrat und Betrug zum Opfer fällt. Auch wenn rein sachlich gesehen die inzestuöse Beziehung zwischen dem Geschwisterpaar illegitim ist, wischt die Emotionalität ihrer Liebe auch musikalisch schon allein beim "Winterstürme wichen dem Wonnemond" jegliche moralischen Bedenken beiseite. Außerdem werden in keinem anderen Teil der Tetralogie der persönliche Schmerz und die Tragik der Figuren spürbarer. Das gilt sowohl für das Wälsungenpaar, das mit Ausnahme eines ganz kurzen Momentes des persönlichen Glücks am Ende des ersten Aufzugs nur Leid und Verfolgung erfährt, als auch für Wotan, der einerseits erkennt, dass er das Ende nicht aufhalten oder abwenden kann, und andererseits seine Lieblingstochter Brünnhilde opfert. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als fortan als Wanderer die Welt zu durchstreifen. Monique Wagemakers, die für den neuen Chemnitzer Ring-Zyklus Die Walküre in Szene gesetzt hat, interessiert sich vor allem für die traumatischen Erlebnisse von Wotans Kindern, die dieser lediglich als Werkzeuge in seinem Spiel um die Macht benutzt.

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Moment der Wiedererkennung: Siegmund (hier Zoltán Nyári) und Sieglinde (hier: Christiane Kohl) (im Hintergrund: Kinderstatisten)

Eine wichtige Rolle spielt die Vorgeschichte, in der Siegmund und Sieglinde getrennt worden sind. Siegmund war mit seinem Vater Wälse (Wotan) auf der Jagd gewesen, als er bei der Rückkehr die heimische Hütte ausgebrannt vorfand. Die Mutter war erschlagen, Sieglinde verschleppt worden. Dieser Brand wird in einer Videoprojektion von Constanze Hundt direkt beim Vorspiel aufgegriffen. Auf einem schwarzen Vorhang entwickelt sich zur peitschenden Musik Wagners, die eigentlich Siegmunds Flucht vor Hundings Sippe beschreibt, der Querschnitt eines Baumes, der, wenn er den ganzen Vorhang einnimmt, schließlich niedergebrannt wird. Auch die weiteren Aufzüge beginnen mit diesem Bild. Im zweiten Aufzug kommt es allerdings nicht bis zum Brand. Beim dritten Aufzug ist der Stamm schon von Beginn an vollständig zu sehen und zerfällt allmählich beim Walkürenritt. Das Bühnenbild von Claudia Weinhart übernimmt ebenfalls die Idee von verbranntem Holz. In hohen abstrakten Bögen, die im Material an Holz nach einem Brand erinnern sollen, schafft sie auf der Drehbühne flexible Orte, die sowohl eine Hütte, als auch an einen Wald, einen Irrgarten oder an ein Verlies andeuten können. Auf Requisiten wird dabei größtenteils verzichtet. Wichtiger Bestandteil ist ein schwarzer Gaze-Vorhang, der mal das Geschehen auf der Bühne in diffuses Licht taucht, dann sich plötzlich öffnet und eine klare Sicht auf die Bühne freigibt. Zum ersten Mal geht der Vorhang auf, wenn in Siegmund langsam die Erkenntnis aufkeimt, dass er mit Sieglinde seine Zwillingsschwester wiedergefunden haben könnte. Unterstützt wird dieser Moment durch Kinderstatisten, die das Wälsungenpaar in einem Alter vor der Trennung andeuten sollen, und durch Videoprojektionen im Hintergrund, die mehrere Kindergesichter zeigen.

Diskutabel ist Wagemakers' Ansatz bezüglich des Schwertes Notung. Wagemakers sieht das Schwert lediglich als eine Art Traumfantasie Siegmunds, so dass sie auf die tatsächliche Waffe als Requisit vollständig verzichtet. Das Erstrahlen des Schwertes in der Esche Stamm wird zwar noch durch einen glänzenden Lichteffekt untermalt, das anschließende Herausziehen des Schwertes entfällt dann allerdings ganz. Siegmund und Sieglinde stehen einfach an der Rampe neben dem zur Seite gezogenen Gaze-Vorhang. Wagemakers erläutert im Programmheft, dass in dieser Szene eher das sexuelle Erwachen Siegmunds und der anschließende Inzest im Mittelpunkt stünden. Kann man sich hierauf vielleicht noch einlassen, wird der Kampf mit Hunding im zweiten Aufzug dann schon etwas problematischer. Hunding greift nämlich Siegmund mit einem "echten" Schwert an, während Siegmund ihm waffenlos entgegentritt. Wie ihn da die Walküre Brünnhilde schützen soll, die ebenfalls keine Waffe zur Hand hat, ist fraglich. Da benötigt man eigentlich gar keinen Wotan, der auftritt und Siegmunds Schwert zertrümmert, um Siegmund von Hunding töten zu lassen. Folglich wird auf Wotans Speer ebenfalls verzichtet. Dass Wotan dann allerdings mit einem einfachen Wink den bewaffneten Hunding zu fällen imstande ist, wirkt dann doch etwas konstruiert.

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Wotan (Aris Agiris) ist den Argumenten seiner Gattin Fricka (hier: Monika Bohinec) nicht gewachsen.

Keinen Anlass zur Kritik gibt die großartige musikalische Umsetzung. Da ist zunächst einmal die hervorragend aufspielende Robert-Schumann-Philharmonie unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Guillermo García Calvo zu nennen, die die emotionalen Momente der Musik bewegend herausarbeitet und den Zuhörer ein Wechselbad der Gefühle durchleben lässt. Viktor Antipenko scheint bei seinen "Wälse"-Rufen im ersten Aufzug einen neuen Längen-Rekord aufstellen zu wollen. Mit so viel Kraft und Intensität und scheinbar nicht endendem Atem hat man diese Szene selten erlebt. Auch ansonsten begeistert er mit strahlendem Heldentenor und einer wunderbaren Textverständlichkeit. Astrid Kessler steht ihm als Sieglinde in nichts nach. Mit einem runden Sopran gestaltet sie auch die extremen Höhen geschmeidig, ohne dabei schrill zu klingen. Mit viel Gefühl arbeiten die beiden die aufkeimende Liebe zwischen dem Wälsungenpaar heraus, was in dem berühmten fast an eine klassische Arie erinnernden "Winterstürme wichen dem Wonnemond" seinen Höhepunkt findet. Magnus Piontek hält als unsympathischer Hunding mit schwarzem Bass eindrucksvoll dagegen und macht mit seinem großartigen Spiel ebenfalls die Bedrohung deutlich, die mit seinem Auftritt ins Haus kommt.

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Brünnhilde (hier: Dara Hobbs, Mitte) bittet ihre Schwestern um Unterstützung für die verzweifelte Sieglinde (hier: Christiane Kohl, vorne rechts liegend).

Auch Stéphanie Müther und Aris Agiris lassen stimmlich und darstellerisch als Brünnhilde und Wotan keine Wünsche offen. Müther zeigt bereits bei ihrem ersten Auftritt in ihren "Hojotoho"-Rufen, welche Durchschlagskraft in ihrem großen dramatischen Sopran steckt. Dabei wirkt sie bei den Spitzentönen absolut unangestrengt. Agiris begeistert mit markantem Bass-Bariton und einer hervorragenden Diktion. Ein weiterer Höhepunkt ist seine große Szene mit Anne Schuldt als Fricka, die erneut mit sattem Mezzosopran punktet. Darstellerisch überzeugend gestaltet er den allmählichen Verlust seiner Siegesgewissheit, wenn er im Streit um den Wälsung den starken Argumenten seiner Gattin unterliegt. Schuldt spielt dabei ihre Überlegenheit geschickt aus. Eindringlich gestaltet er anschließend im Zusammenspiel mit Müther Wotans Erzählung, die in der mitfühlenden Tochter bereits den Wunsch weckt, den Wälsung für Wotan zu schützen, auch wenn seine offizielle Weisung anders lautet. Die anschließende Begegnung der Walküre mit dem Wälsungenpaar macht dann unmissverständlich klar, wieso sich Brünnhilde entscheidet, dem Gebot des Vaters nicht Folge zu leisten. Mit bewegendem Spiel wird Müther von der innigen Liebe Siegmunds zu seiner Schwester ergriffen, so dass sie ihm Unterstützung beim Kampf gegen Hunding zusagt. Kessler gestaltet Sieglindes Angst mit großen dramatischen Ausbrüchen.

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Feuerzauber ohne Feuer: Wotan (Aris Agiris) und die im Hintergrund schlafende Brünnhilde (hier: Dara Hobbs)

Wieso die acht Walküren im dritten Aufzug dann zunächst in einem Stuhlkreis Platz nehmen, um auf Brünnhildes Ankunft zu warten, erschließt sich genauso wenig wie der Ort, den Weinhart für diese Szene gewählt hat. Mit einer Videoprojektion im Hintergrund glaubt man, sich eher in einem klassischen Bühnenbild für den Parsifal zu befinden. Die Kostüme von Erika Landertinger sind mit den ausladenden blauen Reifröcken zwar sehr schön gehalten, aber Wagemakers' Personenregie unterstützt den gesungenen Text hier eigentlich nicht. Stimmlich überzeugen die acht Walküren allerdings auf ganzer Linie. Bewegend gestalten sie ihre Unsicherheit, ob sie ihre Schwester vor Wotans Zorn wirklich schützen sollen, da sie Brünnhildes Verhalten eigentlich nicht billigen. Müther spielt Brünnhildes Verzweiflung mit großer Innbrunst aus, und Kessler setzt mit einem sauber angesetzten "Oh hehrstes Wunder" noch einmal Akzente. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist die folgende Szene zwischen Brünnhilde und Wotan, in der sie ihn überzeugen kann, sie nicht einem einfachen Mann preiszugeben, sondern mit einem Feuerkreis zu schützen, den nur ein furchtloser Held durchschreiten kann. Agiris und Müther begeistern hier erneut stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie. Für den Feuerzauber ziehen dann die im Dunkel auftretenden acht Walküren den Gaze-Vorhang nach hinten und erzeugen so eine halbrunde Mulde auf der Bühne, in der Wotan seine Tochter dann in Schlaf versetzt. Der anschließende Feuerzauber entfaltet sich dann allerdings nur im Orchestergraben. Die Bühne bleibt schwarz und verzichtet auf unterstützende Lichteffekte. Bei Wotans Abgang wird der Vorhang dann nach oben gezogen, und die schlafende Brünnhilde ist verschwunden. Stattdessen kommt ihm ein kleiner Junge, wahrscheinlich Siegfried, entgegen, dem Wotan, bevor er die Bühne verlässt, liebevoll über den Kopf streichelt. Dem Jungen gehört dann der Schlussmoment der Oper, bevor die Bühne nach dem letzten Ton im Dunkel versinkt. Einige Zuschauer fühlen sich dabei wohl um ihre Emotionen betrogen und machen ihrer Enttäuschung mit lauten Unmutsbekundungen Luft. Über die Solisten und das Orchester ergießt sich allerdings anschließend ein verdienter und großer Jubel.

FAZIT

Musikalisch lässt diese Walküre keine Wünsche offen. Auch Weinharts Bühnenbild liefert gute Möglichkeiten für die Umsetzung der Geschichte. Vielleicht hätte man aber nicht auf das Schwert und einen Feuerzauber mit entsprechenden Lichteffekten verzichten sollen.

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Das Rheingold (zur Rezension der Premiere am 3. Februar 2018 geht es hier)

Zu den weiteren Rezensionen:

Siegfried

Götterdämmerung (zur Rezension der Premiere am 1. Dezember 2018 geht es hier)

 

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Guillermo García Calvo /
Felix Bender

Inszenierung
Monique Wagemakers

Bühne
Claudia Weinhart

Kostüme
Erika Landertinger

Lichtgestaltung
Mathias Klemm

Videos
Constanze Hundt

Dramaturgie
Susanne Holfter
Lucas Reuter

 

Robert-Schumann-Philharmonie

Mitglieder der Kinderstatisterie
der Oper Chemnitz


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegmund
*Viktor Antipenko /
Zoltán Nyári

Hunding
Magnus Piontek

Wotan
Aris Agiris

Sieglinde
*Astrid Kessler /
Christiane Kohl

Brünnhilde
Dara Hobbs /
*Stéphanie Müther

Fricka
Monika Bohinec /
*Anne Schuldt /
Bernadett Fodor

Helmwige
Guibee Yang

Gerhilde
Regine Sturm /
*Sonja Freitag

Ortlinde
Jana Büchner

Waltraute
*Sylvia Rena Ziegler /
Anne Schuldt

Siegrune
Susanne Müller-Kaden

Rossweiße
Diana Selma Krauss

Grimgerde
Nathalie Senf

Schwertleite
Alexandra Sherman /
Nora Steuerwald /
*Karin Lovelius


 


Weitere Informationen
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